'fostering communities of learning'
Gestern und heute habe ich mich mit einem interessanten Artikel befasst, in dem es endlich mal sehr konkret um lehren und lernen geht. Ich möchte das Konzept des 'fostering learning communities' für mich hier zusammenfassen:
Der Artikel hat Ann Brown von der Harvard University verfasst. Sie hat über 10 Jahre an diesem Projekt der 'learning communities' gearbeitet. Interessant daran ist, dass sie natürliche Settings (in ihrem Fall: in der Schule) mit Untersuchungen im Labor kombiniert. So beobachtet sie z.B. Trends mit mikrogenetischen Methoden im Unterricht. Unter Laborbedingungen überprüft sie, ob diese tatsächlich stabil sind oder ob sie nur der durchschnittlichen altersbedingten Entwicklung entsprechen.
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Ihren 'learning communities' liegen drei Prinzipien zugrunde:
1. Lernen muss aktiv sein (also nicht nur passives Konsumieren des Stoffes)
2. Lehren muss auf der Basis von empirischer Forschung passieren
3. Kenntnisse der Entwicklungspsychologie sind relevant um zu wissen, was Kinder zu lernen im Stande sind.
Grundlage der 'learnng communities' ist das 'reciprocal training' (RT). In RT-Gruppen wird Lernstoff (z.B. ein Text) von einem Gruppemitglied erklärt, von diesem eine Diskussion geführt (z.B. Fragen stellen etc.) und am Schluss die relevanten Dinge zusammengefasst. Jedes Gruppenmitglied ist einmal Diskussionsleiter.
Diese RT-Gruppen haben das Ziel, dass das Wissen artikuliert und allen zugänglich gemacht wird.
Ein 'learning communities' Projekt sieht wie folgt aus: Zu einem übergeordneten Thema werden Untergruppen gebildet (z.B. Umweltschutz: Abfall, Gewässer, Verkehr,...). Diese Themengruppen erhalten Materialien, mit denen sie sich befassen müssen. Anschliessend werden neue Gruppen gebildet ('jigsaw groups'), die aus jeweils einem Mitglied jeder Themengruppe besteht. Nun werden RT-Diskussionen geführt: Jedes Mitglied informiert die anderen über das eigene Thema. Mittels der Diskussion, der Fragen und der Zusammenfassung stellt er sicher, dass jeder verstanden hat.
Im nächsten Schritt bekommt jede 'jigsaw group' eine weiterführende Aufgabe, die erfordert, dass das Wissen aus allen Bereichen einfliesst (z.B. Welche Massnahmen kann eine Stadt ergreifen, um den Umweltschutz zu verbessern?).
Diese Lernstruktur (die wochenlang dauert und immer wieder Arbeit in den Themen- und 'jigsaw'-Gruppen erfordert) soll tiefgehendes, stabiles Wissen ermöglichen. Wichtig dabei ist, dass es nicht um Trivia geht, sondern wissenschaftliche Themen. Auch sollen die Kinder an der 'oberen Grenze' ihre Verständnisses agieren. Dies erfordert sicheres Wissen der Lehrkräfte darüber, was die Kinder lernen können. Da dabei eine Kultur des Austausches, des Reflektierens, des Fragens entsteht, ist das Wissen stets "sichtbar" zwischen den Teilnehmern und nicht "versteckt" in den Köpfen.
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Soweit so gut. Das ist jetzt eine knappe Zusammenfassung eines 20-seitigen Artikels, der wiederum auf über 10-jähriger Forschungs- und Entwicklungsarbeit beruht.
Das Grundprinzip begeistert mich. Klar, ich bin für selbständiges, individuelles Lernen, ich bin mir sicher, dass bei solche projektorientiertem Vorgehen viel mehr hängen bleibt als bei Frontalunterricht.
Trotzdem: in mir sind etliche Fragezeichen aufgetaucht. Vermutlich würde mir Ms. Brown einiges davon erklären können.
- Allein die RT-Gruppen erfordern einiges von den Kindern: sie müssen in Gruppen sitzen können, zuhören können, sinnvolle Fragen stellen können, sie müssen "im Kopf dabei sein". Wie stellt man sicher, dass das alle in der Gruppe sind? Ann Brown beschreibt die Gruppen als anfangs von Erwachsenen geleitet und mit der Zeit unabhängig. Ich denke, dass das funktioniert, aber es ist ein langer weg (je nach Kindern). Und es ist schwierig zu etablieren, wenn man als Lehrkraft allein mit 25 Kinder ist.
- Kinder in einer Klasse sind erfahrungsgemäss sehr heterogen. Wie soll in den Themengruppen so gearbeitet werden, dass jedes Kind etwas tut und etwas lernt und somit später Diskussionsleiter in der 'jigsaw group' sein kann, zumal ja gefordert ist, dass hier jedes Kind an der 'oberen Grenze' seines Wissens agiert? Läuft es nicht - wie so oft in Gruppenarbeiten - darauf hinaus, dass die guten Schüler die schwachen instruieren und hoffen, dass es irgendwie geht? Wie stellt man sicher, dass auch die starken Schüler profitieren?
- Die Idee, dass die Lehrkraft 'sicheres Wissen' darüber hat, wo das Kind entwicklungspsychologisch steht und was es lernen kann ist ja nett. Aber in den letzten Wochen habe ich vor allem gelernt, dass es dieses sichere Wissen nicht gibt.
- Es soll nichts Triviales gelernt werden. Es ist aber nun mal so, dass sich nicht jeder Schüler für alles begeistern lässt. Natürlich kann man fast allen Sachthemen etwas abgewinnen. Nur leider besteht die Schule nicht nur aus packenden Sachthemen.
- Das Konzept der 'learning communities' ist toll, aber wie soll man das allein mit einer ganzen Klassen durchführen, sodass es auch für die Lehrkraft zeitlich und kräftemässig zu stemmen ist?
Merkt man vielleicht, dass ich im Grunde durch und durch Praktikerin bin? Ich würde das 'learning communities' projekt sehr gerne live sehen und mehr darüber wissen und am liebsten auch gleich so arbeiten. Trotzdem sehe ich Grenzen in der Durchführbarkeit im normalen Schulalltag
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