Therapieplatz nicht immer so dringend
Zwei Dinge sind definitiv unendlich: Das Universum und die Warteliste beim Psychotherapeuten. Doch da ich jetzt in Vollzeit ambulant arbeite, kann ich auch das voll erlaubte Kontingent an Patienten aufnehmen. Damit konnte ich erfreulicherweise weiteren 7 Patienten einen Platz (für 12, 24, 36 oder 72 Stunden) anbieten. Doch ich muss gestehen, dass ich es mir definitiv leichter vorgestellt hätte, welche zu finden. Da die Wartezeit momentan 1,5 bis 2 Jahre beträgt ist es klar, dass einige bereits woanders untergekommen sind. Bei einigen hat sich die Symptomatik auch wieder gelegt (da nicht alle Anliegen der Patienten auch tatsächlich psychopathologischer Natur sind).
Unsere Praxis ist da aber schon sehr gut aufgestellt. Sie ruft regelmäßig an und fragt die Patienten, ob sie noch interessiert sind. Wir PiAs können außerdem nur aus einer Liste auswählen, in welcher Psychotherapeuten (approbierte!) zuvor Auswahlgespräche geführt haben. Aber selbst die ist echt lang.
Verdutzt war ich zunächst, wie wenige Patienten (tageszeitenunabhängig!) ans Telefon gehen. Mit der Zeit erkannt ich da ein Muster, nämlich dass dies überwiegend welche mit Sozialphobie oder anderen Ängsten als Verdachtsdiagnose sind. Also war es keine Option, mein Dienst-Handy zu verwenden, denn die fremde Nummer macht wohl Angst. Ein AB war in vielen Fällen dann aber leider nicht vorhanden und E-Mail ebenfalls nicht. Kann man irgendwie nachvollziehen, ich mag auch keine fremden Handynummern und gehe da auch nicht immer ran, wenn ich ehrlich bin. Einen AB habe ich auf meinem Privat-Handy auch schon lange nicht mehr, auch da landete oft Scam.
Ein Tipp war, dann nur das offizielle Praxis-Telefon zu verwenden, das den Namen der Praxis mitsendet. Sieh an, damit klappte es dann sofort.
Dann gibt es die Ich-kann-nicht-Nein-Sagen-Patienten. Sie sagen in der Situation erstmal zu, wenn sie zum ERstgespräch eingeladen werden. Einen Tag vorher wird dann aber abgesagt, oft wegen irgendwelcher anderer Arzttermine, die sie dann haben und ihnen oft einen Abend davor einfallen. Es wird dann zwar um einen weiteren Termin gebeten, aber diese gehen dann plötzlich nur noch zu Unzeiten, z.B. Freitagabends um 20 Uhr. Diese gibt es relativ oft.
Manchmal werden auch sehr krumme Geschichten konstruiert, warum man absagt, als bräuchte man dafür einen besonders guten Grund (ich finde es zumindest legitim, dass man auch einen Rückzieher machen kann). Und manchmal vergessen Mütter, die aus der Perspektive des Sohnes oder der Tochter absagen, dass sie gerade über ihren eigenen E-Mail-Account schreiben.
Manche Patienten wollen grundsätzlich nur angemailt werden. Und manche (z.B. Zwangspatienten) nur zu gewissen Zeiten.
Besonders schwierig ist, wenn Ehepartner oder Eltern dran gehen und alles managen wollen. Das geht nicht, denn für diese hat man keine Schweigepflichtsentbindung und kann mit denen nicht über die betroffene Person reden. Auch wenn ich verstehen kann, wie wichtig es vielen ist, ihre Angehörigen in eine Therapie reinzunötigen - "Fremdmotiviation" ist eh ein schlechter Indikator für das Gelingen einer Therapie.
Das krasseste Beispiel war, dass ich mit einer Ehefrau in einem längeren Gespräch einen Termin bezüglich ihrer Angststörung ausmachte, dann im Wartezimmer am besagten Tag aber plötzlich deren Mann als Patient für ein Erstgespräch saß.
Vor diesem Hintergrund finde ich es dann schwierig, abzuschätzen, wie lange man auf einen Patienten wartet, bevor man in der Warteliste weitergeht. Manchmal lasse ich mir einige Wochen Zeit, den Patienten noch zu erreichen. Manchmal setze ich Fristen, dass sie sich bitte bis dann und dann zurückmelden. Kommt so gar nichts, beherzige, ich, dass manche Sozialphobien so krass sind, dass der Mensch nunmal nicht anrufen kann. Dann lasse ich Einladungsbriefe über die Praxis schicken. Wenn ich dann nichts höre, ist mir zumindest klar, dass die wissen, wo sie mich finden und das dann kein Erreichbarkeitsproblem ist.
Aber auch danach bin ich grundsätzlich noch offen dafür, dass sich ein von mir ausgewählter Patient melden und einen Platz bekommen kann, eventuell dann aber erst, wenn eine andere Therapie bei mir endet.
Immerhin: Kommt es dann zum Kennenlerngespräch, kommt der Stein immer ins Rollen. Aber auch hier gibt es manchmal Unterschiede in der Therapiemotivation. Manche kommen, um wie Wasserfälle zu reden, wollen aber ungerne Diagnostik machen. Oder bringen Klinikberichte oder Konsiliarberichte nicht mit, obwohl ohne Letztere keine Therapie stattfinden kann.
Mit den anderen Approbierten und PiAs habe ich auch schon gesprochen. Sie erleben das ebenso.
Es kann also ganz schön schwierig sein, in Kontakt zu kommen. Natürlich oft auch störungsbildbedingt. Eine gewisse Geduld muss man dann mitbringen.
Dennoch ist das alles natürlich Teil der Problematik der Erkrankung und man sieht schon dort ihre Auswirkungen. Was für uns selbstverständlich ist, kleine alltägliche Dinge wie: Anrufen, absagen, ans Telefon gehen, Termine ausmachen etc. ... all das ist ihnen nicht mehr möglich.
Und natürlich hat man nicht nur Angst vorm Telefonieren. Auch den fremden Therapeuten treffen, rauszugehen, Bus zu fahren, über Schwieriges und Verdrängtes zu reden (auch wenn man es eigentlich will), das erzeugt Muffensausen bishin zu starken Ängsten.
Man kann sich vorstellen, wie schwierig ein solches Leben sein muss.
Immerhin bin ich aktuell voll. Da ich kalkulierterweise mit meinen Stunden rechtzeitig fertig werde, wird ab September die Anmeldung für die große Staatsprüfung im nächsten Jahr laufen. Meine Sachen kriege ich bis dahin zusammen, aber Respekt habe ich vor dem Berg an Papierkram, der ansteht. Ja, das ganze läuft überwiegend nicht-digital 😏
Bleibt gesund & haltet zusammen,
LG
Titelbild:
Suzy_Hazelwood/pexel
Bearbeitet von Vica
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