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Wie unterschiedlich Pflege sein kann...


Silberpfeil

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... und wie bringt man das anderen Leuten bei?


 

Da ich ja berufsbegleitend und berufsbezogen studiere, um danach als Lehrer für Pflegeberufe zu arbeiten, möchte ich auch etwas über meinen Berufsalltag schreiben. All diese Erlebnisse haben mich geprägt und werden später mein (hoffentlich) Lehrerdasein ebenfalls prägen.


 

Als ich vor 10 Jahren mein Examen bestanden habe, stand für mich fest, dass ich auf einer Intensivstation arbeiten will. Das Faszinierende an diesem Beruf ist auch, dass man mit dieser Ausbildung in so vielen unterschiedlichen Bereichen arbeiten kann, wie Intensiv, Psychiatrie, ambulante Pflege, Notaufnahmen...

Intensivpflege hieß damals für mich, kritisch kranke Menschen in hochsensiblen Lebensphasen zu betreuen.

Meine Station hatte einen leitenden Oberarzt, der nicht nur Facharzt für Anästhesie war, sondern auch Palliativmediziner, und dazu 25 Jahre Berufserfahrung hatte. Auf einer Intensivstation ist es ein schmaler Grad zwischen behandlungsbedürftigem, lebensbedrohlichem Zustand, der noch "umgekehrt" werden kann, und schlicht Sterben verlängern. Jemand wie er hatte ein gutes Gespür dafür, wie viel Therapie für einen Menschen ethisch vertretbar war, ohne sein Leiden zu verlängern.


 

Doch dann zogen zunehmend die Betriebswirtschaftler in den Geschäftsführungen ein, und jemand mit einem ethischen Anspruch (wie der erwähnte und viele andere leitende Oberärzte) ist einfach nicht rentalbel genug... wo man doch so gut Profit machen kann in der Intensivmedizin.

So gut wie alle Leitungen, Ober- und Chefärzte wurden ausgetauscht. "Frischer Wind" nannte das die Geschäftsführung. Fakt ist, dass diese Art von Mensch nie in eine leitende Position aufgestiegen wäre, als leitende Positionen noch verantwortungsbewusste Menschen waren und keine Maschinen, die ihr eigenes Tun vor sich selbst rechtfertigen, um am Ende des Monats genug auf dem Gehaltszettel stehen zu haben.


 

Menschen wird Hoffnung gemacht, damit man Behandlungen und Operationen an ihnen durchführen kann, damit Fallzahlen erreicht, Arzneimittel und Medizintechnik gekauft und Profit gemacht wird. Das alles wird gerechtfertigt damit, dass unheilbare Krankheiten auf einmal als doch nicht ganz unheilbar betitelt werden.

Es ist genau wie in George Orwells 1984. Das Ministerium für Wahrheit.

Ein Arzt beschreibt das sehr schön in dem Buch "Patient ohne Verfügung: Das Geschäft mit dem Lebensende" (Matthias Thöns).

 

Meiner Meinung nach wirken sich all diese Zustände auch auf den Charakter der Menschen aus, die eben gezwungen sind, jeden Tag in diesem System zu arbeiten. Ein System, das grauenhafte Dinge verdreht, anders darstellt, kackfrech beschönigt und denjenigen das Problem attestiert, die sich damit schlecht fühlen. Man ist eben nicht belastbar genug. 

Man trifft Kollegen, die stur nichts hinterfragen, am liebsten (auf Intensiv) komplett sedierte Patienten betreuen und sich nur mit der Technik befassen, und das noch im Nachdienst, damit man ja keine Angehörigen betreuen muss. Diese Leute feiern sich gegenseitig als belastbar und kompetent und merken gar nicht, dass ihre Tätigkeit nichts, aber auch gar nichts mehr mit Pflege zu tun hat.

 

Fragt man solche Kollegen: Was ist eigentlich für Dich Pflege? Was gehört ausschließlich zu unserer Tätigkeit, was keine andere Berufsgruppe übernehmen kann?, kommen darauf vage bis gar keine Antworten.

 

All das wird später mal Berufsalltag für die Azubis, die ich mal ausbilden werde. Und wie, frage ich mich, bereite ich sie darauf vor? Wie bringt man Menschen dazu, zu hinterfragen? Wie bringt man sie dazu, Mensch zu bleiben in einem unmenschlichen System?

 

Grüße

Silberpfeil

 

 

Bearbeitet von Silberpfeil

7 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Natürlich gefällt mir der Sachverhalt nicht, wie Du ihn beschreibst. Nicht, dass mein "Gefällt mir" falsch verstanden wird.

Genau diese Art von Management, Rechtfertigung von Entscheidungen und das Verhalten mancher Mitarbeiter, die es sich auf diese Weise im System bequem machen, kenne ich auch allzu gut und regen mich auf (was natürlich auch niemandem nützt), aber Gott sei Dank ist dies nicht im lebensentscheidenden Kontext...

 

Gut, dass Du in Deinem  hoffentlich zukünftigen Beruf die nachfolgenden Generationen ein wenig polen kannst.

Bearbeitet von schwedi
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Auch mein "Gefällt mir" bedeutet nicht, dass mir diese Zustände gefallen - sondern es gefällt mir, dass du diese aufzeigst und wenn ich richtig verstanden habe, auch mit deinem Berufsziel im Rahmen deiner Möglichkeiten daran etwas ändern möchtest.

 

Ich habe den Eindruck, dass sich so ganz langsam etwas ändern könnte - weil es immer weniger Menschen gibt, die unter den aktuellen Bedingungen in der Pflege arbeiten möchten. Und weil die Öffentlichkeit langsam merkt, was da abgeht und die Politik das nicht mehr komplett ignorieren kann.

 

Sehr gut finde ich dazu, was aktuell bei Twitter passiert - auch wenn es von außen betrachtet einfach erschreckend ist, was in der Pflege abgeht und von den Mitarbeitern erwartet wird: https://twitter.com/hashtag/twitternwierueddel

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Ganz ehrlich: ich denke du wirst es sehr schwer haben. Schon zu meiner Zeit (und das war vor 20 Jahren) hatten die Theorie der Schule und der Alltag auf Station nichts miteinander zu tun. Wenn die Praxisanleitung zu uns kam haben wir uns schön an die Vorgaben der Ausbildung gehalten, im Stationsalltag bist du dann entweder mitgeschwommen oder untergegangen. Wenn man Kritik geübt hat begegnete einem Unverständnis, man bekam von den Oberen eins auf den Deckel oder eine schlechte Beurteilung. Nahm man sich Zeit für die Patienten, bekam man Ärger mit den Kollegen, weil die Arbeit ja liegenblieb und die anderen deine Arbeit mit erledigen müssen.

 

Mir waren irgendwann die sedierten Patienten auch am liebsten und Angehörige habe ich am besten nur von hinten gesehen. Einfach aus dem Grund, weil ich bei vier oder fünf Intensivpatienten, die ich alleine betreute, nicht mehr wusste wo mir der Kopf stand. Oft habe ich von 6 Uhr früh bis mittags um zwei durchgearbeitet ohne Pause. Wenn man die fehlende Pause dann aufschreiben wollte wurde sie von der Stationsleitung gestrichen weil nicht akzeptiert. Schrieb man eine Überlastungsanzeige wurde man ins Büro der PDL zitiert und musste sich vor ihr und der Geschäftsleitung rechtfertigen. Viele der Erlebnisse aus dem Link von Markus kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.

 

Das System wird sich in absehbarer Zeit leider auch nicht ändern. Vor allem wenn Leitungspositionen nur noch mit BWLern besetzt werden, die sich ausschließlich für schwarze Zahlen interessieren, auf Kosten von Patienten und Personal. Diese Unmenschlichkeit der BWLer überträgt sich durch Druck erst auf die PDL, dann auf die Stationsleitungen und zum Schluss aufs Peronal. Ich bin mir nicht sicher, ob man Auszubildende darauf vorbereiten kann bzw. muss, denn nicht ohne Grund wollen immer weniger in diesem Beruf bei solchen Bedingungen arbeiten. Die jungen Leute heutzutage haben ganz andere Ansprüche an einen Job, das merke ich immer wieder bei FSJlern, Azubis und frisch Examinierten. Die FSJler entscheiden sich oft gar nicht erst für die Ausbildung, weil sie aus Kostengründen schon als FSJler ausgenutzt werden. Da hat verständlicherweise keiner Lust drauf. Die Auszubildenden suchen sich recht schnell einen anderen Ausbilder oder brechen ganz ab, weil sie sich nicht verheizen lassen wollen. Und die frisch Examinierten orientieren sich entweder gleich um, nach kurzer Zeit im Job oder sind nach Ende der Probezeit ständig krank. Was übrig bleibt sind dann Altruisten, die sich den Patienten verpflichtet fühlen, angepasste Mitläufer, die vor lauter Hilflosigkeit, Burnout oder Angst vor einer Umorientierung nur noch im ND mit sedierten Patienten an möglichst viel Technik arbeiten wollen oder wenige Don Quijotes, die trotz allem nicht aufgeben wollen und immer noch eine Änderung erhoffen. Die leider auf sich warten lässt.

 

Ich hoffe wirklich du findest für dich und dieses Dilemma eine Lösung, würde mich sehr interessieren. Mir ist das leider nicht gelungen: ich habe mich angepasst und wurde irgendwann leider genauso unmenschlich wie die Kollegen, die ich früher kritisiert hatte.

 

LG Higgins

 

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Es war schon immer mein größtes Problem, dass ich mich nicht anpassen kann, selbst wenn ich müsste.

Und bei dem großen Bedarf an Pflegekräften (dem momentanen und auch dem zukünftigen) wird sich zwangsläufig etwas ändern müssen, um mehr Menschen für den Beruf begeistern. Und das ist nicht mit ein paar Euronen mehr  getan. 

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Ich habe auch das Gefühl, dass sich etwas bewegt. Leider glaube ich aber, dass das nur bis zu einem gewissen Punkt gehen wird. Das Geschäft mit Gesundheit und Krankheit ist ein riesiger Markt, und sobald es einige Verbesserungen gegeben hat und die Pflegekräfte und Ärzte wieder " ruhig gestellt" sind, wird weiter am Patienten Profit gemacht...

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Mir zeigt der Artikel nur auf, dass sich in den Köpfen der Verantwortlichen noch gar nichts verändert hat.

 

Alleine auf die Idee zu kommen, die Personal-Untergrenze von den Krankenkassen und Krankenhäusern festlegen zu lassen....:rolleyes:. Ein Schelm wer Böses dabei denkt....

 

Die Untergrenze ist noch nicht mal flächendeckend eingeführt und es wird jetzt schon versucht, diese potenzielle Regelung zu unterwandern.

 

Ja es bewegt sich was, aber bis zu grundlegenden Veränderungen, die auch nennenswerte Auswirkungen in der Praxis haben, ist es mMn noch ein langer Weg.

 

LG Higgins

 

 

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