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6 Tipps für angehende klinische Psychologen oder PiAs


Vica

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...die aktuell noch im Studium sind.
Ich wünsche mir oft zurück, dass ich im Studium bei gewissen Dingen noch vertiefter reingegangen wäre, andererseits vergisst man leider viel, wenn man es nicht braucht. Daher ein paar Tipps von mir, welche Dinge im klinischen Alltag besonders wichtig sind. 

 

  1. ICD-Codes für Diagnosen lernen
    Ich fand diesen Punkt im Studium ziemlich anstrengend und nervig. Da sie in vielen Klausuren abgefragt werden, besteht schnell die Gefahr, dass man in kurzfristiges Auswendiglernen verfällt. ICD-Codes sind allerdings Dinge, die im klinischen Alltag alltäglich gebraucht und auch aus dem Stehgreif heraus in den Kurvenvisiten mit dem Chefarzt bzw. Oberarzt diskutiert werden. Und ihr selbst vergebt sie schließlich auch! Kliniken werden vermutlich überwiegend mit dem ICD-10 arbeiten, wovon für uns vor allem das Kapitel V wichtig ist. Natürlich muss man nicht jede Codierung kennen, aber die Gliederung sollte man draufhaben, z.B. dass man Wahnhafte Störungen unter F20-F29 findet, affektive Störungen unter F30-F39 usw. Da man nicht alles auswendig wissen kann, empfiehlt es sich, bei den Visiten immer einen ICD-10 dabei zu haben. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass die Klinik einen stellt, somit würde ich mit einen eigenen anschaffen (lachsfarbene Ausgabe).  
     
  2. Kommunikation
    Dieser Punkt klingt vielleicht erstaunlich, aber man sollte lernen, im und mit dem Team zu diskutieren. Im klinischen Bereich arbeiten multiprofessionale Teams und insbesondere der Chefarzt oder Oberarzt ist nicht immer einer Meinung mit Stationsarzt und Psychologen, obwohl die beiden letzteren viel näher am Patienten dran sind. Auch die Pflege hat oft ganz andere Vorstellungen davon, wie ihr euren Job machen solltet. Darum gibt es nichts Wichtigeres als: Auch mal - höflich - widersprechen. Respektvoll und freundlich bleiben, aber sich auch abgrenzen. Neue Ideen reinwerfen. Auch mal riskieren, dass man verbal einen Kopf kürzer gemacht wird (das verschafft mehr Respekt, als man denkt und verbessert auf Dauer den Team-Zusammenhalt). Aber auch akzeptieren, wenn das Team zu einer anderen Vorgehensweise kommt und man selbst seinen Plan verwerfen muss.
    Diese Fähigkeiten beherrschen weniger, als man denkt, man lernt auch nichts über solche Verhandlungen im Studium. Viele sitzen dabei wie stille Mäuschen, sind regelrecht schüchtern und zeigen vor allem eins nicht: Eigeninitiative. Wichtig finde ich, dass man nicht nur Ideen reinwirft, sondern auch sagt, wie man sie umsetzt, also z.B. ,,Ich habe bei Patient XY den Verdacht einer paranoiden Schizophrenie. Also mache ich einen [entsprechenden Test, z.B. ESI] mit ihm." 
     
  3. Vernünftig dokumentieren 
    Das Dokumentieren von Therapiegesprächen, Patientenkontakten, Gruppen, besonderen Vorfällen etc. ist das A und O in einer Klinik. Es soll eigentlich direkt nach jedem Gespräch passieren. Das klingt nach zu viel verlangt, aber Ärzte im ambulanten Setting schaffen es auch. Es gilt so die Waagschale zwischen Zeitmanagement und krankenkassenkonformen Dokumentieren zu finden. Das heißt: Keine Romane schreiben, wichtig ist, dass eines drin ist: Behandlungsauftrag und Behandlungsziel. Denn der MDK (medizinische Dienst der Krankenkasse) liest die Dokus mit und wird überprüfen, ob die Kosten für den Klinikaufenthalt hier wirklich gerechtfertigt sind.
    Das ist eine Sache, die schon gleich am Anfang mit Anleiter oder Oberarzt geklärt werden sollte, wie hier das Dokumentierschema ist. 
     
  4. Das AMDP - System 
    Das wurde bei uns im Studium nur kurz angerissen und ist unerlässlich für den psychopathologischen Befund in vielen Kliniken. Das so genannte "Manual zur Dokumentation psychiatrischer Befunde" von der Arbeitsgemneinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie. Unbedingt empfehlen würde ich euch, das Manual von Hogrefe anzuschaffen. Die Erläuterungen und Beispiele zu Begriffen wie "Gedankenentzug", "Wahneinfall" oder "abends besser" sind oft völlig anders, als man denken würde. Außerdem erwarten Ober- und Chefarzt meistens, dass man sie einigermaßen drauf hat. Es gibt auch Fragebögen-Sheets, die ihr zum Kurz-Screening bei der Diagnostik verwenden könnt. 
     
  5. Selbstfürsorge und aushalten, dass andere einen doof finden
    Letztlich etwas, was gerade Anfänger nicht können, sowohl Psychologen als auch Stationsärzte. Tatsächlich tappt man leicht in die Überstundenfalle. Psychologen haben zudem oft falsche Allmachtsfantasien wie z.B. Patienten retten zu müssen oder um jeden Preis ihr Problem zu lösen.
    Ansonsten ist man schnell im Hamsterrad, das keine Feierabenduhr kennt:  Hier noch ein Patient, hier noch eine Krisenintervention, noch nicht zu Ende dokumentiert, für Urlaub keine Zeit, Pause mache ich auch nicht etc. Ach, und die Präsentation mache ich doch gleich zu Hause....Selbstfürsorge im klinischen Bereich ist unbeschreiblich schwer. Niemand schützt euch vor Überarbeitung, aber auch niemand verurteilt meiner Meinung, die sich hier selbstfürsorglich abrenzen - außer vielleicht man selbst. Ich arbeite selbst noch mit meiner Supervisorin daran. Zum Glück habe ich auch einen Oberarzt, der mir keine Überstunden genehmigt. 
    Also achtet auf euch. 
    Pause ist NICHT, beim Dokumentieren zu essen!
    Krankwerden bedeutet NICHT, dass man ein schlechtes Gewissen haben muss.
    Urlaub ist NICHT anderen gegenüber egoistisch. 
    Dass der Oberarzt am Telefon kurz angebunden ist, bedeutet NICHT automatisch, dass er euch eure Krankmeldung übel nimmt. 
     
  6. Psychologische Tests kennen
    Jaaa, die allseits nicht so beliebte Testdiagnostik war im Studium wie das Erlernen einer Bedienungsanleitung für ein Gerät, welches man gar nicht besitzt und noch nie gesehen hat. Eure Klinik stellt euch alle Tests zur Verfügung, auch Batterien. Es macht Eindruck, wenn ihr bei der Kurvenvisite wisst, welchen Test man mal ansetzen könnte. Setzt euch daher am besten schon im Studium sehr gut mit Tests auseinander, besonders die Aussagegrenzen sind wichtig und die Voraussetzungen. Ober- und Chefarzt haben die nicht unbedingt auf dem Schirm. Es macht z.B. keinen Sinn, einen produktiv wahnhaften Patienten an einen Intelligenztest zu setzen. Manuale zu den Tests hat idR jede Klinik, also keine Panik. 

 

 Natürlich immer sehr subjektiv, aber diese Punkte scheinen sich auch mit anderen Ausbildungsteilnehmern zu decken :) 

Bleibt gesund & haltet zusammen,
LG

Feature Foto: Thirdman/pexel.com

Bearbeitet von Vica

2 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Vielen Dank für diese Liste. Nummer 1 war mir klar. Kommt bei euch denn in absehbarer Zeit die Umstellung aufs ICD-11? Es hieß ja ursprünglich mal, ab Anfang 2022.

 

Punkt 3 ist für mich spannend, da ich eher dazu tendiere, Romane zu schreiben. Und Punkt 5 ist mir sehr wichtig, war aber meinem jetzigen AG nicht so umsetzbar, wie ich es gerne gehabt hätte. Vor allem die Pausen, weil nur die zur Verfügung standen, um die Übergabe von der einen Teilzeitkraft zur nächsten zu stemmen. 🙈

 

Ansonsten macht mir persönlich 6. zu schaffen. Ich kann mir nicht mal unmittelbar nach kurzem Durchlesen merken, welcher Test wofür und wie die Aussagekraft so ist... 😖

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vor 3 Stunden schrieb TomSon:

Vielen Dank für diese Liste. Nummer 1 war mir klar. Kommt bei euch denn in absehbarer Zeit die Umstellung aufs ICD-11? Es hieß ja ursprünglich mal, ab Anfang 2022.


Mit der ICD-11 hatten wir bisher noch gar nicht so wirklich zu tun, wir bleiben momentan noch stramm bei der ICD-10 😄Wir tasten uns so aktuell heran, indem wir ein paar Vorträge über spezifische, neu aufgenommene Störungsbilder geben, aber das war's eigentlich.
Ich erwarte, dass sich das seeeeeeeehr langsam einschleichten wird. 😊 Und der ein oder andere wird es wahrscheinlich nie nutzen 😀

 

 

Zitat

Punkt 3 ist für mich spannend, da ich eher dazu tendiere, Romane zu schreiben. Und Punkt 5 ist mir sehr wichtig, war aber meinem jetzigen AG nicht so umsetzbar, wie ich es gerne gehabt hätte. Vor allem die Pausen, weil nur die zur Verfügung standen, um die Übergabe von der einen Teilzeitkraft zur nächsten zu stemmen. 🙈


Ja, das "Probnlem" mit dem Romanen habe ich auch und auch ganz viele andere Psychologen. Nachdem es sukzessive immer eins aufs Dach gab vom Oberarzt und meine Entlassbriefe mit "zu lang" zurückkamen, weiß ich jetzt aber so ungefähr, was gefragt ist. Die ärztlichen Kollegen lieben es kompakt.

 

Mit Punkt 5 hab' ich selber auch Probleme. Aber arbeite dran...kognitiv bin ich zumindest soweit, das einzusehen, aber das brauchte eine Weile. Problem ist ja auch häufig, dass man das ganze dann auch tut und gar nicht aktiv sagt: Moment, jetzt ist Pause. Die ist doch sogar vorgeschrieben! 
 

Zitat

Ansonsten macht mir persönlich 6. zu schaffen. Ich kann mir nicht mal unmittelbar nach kurzem Durchlesen merken, welcher Test wofür und wie die Aussagekraft so ist... 😖


Ja, irgendwie funktioniert Testtheorie als  Fach nicht so wirklich doll. An der Uni ist es ja ein extrem praktisches Fach, wo die sich dann wenigstens gegenseitig testen. 
Wobei ich auch zugeben muss: Praktische Testtheorie hatten wir an der PFH auch, war trotzdem ein Buch mit 7 Siegeln. In der Umsetzung im Berufsalltag läuft das ganze dann knackiger! 

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