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Arbeitsplatz, anyone?


Vica

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Als mein Chef im Dezember verkündete, dass er, wie so viele andere Chefärzte deutschlandweit, zum 31.12. aufhören würde und es keinen Nachfolger geben würde, der Psychotherapeuten ausbilden darf, waren meine Tage in der Klinik gezählt. Ich brauchte einen neuen Klinikplatz. Viel Rücklauf gab mir das nicht und das Problem: Klinikplätze sind extrem rar. Nur 1-3 vergeben manche Kliniken und ihr könnt euch vorstellen, viele benötigt werden. Schon mein PP-Kurs besteht aus 20+ Leuten. 

Absolute Laien unter euch können sich das so vorstellen: Man hat zwar die Berufsschule, aber keinen Ausbildungsbetrieb dazu. 
 

Ich suchte also nach der PT1 (1200 Arbeitsstunden, geht ein Jahr) + der PT2 (600 Stunden). Die PT2 spielt erstmal keine so große Rolle, die könnte ich mir, wenn ich einen PT1-Platz habe, dann ja für das nächste Jahr suchen.  

 

Es hatte den Anschein, dass man beim Kartoffelstechen im Garten eher auf Gold stößt, als dass man einen PT-Platz bekommt. Zusätzlich stand ich vor diesen Problemen: 

 

  • ich bin ortsgebunden
  • in unserer Gegend gibt es zu wenige Patienten 
  • keine Ahnung, wie die Kliniken zu meinen Abschlüssen stehen. Ist ja ein Novum, wie das bei mir lief. 
  • unfassbare Flut an Mitbewerbern, die gute Voraussetzungen haben: Top-Referenzen, jung und kinderlos; zur großen Bewerberflut kommen auch noch die aus dem letzten Jahr dazu, die im letzten Jahr keine Stelle bekommen haben. 
  • Lockdown-Verlauf ungewiss; Schulen und Kindergärten dadurch nur teilgeöffnet; nicht jede Klinik hat hier Verständnis. 
  • Die PT1 und 2 Stellen werden oft überhaupt nicht ausgeschrieben. Bewerbungen laufen initiativ,  und manche Kliniken befassen sich 2-3 mal im Jahr mit PT-Bewerbungen. Wann, weiß der Bewerber nicht. Hört er nix, weiß er nicht, ob dass nun Ablehnung ist, oder ob die sich erst in 8 Wochen mit seiner Bewerbung befassen. 
  • Lockdown heißt auf Klinikseite: Wenig Personal, das sich jetzt um Personalfragen kümmern will, Schließungen ganzer Bereiche und damit werden noch weniger PiAs benötigt. 
  • Durchschnittliche Rückmeldungsdauer: 6 Monate. Ausgang ungewiss. 

 

Eine schwierige Kiste also...
Demnach: Hemdsärmel hochkrempeln und ran an's Werk. 

- Ein ansprechendes Bewerbungs-Template kaufte ich von einer auf Bewerbungen spezialisierten Grafikdesignern bei etsy. 

- Ein neues Bewerbungsfoto musste auch her. Mangels Fotograf musste es ein Selfie tun. Ich war sehr zufrieden. 

- Bei den Bewerbungstexten habe ich mich hauptsächlich vom Bewerbungsschreiben eines Chefkochs inspirieren lassen. 

- Kliniken aus der Kooperationsliste des Instituts verschaffen einen zum Teil mehr Chancen; aber die kooperieren auch mit anderen Instituten, und somit gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Die sind auch fast alle zu weit weg, und bevor ich eine Weltreise mache, checkte ich meine unmittelbare Umgebung. 

- Das heißt: Anrufen, nachfragen, Bewerbungsfristen einholen, nach Ablauf fragen. Entweder mit Chef-, Oberarzt oder Personaler. Danach hat man auch einen Bezug im Bewerbungsscheiben. 

- Lesen ließ ich die Bewerbung meinen Mann und Freunde, da alle von denen Personalerfahrungen hatten. 

- Einfach Wünsche ans Universum schicken. 

 

Rückmeldung:
Ich begann ja Ende Dezember mit der Suche und hatte bis Februar ca. 15 Bewerbungen rausgeschickt. Zunächst bissen gerade mal 4 Kliniken an (im Prinzip keine schlechte Quote). Ein Oberarzt rief mich auf meine Mailanfrage hin an und verkündete, dass er für Herbst (!) zwei Plätze hätte, vielleicht auch erst zu 2022. Ich könne ihm gerne meine Bewerbung schicken - daraufhin passierte nichts mehr. Selbes Spiel bei einer anderen Oberärztin, die am Telefon interessiert klang, aber nach Einreichung meiner Bewerbung nichts mehr von sich hören ließ. Alarm! Natürlich konnte das viel bedeuten...von Ablehnung des Fernstudiums über mangelnde Zeit. Ich überarbeitete meine Bewerbung nochmal und strich Stellen, die doch zu flapsig klangen. Alles noch knapper und noch eine Spur konservativer formuliert. Ich konnte so sehr viel streichen und baute lediglich sehr kurz nochmal die Motivation für die verhaltenstherapeutische Ausrichtung an.  

 

Die Wartezeit auf Rückmeldung fand ich echt unangenehm. Ich wusste, dass das unter 6 Monate vermutlich nichts wird, aber ich habe bei viel Arbeitsmotivation keinen Arbeitsplatz verfügbar 😁 Dass meine Kollegen regelmäßig über ihre Klinikerfahrungen sprechen und Erfahrungen austauschen, machte mich zusätzlich irgendwie traurig. Andererseits: Jede abgeschickte Bewerbung machte Hoffnung, dass da ja noch was offen ist. Irgendjemand würde anbeißen, aber ich hatte Sorge, dass ich dafür sehr weit fahren muss - denn meine Familie möchte auch noch etwas von mir haben und so schwierig das auch erscheint: Priorität hat bei mir immer die Vereinbarkeit.

 

Und wie ging das aus...?

...es war die letzte Bewerbung, die ich überarbeitet und nochmal verknappt hatte, die sofort einen Volltreffer landete.  Eine große Psychiatrie biss direkt an. Relativ in der Nähe, ca. 20 Minuten pendele ich. Die Stelle war nicht ausgeschrieben und auch nicht vakant. Die Personalerin meldete sich schon einen Tag darauf bei mir, um mir mitzuteilen, dass sie ihr sehr gut gefallen hätte - aber sie halt noch nichts versprechen könne, da die Bewerbung noch am Oberarzt vorbei muss und erst dann zum Chefarzt geht. Erst, wenn beide interessiert wären, würden sie sich kurzfristig zurückmelden. Wiederum einen Tag später kam vom Chefarzt eine Einladung zum Vorstellungsgespräch, welches lockdownbedingt online stattfinden sollte. Das Gespräch fand mit 4 Leuten statt und dauerte so 35 Minuten. 
Was soll ich sagen: Es hat hingehauen. :thumbup::thumbup1: Direkt nach dem Gespräch erhielt ich einen Anruf, dass ich direkt anfangen darf, wenn ich es möchte. Es besteht kein Personalmangel, im Gegenteil hat man gerade zu viel, also könne ich auch später im Jahr anfangen, wenn ich möchte. Vorher könne ich ja hospitieren, wenn ich mir anschauen will, ob mir das überhaupt gefällt. Die werden wohl im März wieder freigegeben. Grundsätzlich dürfte ich aber auch nächstes Jahr anfangen. (Als ob, hehe)

 

Am Abend rief mich die Personalabteilung an, ob ich mir vorstellen könnte, die PT2 (also 2/2 vom Ausbildungsjahr) auch dort zu machen. Aufgrund des Gesprächs sei sich die Leitung sicher, dass das sehr gut passen wird. :D


Die ausgehandelten Positionen und Stellungen sind echt (für mich) der Hammer. Außerdem familienfreundlich. Der Grund ist wohl simpel, die Chefetage, Vorstände und leitenden Psychologen haben alle Kinder. Darüber werde ich euch bald mehr berichten.  

 

Noch etwas Nützliches für die Nachwelt hier, was an der Bewerbung nun ausschlaggebend war.

Das wollte ich dann doch noch vom Chefarzt wissen, da ja gar kein Personalmangel besteht, eher im Gegenteil. Er empfand sie "sehr beeindruckend" (die Fernstudiengänge zB), das Praktikum mit den darin enthaltenen Erfahrungen und vor allem den Lebenslauf - der hätte durch seine Gestaltung sehr zum Lesen angeregt. Gründe für die Zusage waren meine Ausrichtungen (z.B. klinische, positive Psychologie), die Erfahrungen durch die Leitung von Gruppen im Praktikum sowie die Einzelhospitationen dort. Weiterhin kennt man das Institut. Von der OU waren sie besonders beeindruckt, die wurden gegooglet. Da die Therapien auch in Englisch angeboten werden, war ein englischer Bachelor von Vorteil. Das Anschreiben hat er eher überflogen. Etwas kritisch angemerkt wurde, dass meine Bewerbung insgesamt sehr voll/umfangreich war. Die Personalerin sei noch neu und lese sehr sorgfältig, aber er könnte sich vorstellen, dass sie Bewerbung da, wo die Personaler von den vielen Bewerbungen genervt sind, eher untergeht, was er aufgrund der Qualis sehr schade fände. Also: Im Zweifel knapp, knapper, am knappsten!

 

Bleibt gesund und haltet zusammen :thumbup1:
(...bei einer Inzidenz von 17 wurden hier in der Stadt die Lockdownmaßnahmen nochmal stark angezogen, als sei die Pest ausgebrochen.  Schule wird nur im Wechselunterricht stattfinden. Mit gerade mal 1-3 Neuinfektionen pro Tag, in einer Großstadt. Ich hoffe, dass das jetzt der Endspurt wird...)

LG

Feature Foto: Tom_Leishman/pexels.com  

 

Bearbeitet von Vica

9 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Glückwunsch. Das ist sehr erfreulich, dass es doch geklappt hat. Ich kenne das Problem mit Bewerbungen von meiner Arbeit. Auch wir mahnen immer zur Knappheit, ich finde es aber auch schade, Dinge unter den Tisch fallen zu lassen, vor allem, wenn viel Erfahrung da ist. :)

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Schön, dass sich wieder ein Weg für dich gefunden hat, wie schon so oft. Und schön, dass sich auch zeigt, dass dies jetzt kein Zufall war, sondern dass du aufgrund dessen, was du mitbringst und wie du es präsentiert hast an den Job gekommen bist. 

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