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Covid-Intensiv-Erfahrungsbericht: Kapitel 1


Silberpfeil

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Die ersten Tage auf dem Schlachtfeld

 

... waren erst mal unspektakulär (zumindest, was Corona betrifft), aber trotzdem gut!

Skurril ist ,dass ich mich kaum eingewöhnen muss. Zum einen scheint Pflegen wie Fahrradfahren zu sein, man verlernt das einfach nicht. Die Intensivstation macht da keine Ausnahme. Von Anfang an war es so, als wäre ich nie weg gewesen, während meine Sozialisation als Lehrkraft dagegen noch in den Kinderschuhen steckt. 

Das ist ganz schön verrückt. Ich habe mich total gefreut, viele Kollegen wiederzusehen. Die Geräuschkulisse, die Gerüche, die Sprache, die Witze, alles war vertraut. Natürlich habe ich manches gesucht und einiges nicht gewusst, aber alle waren total hilfsbereit und sofort da, wenn ich Fragen hatte.

 

Was mir gefehlt hat:

- Die Arbeit im Team. Natürlich sind wir in der Schule auch ein Team, aber den Hauptteil der Arbeit, der Unterricht, macht man alleine. Das ist nun wirklich ganz anders auf einer Intensivstation, auf der man sehr angewiesen ist auf seine Kollegen und die Ärzte.

- Der Humor. 💣 Wenn man von einer Intensivstation kommt, fällt man unter Pädagogen schon mal unangenehm auf. 😈

- Die Art, wie man auf einer Intensivstation sein Gehirn benutzen muss, und zwar am besten schnell. Man muss Dosierungen von Medikamenten berechnen (wenn eine zweiprozentige Lösung eines Medikaments mit 7,5ml pro Stunde läuft, wie viel mg bekommt der Patient dann pro Stunde) oder etwas hervorkramen, was man womöglich vor Jahren mal gelernt hat, weil es relevant für Patientenbeobachtung ist.

- die Nähe zum Patienten. Nicht umsonst heißt es "Intensiv"-Pflege. Eben weil man sehr nah dran ist.

- dass man nie weiß, was der Tag bringt. Es kann immer alles und nichts passieren, während Tage in der Schule ziemlich genau planbar sind.

 

Was mir nicht gefehlt hat:

- der Schichtdienst. Es ist, als würden andere über mein Leben bestimmen. Man muss sich da komplett anpassen. Und was es für Auswirkungen auf dem Körper hat, ist einfach gruselig. Ich bin schon nach ein paar Tagen dauermüde. (Und dass, obwohl man auf dieser Station schon allein durch die Größe viele Freiheiten in Bezug auf Wünsche hat!)

- der Schichtdienst

- die Müdigkeit

...

 

Zum Schlachtfeld selbst ist zu sagen, dass das Krankenhaus zur größeren Sorte gehört mit ca. 1500 Betten und allen medizinischen Fachabteilungen. Da sich Intensivbetten anteilig an der Gesamtbettenzahl berechnen (früher waren das tatsächlich mal 5%), hat dieses Haus also verschiedene Intensivstationen mit unterschiedlichen Fachrichtungen.

Da geplante Behandlungen verschoben werden, sind Kapazitäten frei, und es wurden verschiedene Normalstationen extra für Corona Patienten bereit gestellt. Außerdem gibt es eine große Überwachungsstation für Corona Patienten, auf der auch die Verdachtsfälle behandelt werden.

 

Meine Intensivstation hat 22 Betten, die aus zwei baulich voneinander getrennten Bereichen aus 10 und 12 Betten besteht. Hier werden Patienten nach großen Operationen, Hirnblutungen oder schweren Unfällen mit allen nur denkbaren Organersatzverfahren behandelt.

Diese Patienten kommen natürlich trotz Corona, und zwar ungeplant. Durch die bauliche Trennung hat man einen eigenen Corona Bereich. Die Pflegekräfte und Ärzte teilen sich in jeder Schicht in verschiedene Bereiche ein, wobei man sich dann eben für den Corona Bereich komplett in Schutzkleidung begibt. Zur Kommunikation mit den anderen außerhalb des Bereichs gibt es ein Funkgerät und selbstverständlich Telefon. 🙂

 

Ich habe gleich eigene Patienten betreut, aber keine Corona Patienten. Die Arbeit ist so ziemlich die gleiche wie vor Corona, nur dass die Schichtbesetzung zur Zeit viel höher ist als noch 2017. Ehrlich gesagt ist das ziemlich absurd. Auch damals hatten die Patienten schon ansteckende Krankheiten (Influenza, Tuberkulose, etc.), aber es hat niemanden interessiert, wie es Pflegekräften und Ärzten damit geht.

Überhaupt geht es das erste Mal seit Jahren nicht um Profit oder Prestige, das ist wirklich auffällig anders. Es geht tatsächlich um die Patienten, und das erste Mal, seit ich Krankenschwester bin, auch um die Menschen, die mit den Patienten arbeiten. Mein Arbeitgeber ist schon sehr deutlich um das Personal bemüht, das macht sich an vielen Stellen bemerkbar. Es gibt sogar ein spezielles Seelsorgeangebot, betriebsärztliche Untersuchungen und "Care-Päckchen" mit Getränken und Snacks. ❤️

 

Ich wünsche mir wirklich sehr, dass das auch nach Corona so bleibt und dass man sich nicht wieder für jede Minute rechtfertigen muss, in der man nicht effizient war.

 

Ansonsten ist dieser Ort erfrischend "unpanisch". Während die halbe Welt neuerdings aus Virologen zu bestehen scheint, anstatt wie früher aus Bundestrainern, ist hier niemand übertrieben paranoid. Vorsichtig natürlich, aber ohne Panik.

 

In unserer Region sind die Fallzahlen noch nicht so hoch, daher haben wir noch Kapazitäten frei... warten aber auf das, was kommt. Und sind vorbereitet.

 

Bis bald

Silberpfeil

 

Bearbeitet von Silberpfeil

3 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Ich kann nur hoffen, das Vieles aus den Coronazeitem gelernt wird, aber die Chance stehen 10000000000000:1, leider. Ich bin da Pessimist. Vllt. bleibt ein bisschen hängen.

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"Während die halbe Welt neuerdings aus Virologen zu bestehen scheint, anstatt wie früher aus Bundestrainern ..."

 

😃

Vielleicht nicht die tiefgründigste Ihrer Beobachtungen, aber bei weitem die witzigste! Ich LIEBE diesen Satz!

 

 

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Du hast viele Gründe beschrieben, die mich am Ende dazu veranlasst haben, dem Pflegeberuf den Rücken zu kehren. In den letzten Wochen war es vermehrt Thema, dass für diesen Berufsstand die Arbeitsbedingungen nicht angemessen sind. Auch ich hoffe, dass Veränderungen auch nach Corona bestehen bleiben. Für mich war es das Schlimmste, dass man am "Pflegefließband" nicht inne halten konnte, um sich den Sorgen und Nöten der Patienten zu widmen oder am Ende des Lebens einfach mal die Hand halten konnte, wenn ein Patient ohne Angehörige war. Meine letzten Jahre habe ich ja dann in der Psychiatrie verbracht.... jede Diskussion um Geld, um gute Freizeitmöglichkeiten zu schaffen.... Geschaffene Möglichkeiten wären jetzt in der Zeit von Corona, wo Gruppenangebote und Freizeitaktivitäten draußen nicht möglich sind Gold wert. Vielleicht lernen ein paar Menschen, die ein paar Stufen höher auf der Hierarchieleiter stehen, endlich auf die zu hören, die es wissen müssen und die sie brauchen!

Nur befürchte ich leider wie Muddlehead, dass nach der Krise Profitgier wieder das vorherrschende Problem werden wird.... man muss ja die Verluste aus der Corona-Zeit ausgleichen und am Besten ein Polster anlegen.

Ich finde es auf jeden Fall toll, was Du schreibst. Ich kann so vieles nachfühlen. Trotzdem, pass gut auf Dich auf!!

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