Im Therapeutenzimmer
Eine gute Freundin meinte neulich beiläufig, um die angespannte Situation an ihrem Arbeitsplatz zu umreißen: ,,Wenn das so weitergeht, lege ich mich auch mal bei dir auf die Couch."
Ich fand diese Aussage sehr spannend. Sie kennt mein Arbeitszimmer nicht und ich könnte bzw. dürfte auch nicht einfach Nicht-Patienten durch die Räume führen. Und auch so redet man ja erstaunlich wenig über das Aussehen seines Büros oder Arbeitszimmers. Trotzdem nahm sie ganz selbstverständlich an, dass beim Therapeuten auch eine Couch steht. Ist das aber wirklich so?
Der Zustand des Therapeutenzimmers ist ja eigentlich so wichtig, aber der fraglos most underrated Teil der Arbeit. 😁
Wichtig deswegen, weil es ein Raum ist, den die Patienten die nächsten Monate oder auch Jahre, manchmal wöchentlich, aufsuchen sollen. Ein Gespräch geht 50 Minuten oder eben 100. Da ist es klar, dass man keine billigen Gartenstühle aufstellen kann. Viele von ihnen wachsen in diesen Räumen über sich hinaus. Sie berichten unangenehme Sachen oder Gefühle, stellen sich Traumata oder Ängsten. Gerade deswegen finde ich, muss das Zimmer dieser besondseren Atmosphäre auch Rechnung tragen. Oder auf Deutsch gesagt: Der/Die Patient:in sollte sich wohl fühlen.
Natürlich kann man nicht jeden Geschmack treffen, aber ein paar Dinge kann man mit der Gestaltung des Zimmers schon bewegen.
Wohlhabende Therapiepraxen (z.B. gut laufende Privatpraxen) haben Zimmer mit interessanten Designelementen, teuren Wandfarben oder sind fast leer, bis auf ungewöhnliche Teppich, Wandbilder oder Kunstinstallationen. Manche Therapeutenräume sind ansich ein Kunstwerk; sie scheinen gewisse Assoziationen wecken zu wollen durch den Einsatz von Bildern und Farbe. Ich habe schon Räume gesehen, in denen die beiden Sessel in der Mitte des Raumes wie eine Insel wirkten, inmitten eines Spiralen-Teppichs. Sowas ist oft mit spezialisierten Raumausstattern abgestimmt.
Viele Patient:innen wünschen sich, dass der Redebereich etwas weiter weg ist von der Tür; das ist verständlich, sie haben oft Angst, dass man von außen etwas mithören kann. Darum ist es ganz gut, wenn die Räume top isoliert sind; was im Altbau aber nicht immer möglich ist.
Ob man sehr krasse Wandfarben wie Rot oder Giftgrün wählen sollte, darüber gibt es verschiedene Meinungen. Viele finden das zu überreizend, andere argumentieren, dass es ja gerade aktiviert und anregt - beides kann ich verstehen (je nach therapeutischer Haltung).
No-Go-Zimmer
Auch in Kliniken gibt es sehr schöne Zimmer. Oft sind sie der schönste Raum auf Station, finde ich, je nach Ausstattung natürlich. In Kliniken habe ich bisher selten Couches gesehen. Der Redebereich ist zudem viel häufiger in der Nähe der Tür, der Therapeut sitzt dabei näher zum Ausgang. Das ist so vorgeplant, z.B. um sich im Notfall schnell nach draußen zu retten (das ist vor allem auf geschlossenen Station wie der Forensik, Akutstationen usw. ein Thema). In Kliniken herrscht aber oft Platzmangel, so dass man oft gezwungen ist, auf Räume wie den Blutabhname-Raum 😐, das Esszimmer (falls leer) oder irgendwelche leerstehenden Zimmer (Drucker-Raum usw.) auszuweichen. Das finde ich sehr ungünstig, gerade bei heiklen Themen. In meiner Praktikumsklinik (allerdings eine Privatklinik) haben sich mitunter 4 Psychologen ein Zimmer geteilt, das dann an einen ganz normalen Sachbearbeiter-Raum beim Amt erinnerte. Hier wurden auch Patientengespräche geführt, obwohl die anderen Psychologen noch anwesend waren und am PC ihre Berichte tippten.
Das gab es auch in der KJP, in der ich zuletzt arbeitete. Wer neu war, bekam erstmal kein eigenes Zimmer, sondern musste mit den Patient:innen Therapie in Abstellräumen (von Tests, von Akten etc.) Therapie machen. Das finde ich gar nicht gut und ist auch oft nicht von Erfolg gekröhnt, weil die Patient:innen sich hier unwohl fühlen - zumindest auf lange Sicht nicht. Im Notfall ist ein Gespräch immer wichtiger als gar keins.
KJP-Zimmer:
KJP-Zimmer sehen in der Regel anders aus, als die für Erwachsene. Sie erinnern ein wenig an den Kindergarten. Es gibt schöne, knallbunte Wandfarben, Zeichnungen der Kinder schmücken freie Flächen. Sie geben neuen kleinen Patienten Zuversicht, dass sich hier schon ganz andere Kinder wohlgefühlt haben. Weiterhin gibt es Tisch-/Stühlegruppen wie im Kindergarten (im Miniaturformat) sowie ein Gesprächsbereich für ältere. Überall liegen Spiele und Spielmöglichkeiten oder kleine Sportgeräte herum.
Eine Besonderheit ist in der KJP ein sog. Spielzimmer. Das ist ein Raum, der 1:1 einem Kitaraum gleicht. Hier stehen Kaufläden, Barbiepuppen, Bauecken, Playmobil-Zirkus, Krabbelbereiche etc. Manchmal ist auch ein Wickeltisch vorhanden, wo man die Mutter-Kind-Interaktion beobachten kann (z.B. zur Feststellung einer Bindungsstörung). In diesem Raum ,,behandelt" oder diagnostiziert man Kinder von 0 bis 3. Das geht überwiegend über Observation im Spielverhalten, aber auch im Interaktionsverhalten. Solche Räume gibt es auch als Labore an psychologischen Fakultäten an der Universität.
Virtuelle Zimmer:
Nun, und natürlich gibt es das Online-Patientenzimmer. Ein virtuelles Therapiegespräch läuft eigentlich nicht über Zoom, weil das nicht sicher genug ist, sodern läuft über spezielle Therapeuten-Applikationen, die als sicherer gelten, jedoch im Endeffekt einen ähnlichen Effekt wie Zoom haben.
Das Therapeutenzimmer ist dann das, was bei euch im Hintergrund zu sehen ist. Das wird auch nicht vom HomeOffice aus gemacht, sondern von der Praxis aus oder eben von - wie bei uns - einem spezifischen Online-Raum.
Wie sieht mein Zimmer aus?
Vorweg: Ja, es gibt eine Couch 😁Da das Zimmer überwiegend in gedeckten Farben und Weiß gehalten ist, hat sie einen sehr schönen Blauton. Wenn sie sich für die Couch entscheiden, nutzen sie die unterschiedlich. Manche legen die Füße tatsächlich hoch, andere sitzen da nur, wiederum andere hocken auf der Couch oder der Lehne. Viele lassen sich aber gerne im Sessel nieder. Mir ist ganz egal, wie sie das tun. Therapeut und Patient haben genau das gleiche Modell (das ist auch nicht immer so). Ich bin nicht der Typ für Dekokram, aber ich stelle gerne frische Blumen auf den Tisch. Schaffe etwas Wärme durch runde Teppiche oder kleine Tische. Etwas hygge-artig ist mein Zimmer schon. Sehr wichtig ist das Whiteboard. Ich habe einen kleinen Tisch, auf dem immer genügend Stifte stehen. Es gibt auch Papier. Sogar welches in schönen Farben und Formen, falls wir Karten basteln oder wichtige Erkenntnisse zum Mitnehmen festhalten. Die Atmosphäre ist irgendwo zwischen Wohnzimmer und englischem Teehaus. Viele grüne Pflanzen sind toll, auch für die Raumerfrischung. Lieber große, grüne Blätter als Blüten. Es ist gemütlich und soll ein wenig den Eindruck nach Zuflucht erwecken. Trinken bieten wir auch an, denn Trinken beruhigt - bei Ängsten z.B.
Mein Zimmer ist übrigens so gestaltet, dass sich Kleine wie Große dort wohlfühlen können. Überwiegend richtet es sich natürlich an Erwachsene, aber wir haben auch die Möglichkeit, es schnell umzuwandeln. Ich habe ein Sideboard, in dem ich einige Familiespiele, Spielzelte etc. unterbringen kann. Darüber hinaus interessieren sich Kinder aber sehr für die Couch.
Aber woher kommt das Thema mit der Couch?
Die Couch kommt aus der klassischen Psychoanalyse und wurde gewissermaßen von Freud analysiert. Das Verfahren kann heute noch so eingesetzt werden. Üblicherweise liegt der Patient auf der Couch und redet über alles, was ihm hier in den Sinn kommt. Der Therapeut sitzt dann am Kopfende, schreibt mit und spricht selbst übrigens kaum.
Das machen wir so nicht, da wir eine andere Fachkunde (Verhaltenstherapie) sind. Aber mitmachen würde ich das als Erfahrung schon gerne mal! (Patientenseite).
Es gibt übrigens weitaus weniger Couches in Praxen, als man meinen könnte, aber irgendwie ist unser gängiges, mediales Bild von Therapieräumen wohl ewig mit der Psychoanalyse verbunden. 😅
Es gibt übrigens viele Seminare zur Praxisgründung - zur Einrichtung dieser Zimmer habe ich noch kein einziges gesehen 😀 Ich persönlich denke, dass es nicht immer teuer sein muss und man hier sehr gute Effekte mit wenig Geld erzielen kann. Freuds Couch war übrigens per se auch zu kurz und hatte einen seltsamen Orienttepich als Überwurf. Es lagen viele Kissen darauf, die es gar nicht zu bequem machten. Ein Einschlafen sollte schon vermieden werden.
Hier kann man sie anschauen (Spiegel-Link).
Bleibt gesund & haltet zusammen,
LG
Titelbild:
Lisa Fotios/pexel.com
Bearbeitet von Vica
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