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Sonderling? Wie Überflieger das Fernstudium sehen


Vica

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In meiner Welt sind die Karrieren meiner Kollegen (Ärzte + Psychologen) relativ eindeutig:
- Abi 1,0, Bachelor 1,0, Master 1,0. Auslandsjahr im Gymnasium (Landessprache dort gleich mitgelernt), Auslandssemester woanders (üblicher Psychologen-Bildungsweg hier). 
- Klassenbester, Abi 0,7, Physikum sehr gut, Hammerexamen Sehr gut - gut, sämtliche Tätigkeiten nebenher wie z.B. Rettungssanitäter etc., Berufserfahrungen überall auf der Welt gesammelt und daher mal locker 5 Sprachen sprechend (üblicher Arzt-Bildungsweg bei uns).

Mittendrin: Ich 😅 Mit solchen Karrieren kann ich nicht Schritt halten. Anfangs war mir das unangenehm und ich bin nicht gerade hausieren gegangen mit meinen Fernstudien-Anteilen. Die Befürchtungen gingen schon dahin, dass Leute auf "üblichen" Wege so etwas als minderwertig betrachten könnten. Genauer genommen natürlich: Einen selbst.  
Dabei zeichnete sich schon früh ab, dass das nicht so ist. 
In verschiedenen Bewerbungsgesprächen zeigte sich, dass die Chefärzte so gut wie nie auf das Fernstudium eingehen. Die paar, denen es auffiel, meinten dazu allerdings Folgendes: ,,Gut, dass es heute diese Möglichkeit gibt. Es hätte mir viel erspart, wenn ich das hätte so machen können." Mein Oberarzt (eher so der Montag unter den Menschen), ebenfalls anwesend meinte: ,,Naja, ich weiß nicht. Dazu scheint es mir eigentlich noch mehr Disziplin zu benötigen. Uns hat man an der Uni ja gesagt, was wir tun müssen und man hat uns regelmäßig auf die Pfoten gehauen. So ganz von zu Hause, ohne Prof, das ist schon wirklich hart." 😁

Irgendwann, als ich sicherer wurde und merkte, dass ich meiner Arbeitsleistungen und Person wegen geschätzt wurde, erzählte ich auch vom Fernstudium. 
Feststellung:
- Meine ärztlichen Kollegen kannten so etwas nicht. Durch die Bank finden es alle spannend. Fragen sind häufig, ob man auch Medizin im Fernstudium studieren könne. Oder ob es vielleicht Weiterbildungsstudiengänge für ihre  Facharztausbildung gibt. Drei davon studieren jetzt selbst im Fernstudium :wink: Es sind interessanterweise informatische + BWL- Studiengänge geworden. Wie auch immer die das bei dem Workload machen.

Meine approbierten Kollegen (psychol. Psychotherapeuten) fanden spannend, dass wir auch mal jemanden an der Klinik haben, der einen komplett anderen Weg gegangen ist und damit zum Ziel kam. Der Respekt dafür geht durch die Decke. 

Meine Mit-Kollegen (Pias/Psychologen im Klinikjahr) interessieren sich nicht dafür, auf welchem Wege man hierher kam. Sie haben selbst zwar Top-Referenzen, aber nutzen das weder zur Selbstdarstellung, noch zur Abwertung anderer. Erwähnt man das Fernstudium, finden sie das eher spannend und fragen, die mal kommen sind: "Wie hast du das alles zusammen geschafft, mit Kindern usw.?"

Mein Ausbildungsinstitut hatte kein Problem mit meinem Campus-Master, der Fernsudium-Bachelor wurde hingegen etwas kritisch beäugt - das lag aber daran, dass der Abschluss aus England kam und die sehr guten Module der OU leider teilweise etwas VHS-Kurs-artige Namen haben. Das Landesprüfungsamt für Ärzte + Psychotherapeuten guckt natürlich genauer hin bei der Zulassung. Sobald etwas Ausländisches dabei ist, wird näher hingesehen. Aber das gilt für jede Art Abschluss 😁

Das nur mal so am Rande, wie stark leistungsfixierte Berufsgruppen ein Fernstudium sehen können. Die üblichen Vorurteile (Bettlägerig, faul, Angst vor Menschen, generelle Verwechslung mit VHS-Kursen) habe ich überwiegend vor 10 Jahren zu meinem Beginn gehört, und dies betraf ausschließlich Nebenjobs zum Brötchenerwerb. Ich glaube, dass das daran lag, dass ich per se damals nicht so selbstbewusst wirkte und es halt irgendwelche Fragen im Bewerbungsgespräch geben musste. Als Studi hatte ich ja sonst nicht viel zu bieten im Lebenslauf. 
Seitdem hat sich aber auch eine Menge getan. 

Was ich ebenfalls beobachte: Die Zahl der Fernstudi-Absolventen scheint zuzunehmen vor allem im Institut sehe ich das. Hier MEU, da PFH, dort SGD; aber auch reine Präsenz-FHs und Privat-Hochschulen sind dabei. 
Und seit Corona scheint das Thema "Bildung mit Abstand" generell positiver bewertet zu werden.  Insgesamt ist es wohl noch zu früh, Trends zu beobachten, aber ich bin gespannt, wie sich das mit ein paar Jahren Abstand darstellen wird.  

Das heißt natürlich andersherum nicht, dass man nur noch ein Fernstudium machen muss und dafür auf Knopfdruck respektiert wird. Man muss natürlich auch persönlich überzeugen. Aber das gilt für alle Berufsabschlüsse und -gruppen. 

Trotzdem muss ich sagen, ist der Impostor in mir immer noch da ist und ich habe den Eindruck habe, dass er bei vielen Fernstudis irgendwo im Nacken sitzt. Viele haben ja noch immer das Gefühl, dass ihr Abschluss nichts bewirken würde und bewerben sich erst gar nicht, was schade ist.
Mein Gefühl ist auch, dass die eigene Sicht auf sich selbst da eine Rolle spielt. Auch ich denke häufig noch, dass ich mindestens 2x so viel geben muss als andere, um meinen Nicht-Elite-Uni-Abschluss irgendwie auszugleichen. Oft zu Lasten der Selbstfürsorge. Aber man arbeitet dran und Erkenntnis ist ja oft der erste Schritt :thumbup1:

Bleibt gesund & haltet zusammen,

LG

Feature Foto: shvets_production/pexels.com  


 

Bearbeitet von Vica

13 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Gratuliere zu den tollen Kollegen - ist auch nicht selbstverständlich. Ich bin von Lebensläufen und Errungenschaften beeindruckt, wenn ich die ganze Story kenne. Marke "mir wurde alles hintergetragen und ich hatte beste Startbedingungen" - gehören da weniger zu. Auch wenn ich das grundsätzlich würdige, wenn auch anders. Hauptsache am Ende funktioniert man als Team, das zählt.

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Interessant :) Auch ich bekomme mittlerweile den Eindruck, dass die gängigen Vorurteile gegenüber Fernstudiengängen immer weiter abnehmen. Von Kommillitonen habe ich nun schon mehrmals mitbekommen, dass es überhaupt kein Problem war, beispielsweise an einen Praktikumsplatz zu kommen. Eine Person konnte sich sogar gerade durch das Fernstudium gegenüber Präsenzstudenten durchsetzen, hier wurde das Fernstudium vom Personaler selbst positiv hervorgehoben.

 

Meine eigenen Erfahrungen sehen bisher so aus, dass Menschen, die selbst nicht studieren/studiert haben, meist Vorurteile haben und tatsächlich glauben, man könne sich für wenig Aufwand einen Abschluss "kaufen", der dann ohnehin "weniger wert" sei. Von Studenten an staatlichen Präsenzunis kenne ich das nicht. Diese Menschen waren viel offener und es wurde meist interessiert nachgefragt oder dem gar keine große Bedeutung beigemessen, wo und wie man nun seinen Abschluss macht.

Bearbeitet von Luna-Sophie
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Gast

Geschrieben (bearbeitet)

Meine Wahrnehmung hat sich da ähnlich positiv verändert. Im privaten Umfeld ist es zumeist der Respekt und die Ungläubigkeit, wie man das neben all den anderen Dingen überhaupt bewältigt bekommt.

 

Dazu hat die Pandemie wohl auch einiges verändert. Gefühlt hat in meinem Master an der IU nur eine Minderheit auch den Bachelor dort oder an einer anderen Fernhochschule absolviert, die meisten kommen von staatlichen Unis und FHs. Da macht sich nach meiner Beobachtung kaum jemand wirklich Gedanken über eine womöglich schlechte Reputation.

 

Warum auch. Die Kombi Bachelor von irgendwo + Berufserfahrung + Master aus dem Fernstudium ist ja durchaus attraktiv für Arbeitgeber.

Bearbeitet von Explorer
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Das bestätigt tatsächlich auch meinen Eindruck. Mediziner:Innen in meinem Umfeld haben immer ein großes Interesse am Fernstudium gezeigt. Da zählt eigentlich nur der „Output“, und nicht das Medium.

 

Ausgerechnet Lehrkräfte mit klassischem Lehramtsstudium sind witzigerweise die, die da deutliche Unterschiede ziehen und nicht den Output sehen, sondern den Bildungsabschluss. 

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Toller Beitrag, vielen Dank dafür. 

Man bewegt sich ja in seiner "Fernstudien-Blase" und kann die erreichten Leistungen gar nicht so richtig einordnen. Das pusht dann natürlich auch einen möglicherweise vorhandenen Imposter.

 

Daher prima, dass die Kollegen genau so reagieren und dir das spiegeln. Aus meiner noch kurzen Zeit als FK sehe ich auch das Fernstudium nun aus einem anderen Blickwinkel, denn einen so massiven Weiterbildungswillen ein Studium zu absolvieren, haben nicht viele Bewerber/Kollegen. 

Bearbeitet von Steffen85
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@Vica.

Mich würde interessieren, welche informationstechnischen Studiengänge Deine Mediziner-Kollegen studieren. Ich weiß von einem berufsbegleitenden Master Medizinische Informatik an der BHT in Berlin. Der richtet sich an Ärzte, die dann Informatik-Wissen nachtanken. Oder an Informatiker, die dann z.B. auch so Sachen wie Anatomie, Physiologie oder medizinische Statistik lernen.

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@kurtchenFalls das für Dich auch von Interesse ist: ich habe Ärzte kennen gelernt, die nach ihrer Facharztausbildung noch einen BWL/Management Abschluss (im Fernstudium) angehängt haben, weil sich das wohl vorteilhaft bei Bewerbungen um Chefarztstellen auswirkt. 

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@kurtchen: An der SRH Fernhochschule gibt es einen MBA und Zertifikate speziell für Mediziner (wobei Du ja nach IT-Weiterbildungen für Mediziner gefragt hast):

 

 

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Mich hatte speziell interessiert, was das für ein informationstechnischer Studiengang ist, den Vicas Kollegen studieren.

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Meine Arbeitskollegen sind auch ziemlich am Staunen und würdigen das sehr.

 

Erfolge beim bewerben hat es bislang aber leider noch nicht gebracht 😐

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Ich glaube natürlich, dass Ärzte mit solchen Leistungen intelligent sind. Aber in der Regel hatten sie auch eine Familie, die sich immer um die Bildung der Kinder gekümmert hat und viel Geld investiert hat. Zumindest in der Tiermedizin habe ich keinen Arzt / keine Ärztin kennengelernt ohne intakte und vermögende Familie. Dafür kenne ich viele Tierarzthelferinnen, die ganz sicher genauso intelligent sind, jedoch bereits in der Schulzeit die Probleme ihrer Familien verarbeiten mussten, keine Unterstützung und keinen Zuspruch bekommen haben. Einige von denen haben dennoch ein Abi geschafft, mussten dann aber schnell Geld verdienen oder für die Eltern da sein oder einen längeren Emanzipationsweg gehen oder Kindheit aufarbeiten oder oder… Ich kenne auch Menschen, die aus finanziellen Gründen keine Dissertation geschafft haben (Veröffentlichung zu teuer, eingeschränkte Berufserlaubnis). Ich glaube, da kann man viel auflisten. Menschen, die erlebt haben, dass sie nicht selbst wählen können, die nicht für sich entscheiden konnten, haben auch häufig eine andere Einstellung zu Möglichkeiten und gehen wesentlich pessimistischer an solche beruflichen Hürden heran und erleben demnach auch wieder weniger Erfolge. 
 

Also wie gesagt, diese Ärzte sind mit Sicherheit intelligent, aber zu so einer Karriere gehören einige Faktoren mehr. Es wäre schön, wenn Menschen mit solcher Karriere auch diese Dinge sehen und verstehen würden. Ich habe mir da schon häufiger umsonst den Mund fusselig gequatscht im Gespräch mit Tierärztinnen.

 

 Ich finde es sehr gut, dass durch dich auch mal neue Perspektiven aufkommen. Und natürlich finde ich es sehr gut, dass du die Anerkennung bekommst! Es ist immer schön, deine Einträge zu lesen.

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Am 18.6.2022 um 23:11 schrieb kurtchen:

Mich hatte speziell interessiert, was das für ein informationstechnischer Studiengang ist, den Vicas Kollegen studieren.


@kurtchen:  Ich schreibe dir das gleich mal privat! 
Nicht, dass sie anhand der Beiträge noch identifizierbar werden! 😊

 

vor 21 Stunden schrieb Nadja_studiert_Informatik:

Ich finde es sehr gut, dass durch dich auch mal neue Perspektiven aufkommen. Und natürlich finde ich es sehr gut, dass du die Anerkennung bekommst! Es ist immer schön, deine Einträge zu lesen.


Danke, das ist aber ein großes Kompliment! 

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