Die Reißleine
Eines ist sicher: in den letzten Wochen und Monaten habe ich eine Menge über mich gelernt. Als ich damals mit dem Studium begonnen habe, dachte ich noch, eine Anstellung als Lehrkraft könnte genau das richtige für mich sein. Nach aufreibenden Jahren auf Intensivstation wollte ich es etwas komfortabel angehen lassen. Und komfortabel ist es auf jeden Fall als Lehrkraft: keine Wochenenddienste, keine Schichten, keine Feiertage, keine schwere körperliche Arbeit, Bezahlung nach Tarifvertrag es öffentlichen Dienstes.
All das hatte ich eigentlich gefunden, und an einer staatlichen BBS sogar noch mehr: Schulferien und ein qualifizierendes Studium, für das ich bei vollem Gehalt für die Hälfte der Arbeitszeit freigestellt werden sollte (die Sondermaßnahme). Warum nur wollte sich absolut kein Glücksgefühl einstellen?
Stattdessen nervte mich zusehends die Hierarchie und der bürokratische Dschungel, in den ich geraten war. Auf einer Intensivstation ist es normal, dass man jede Entscheidung, die andere getroffen haben, hinterfragt. Nicht, weil man ein Schlaumeier ist, sondern weil sich die Situation instabiler Patienten so schnell ändern kann, dass zwei Stunden später die Visite von morgens praktisch veraltet ist. Und niemand nimmt es persönlich, wenn man etwas hinterfragt. Im Gegenteil, das gehört einfach zur Tätigkeit.
Das deutsche Schulsystem ist aber absolut preußisch organisiert und streng hierarchisch. Vorgesetzte werden Vorgesetzte, weil sie in ihrer Beamtenlaufbahn mit den Jahren aufsteigen, und dazu gehört eben eine Führungsposition. Kritik ist weder erwünscht, noch ist es irgendjemand gewöhnt, dass jemand Kritik übt. Die einzigen Neulinge, die sonst an eine Schule kommen, sind Referendare, die auf eine Verbeamtung hoffen. Ich sag mal so... da sind ein paar Welten aufeinander geprallt. 😁 Die Pflegeausbildung ist seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2017 im Umbruch, aber es gibt noch viele, die an alten Zöpfen festhalten. Neue Ideen, die ich gern umgesetzt hätte, wurden sehr kritisch beäugt, denn Innovation hat keinen Platz in einer strengen Hierarchie. Genauso wie Quereinsteiger: das Schulsystem ist eigentlich nicht divers ausgelegt. Ohne Lehramtsstudium bleiben einem bestimmte Positionen - zumindest in Niedersachsen - verwehrt. Menschen, die noch nie in meinem Beruf gearbeitet haben, dürfen mir nicht nur erzählen, wie ich meine Arbeit zu tun habe. Sie dürfen auch weitreichende Entscheidungen treffen beispielsweise über die Ausgestaltung oder das Bestehen von Examensprüfungen von Auszubildenden. Das sind Diskrepanzen, die ich nur schlecht aushalten kann.
Dazu kam noch die Bürokratie: Für jede kleine Entscheidung braucht man drei Formulare, eine Gesamtkonferenz, ein Zehntel Plutonium und drei Spinnenbeine.
Weil ich ja im Soziologie Modul aufgepasst habe und mir Niklas Luhmanns Systemtheorie viele schlaflose Nächte beschert hat, weiß ich, dass sich bestehende Systeme immer selbst aufrecht halten und man sie von innen heraus nicht ändern kann.🙃 Ich hatte nun die Wahl: sollte ich das alles erst mal schlucken und mir einen Platz im Team suchen, um es mir komfortabel einzurichten? Aber je näher die ca. dreijährige Sondermaßnahme rückte, desto mehr kam bei mir Beklemmung auf. Ich habe immer so gern studiert, aber etwas zu lernen, weil ich es muss, ist etwas anderes, als wenn man sich damit neue Möglichkeiten erschließen will. Und ehrlich gesagt ist mir meine Lebenszeit zu schade dafür, etwas zu tun, was andere von mir wollen, wovon ich aber selbst nicht 100% überzeugt bin. Ich habe also gelernt, dass mir Komfort nicht wichtig ist. Herausforderung und Abenteuer sind schon viel eher dazu geeignet, mich morgens zum Aufstehen zu motivieren.
Also habe ich lange nach Alternativen gesucht und verschiedene Gespräche geführt. Und wie das immer so ist: wenn man Möglichkeiten sucht, öffnen sich Türen.
Wie es bei mir weitergeht, erzähle ich im nächsten Beitrag.
Bleibt immer ihr selbst, denn die anderen gibt es schon!
Silberpfeil
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