Allein auf weiter (Stations-) Flur
Leben ist ja bekanntlich das, was passiert, während man dabei ist, andere Pläne zu schmieden. So sieht es aktuell bei mir aus, denn eines Morgens wachte ich auf und: War die einzige Psychologin in unserer gesamten Klinik - das heißt, für 6 Stationen.
So ganz überraschend kam das alles nicht :-) Auf die Kündigungen folgte die Fluktuationswelle. Auch das ist verständlich, Planungssicherheit sieht anders aus. Das betrifft nicht nur das psychologische Personal und jenes von der sozialen Arbeit, sondern auch die Stationsärzte. Viele Stationen haben keinen einzigen Arzt mehr. Die Leitung sagt: Probleme jibbet es nücht. Nachbesetzung? Bisher Fehlanzeige. Könnte aber kommen. Na dann. Challenge accepted.
Echt alles peinlich den Patienten gegenüber. Zum Glück muss man sagen, dass der Redebedarf nicht riesig ist in der Psychosen-Klinik. Viele Patienten kommen aus Akutsituationen, manche sind ofW und noch sehr produktiv wahnhaft oder ganz zugedröhnt. Für viele ist die Medikation hier das A und O, dann die Sozialarbeit, dann kommt erst der*die Psycholog*in. Um die psychologische Versorgung zumindest halbwegs abzudecken, arbeite ich momentan stationsübergreifend.
Akutpatienten gehen vor, danach die Nicht-Akuten, dann machen wir Gruppenstunde. Für alle, die übrig bleiben, biete ich ganz kurze Gespräche an, Marke: Wie geht's, wie läuft's, Stationskonzept erklären, Behandlungsplan erklären, Tipps dalassen (die Infoblätter tippe ich zu Hause anschaulich). Das reicht vielen schon, da seit Jahren keiner mehr mit ihnen gesprochen hat. Bei Stationen mit anderem psychologischen Konzept wäre das kein Stück ausreichend, z.B. bei affektiven oder Angststörungen oder bei den Borderlinern. Bei zB Essstörungen wäre es eine Vollkatastrophe, wenn man nicht alle Patienten im Blick hat.
Diese Art zu arbeiten hat was von einem Boot, das auf hoher See ein Leck hat. Da man leider auch die Paddel verloren hat, muss man mit den Händen rudern und hoffen, dass man irgendwann an Land kommt. Die Chancen stehen schlecht. Ein Erlebnis ist das nicht. Es geht nur darum, nicht unterzugehen.
Mein Institut ist nicht glücklich damit, wie das bei mir läuft. Um genau zu sein ist die Ausbildungsleitung sehr sauer deswegen und rief bei meinem Chefarzt an - dort kam sie aber nicht weiter, da dieser vor kurzem selbst vor die Tür gesetzt wurde ;-).
Neben den Nachteilen für die Patienten sind es auch andere Dinge, die mir aufstoßen: Ich vermisse die Kollegen. Den fachlichen Austausch. Eine Führung. Man fühlt sich "übriggeblieben". Aber ich bereue es auch nicht, da zu sein + auch geblieben zu sein. Ich mag diese Klinik unheimlich gerne :-) Weiß aber auch, dass das vielen so ging, die nun weg sind.
Bei den Bedingungen muss man froh sein, wenn nicht irgendwann der komplette Laden geschlossen wird. Das hat man durchaus schon gehört! Bei unserer internen Kommunikation erfahren wir das vermutlich erst, wenn wir irgendwann vor verschlossener Türe stehen. Auch das gab es schon. Sind die Tage unserer Psychiatrie gezählt? Man weiß es nicht. Eine neue wird bereits gebaut, mitten im Zentrum mit modernster Ausstattung und Fertigstellung im Dezember.
Mal sehen, was so kommt. Beruflich orientiere ich mich jetzt erstmal Richtung Urlaub.
LG
Feature Foto: Humphrey_Muleba/pexels.com
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