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Interview zum Verbundstudium mit Prof. Dr. Gerd Uhe


Markus Jung

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Am 9. Januar 2012 hatte ich die Gelegenheit, ein Telefoninterview mit Prof. Dr. Gerd Uhe zu führen, der im Verbundstudium für die beiden Studiengänge Wirtschaftsingenieurwesen und Technische Betriebswirtschaft verantwortlich ist.

 

Herr Prof. Uhe, bitte stellen Sie sich zunächst vor.

Mein Name ist Gerd Uhe, ich bin 59 Jahre alt und ich bin bereits seit 18 Jahren an der Hochschule Bochum speziell für die Verbundstudiengänge tätig und betreue zurzeit zwei Verbundstudiengänge. Der erste ist der Bachelor-Verbundstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen und der zweite ist der weiterbildende Verbundstudiengang Technische Betriebswirtschaft mit dem Abschluss MBA, der sich an ausgebildete Ingenieure und Naturwissenschaftler richtet.

 

Sie beschäftigen sich also schon sehr lange mit dem Verbundstudium. Wie lange gibt es dieses Konzept?

Das Verbundstudium wurde 1994 vom Land Nordrhein-Westfalen als Modellversuch ins Leben gerufen. Ich bin also von Anfang an mit dabei und quasi einer der Gründungsväter. Damals haben die ersten Professoren noch einen befristeten Vertrag bekommen. Aufgrund des Erfolgs wurden die Verträge dann aber schon bald entfristet.

 

Für viele ist zunächst gar nicht klar, was sich hinter dem Konzept des Verbundstudiums verbirgt und wie es sich zum Beispiel vom Fernstudium abgrenzt. Was sind die besonderen Merkmale des Verbundstudiums?

Als Erstes fassen wir in NRW das Verbundstudium auf als ein Angebot an Berufstätige, Beruf und Studium miteinander zu verbinden. Zweitens setzt das didaktische Konzept darauf die Möglichkeit zu bieten, das Studium zu Hause mit dem Studium an der Hochschule zu verbinden, also als Verbund von Distance Learning und Lernen an der Hochschule. Drittens werden die Studiengänge fast immer im Verbund mehrerer Hochschulen angeboten.

Der große Unterschied zum Fernstudium liegt im Präsenzanteil. Während es im klassischen Fernstudium meist nur einen sehr geringen Präsenzanteil gibt, ist es uns im Verbundstudium sehr wichtig, einen intensiven Kontakt mit den Studierenden zu ermöglichen, aber auch den Austausch der Studierenden untereinander zu fördern. Im Verbundstudium beträgt der Präsenzanteil zwischen einem Drittel und einem Viertel der gesamten Arbeitszeit, die für das Studium aufgewendet werden soll. Die Präsenzveranstaltungen finden in der Regel alle 14 Tage samstags statt. Dabei handelt es sich nicht um Vorlesungen im klassischen Sinn – diese werden durch die Lehrbriefe ersetzt. An den Samstagen finden darauf aufbauend fast ausschließlich Übungen statt. Wenn möglich, wird dabei auch auf Fälle aus der beruflichen Praxis der Studierenden zurückgegriffen. Die Präsenzveranstaltungen werden meistens von den Autoren der Studienbriefe durchgeführt. Eine intensive Einbeziehung der Studierenden ist auch durch die relativ kleinen Gruppengrößen von 20-25 Personen möglich.

 

Liegt die Verantwortung für die Studiengänge bei den einzelnen Hochschulen und vergeben diese auch die Abschlüsse?

Der Student ist immer ein ganz normal eingeschriebener Student an einer Hochschule und die Hochschule vergibt auch den Abschluss. Um den Studiengang optimal zu gestalten, haben die beteiligten Hochschulen ein gemeinsames Gremium ins Leben gerufen, den sogenannten Fachausschuss. Die Fachbereiche der beteiligten Hochschulen entsenden Mitglieder in diesen Fachausschuss, der dann über Curriculum, Überarbeitung der Lernbriefe, Kursgröße etc. entscheidet.

 

Bitte stellen Sie die beiden von Ihnen betreuten Verbundstudiengänge noch etwas ausführlicher vor.

Der Bachelor Wirtschaftsingenieurwesen bietet eine Kombination aus betriebswirtschaftlichen und technischen Fächern. Im betriebswirtschaftlichen Bereich liegen die Schwerpunkte auf den Themen Marketing sowie Produktionsplanung/Produktionssteuerung und im technischen Bereich im Maschinenbau und der Elektrotechnik. Wir haben festgestellt, dass gerade mittelständische Unternehmen den Generalisten brauchen, der sowohl technisch orientiert ist, dies aber auch kundenorientiert und kostenorientiert darstellen muss.

Aus dieser Erkenntnis der notwendigen Verbindung von betriebswirtschaftlichen und technischen Kenntnissen haben wir dann den Verbundstudiengang Technische Betriebswirtschaft ins Leben gerufen, der sich ausschließlich an Ingenieure und Naturwissenschaftler richtet, die für sich erkannt haben, dass sie zwar sehr gute Spezialisten bzw. Ingenieure sind, aber nun auch in Führungssituationen hinein kommen und vermehrt auch unternehmerische Entscheidungen treffen müssen und dabei feststellen, dass betriebswirtschaftliche Kenntnisse fehlen. Unser MBA-Studiengang fängt daher dann auch damit an, die klassischen BWL-Grundlagen zu vermitteln, um darauf aufbauend Führungs- und Managementblöcke anzubieten.

 

Warum schließt der Master mit dem MBA und nicht zum Beispiel mit einem Master of Science ab?

Es ist quasi ein normaler Master-Abschluss, aber aufgrund des betriebswirtschaftlichen Schwerpunkts haben wir uns für den MBA entschieden, der auch international anerkannt ist. Der MBA zeigt dann den Entscheidern aus Personalabteilungen, dass der Bewerber hier solide betriebswirtschaftliche Kenntnisse erworben hat und einen Schwerpunkt auf den Bereich Management und persönliche Führungsqualitäten gelegt hat. Auch in Deutschland hat sich dieser Abschluss mehr und mehr etabliert.

 

Wie groß ist der Aufwand, der von den Studierenden berufsbegleitend zu leisten ist?

Wir haben uns bewusst entschieden, kein „Studium light“ anzubieten, wo dann die qualitativen Anforderungen gegenüber einem herkömmlichen Präsenzstudiengang reduziert wären. Wir versuchen, es den Studierenden organisatorisch und didaktisch so leicht wie möglich zu machen, der Arbeitsaufwand liegt aber dennoch bei 15 bis 20 Stunden pro Woche (auch abhängig davon, welche Kenntnisse die Studierenden aus der beruflichen Praxis bereits mit einbringen können), basierend auf circa 45 Wochen pro Jahr.

 

Wie hoch ist die Abbrecherquote und welche Gründe führen häufig zum Abbruch?

Die Abbrecherquote unterscheidet sich im Bachelor und im MBA sehr deutlich voneinander. Im Bachelor liegt die Abbrecherquote bei circa 50 bis 60 Prozent. Der Studiengang wird zurzeit umgestellt auf eine Modularisierung und hier sehen die bisherigen Ergebnisse deutlich besser aus. Hier scheint es so, als würde sich die Abbrecherquote auf 30 bis 40 Prozent reduzieren. Im MBA hingegen brechen nur circa 15 Prozent das Studium ab. Das liegt vermutlich auch daran, dass die Ingenieure bereits erfolgreich ein Studium abgelegt haben, vielleicht noch ein bisschen motivierter sind und auch wissen, wie man sich gezielt auf eine Klausur vorbereitet und das müssen die Studierenden im Bachelor erstmal erlernen. Hinzu kommt, dass der MBA mit vier Semestern plus Abschlusssemester auch deutlich kürzer ist als der Bachelor mit acht Semestern plus Abschlusssemester.

Der Grund für den Abbruch ist fast immer das Thema zeitliche Belastung, also weniger die qualitativen Anforderungen. Mitunter ist es auch so, dass gerade durch das Studium bereits ein beruflicher Aufstieg möglich wird und dann in der neuen Position die Zeit fehlt, das Studium erfolgreich zu beenden.

 

Wie sind die beruflichen Perspektiven der Absolventen? Gibt es konkrete Beispiele?

Wir führen im Rahmen unserer Qualitätssicherung regelmäßig Absolventenbefragungen durch. Von den Absolventen haben sich innerhalb eines Jahres nach Abschluss ihres Studiums mehr als 50 Prozent finanziell verbessert und rund 40 Prozent sind in eine Führungsposition aufgestiegen oder konnten ihre Führungsposition verbessern.

Aktuell habe ich einen Produktionsleiter aus dem MBA-Studiengang gesprochen, der verantwortlich ist für ein Tochterunternehmen in Kroatien, bei dem sich ein Auftragsverlust anbahnte durch die Verlagerung von Aufträgen nach China. Aufgrund der Kenntnisse aus seinem Studium hat er dann einen eigenen Marketingplan aufgebaut, um das Unternehmen in Kroatien wieder nach vorne zu bringen.

 

Pflegt die Hochschule den Kontakt zu den Absolventen der Verbundstudiengänge?

Wir haben ein Alumni-Netz als eingetragenen Verein, das auch nicht von uns geleitet wird, sondern von den ehemaligen Studierenden selbst. Aber natürlich unterstützten wir das und sind auch häufig dabei. In diesem Netzwerk organisieren sich die Absolventen untereinander und treffen sich auch ein- bis zweimal jährlich. Dazu werden dann auch interessante Referenten eingeladen. Außerdem gibt es einen regelmäßigen Newsletter.

 

Gibt es die Möglichkeit, auch ohne Abitur das Bachelor-Verbundstudium aufzunehmen?

Für unsere Verbundstudiengänge gelten die gleichen Regeln wie für Präsenzstudiengänge in NRW auch. Das bedeutet, dass zum einen Meister und Techniker oder auch IHK-Fachwirte direkt und ohne Zugangsprüfung im Verbundstudium studieren können. Zweitens ist da die Gruppe derjenigen mit Berufserfahrung von mindestens drei Jahren nach der Ausbildung in einem studienverwandten Bereich (zum Beispiel Industriemechaniker). Auch diese können ohne Zugangsprüfung studieren. Die dritte Gruppe sind diejenigen, die eine abgeschlossene Berufsausbildung sowie mindestens dreijährige Berufserfahrung in einem fachfremden Bereich haben. Diese können eine Zugangsprüfung ablegen oder über ein Probestudium in das Studium einsteigen. Von diesen drei Möglichkeiten wird bei uns auch Gebrauch gemacht, insbesondere da das Verbundstudium ja auf Berufstätige ausgerichtet ist. Wir haben die meisten Erfahrungen mit Meistern und Technikern. Und diese Studierenden sind mindestens ebenso erfolgreich wie diejenigen, die nach dem Abitur das Studium aufnehmen.

 

Besteht auch die Möglichkeit, den MBA ohne ein abgeschlossenes Erststudium zu beginnen?

Nein, das ist bei uns nicht möglich. Ein abgeschlossenes naturwissenschaftliches Studium bzw. Ingenieurstudium ist zwingend erforderlich. Außerdem werden 18 Monate Berufserfahrung nach dem Erststudium erwartet. Bisher gab es auch noch keine Anfragen in dieser Richtung und der MBA-Studiengang ist auch so bereits sehr gut ausgelastet.

 

Welche Rolle spielt das Thema E-Learning im Verbundstudium?

Wir bieten eine sehr ausgefeilte Internet-Plattform an, auf der alle Informationen, die den Studienalltag betreffen wie zum Beispiel Prüfungsanmeldungen, Materialien, usw. für den Studenten jederzeit abrufbar sind. Außerdem können sich die Studierenden über die Plattform auch untereinander und mit ihren Dozenten über unsere blended learning Plattform „VS-online“ austauschen, was auch stark genutzt wird.

Wir beginnen nun damit, uns Gedanken um das Thema „Mobile Learning“ zu machen, um zum Beispiel über Smartphones kleinere Lerneinheiten zu vermitteln und uns darüber mit den Studierenden auszutauschen. Hier befinden wir uns aber noch in der Experimentierphase.

Darüber hinaus hoffen wir künftig die Studienhefte auch als PDF zur Verfügung zu stellen. Das ist aber als Ergänzung der Papierunterlagen gedacht, ein kompletter Verzicht auf die gedruckten Studienhefte ist von den Studierenden ausdrücklich nicht gewünscht.

 

Vielen Dank für Ihre umfangreichen Informationen.

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