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Vica

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Blogbeiträge von Vica

  1. Vica

    Psychotherapie Ausbildung
    Unser liebes, tolles, unkonventionelles und manchmal etwas schräg-schrulliges (aber dadurch liebenswürdiges) Ausbildungsinstitut wird schließen. Das wurde schon länger gemunkelt, nun ist es offiziell. Der Mitarbeiterstab wird bereits reduziert. Ebenfalls aussortiert wurden Karteileichen. Ja! Es gibt tatsächlich Ausbildungsteilnehmer/innen, die einen begehrten Ausbildungsplatz bekommen, und niemals, zu !keinem einzigen! Kurs jemals antanzen - und das von Anfang an nicht. Sogar zahlenderweise.
    Aussortiert wurden ebenfalls einige Leute, die etwas zu lange den Vertrag pausiert haben - z.B. durch Elternzeit, die immer weiter verlängert wurden oder wegen sonstiger Pausen. 

    Eigentlich ist die Ausbildung ja so auf 3 bis 5 Jahre ausgelegt. Andererseits sagt auch keiner was, wenn's länger dauert. Früher konnte man jahrelang problemlos pausieren, theoretisch zwischendrin was anderes studieren oder mal ein paar Jahre arbeiten. Viele sind auch finanziell in die Bredouille gekommen oder haben einfach ewig keinen Klinikplatz für PT1 und 2 gefunden. Das sind Gründe, warum lange Ausbildungspausen oder -verzögerungen geduldet werden und das finde ich auch gut so. Ich habe neulich mit zwei Kursteilnehmern einen Plausch gehabt, die 2012 gestartet sind und noch nicht fertig sind.

    Aber wie auch immer: Theoretisch hätte man nach der Reform der Ausbildung ja noch bis 2032, längstens (Härtefallregelung!) aber bis 2035, Zeit, in Ruhe auf dem alten Weg zu approbieren. 

    Die Realität ist leider anders: Vielen PiAs ist es zu unsicher, ob sie die Ausbildung auf dem alten Weg noch abschließen werden können. Und so tun sie, was ihnen sinniger erscheint: Sie machen gleich den neuen Psychotherapie-Direktstudiengang. Und nicht mehr die Ausbildung an den Instituten. Genau das wird finanziell nun zu einem Fallstrick für viele.

    Die Institute werden natürlich auch nach den neuen Regeln noch gebraucht. Aber sie werden nur noch Fortbildungen für die Absolventen der Direktstudiengänge anbieten. Wie genau das aussieht, ist noch nicht so ganz klar...zumindest hat es niemand kommuniziert. 
    Vermutlich schließt der Laden in der alten Form und wird in neuer Form - mit neuer Leitung, Stab, Konzept etc. - zurückkehren. Statt 2035 ist nun also wohl schon um 2028 Ende Gelände.

    Mich persönlich betrifft das nicht, da ich kurz vor Ende stehe. Allerdings befinden sich alleine in meinem Ausbildungsjahrgang gerade 5 Leute in Elternzeit. Diese bekommen demnächst Post vom Institut, die lange Auszeit nochmal zu überdenken - es könnte am Ende nicht passen. 
    Immerhin ist unser Institut ausgesprochen kinderlieb. Sogar neugeborenenlieb. 

    Übrigens ist das kein Einzelfall: Auch von anderen Instituten deutschlandweit habe ich davon gehört. 

    Wer also die Ausbildung noch auf dem alten Weg anstreben kann, sollte unbedingt mit einbeziehen, dass die Institute sich vor der Deadline umstellen KÖNNEN, oder eben schließen.

     Gute wäre dann, das ganz genau durchzusprechen mit dem Wunsch-Institut. 

    Bleibt gesund und haltet zusammen,

    LG

    Feature Foto: Jan van der Wolf/pexel.com
  2. Vica

    Die Frage
    Neulich gab es hier ja die spannende Frage, was eigentlich ein Sexualtherapeut so tut, und was sich dahinter überhaupt verbirgt. Vorweg weiß ich natürlich nicht, wie das vereinzelt bei Fernschulen mit ein paar Schwerpunktmodulen so aussieht 🙃

    Aber: An unserem Institut ist Sexualität aber ein fester Bestandteil der Ausbildung; es gibt mehrere Seminare dazu. Genaugenommen heißt die Seminarreihe bei uns Sexuelle Funktionsstörungen, weiterhin taucht Sexualität aber auch bei Seminaren wie systemischer Paartherapie auf. Zusätzlich hatte ich noch interessante Veranstaltungen dazu an der MHH. Nicht nur Psychologen oder Psychotherapeuten können sich darauf spezialisieren. In meiner Lehrpraxis arbeitet z.B. auch eine Ärztin, die sich den Schwerpunkt auf Sexualtherapie gelegt hat. 

    Das erste Seminar, das wir dazu hatten, hatte eine recht lustige Atmosphäre 😄 Ich hatte erwartet, dass wir trotz gestandenem Alter rumkichern wie vorpubertierende Achtjährige. Nun, gelacht wurde in der Tat viel, aber nicht über sexuelle Themen, sondern weil wir wirklich eine gute Dozentin hatten. Solche Seminare stehen und fallen überhaupt mit dem Dozent, und so sicher auch die Sexualtherapie an sich. Zu den Seminaren gehört auch eine Selbsterfahrung in der Gruppe. Hier wurde überwiegend diskutiert und geschaut, wie verkrampft wir selbst so sind. Können wir die Dinge beim Namen nennen? Es wurde auch viel über eigene Sexualität diskutiert. Und man musste Patientenperspektive einnehmen, um nachzuvollziehen, wie schwierig es natürlich ist, darüber zu reden. 
    Aber wir sprachen auch viel über uns, unsere Stärken und Schwächen (denn wir wollen auch Patient/innen stärken + Akzeptanz für Schwächen fördern). Naja: Natürlich nicht so Bilderbuch-Stärken wie Zuverlässigkeit, Pflichtbewusstsein und was man sonst noch so von der Softskills-Liste runterleiern kann. Schon etwas spezifischer. Was gehört spezifisch zu mir?  Etc. 

    Nun, was sind denn eigentlich Themen in dieser Art Therapie?
    Z.B.
    Enttabuisierung ist das A und O. Manche Patienten können nicht mal Geschlechtsteile benennen, ohne sich in Grund und Boden zu schämen. Vielen ist auch nicht bewusst, was alles unter Sexualität fällt. Körperschema ist auch ein großes Thema. Die meisten schämen sich ebenfalls sehr für ihre als nicht perfekt empfundenen Körper. Selbstakzeptanz ist dann ein großes Ding (konkret: zu dick, zu dünn, zu männlich/weiblich, zu untrainiert, unzufrieden mit Gesicht), aber auch:   Probleme mit Geschlechtsteilen, bezogen auf Größe, Optik und Funktion. Viele wissen auch nichts über die Anatomie und die Funktion an sich.  Gestörte Sexualentwicklung nach Trauma, Missbrauch usw. (Manche Therapeuten arbeiten auch präventiv im Rahmen von "Kein Täter werden").  Alle LQTBQ+-relevanten Themen  Unterdrücktes  Unerfüllter Kinderwunsch und damit verbundene sehr schwierige Sexualität  Postnatale sexuelle Störungen  Biographisches zum Thema Sexualerziehung, Tabus usw.  Sexualität im Alter, in Langzeitbeziehungen usw. (nachlassender Spaß an der Sache, Verpflichtung usw.) Funktionsstörungen jeglicher Art, z.B. angeboren oder erworben oder durch Stress  Bei Frauen ist Vaginismus ein sehr großes Thema, bei Männern Erektionsstörungen  Orgasmusprobleme  Ausbleibendes Lustempfinden usw. und so fort...

    Die Patienten selbst kommen meistens zum Erstgespräch mit der vagen Vorstellungen, dass mit ihnen was nicht stimmt - und es darum auch nicht klappt. Und sie daran Schuld tragen würden. Oft wollen sie dann schnell wieder hergestellt werden, um wieder "Erfolge" zu präsentieren und damit z.B. die Beziehung zu retten. Da ist aber oft ein Anknüpfpunkt, dass es darum gar nicht geht und man im Leben nicht nur Leistung erbringen muss und soll. 

    An Methoden vermischen sich hier kognitive, tiefenpsychologische und systemische Therapie. 
    Ich habe aktuell zwei Sexualtherapien und muss sagen, dass das Thema großen Spaß macht.  Man merkt hier häufig sehr schnell die Veränderung in der Person, wenn sie solche tief verankerten, aber weggesperrten Dinge ansprechen kann. Natürlich fällt dies dem Patienten sehr schwer, vor allem Männern. Deswegen finde ich wichtig, dass sie nicht gleich alles erzählen müssen. Manche können nicht mit Partner/in über Sorgen, Ängste, Vorlieben und Wünsche reden. 
     
    Als Therapeut muss man absolut unverkrampft über solche Themen reden können und auch so viel Vertrauen ausstrahlen, dass Patienten bereit sind, zu reden. Es darf weder einen Pfui-Anstrich haben, noch in eine Richtung gehen, dass es auf sexuellen Erfolg ankommt. Und auch darf niemanden genötigt oder gelöchert werden. Ich denke mir, dass schon jeder selbst am besten weiß, wann er was preisgibt. Und dann gestalte ich die Atmosphäre so, als würden wir über das Wetter reden.
     
    Generell sollte man als Therapeut ein gutes Gespür für den Umgang mit Schuld und Scham haben. Ich persönlich glaube auch, dass ein höheres Alter hier von Vorteil ist. 
     
    Während der Seminare hatte ich noch Bedenken, ob ich das wohl wirklich schaffen könnte, mit Patienten darüber zu reden. Aber das ging erstaunlich gut. Darum: Keine Sorge vor Sexualtherapie. 

    Bleibt gesund und haltet zusammen,

    LG

    Titelbild: DS_stories/pexels.com 
  3. Vica

    KJP-Nebenjob
    Was gehört zu den größten Herausforderungen beim Arbeiten im ambulanten Bereich, wie bei mir der KJP?
    Schwieriges Patientenklientel wie fordernde Eltern, die die Heilung innerhalb von 50 Minuten erwarten?
    Schwer zugängliche Kinder?
    Eltern- und Kinderwünsche an die Therapie, die unterschiedlicher nicht sein könnten?
    All das mag unangenehm erscheinen, gehört aber im Grunde dazu wie die Mehrwertsteuer; es gibt aber therapeutischerseits genug Möglichkeiten, sich darauf vorzubereiten. 🧐

    Weniger am langen Hebel sitzt man als angestellter Therapeut, wenn der Bereich wegen davongelaufenen Personal ernsthafte strukturelle Probleme bekommt. Nicht nur die Therapeuten wandern ab (ich schätze mal in die Kliniken, wo mehr gezahlt wird), auch das Sekretariat. Nun sind wir eine Arztpraxis ohne eine einzigeN einziGen med. Fachangestellten oder ArzthelferIn. Es ist niemand mehr da, der Patienten begrüßt, Karten einliest, Anträge stellt, (Privat)Abrechnungen erstellt, Arztbriefe schreibt, Rezepte ausstellt etc. Zwar gab es Gespräche mit Bewerbern, aber nichts bleibt länger als 2 Wochen gefühlt. Kein Wunder: Wenn 40-Stunden-Stellen länger unbesetzt sind, summiert sich ganz schön was auf. Wer will in den Job starten, um nur Altlasten abzuarbeiten? Ohne Anlernen btw. 
    Der Chef findet: Dann müssen wir das halt eben selbst hinkriegen. 

    Ich dachte so die erste Zeit: Höhöhö, hold my beer. Denn: Ich arbeite ja noch in einer ambulanten Erwachsenenpraxis (für die Ausbildung) und bin dort ein 1-Mann-Betrieb. Die oben erwähnten Tätigkeiten gehören hier ganz normal dazu. Vielleicht könnte man dazu etwas in die KJP-Praxis einfließen lassen?

    Tja, also das Thema Termine machen ist nicht so schwer, auch meine Arztbriefe lesen sich gut. Doch es krankt an anderen Stellen. Uns erreichen keine Absagen, keine Terminanfragen, nicht mal die Türklingel hören wir, weil diese nicht an unsere Räume weitergeleitet wird, sondern ins Sekretariat, Lichtjahre von unseren Räumen entfernt. Steht ein Patient vor der Tür, kriegen wir das gar nicht mit. Oft sind wir auch mitten im Gespräch. 
     
    MedizinischeR FachangestellteR ist nicht umsonst ein Ausbildungsberuf. Von 90% von deren Abläufen haben wir beim besten Willen keinen blassen Schimmer (die anderen 10% machen wir zudem sicher ziemlich holprig) und mal ebenso nebenbei noch Praxisführung, während wir Patienten behandeln klappt einfach nicht. 
    Die Arbeit in so einem Betrieb muss man sich einfach aufteilen. 
    Wem nützt denn ein Klavier ohne Tasten?
     
    Dadurch, dass man Patienten vom getürmten Kollegen übernimmt, übernimmt man auch: Den Ärger und Druck der Eltern, dass sich seit Monaten nichts tut, dass es keine Klinikeinweisung gibt, keine Medikation etc. Man hat den Patienten noch nie nie gesehen und steht da, wie der Ochs vorm Berg. Soll aber für alles verantwortlich sein. 
    Gefällt mir nücht. 👎

    Für die ambulante Versorgung bzw. die Patienten ist das sicher schon ein Albtraum. Uns droht als Angestellten nun aber auch ein Desaster: Niemand kann die Löhne machen. Man überlegt schon, ob man alte Angestellte mal anklingelt, ob die für ein paar Tage vorbeikommen. Bislang ohne Erfolg.
    Die Stimmung bei PatientInnen und Angestellten könnt ihr euch vorstellen. 

    Na, hoffentlich steht man Ende des Monats schwarze Zahlen auf meinem Konto. Ich bin in der komfortablen Situation, zwei Jobs zu haben. Nun stellt euch aber die blanke Mehrheit vor, die davon Miete, Strom und Brötchen bezahlt. Aber exakt das droht nun. 

    Die Situation des Personalmangels und der zusammenstürzenden Infrastruktur in Arztpraxen gibt es aktuell fast überall. Wen es interessant, kann hier mal reinschauen: https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Aerzte-in-SH-schlagen-Alarm-Ambulante-Versorgung-in-Gefahr,praxen100.html 

    Tja, mal sehen, wie es so weitergeht. Eine Weile schaue ich mir das schon noch an. Vorab: Der Job ist zum Glück nicht schlecht. Schade um die Rahmenbedingungen.
    Ich fürchte, darauf kann man eigentlich nur mit reduzierten Arbeitszeiten und Teilschließungen reagieren. Das ist wohl bisher keine Option. 
     
    Im nächsten Jobleben werde ich Papierkram. Der bleibt wenigstens liegen. 😶

    Bleibt gesund & haltet zusammen,
    LG
     
  4. Vica

    Erstkontakt
    *
    Der Herr im Anzug ist auf Station eine imposante Erscheinung. Nadelstreifen und Budapester da, wo Patienten sich üblicherweise notdürftig Bekleidung beim Sozialarbeiter ausborgen müssen. Herr X. weiß das. In der kurzen Zeit, die er hier ist, hat er schon alle genau gescannt. Nur der Chefarzt, der hat ihn trotz seines guten Aussehens noch nicht angesprochen. Das wäre ja der Normalfall gewesen. Vielleicht ein Versehen: Man könnt ihn mit einem Bewerber auf eine Oberarztstelle verwechselt haben. Dabei ist Herr X. eigentlich Anwalt. Also: Nicht wirklich. Er hat keinen Abschluss, kein Stück Papier, welches das bestätigen würde. Aber er kennt sich aus. Garantiert mehr als die meisten Anwälte. Er hat schon einige verklagt. Oder naja, vielleicht auch nur angezeigt. Aber hey: Zurecht. Er mag von Haus aus Handwerker sein. Das aber eigentlich nur, weil man ihn dazu gezwungen hat, da man seine Intelligenz nie erkannt hat. Juristisch begabt. Also auch Anwalt. Im Herzen. Das zählt genauso.

    Von der Pflege hält Herr X. bisher nicht so viel. Die sind für ihn wie die 7 Zwerge, während er lieber mit Schneewittchen sprechen will: Dem Chefarzt Wo ist der denn bloß? Zehn Mails hat er ihm gestern vom Handy aus geschrieben.  Und noch öfter hat er seine Nummer gewählt, die auf der Homepage steht. Aber Pech, da landet man ja nur beim Pförtner. Der Stümper will ihn nicht verbinden. Dabei können nur Höchstkompetente ihm helfen, hier wieder rauszukommen. Dass er hier ist, liegt an einer Verschwörung der Polizei gegen ihn. Der Chefarzt wird dies verstehen.

    Er hofft nur, dass er dem Chefarzt gewachsen ist. Was, wenn sich mal nicht so gut ausdrücken kann? Er ihn vielleicht am Ende nicht versteht? Eine Reihe von Befürchtungen bricht über ihn herein und er muss seinen Kragen lockern. Herzrasen und schon wieder diese verdammten Schwitzanfälle. Angst. Durchfall-Gefühl.  Flüchtige Gedanken an Wodka und Diazepam – der offizielle Grund, warum er hier ist. Außer Reichweite leider.

    Herr X. muss also doch zunächst von der ersten in die zweite Klasse umsteigen: Mal sehen, was Stationsätzte und Psychologin so machen. Die kommen ran an den Chefarzt. Doch: Was steht da aber an der Tür des Stationsarztes?

    Sprechstunde erst heute Nachmittag!

    Gut, aber für besondere Fälle wie ihn werden die eine Ausnahme machen. Die sind doch eh da.
    „Du! Mädchen!“ sagt er zu der 46jährigen Dame, als spreche er mit einem Äffchen, für das er eine Banane dabeihat. ,,Komm, schließ mir mal auf! Ich weiß, dass er Arzt da ist und ich muss da rein. Und du siehst aus wie jemand, der Ahnung hat. Weißt dich ja auch zu kleiden!“ Doch er hat sich in die Nesseln gesetzt. Statt sich geschmeichelt zu fühlen, faucht sie ihn an: ,,Herr X., wie oft soll ich es Ihnen noch sagen? Auf Station herrscht Maskenpflicht. Und die Sprechzeiten stehen dran! Sie zählen für alle!“
    Soviel zu dieser Idee. Blöde Ziege. Nachher mal beim Staatsanwalt anrufen und aufs Band sprechen, dass der mal seinen Hintern hierher bewegt.

    Kurze Zeit später steht er in der Tür der Psychologin und streckt ihr die Hand entgegen. Er sagt widerwillig: ,,Guten Tag! Ich bräuchte mal jemand Kompetentes, der mir weiterhilft.“ Widerwillig, weil er sie natürlich nicht für kompetenter hält als sich selbst. Aber er muss das ja sagen, anders hören diese Spinner hier ja nicht richtig zu. Dazu muss man schleimen. Ihn würgts, dass er das tun muss. Aber so läuft es im Leben – nur die Besten wissen, wie man es spielt. Denkt er.

    Verlassen kann man sich auf Leue nicht. Vertrauen kann man niemanden. Schwächen dürfen auch nicht sein, die machen einen SO angreifbar. Das hat er früh gelernt, in seiner Kindheit. Etwa als sein Vater ihm mit der Zange die Zähne rausdrehte, wenn er mit schlechten Noten nach Hause kam. Oder ein Brief von der Lehrerin kam, dass er heute schon wieder eingenässt hätte. Sei’s drum. Er ist es gewohnt, unterschätzt zu werden. Das hat nur abgehärtet.

    Herr X. betrachtet die Psychologin wie ein schlecht gebratenes Steak. In welchem Film ist er denn jetzt hier? Der sind gerade die Blätter aus der Akte gefallen. Der Stift, den sie hat, schreibt nicht, sie muss einen anderen holen. Ohje, denkt er. Ich seh schon, da muss ich aber mal für Ordnung sorgen.
    „Das ist ja ein ganz schönes Chaos hier, Fräulein!“ meint er und deutet auf den Aktenstapel auf dem Schreibtisch.

    Die Psychologin merkt tatsächlich Schamgefühl aufkommen: Für den Vorwurf, unordentlich zu sein. Den hat sie in ihrer Kindheit oft gehört. Da hängt viel Beschämung dran an solchen Erinnerungen, auch Gefühle von Kontrollverlust. Die werden noch krasser angezapft, als der Patient mit hochgezogenen Brauen loslegt: ,,Wir können das hier abkürzen, wenn Sie mir einfach den Chefarzt ranzitieren und ihm sagen, dass ich gehen kann. Denn mal ehrlich: Was soll das hier? Mal ehrlich: Würden SIE für sowas hier Krankenkassenbeiträge zahlen?“

    Da ist der Imposter in ihr angezapft, wie ihn Fernstudis oft haben. Sie spürt den Druck, Herr der Situation zu werden – weiß aber auch: Darum geht’s hier nicht wirklich. Der Chefarzt hat schon in die Akte geschrieben: F60.8. Keine klare Diagnose, ein Sammelbegriff für vieles. Aber jeder Kliniker weiß es, was gemeint ist: Narzissmus.

    Ja, der Chefarzt hat keine Lust auf ihn – sie weiß es aus der Nachtdienstübergabe. Und auch die Pflege will ihn nicht, und auch nicht die Patienten. Alle beschweren sich über sein manipulatives Verhalten. Dass er seinen Urin am Mitpatienten verkauft, abgepackt in die Duschgelflasche, damit sie ihn am nächsten Morgen für die Urinkontrolle nutzen können. Dass er sich Dinge nimmt, als gehörten sie ihm, ins Pflegezimmer marschiert und fordert ohne Ende.

    Aber: Sie kann nicht anders, sie muss ihn damit konfrontieren, dass er mit Rechtsbeschluss hier ist. Und nur der Richter das aufheben kann. Da gibt’s kein Halten mehr: „ Das ist ja das Dümmste, Unattraktivste, Inkompetente, was ich je gehört habe! Ein Drecksladen ist das hier hoch!“ brüllt er, steht auf und geht aufgebracht im Kreis hin- und her. Es folgt ein Schwall an Gemeinheiten und Wut. Nicht auf sie, auf alles. Er lässt sie nicht ausreden, unterbricht sie, kränkt bewusst.

    Er ahnt es, auch wenn er es verdrängt: Er ist ein schwieriger Typ. Man KANN ihn nicht aushalten, das ist ihm bewusst. Im Ansatz. Aber keiner darf das sehen. Oder erahnen.
    „Sagen Sie mal“, meint sie, „Sie sind doch ziemlich hochgewachsen, wie groß sind Sie eigentlich?“
    „Naja, so ungefähr 1,87. Eigentlich Standard…“ antwortet Herr X. verwirrt.
    „Aus meiner Sicht ist alles über 1,75m riesig“, sagt sie. „Seit Wochen bekomme ich das obere Kippfenster nicht zu. Darf ich Sie darum bitten, es einmal zu schließen?“
    „Aber sicher!“ antwortet Herr X. altväterlich und schließt es. Danach kehrt er zum Platz zurück.
    „Sehen Sie, ich verstehe, was Sie mit Drecksladen meinen. Selbst bei mir ist das manchmal so, dass ich so denke. Denn ich finde hier keinen, der mir mal kurz hilft, das Fenster zu schließen. Ich höre immer nur: Sorry, keine Zeit! Wissen Sie, was da in mir aufkommt? So ein Gefühl von Hilflosigkeit. Und wenn Sie sagen, dass sie schon so lange versuchen, den Chefarzt zu sprechen, weil sie ein Anliegen haben, aber alle Türen immer wieder zu sind, ist das im Grunde doch dasselbe. Aber ich arrangiere mich damit, ich ziehe mich etwas dicker an. Und wenn ich lese, dass Sie seit vielen Jahren obdachlos sind, aber aussehen wie ein CEO, denke ich, Sie müssten auch ein dickes Fell haben, richtig?“
     
    Die nächsten Tage kommt Herr X. häufiger zur Psychologin. Er fühlt sich beschwingt wie lange nicht.
    Die nächsten Tage nimmt die Psychologin Extra-Termine mit der Supervisorin wahr. Sie fühlt sich ausgebrannt wie lange nicht. Keine Ahnung, warum. Sie schläft schlechter, hat Kopfweh, fühlt sich irgendwie inkompetenter als sonst. Die Supervisorin nimmt sich die Zeit. Aus der Tasse Kaffee bei ihr wird ein Liter Kaffee und  Kuchen bringt sie auch mit. So sind sie, die Grünschnäbel. Immer diese Rettungsphantasien und den Anspruch, Patienten von allem heilen zu wollen. Es sind sehr intensive Gespräche.
    Aber sie werden der Psychologin viel bringen, die sich später sehr intensiv mit dem Thema Narzissmus auseinandersetzt.

    Wenige Tage später hat Herr X. erreicht, was er wollte: Er hat sein Chefarzt-Gespräch bekommen. Und ist wieder auf freiem Fuß. Nur 5 Minuten hat das gedauert. Gut, es lief anders, als geplant. Am Ende sprach er eine Morddrohung gegen den Chefarzt aus und bekam Hausverbot. Kann ich doch nichts für, dass der mich so weit bringt.
    Und Herr X.? Hat doch gleich gewusst, dass das nichts taugt. Sauladen.
    Ein bis zwei wertschätzende Erinnerungen gab es aber doch. Der Pfleger, der ihm Haargel lieh. Vielleicht auch die Gespräche mit der Psychologin. Die Putzfrau, die war wenigstens noch so menschlich. Dennoch: Sauladen. Hat er doch gesagt.

    ______________

    * Dies ist eine kleine Serie über meine Ersterfahrung mit gewissen Störungsbildern aus meiner Klinikzeit, über die ich damals nicht so gerne sprechen wollte. Es sind Störungsbilder und Situationen, die viele beim Wunsch, Psycholog:in bzw. Therapeut:in zu werden, nicht so auf dem Schirm haben. Wenn du Psycholog:in werden willst, denk dran, dass du auch mal damit konfrontiert wirst und mit Patient:innen, die man nicht immer ,,heilen“ kann. Heilung ist auch nicht immer das Ziel.  In regelmäßigen Abständen stelle ich euch meine Ersterfahrung mit Störungsbildern vor. Dabei beziehe ich auch mit ein, wie mir das (Fern)studium half. Die Patienten sind dabei oft ein Konglomerat aus verschiedenen Patienten.

    Bleibt gesund und haltet zusammen 😊.

    LG

    FEature Foto: Andrea Piacuquadio/pexels.de
  5. Vica

    Erstkontakt
    Meine ersten Erfahrungen auf der Station für Ess- und Körperschemastörungen hatte ich bereits im Master-Praktikum. Eigentlich ist das eine eigenständige Praktikantenstelle. Doch die Kollegin wurde krank, und so kam es, dass ich für sie einsprang.

    Als mir das mitgeteilt wurde, merkte ich, dass mich diese Aufgabe ganz schön nervös machte.
    Ja, Essstörungen waren ein recht großes Thema im klinischen Studium und generell im Fernstudium. Ja, es gab eine Klausur und eine Fall-Facharbeit dazu (d.h. mit echter Patientenakte). Die theoretischen Grundlagen dazu saßen. Trotzdem bestellte ich mir am Vorabend ad hoc nochmal ein recht teures e-Book. Aber doch bekam ich kaum etwas in den Kopf davon.
    Ich hatte eher andere Sorgen. Ich z.B. bin ein absoluter Genussesser. Ich esse gerne und durchaus auch mal viel. Dadurch fiel es mir schon im Studium etwas schwerer als bei anderen Störungen, diese nachzuvollziehen.  Würde ich dadurch überhaupt authentisch rüberkommen? Oder lag es daran, dass dies die tödlichste aller psychischen Erkrankungen ist? Und man damit eine recht hohe Verantwortung und sicherlich viele Verluste hat? 

    Die erste große Veränderung war, dass ich meinen Dienst schon um 7:00 Uhr antreten musste statt wie üblich um 8:00. Mein Tag startete nämlich in der Küche, wo es darum ging, zusammen mit der Ernährungsberaterin und der Köchin das Frühstück zuzubereiten. Meine etwas undankbaren Aufgaben waren das Abwiegen der Mahlzeiten und das Eintragen in eine Tabelle. Außerdem: Mengen + Kalorienbedarf auf jede einzelne Patientin anpassen und ebenfalls  eintragen.

    Die Patientinnen lernte ich beim Essen kennen. Mir sitzen alle Krankheitsbilder gegenüber, die man auf solchen Stationen üblicherweise hat: Anorexie (Magersucht), Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und Binge-Eater (haben regelmäßige, unkontrollierte Essanfälle). Es sind die dünnsten Menschen, die ich je gesehen habe (abgesehen von den Binge Eatern, die deutlich in der Unterzahl sind).
    Der ausgeprägteste Fall wiegt nur 28 Kilo und sitzt mit Beatmung im Rollstuhl: Jegliche Art Bewegung soll hier vermieden werden, damit keine Kalorien verbrannt werden. Ein einziger Mann ist dabei. Die Damen und der Herr sind ausgesprochen freundlich und interessiert an mir. Die Gespräche am Tisch sind sehr intellektuell und zugewandt. Viele Patientinnen sind „Töchter aus gutem Hause“.
    Meine Aufgabe ist, mit ihnen zu essen, dabei aber auch zu überwachen, dass der Teller leer gegessen wird. Hier bekomme ich später von der Ernährungsberaterin eins aufs Dach: Teller leer essen bedeutet offenbar nicht das, was ich darunter verstehe. Also muss ich hier tun, was ich überhaupt nicht gerne tue: Nämlich anderen Vorschriften zu machen. „Das müssen Sie mir aber bitte noch gründlicher essen!“ soll ich die nächste Zeit sagen.
    Außerdem muss ich lernen, die Tricks zu durchschauen, mit denen sie sich ums Essen bringen: Viel reden, Streit anfangen, sehr lange Klogänge oder Trick 17, viel aufstehen und herumlaufen um Dinge zu holen – in Wahrheit aber Kalorien zu verbrennen. Und auch das zählt nicht: „Mein Essen ist versalzen/zu heiß/schmeckt nicht/kalkig/angebrannt.“ Etc.

    Das Essen, egal welches, ist stets ein schwieriger Moment. Manche sitzen heulend davor, weil sie es nicht schaffen. Andere haben regelrecht Angst. Manchmal geht es auch hässlich zu: Es wird übereinander hergezogen, wer mehr gegessen hat.
    Getoppt wird die Dramatik nur vom täglichen Wiegen. Das mache zum Glück nicht ich, sondern die behandelnde Therapeutin der Station (auch eine PiA). Sie ist auch für den Notfall dabei. Das Heulen und Weinen ist noch auf der Station gegenüber, bei den Borderlinern, hörbar.
    Ich bin auch schon wieder am Abwiegen: Wer hat wie viel gegessen? Wie viel Kalorien sind das in etwa? Ich muss alles notieren.

    Beim Mittagessen genau dasselbe: Begleiten, mitessen.
    Am Nachmittag haben die Damen Gruppentherapie und auch Spiegeltherapie mit ihren Therapeuten. Im Anschluss der Spaziergang mit der Station, der dann alleine von mir begleitet wird. An Anfang falle ich auf die vielen kleinen Tricks zur Steigerung des Kalorienumsatzes herein: Strecken wählen, die minimal länger sind. Strecken, die bergauf gehen. Strecken, die ins Leere laufen, damit man umkehren muss und dadurch mehr Weg zurücklegt. Zu schnelles Gehen. Das Treppenhaus nutzen, statt den Fahrstuhl.
     Die Rollstuhlfahrerin schiebe ich natürlich. Einmal verhakt sich der Rollstuhl auf den Bürgersteig. „Sehen Sie?“ meint sie. „Ich bin eben doch zu schwer.“ Urgs! Überhaupt: Wie man genau über das Thema Essen redet, weiß ich an der Stelle nicht. Konfrontiert man sie damit, dass sie lebensgefährlich dünn sind? Führt das nicht zu Trotz und Abwehr? Immerhin kriegen sie das aus jeder Ecke schon zu hören, teilweise auch als Vorwurf.
    Die Gespräche mit den Damen und dem Herrn sind, wenn es vom Thema Essstörung weggeht, äußerst angenehm.

    Am nächsten Morgen aber gleich der Schock: Eine Patientin hat sich mit der Ärztin überworfen und Glasscherben gegessen, um nicht weiter essen zu müssen. Die ist in der Notaufnahme.  Wie durch ein Wunder gibt es aber keine ernsten Verletzungen. Die Therapeutin betrachtet das unaufgeregt: Das kommt häufig vor, versichert sie mir. Mich schockt es trotzdem nachhaltig.

    Die Patientinnen und der Patient haben auch Koch- und Backkurs. Danach der nächste Fauxpas meinerseits: Ich lasse mich beschenken. Die Damen haben Pralinen und Plätzchen gebacken und verschenken sie an das Personal.
    „Das sind Feeder!“ ermahnt mich die Therapeutin. „Es macht sie glücklich, wenn andere essen. Du musst sie auffordern, das selbst aufzuessen.“
    „Wie lehne ich denn ab, ohne sie direkt zurückzuweisen? Denn Zurückweisung war ja häufig in ihrem Leben ein Problem, oder?“ will ich wissen. So richtig eine Antwort bekomme ich darauf nicht. Darum mache ich es die nächsten Tage so: „Ich freue mich mega! Wollen wir sie zusammen essen? :-)“
    Im Verhältnis: Ich: 1 Praline, sie: 5. Und das klappt.
    Ich bin mega stolz, als ich in den Kalorien-Listen notieren kann, dass „meine Patienten“ dadurch sogar auf mehr Kalorien als vorgegeben landen. Auch wenn es unfassbare Arbeit war, Phi mal Daumen die Kalorien der Selbstmach-Pralinen rauszufinden.

    Bei den interessantesten Dingen, den Einzeltherapie-Sitzungen oder der Gruppentherapie, darf ich nur selten teilnehmen, was ich schade finde. Aber man macht dort recht interessante Dinge: Spiegeltherapie ist für die Patientinnen sehr schwer auszuhalten, denn hier muss man sich selbst betrachten und beschreiben. Es gibt auch viele andere interessante Methoden: Etwa wenn der gefühlte Körperumfang kreisförmig von der Patientin aufgemalt wird. Und dann ein Seil den tatsächlichen Umfang misst und danebengelegt wird.
    Allein kommt es mir aber so vor, dass zumindest bei diesen Patienten nicht allein das Unwissen eine Rolle spielt, wie ein normalgewichtiger Körper so aussieht, sondern das Ganze eine Reaktion auf etwas ist. Und tatsächlich hört man in den Einzeltherapien häufiger so etwas:
    „Mein Körper ist das einzige, was ich beherrschen kann“; „Hier ist meine Welt!“, „Mein Körper hat völlig versagt, in allem. Ich wurde nur gemobbt.“; Und noch viele andere Dinge, die therapeutisch aufgearbeitet werden.
     
    Als meine Vertretungs-Arbeit dort getan ist und ich wieder zu meinem allgemeinpsychiatrischen Bereich zurückkehre fällt mir dagegen auf, wie unstrukturiert hier alles läuft. Keine Kalorien zählen? DAS soll ein leerer Teller sein? Etc. pp.  Mir kommt alles vor wie ein heilloses Durcheinander.😅

    Die Arbeit dort war einerseits faszinierend, weil ich glaube, nie so interessante Gespräche mit Patientinnen geführt zu haben. Zudem habe ich dort auf Patientenebene sehr begabte und einfach tolle Personen kennengelernt, deren Geschichten und Einstellungen mich berührt haben. Ein Gespür dafür, dass etwas, was man für sich für selbstverständlich kann, anderen Leuten etwas so viel Leid bescheren kann, war ebenfalls eine wichtige Erfahrung. Und auch die Mühen und der Kampf, den die Betroffenen auf sich nehmen, war hier sehr sichtbar, etwa in den Essenssituatinen.
    Darüber hinaus habe ich generell viel über die Wertigkeit von Essen gelernt. 
     
    Andererseits habe ich die Methodik mit lachendem und weinendem Auge gesehen. Ich kann verstehen, dass es zunächst mal im Fokus steht, die Patienten irgendwie auf eine gute Kalorienzufuhr zu bringen. Dazu gehört eine sehr hohe Struktur, wie eben Listen abhaken und viel Kontrolle. Andererseits erleben sie so wieder, dass über sie fremdbestimmt wird. Ich habe dauernd Sorge, dass ich jemanden verletzen könnte mit den permanenten Grenzen, Aufforderungen zum Tellerleeressen und Begrenzen der Bewegungsfreiheit.
    Mein Fazit ist, dass man als Praktikant auf so einer Station in viele Fettnäpfchen treten kann und hier drauf bestehen sollte, gut angelernt zu werden.

    Als PiA ist das etwas anderes. In der Ausbildung hatten wir ein intensives Essstörungs-Seminarwochenende. Ich hatte innerlich schon einige Blockaden, weil ich die Befürchtung hatte, das Thema liegt mir nicht. Aber es wurde einfach das beste Seminar und danach habe ich mich extrem gut aufgestellt gefühlt und sogar Bock auf eine entsprechende Station bekommen. Das zeigt: Man brauch hier nur gute Anleitung und Tipps vom Profi. Bei diesem Störungsbild brauch man meiner Meinung nach mehr Hinweise von erfahrenen Therapeuten als bei anderen, weil das Vermeidungsverhalten so enorm ist. Auch Trigger spielen hier eine große Rolle. 

    Meine anfänglichen Sorgen hätte ich aber nicht haben müssen. Ich denke, das Wichtigste ist immer Authentizität, und gerade als Genießer kann man hier ein interessantes Modell sein. Eine potenziell tödliche Erkrankung bleiben die Essstörungen natürlich schon. Aber auf Stationen mit so viel Struktur und Beobachtung ist es aber unwahrscheinlich, dass jemandem da etwas durch die Lappen geht: Im Extremfall kann es zur Zwangsernährung kommen. Das ist mit den Patienten auch abgesprochen. 

    Spannend fand ich, dass durch die Station in mir ein paar generelle Fragen zum Thema Essen aufkamen und ich viel damit konfrontiert wurde, wie das mit dem Essen damals bei uns zu Hause gehandhabt wurde. Dass Essen z.B. auch ein Machtmittel sein kann, war ebenfalls so eine Erkenntnis. 
     
    In der Ambulanz habe ich heute einige Menschen mit Essstörungen, vor allem in der KJP :-).  Ich habe immer noch Respekt vor der Störung, weil so viele Faktoren dahinter sind, aber insgesamt haben wir sehr gut Verläufe. Aber auch wenn ihr als PiAs auf solchen Stationen eingeteilt werdet: Habt ein Auge darauf, die Praktikanten gut anzulernen :-).

    Bleit gesund & haltet zusammen,

    LG
  6. Vica

    Erstkontakt
    * Die erste somatoforme Patientin hatte ich während meiner PT1-Klinikzeit. Frau S. war, wie die meisten PatientInnen unserer Station, wegen Alkoholexzessen da und befand sich gerade in der Entgiftung. Zusätzlich bekam sie seit Jahren vom Doc Holliday ihres Vertrauens Tilidin (starkes Schmerzmittel) verschrieben, von dem sie jetzt nicht mehr runterkam. Das war aber nicht der Ursprung ihrer Probleme. Sie war über 50, verheiratet und aus finanziell gut gestellten Verhältnissen. Man erfuhr über sie, dass ihre nun erwachsenen Kinder ebenfalls alle recht erfolgreiche Menschen geworden waren. Sie selbst war Hausfrau und war in der Kindererziehung wohl regelrecht aufgegangen. 
     
    Zu mir kam sie nur, weil der Oberarzt fand, dass es "keine schlechte Idee sein könnte, mal mit mir zu reden", aber direkt Hoffnung auf einen Behandlungserfolg hatte er nicht. Er und sein Chef wanken im Gegenteil schon wieder ab. Patienten wie Frau S. scheinen oft nicht interessant genug zu sein. Ich kenne das aber in anderen Zusammenhängen, dass gerade bei solchen Hausfrauen 50+ einfach nicht mehr vernünftig hingeschaut wird. 
     
    Frau S. war sehr gut gekleidet und frisiert und ordentlich übergewichtig. Sie atmet sehr schwer, als sie sich bei mir in den Stuhl fallen lässt. Der Entzug macht ihr ganz schön zu schaffen. Sehr sympathisch ist sie nicht; ich empfinde sie als recht fordernd: Sie brauch was zu trinken von mir, bevor es los geht, aber Wasser bitte nur mit Sprudel. Für den Stuhl bitte ein Kissen. Als Nächstes beschwert sie sich über die primitiven Duschmöglichkeiten bei uns. Außerdem: Sie hat sich alles auch so vorgestellt, dass sie bei uns Zahnbürste, Zahnpasta, Duschgel und Haarshampoo gestellt bekommt. Die Pflege hat ihr schon unmissverständlich klargemacht: Wir sind eine geschlossene Station, kein Hotel. Sie müssen ihre Angehörigen bitten, was vorbeizubringen, sonst gibt's halt nix. Das hat Frau S. sehr verletzt, berichtet sie. Generell ist sie sehr, sehr empfindlich - aber das ist typisch bei solchen Störungsbildern: Nervlich sind sie oft überreizt und empfinden daher alles schlimmer. Sie lässt mich nicht zu Wort kommen, bzw. unterbricht mich regelmäßig. Ich merke schon: Zuhören möchte sie nicht so gerne, lieber erzählen. Was auch bedeutet: In ihrem Privatleben bekommt sie vermutlich wenig Raum für ihre Anliegen. 

    Wie es zum Alkohol kam, den sie sich wochenlang reingezogen hat und warum der Mann es nicht mitbekam (?), kann sie sich auch nicht erklären. Mich interessiert mehr das Tilidin und warum sie sich das seit Jahren verschreiben lässt. In Kombination mit Übergewicht habe ich da meistens einen Verdacht und der bestätigt sich schnell: ,,Seit Jahren habe ich unerträgliche Schmerzen", berichtet sie. Im Rücken, in der Hüfte und in den Knien. Die Schmerzen seien nicht auszuhalten. Sogar nachts im Schlaf träume sie von ihnen. Sie kann detailgenau nennen, welche Komponenten sie daran beteiligt sieht: Das Darmbein, das Sitzbein, die Iliosakralgelenk-Blockade, das Acetabulum, Patellaluxation...man merkt: Sie befasst sich sehr viel mit Schmerzstellen. 
     
    Früher habe sie viel Sport gemacht und getanzt, Größe 36 habe sie getragen, trotz mehrerer Kinder. Dann hätte es angefangen mit einem Bänderriss, der aus dem Nichts kam -> der Schmerz ging nicht weg, kein Sport mehr, Schonung, weitere Schmerzen. ,,Und nun bin ich ein Wrack", meint sie. Eins kommt ins andere: Keiner will mehr etwas mit ihr unternehmen. Wegen der Schmerzen würde nichts mehr gehen. Sie könne nicht länger als 20 Minuten in einem Kinosessel sitzen, danach würden Gelenke und Rücken versteifen. 
    Das Tilidin habe anfangs gut geholfen. Nach Absetzen aber Horror. Und nun nimmt sie es, hat aber trotzdem Schmerzen. Ob man's dann nicht weglassen kann? Lieber nicht, wie schlimm ist es wohl erst ohne?
    Und der Alkohol? Wie üblich ein Versuch, die Einsamkeit zu bewältigen. Wir besprechen, das so eine Selbstmedikation kosten hat. Genau wie das Tilidin. Das alles kann erst recht krank machen. 

    Ja, was solle sie sonst tun? Die Ärzte nehmen sie nicht ernst, was sie als am schlimmsten empfindet. Niemand finde Ursachen. Alle sagen: Erstmal abnehmen. Das würde aber auch nicht funktionieren, sagt sie. Sie habe alles ausprobiert an Diäten: Geht nicht. Vieles seien ja auch Wassereinlagerungen. 

    Zunächst mal will ich wissen, wie viel Sport oder Bewegung sie überhaupt betreibt -> Keinen. Geht ja auch nicht, stellt sie schnell klar. Ich achte hier besonders drauf, immer alles schön zu validieren. ,,Ich würde auch ungerne Sport machen bei Schmerzen", sage ich. ,,Wenn ich sowas habe, gehe ich gerne ins Wasser. Ich muss nicht gleich Bahnen ziehen. Einfach mal wieder das Gefühl haben, schwerelos zu sein." Geht nicht, sagt sie schnell. Da komme sie nicht mehr raus aus dem Wasser. So wie sie aussehe, sei ihr das auch unangenehm.
    ,,Wie viele übergewichtige Menschen sind Ihnen denn jemals in Erinnerung geblieben, mal ehrlich?" frage ich. Ja, da muss sie zugeben: Keine. Aber trotzdem würde es nichts: Zu weit weg das Schwimmbad, Autofahren sei nicht mehr drin, wegen der Knie. 

    In den nächsten Tagen stellen wir uns ein wenig die Ei und Huhn Frage. Und erkennen, dass die Tatsache, dass sich alle von ihr abwenden, nicht zwangsläufig mit ihren Schmerzen zusammen hängt. Aber sie hat da etwas diese fordernde Art. ,,Sie haben einen ausgesprochen feinen Geschmack und wissen ganz genau, was Sie wollen. Das ist auch gut, aber ich fürchte manchmal, das das bei anderen Menschen so ankommt, dass man es Ihnen nicht gut rechtmachen kann." Außerdem hat sie aufgrund ihres Rückzugs natürlich nur ein Thema: Schmerzen. Ihr Mann, Workaholic, nie krank, nimmt da sofort Reißaus. Womit wir schonmal herausfinden, warum die Ehe nicht läuft. Das kränke sie besonders, sagt sie. Es würde ihr schon helfen, ab und zu mal etwas Trost zu bekommen. Trost oder überhaupt Aufmerksamkeit? Tja, wenn sie das wüsste, meint sie. 
    In ihrer Kindheit habe sie als Älteste die bettlägerige Mutter liebevoll bis zu deren Tod gepflegt. Und die Geschwister nebenbei erzogen. Wie es ihr damit ging interessierte niemanden. Dann habe sie ihre Kinder bekommen. Das war die schönste Zeit im Leben. Die Schmerzen begannen schon, als die ältesten Kinder auszogen. Mit dem Auszug des letzten Kindes sei es besonders schlimm geworden. Ihre Lebensaufgabe brach sozusagen weg.

    ,,Das war sicher eine schmerzhafte Erfahrung", sage ich vorsichtig. Vorsichtig deswegen, weil sogenannte somatoforme Patienten sehr empfindlich darauf reagieren, dass es eben die Seele sein kann, die den Körper krank macht. Das liegt oft daran, dass sie an anderen Stellen oft nicht ernstgenommen und für verrückt erklärt wurden. Da der Arzt nichts feststellt, ist die Logik dann oft: Muss vom Kopf kommen, oder noch wertender: Das ist eingebildet. Auch die Verwandten stöhnen oft schon. Vielleicht kennt ihr selbst auch wen in der Familie, der euch schon regelrecht auf die Nerven geht mit seinen Krankheiten oder Befindlichkeiten. 
    Der Schmerz ist aber trotzdem da und für Patienten sehr echt. Wenn sie ins ambulante Setting kommen, haben sie oft noch nicht die Vorstellung, dass die Psyche sozusagen den Körper krankmacht. Sie kommen oft, weil sie lieber über ihren Frust mit Ärzten und Umfeld reden wollen. 
    Tatsächlich geht es dann aber viel darum, Belastungsfaktoren wie Ängste, Einsamkeit, unverarbeitete Kränkungen aufzudecken. Und auch, dass der Schmerz erstmal vermutlich nicht weggehen wird und man schaut, was kleinschrittig möglich ist, um wieder ins Leben einzusteigen, Hobbies und Genüsse zu entwickeln und die Frührente vielleicht noch nicht anzustreben, trotz der Schmerzen.
    Das ist ein sehr schmaler Grad und nicht immer gelingt es. Das Schonungs- und Vermeidungsbedürfnis ist häufig hoch, oft auch aus verständlichen Gründen. 

    Im Fall von Frau S. war aber besonders hilfreich, ihr mal etwas Raum zu geben - das hat man oft auf Sucht-/Entgiftungsstationen. Seit vielen Jahren hat keine mehr zugehört. Natürlich kann man in den 2-3 Wochen keine somatoforme Störung heilen. Aber wohl sie dafür begeistern, sich danach auf einer somatoformen Stationen behandeln zu lassen. 

    Im Fernstudium waren die somatoformen Störungen zwar ein größeres Thema. Was aber weniger gesagt wurde, dass man die Patienten während der Gespräche schon in die Aktion bringen kann. Ich lasse sie z.B. die Störungsbilder selbst an der Flipchart anmalen und bekräftige sie dann (,,Gut, dass Sie schreiben. Sie haben eine schöne Schrift!"). Oder: ,,Manchmal kann man die Pflege fragen, ob Sie Duschgel mitbringt. Das machen wir jetzt mal zusammen. Wir gehen erst in Ihr Zimmer Geld holen, dann gehen wir zur Schwester und Sie fragen mal."
    Auf jeden Fall muss man Schmerz immer ernst nehmen und auch, dass er sich für jeden nunmal anders anfühlt. Man kann auch von seinen eigenen Erfahrungen zehren: Vielleicht geht ihr nur dann zum Arzt, wenn es nicht anders geht und kriegt dann trotz dickster Erkältung nur zu hören, dass er im Hals nichts sieht und bei den Bronchien nichts hört. 
    Im Falle somatoformer Patienten heilt die Zeit keine Wunden. Man muss den Grad finden zwischen Mitgefühl und Aktivierung. Und man muss gut Frust und Verbitterung aushalten können. Diese können eine ganz schöne Knacknuss sein. 
     
    Bleibt gesund & haltet zusammen,
    LG

    Titelbild: Ivan Samkov/pexels.com
     
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    *Dies ist eine kleine Serie über meine Ersterfahrung mit gewissen Störungsbildern aus meiner Klinikzeit, über die ich damals nicht so gerne sprechen wollte. Es sind Störungsbilder und Situationen, die viele beim Wunsch, Psycholog:in bzw. Therapeut:in zu werden, nicht so auf dem Schirm haben. Wenn du Psycholog:in werden willst, denk dran, dass du auch mal damit konfrontiert wirst und mit Patient:innen, die man nicht immer ,,heilen“ kann. Heilung ist auch nicht immer das Ziel. In regelmäßigen Abständen stelle ich euch meine Ersterfahrung mit Störungsbildern vor. Dabei beziehe ich auch mit ein, wie mir das (Fern)studium half. Die Patienten sind dabei oft ein Konglomerat aus verschiedenen Patienten.
  7. Vica

    Der Patient ist...
    Dienstags, 9:52 in einer psychotherapeutischen Lehrpraxis irgendwo in Deutschland. Um 10:00 kommt der nächste Patient, ich muss mich ziemlich beeilen mit der Doku der Patientin davor, die vor 1 Minute erst gegangen ist. Gab's noch was Neues bei ihr? Dann muss das auch in den Text, genauso wie die Länge der Stunde, alles vermerkt in unserer Praxissoftware. Ja, es bleiben normalerweise keine 10 Minuten zur Doku. Gut, dass wir Dokumentieren in den klinischen Modulen im (Fern)Studium schon eingeübt haben 😁 Im klinischen Alltag lernt man dann zusätzlich, mit Lichtgeschwindigkeit zu formulieren und zu tippen. Zwei Dinge, die hier sehr hilfreich sind. 

    Um 9:54 bin ich schon fertig, wische das White Board und lege die Stifte bereit. Immer noch Zeit, kurz durchzulüften und WhatsApp-Nachrichten zu beantworten. Tatsächlich ist das der Zeitpunkt, an dem die meisten Patienten auftauchen - gute 6-7 Minuten vorher, denn viele brauchen so im Schnitt 5 Minuten, um sich aus Jacken und Schals zu schälen, die Toilette zu nutzen oder sich nochmal kurz zu sammeln (gerade die Neuen sind aufgeregt). Als nächstes kommt ein Herr, sehr zuverlässig, der 4x da war. Die Tests sind ausgewertet, die vorläufigen Diagnosen (Anpassungsstörung, mittelgradige Depression) würde ich ihm heute mitteilen. Realistisch ist aber, dass ich vieles auch erst so in der 19. bis 21. Sitzung zeigt. Die weitere Planung liegt wie versprochen bereit.
    9:57: Noch keiner da, also noch etwas Verschnaufpause für mich. Nicht verkehrt, so kann ich nochmal Kaffee nachfüllen. Um Punkt 10:00 Uhr ist noch niemand da, was eher ungewöhnlich ist. Denn ab jetzt läuft die Zeit. 
    9:58: Es klingelt! Aber es ist der DHL, der mal wieder in den PiA-Räumen geklingelt hat, statt bei der Chefin. 
    10:05 - Ich werfe nochmal einen Blick aufs Patienten-Handy und in die Mails, ob der Patient doch abgesagt hat. Oder ob es eine Nachricht à la "Stecke im Stau" gab. Beides schweigt allerdings. 
    10:10 - Hier ist so der Wendepunkt erreicht, wenn man weiß, irgendwas läuft nicht richtig. Entweder Termin vergessen oder (das verdrängt man zunächst) der Patient kommt ganz bewusst nicht. Beides ist übel, da PP-Termine wie Facharzttermine gehandhabt werden: Es wird dann ein Ausfallhonorar fällig, so schreibt es das Institut vor (da das Institut auch die Raummiete für mich zahlt und dann ein Verlust entsteht). Das wird in der ersten Stunde auch mit dem Patienten verabredet und er unterschreibt, dass er das verstanden hat. 
    10:17 - Ich höre mich nochmal in meiner Ambulanz-Lerngruppe per WA um, ab wann ein Termin als abgesagt gilt. Niemand ist sich genau sicher, aber ab 20 Minuten gilt der Drops wohl definitiv als gelutscht. Meine Kollegen schlagen vor, nochmal anzurufen. Kann ja theoretisch unterwegs was passiert sein, meint eine, und berichtet Horrorgeschichten von verunglückten Patienten. 
    10:18 - Ich wähle die Nummer des Patienten (warum bin ich eigentlich immer noch nervös, wenn es darum geht, anzurufen??) und erhalte ein Freizeichen. Ich mache mich drauf gefasst, eine Nachricht auf der Mailbox zu hinterlassen, doch oho: Was ist das? Weggedrückt. 
    10: 19 - Nun bin ich irgendwie gekränkt. Dann geht der typische Psychologen-Narzissmus los, wenn ein Patient nicht auftaucht: Er kommt nicht und sagt nicht ab, werde ich jetzt geghosted? Heißt das etwa, ich bin ein schlechter Therapeut?! Ein Freudenfest für den Imposter 😁 Es klingt albern, war aber riesiges Thema in den Selbsterfahrungen für uns alle. Gottseidank! So kommt man schnell wieder auf die Erde.
    10:25 - Ich habe jetzt dokumentiert, dass die Stunde abgesagt ist. Ich könnte nun zur Bäckerei nach drüben gehen und mir Cappu + Zimtschnecke gönnen, da ich bis 11 nichts zu tun habe. Habe aber trotzdem irgendwie das Gefühl, da bleiben zu müssen, falls doch noch jemand auftaucht. Aber kann man das erwarten? Ich nehme mein Handy mit und gönne mir doch was. 

    Da dies  mein erster Patient ist, der nicht kommt, bin ich bei den anderen Terminen nicht ganz bei der Sache. Zum Glück verlaufen sie trotzdem gut, aber ich merke, wie das Grübelkarussel angestellt wurde. Zudem ärgert es mich, dass es mich ärgert, ich bemühe mich um Distanzgewinn.
    Auch nach Feierabend ist es noch nicht weg. Habe ich am Ende doch was falsch gemacht? War irgendwie unsympathisch, nicht vertrauenserweckend genug?  

    3 Tage später aber immer noch keine Reaktion, auch 3 Wochen später nicht. Einmal versuche ich noch, anzurufen - es klingelt nur durch. Keine Mailbox. Bringt ohnehin wohl nichts. Der weiß, wo ich bin. 

    4 Wochen später, Gruppensupervision um 18:30 via Zoom - Zum Glück gibt es Supervisoren. Ich spreche den Fall an und auch, dass ich Bammel habe, dass es an mir liegen könnte. Der Supervisor fragt, ob ich schonmal selbst Termine beim Arzt, Frisör etc. abgesagt habe, weil ich keine Lust bzw. Energie dafür hatte. Ja, das kam durchaus schon vor. Wie oft habe ich aber nicht abgesagt, sondern es einfach schleifen lassen und damit ein Ausfallhonorar riskiert? Nun ja, 0x. 
    Wir vereinbaren noch eine Deadline. Wenn ich bis dahin nichts gehört habe, muss ich den Platz neu vergeben. Plätze sind zu rar und ich habe zu wenige zu vergeben (15), um sie zu lange warm zu halten. 

    6 Wochen später:
    Mittlerweile habe ich einen Abschlussbericht geschrieben und die Akte schon eingepackt, um sie ins Archiv zu schicken. Da geht eine Nachricht via SMS mit langem Text bei mir ein. Und da ist er wieder, der Geister-Patient. Ich bin verblüfft, aber auch skeptisch. Es gibt viele Gründe dafür, warum Patienten so handeln: Manche sind durch depressive Schübe so gelähmt, dass nix geht. Einige können mit ihrer Sozialphobie niemanden kontaktieren. Bei manchen Persönlichkeitsstörungen kann es ein Test sein, wie sehr ich mich um die Person bemühe. "Finde mich!" soll das dann heißen. Bei narzisstischen Patienten kommt das bspw. vor. In seinem Fall versucht er es zunächst mit Rumgedruckse, aber später erfahre ich, dass es etwas mit Suchtmittelkonsum zu tun hat, den er sich lange selbst nicht eingestehen will. Vertrauen habe ich jedenfalls zunächst nicht in das Gelingen der Therapie. Ich beschließe nach Rücksprache mit dem Supervisor, den Patienten wieder aufzunehmen, aber mit Auflagen: Termine muss er mir in der nächsten Zeit einen Abend zuvor bestätigen, außerdem soll er persönlich vorbeikommen, um sie aufzunehmen. Außerdem besprechen wir mehrmals das Thema Offenheit und dass wir es uns die irgendwie gegenseitig zugestehen müssen. Nicht einfach, sagt der Patient, der sein Leben lang immer für Offenheit bestraft wurde. 
    Ghosting ist aber keine Methode, Struktur und Bindung herzustellen und für manche Unannehmlichkeiten muss ich Verantwortung übernehmen. Ich kann ja schließlich auch einfach nicht kommen, wenn ich krank bin, und ihm nicht Bescheid sagen. 

    Wie schön, dass daraus nun schon eine mehr als einjährige Therapie geworden ist  😁 Wobei es so dann nicht immer läuft. Tatsächlich hatte ich bis auf einen Fall keine weiteren Ghosting-Patienten mehr, und auch dieser hat sich wieder gemeldet - jedoch deutlich zu spät (3 Monate +). In dem Fall ist die Tür dann zu. Eine weitere habe ich selbst beendet, da zwar immer abgesagt wurde, aber zu wenig Termine zustande kamen. 
    Was wir aber manchmal vergessen, ist dass Patienten gerade zu Beginn noch nicht gut Struktur aufweisen können und dies erst lernen müssen. Man ist da schnell bei sich. Leider sind solche Herausforderungen aber auch kein Thema im (Fern)Studium und auch nicht im theoretischen Teil der Ausbildung. 

    Bleibt gesund und haltet zusammen,
    LG

    Feautre Foto: Ron Lach/pexels.com
  8. Vica
    *Können psychische Erkrankungen ohne Zutun des Patienten zum Tode führen?
    Den gefürchteten psychiatrischen Notfall des malignen neuroleptischen Syndroms finde ich in keinem meiner Studienunterlagen, außer in einem Nebensatz im Master. Auch im Fernstudium habe ich nie davon gehört. Das Krankheitsbild ist relativ selten, so sehr, dass es eigentlich in einer Folge Dr.House dargestellt werden könnte. Dennoch war die Wahrscheinlichkeit, auf unserer Station (Wahnhafte Störungen + Sucht) einer solchen Störung zu begegnen, höher als auf anderen. Denn sie wird von dem ausgelöst, womit man Wahn behandelt, durch eine Nebenwirkung von Neuroleptika. 

    Erstmals mitbekommen habe ich das durch einen jungen Patienten, der so um Anfang 20 gewesen sein dürfte. Herr M. ist wohnungslos und seit Jahren süchtig. Eine Erkrankung mit Schizophrenie (wahnhafte Störung mit Wirklichkeitsverlust, Wahnvorstellungen, überwiegend Stimmenhören, Verfolgungs-/Fremdbeeinflussungsängsten etc.) bestand offenbar seit dem späten Teenageralter. Die Verwandten hatten es nicht mehr ausgehalten und setzten ihn vor die Tür - genau diesen Verlauf hört man enorm oft, insofern war Herr M. nichts Ungewöhnliches bei uns. Der Sozialarbeiter hatte ihm gerade Hoffnung gemacht, dass ein Langzeittherapieplatz in und eine Wohnmöglichkeit in Aussicht stehen könnte; sogar eine Besichtigung hatten die beiden geplant, insofern standen die Zeichen für die Zukunft zunächst mal gut. 
     
    Insgesamt ein sehr sympathischer, geselliger und eher zurückhaltender Patient (seeehr angenehm auf einer Wahn-Station!)
    Bei der Chefarztvisite, zu der Herr M. fröhlich gelaunt und vielleicht etwas schüchtern hereinkommt, scheinen der Chef- und der Oberarzt allerdings Signale zu empfangen, die ich und die Assistenzärztin irgendwie nicht auf dem Radar haben. Herr M. sieht gut aus und berichtet gebessertes körperliches Empfinden. Er war erst seit vorgestern hier und gebessertes Empfinden bei fehlender Eigen- und Fremdgefährdung ist ein Grund, die Entlassung zu planen. 
    Pflege, Assistenzärztin + ich hätten eigentlich gedacht, dass der nach dem Mittagessen geht. 🤔
     
    Unsere beiden Chefs sehen das aber offenbar anders, als sie seine Kurve (seine Papierakte) studieren. Sie sehen deutlich besorgt aus. Besonders die Kreatin-Werte des Patienten im Blutbild scheinen ihnen Bauchweh zu bereiten. Immer wieder fragen sie, ob er Fieber hat, was er verneint, er hat auch jetzt keines. Darauf kann ich mir keinen Reim machen, aber Infektionen gibt's natürlich bei uns auch ab und an. Ich denke auch jetzt, dass sie darauf hinauswollen, ob er sich eine Erkältung oder eben Corona (zu der Zeit noch häufig und ein riesiges Problem auf Station) haben könnte. 
    Seine Medikamente setzen sie alle sofort ab, was ich ungewöhnlich finde, weil es ja die sind, die die Schizophrenie behandeln. Ich habe auch noch nie erlebt, dass man sie komplett streicht. Aber auch da denke  ich mir nichts dabei.

    Am Nachmittag desselben Tages ruft der Chefarzt bei mir an. Da die Stationsärztin weg ist, soll ich mit ihm kommen und protokollieren, wir machen eine Zimmer-Visite bei besagtem Herrn M. Sein Zustand hat sich im Laufe des Tages wohl sehr verschlechtert. Als wir im Zimmer ankommen, sieht man den heute morgen noch munteren Herrn M. in seltsamen Verrenkungen auf dem Rücken im Bett liegen. Die Beine sind angewinkelt wie in Sitzhaltungen, die Hände hoch in die Luft gestreckt und an den Handgelenken seltsam verdreht. 
    Herr M. ist bei Bewusstsein, aber antwortet uns nicht, sondern blickt starr geradeaus. Der Chefarzt spricht trotzdem mit ihm und erklärt seine Schritte. Er bewegt Herrn M.s Gliedmaßen hin- und her, sie bleiben jeweils in der Position. Das kenne ich nun wiederum aus dem Studium, das ist ein katatoner Stupor,  und der sieht so aus:
     Das Ganze ist zwar extrem scary, vor allem wenn der Patient alles mitbekommt,  sozusagen "gefangen im eigenen Körper".
    Und ja, es ist wirklich sehr gewöhnungsbedürftig, das mit anzusehen - Menschen verharren normalerweise nicht in solchen unangenehmen Positionen und es wirklich krass, was Erkrankungen mit einem anstellen können. 
    Aber ein katatoner Stupor kommt auf einer Wahnstation häufiger vor, wenn der Patient akut wahnhaft ist. Grundsätzlich gefährlich ist er nicht direkt. Aber: Der Chefarzt hat aber wieder die Temperatur des Patientin im Auge. Sie liegt im relativ ungefährlichen Bereich von 37,2 herum, was aber schon 0,2 Grad mehr sind als am Morgen. Bevor ich gehe, soll ich ihm anrufen und nochmal die Kreatin-Werte durchgeben, was ich auch mache. 

    Von der Pflege erfahre ich später, dass Herr M. bis zum Mittagessen vergleichsweise normal drauf war, aber dann ging es rapide nach unten mit seinem Befinden: Zunächst stärkstes Schwitzen mit unglaublichem Durst. Dann habe er seine Augen nicht mehr bewegen können - das habe Panik verursacht und er sei ,,durchgetickt", habe das Gefühl gehabt, dass die Pflege ihn vergiftet habe. Später habe er dann gedacht, Strahlen aus dem Handy hätten ihn unter Kontrolle. Auch das haben wir seeeeehr oft auf dieser Station. Schließlich bricht er mit Herzrasen zusammen und muss ins Bett, wo er zunehmend mutistisch (stumm) wird und später dann den Stupor entwickelt. Herz-Kreislauf und Schwitzen stabilisiert sich bald, weswegen keiner etwas Schlimmes vermutet. Nur der Chefarzt ist nicht überzeugt, er ordnet eine ganz engmaschige Betreuung an. 

    Als ich Feierabend habe, sehe ich mehrere Pfleger vom Nachtdienst um sein Bett stehen.

    Am nächsten Morgen erfahre ich, dass Herr M. relativ rasch Fieber entwickelt hat. Er wird als Notfall in ein somatisches Krankenhaus verlegt. Dort kommt er noch bei vollem Bewusstsein an, fällt aber ins Koma. Wenige Stunden später stirbt er. 
    Er ist schon verstorben, als ich den Dienst antrete. 
    Der Oberarzt berichtet, dass Herr M. ein malignes neuroleptisches Syndrom entwickelt hat, im Prinzip eine sehr schwere, seltene Nebenwirkung auf sein Medikament (ein Neuroleptikum). Sobald der Patient erhöhte Temperatur entwickelt, wird es sehr kritisch. Das hatten meine beiden Chefs wohl im Auge gehabt und hatten darum schnell gegengesteuert. Dennoch umsonst. 

    Obwohl die Mortalität dieser Erkrankung nicht so hoch ist (5-22% herum schlimmstenfalls) kommt es leider doch manchmal zum Tod. Vor allem, wenn der Körper zu sehr ausgezehrt ist von jahrelangem Drogenmissbrauch und Leben unter schwierigen Bedingungen. 
    Zwar kannte ich Herrn M. nur am Rande, er nahm keine psychologischen Gespräche wahr. Und doch traf mich damals die Nachricht. Vor allem wegen seiner ziemlich wegen seiner bedauerlichen Vorgeschichte und weil er keine Möglichkeit mehr hatte, gegenzusteuern. 

    Auch das sind also Dinge, die in der Psychiatrie vorkommen können und dessen man sich als klinische:r Psycholog:in bewusst sein muss. 


    Bleibt gesund & haltet zusammen,

    LG

    Titelbild: Craig gary/pexels

    _________
    *Dies ist eine kleine Serie über meine Ersterfahrung mit gewissen Störungsbildern aus meiner Klinikzeit, über die ich damals nicht so gerne sprechen wollte. Es sind Störungsbilder und Situationen, die viele beim Wunsch, Psycholog:in bzw. Therapeut:in zu werden, nicht so auf dem Schirm haben. Wenn du Psycholog:in werden willst, denk dran, dass du auch mal damit konfrontiert wirst und mit Patient:innen, die man nicht immer ,,heilen“ kann. Heilung ist auch nicht immer das Ziel. In regelmäßigen Abständen stelle ich euch meine Ersterfahrung mit Störungsbildern vor. Dabei beziehe ich auch mit ein, wie mir das (Fern)studium half.
    Die dargestellten Patienten sind dabei oft ein Konglomerat aus verschiedenen Patienten und Begebenheiten.
  9. Vica

    KJP-Nebenjob
    So viel Angst und Schrecken wie in der letzten Woche war in der KJP ja selten unterwegs - und zwar bei allen Patienten von 6-19. Kinder, deren Augen auf Halbmast sind, weil sie seit Tagen nicht schlafen. Kids, die allein im Wartezimmer 5x zum Klo rennen. Tägliches Erbrechen, Nahrungsverweigerungen, depressive Verstimmungen noch und nöcher. Obendrauf: Ebenfalls genervte, entkräftete, keine Empathiereserven-mehr-besitzende, da mit dem Latein am ende seienden Eltern. Selbst die anderen Therapeuten stöhnen schon mit. Der Grund für die Horrorshow an allen Fronten:  Es ist hier Zeugniswoche. Morgen werden einem alle schulischen Errungenschaften (und Verdrängungen) in Form von Noten sowie Schulschwänz-Tagen unweigerlich aufs Brot geschmiert. Entkommen unmöglich. 

    Wir haben viele Kombis, u.a.:
    1er-Kinder, die mit Angst- und Panikattacken reagieren, weil sie befürchten, irgendwo könnte eine 2 sein. 
    Kinder, die einen glatten 1,0-Schnitt haben und trotzdem unzufrieden damit sind, weil sie die Latte damit so hochlegen.  Kinder, die ein gemischtes Zeugnis haben (1,2,3 + 4 ,manchmal auch eine 5 dabei) und sich dafür schämen, als hätten sie einen Schnitt von 6,0.  Kids, bei denen das Zeugnis nun über den Gang zum Gymnasium oder Realschule entscheidet.  Kids, die relativ gute Noten haben, aber dieser nicht den Erwartungen der Eltern entspricht.  Und Kinder, die echt katastrophale Noten haben - wobei es angesichts ihrer Erkrankungen und schlimmen Umstände ein unglaubliches Wunder ist, dass sie überhaupt zur Schule gegangen sind. 
    Der Druck, denn schon Erstklässler mitbringen, ist immens. Dagegen kann man kaum anargumentieren. Die Überzeugungen, nicht zu genügen, sind so betonhart festgefahren, es ist nicht zu fassen - dass man das alles von einem Papier abhängig macht. 

    Aber ich erinnere mich zurück, dass Zeugnisse bei mir auch immer mit Erniedrigung, Scham und dem Druck, andere zufriedenzustellen, verbunden war. Plus die Befürchtung an Bestrafung, blöde Sprüche und natürlich dem Gefühl, dass andere einfach besser sind. Würg. 

    Was kann man da noch machen, so ganz akut? Ich habe mit allen Kids alternative Zeugnisse geschrieben. Da haben wir Dinge reingepackt wie: Humor, Freundlichkeit, Erzähl-Talent, Kreativität, Großartigkeit, Liebenswürdigkeit etc. 
    Erstmal können die Kids sich selbst bewerten. Wenig überraschend werden sie sich hier überwiegend schlechte Noten geben. So kommt man gut an ihren Selbstwert heran. 
    Natürlich sollten hier Bestnoten vergeben werden.
    Das Ganze geht auch (für Klasse 1-2) als Aufsatz, da es hier ja oft noch keine Noten gibt. 
    So haben sie wenigstens neben ihrem Horror-Zeugnis noch ein schönes dazu und sie können es erstaunlich gut annehmen.
    Könnt ihr auch mit eigenen Kindern machen oder Neffen, Nichten etc., die ihr kennt. 

    Täte uns vielleicht als Fernstudis auch manchmal gut, uns gute Zeugnisse auszustellen, da wir ja oft auch extrem kritisch mit uns umgehen. :-) Ich stelle da ähnliche Tendenzen fest, unzufrieden mit sich zu sein, wenn etwas über die 1,3 hinausgeht. 

    Bleibt gesund und haltet zusammen,
    LG 
       
    Feature Foto: RDNE_Stock_project
  10. Vica
    *Herr G. kommt gute 27 Minuten zu früh zum Termin, als er an meine Stationstür klopft. Ich habe eigentlich ordentlich mit Entlassbriefen zu tun, die ich abtippen muss; sogar welche von einer anderen Station hat der Oberarzt mir zukommen lassen. Aber wenn er schonmal da ist, können wir auch starten. Erstmal weicht er erschrocken zurück, dann schaut er misstrauisch in mein Büro. ,,Sie können ruhig schonmal reinkommen. Es ist keiner sonst hier", lade ich ihn ein. Er ist in voller Montur: Mütze, Schal, Daunenjacke - die will er auch partout nicht ablegen. Um seinen Rucksack klammert er sich wie um einen Teddy, der bei ihm auf dem Schoß sitzt. 
    ,,Sie sind ganz schön früh. Eigentlich haben wir den Termin ja erst in einer guten halben Stunde", meine ich. 
    Dazu erwidert er: ,,Ich bin gerne etwas pünktlicher. Weil - nun ja - es kann ja eine ganze Menge passieren. Darauf muss man gefasst sein. Und bevor ich zu spät komme, mache ich mich gerne rechtzeitig auf den Weg."

    Ich bin zunächst irritiert: Von seiner Zimmertür bis zu meinem Büro auf Station sind es nur ca. 10 Schritte. Also will ich wissen, was alles hätte passieren können, was ihn groß aufhält. Er zieht die Brauen hoch als wollte er sagen "Wie bitte? Das leuchtet Ihnen nicht ein?" und beginnt dann aufzuzählen:
    Er hätte auf dem Flur stürzen können -> Knöchelbruch -> die Pflege würde ihn dann verarzten, so dass er noch rechtzeitig zum Termin kommen kann.  Man könnte mit einer Pflegekraft zusammenstoßen, die gerade Blut bei einem Hepatitiskranken abgenommen hat -> die Kanülen könnten zerbrechen, das Blut könnte ihn kontaminieren -> Pflegekräfte rennen immer so schnell. Um allen auszuweichen, muss er besonders langsam und umsichtig gehen und das dauert nunmal länger.  Außerdem muss er einen Umweg von weiteren ca. 5 Schritten gehen, da er nur durch den hinteren Stationsflur geht. Im vorderen würden immer der Oberarzt und der Chefarzt rumlaufen, und die würden ihm sicher nur Vorwürfe machen, dass er heute hier ist anstatt auf der Arbeit -> denen will er also lieber nicht begegnen.  Auf Station läuft auch ein Patient rum, vor dem er Angst hat. Wenn er dem begegnet, muss er sich immer schnell auf die Toilette flüchten und warten, bis er weg ist. Das kann Zeit in Anspruch nehmen.  Diese Dinge meint Herr G. vollkommen ernst. All das sind Unvorhersehbarkeiten, die jederzeit passieren können und bei denen er besondere Sorgfalt an den Tag legen muss, um sie zu verhindern. Sie belasten ihn sehr stark, quälen ihn richtiggehend. 
     
    ,,Sie sind ja ganz schön beschäftigt. Das stelle ich mir echt anstrengend vor!" sage ich. ,,Aber ich bin auch neugierig: Sind Sie denn gut durchgekommen oder kam was dazwischen?"
    Er überlegt. ,,Nee, heute hat es ganz gut geklappt und mich hat nichts aufgehalten. Aber dass es gut ging, ist Zufall. Hätte auch ganz anders laufen können." 

    Im Gegensatz zu den meisten anderen Störungsbildern auf unserer Station ist mir das von Herrn G. sofort klar: Die generalisierte Angststörung (GAS) wurde bereits im Fernstudium sehr gut und ausführlich behandelt. Ebenfalls gibt's dazu viele Seminare in der Therapeutenausbildung. Eine typische Klausurfrage (das könnt ihr euch direkt merken!) ist: "Was unterscheidet die generalisierte Angststörung von Angststörungen mit konkreten Auslösern (Phobien)?" Die Antwort ist simpel: Bei den Phobien sind die Ängste an einen konkreten Auslöser gebunden, z.B. Spinnen, Höhe, Menschenmassen. Bei der GAS handelt es sich hingegen um Befürchtungen ohne konkreten Auslöser. Es gibt keine reale Gefahr, aber ständige Sorgen, dass Familienmitgliedern oder einem selbst etwas passieren könnte - auch wenn es zum Teil sehr abgefahren ist. 
    Die Ängste treten oft anfallsartig auf und steigern sich zur Panik mit heftigen Körperreaktion, was ein unerträgliches Gefühl ist. Den Rest der Zeit verbringt man mit Sorgen und Sicherheitsverhalten (d.h. Vermeidung), um befürchtete Situationen gar nicht erst entstehen zu lassen. 

    Was Herr G. hier im Mikrokosmos auf Station erlebt, hat er seit einiger Zeit auch im Makrokosmos des Alltags:
    Seine Mutter könnte gestorben sein, wenn sie nicht innerhalb von 15 Minuten auf seine SMS antwortet.  Seine Freundin könne bei einem Autounfall versterben. Deswegen muss er immer mitfahren, um sie im letzten Moment zu beschützen.  Es könnte ein Leck in der Gastherme geben, welches keiner bemerkt. Sowohl er als auch seine Freundin könnten über Nacht an einer Kohlenmonoxidvergiftung sterben.  Seine Kopf- und Rückenschmerzen gehen auf Krebs zurück, den die Ärzte einfach immer wieder übersehen.  Klagt sein Bruder über Kopfschmerzen, denkt er sofort an einen Hirntumor.  Das Flugzeug in den Urlaub könnte abstürzen, deswegen fährt er nur Bahn und Auto und nie in ferne Länder. Das Auto oder Fahrrad lässt er auch überwiegend stehen und geht lieber zu Fuß, auch wenn es weit entfernte Strecken sind, es könnte ein Reifen platzen und zu einem Unfall kommen. Ultimativer Albtraum: Seine Freundin muss auf Geschäftsreise.   
    Das Leben ist unerträglich geworden und um damit klarzukommen, konsumiert er verschiedene Benzodiazepine und trinkt zu viel Alkohol. Deswegen ist er offiziell hier, wofür er sich schämt. Aber die Ängste, die kommen von allem Seiten.

    Wir kümmern uns leider nur um den Entzug, der etwa 2 Wochen geht. So lange haben wir nur Zeit, ihn zu motivieren, sich im Anschluss auf eine Angststation verlegen zu lassen. 

    Ich bespreche ein wenig mit ihm, was die GAS so ist und male den Angstkreislauf an die Flipchart:

    Von dem Hereinbrechen der Angstgedanken -> der Gefühl des Kontrollverlusts -> aufkommenden Gedanken wie "Ich bin hilflos" -> der Angst an sich, die entweder Flucht, Vermeidung oder Erstarrung hervorruft -> den körperlichen Veränderungen wie Herzrasern, Zittern, Atemnot.

    Ein wichtiges Element, vielleicht das Mächtigste, ist auch, die Gedanken zu Ende zu denken, um erstmal zu verstehen, was denn überhaupt so schlimm an was ist:
    Er hätte auf dem Flur stürzen können -> Knöchelbruch -> die Pflege würde ihn dann verarzten -> der Termin ist dann abgesagt -> Die Psychologin könnte dann sauer auf mich sein und das darf nicht sein Man könnte mit einer Pflegekraft zusammenstoßen, die gerade Blut bei einem Hepatitis-Positiven abgenommen hat -> die Kanülen könnten zerbrechen, das Blut könnte ihn kontaminieren -> dann würde ich krank werden und sterben und habe vieles, was ich wollte noch gar nicht erreicht.  Oberarzt und Chefarzt könnten auf mich herabschauen -> das könnte ich nicht aushalten, weil ich dann die Bestätigung habe, nichts wert zu sein. Auf Station läuft ein Patient herum, vor dem ich mich Angst habe und mich verstecken muss -> denn ich traue mir nicht zu, das Problem mit ihm zu lösen, was heißt, dass ich unterlegen und schwach bin. 
    Schlussendlich kann man diese Gedanken dann entsprechend bearbeiten (das ist viel mühseliger, als gedacht und dauert lange). Möglichkeiten:
    - Die Psychologin könnte wirklich sauer sein, dass der Termin nicht zustande kommt. Das wäre natürlich schade, dass sie dafür so gar kein Verständnis hat. Es ist aber auch nicht wichtig, die zu überzeugen. 
    - Wenn ich kontaminiertes Blut abbekomme, heißt das noch lange nicht, dass ich krank werde. Und wenn doch, könnte man die Infektion schnell behandeln. 
    - Ärzte schauen auf mich herab: Das kann sein und es wäre schade. Vielleicht ist es ihnen aber auch egal, oder sie empfinden sogar Mitleid. Beeinflussen kann man es eh nicht, aber es ist kein Schicksal, nicht jedem sympathisch zu sein. (Hier ist auch interessant, dass dies fast immer die Selbstsicht ist)
    - Patient, vor dem ich Angst habe, läuft herum, ich verstecke mich: Ich muss ihn nicht ansprechen, muss nichts mit ihm regeln, ich kann einfach an ihm vorbeigehen. Wenn er mir etwas tun will, suche ich mir schnell Hilfe, die Station ist ja voll. 
     
    Herr G. ist interessanterweise schon nach wenigen Tagen sehr viel gelöster, wie fast alle Patienten - das liegt daran, dass sie so viel Aufmerksamkeit und Zuwendung für eine 1 Stunde am Tag nicht mehr gewohnt ist. Die meisten seiner Familienmitglieder und Freunde sind genervt von ihm: Sie erleben ihn als Spielverderber, Pingelkopf und als manipulativen Kontrolleur (weil er z.B. mit seiner Freundin überall hinfährt), denn natürlich redet er nicht über seine Angst, vor der er sich schämt.

    Auf Station erzielen wir wie ich finde große Erfolge, zumindest für die 2 Wochen:
    Er lernt, es mal drauf ankommen zu lassen und wirklich erst punktgenau zum Termin zu kommen.  Am Patienten, vor dem er Angst hat, soll er mal vorbeigehen (Notfallverhalten ist abgesprochen) - wie ich es mir dachte, wird er keines Blickes von diesem gewürdigt.  Am Oberarzt läuft er ebenfalls vorbei. Hier spürt er die Angst am stärksten. Aber auch hier: Nichts passiert.  Letztlich machen wir natürlich auch viel Biographiearbeit und erfahren von einer überängstlichen Mutter, von der ich sich einige Muster abgeschaut hat. Vom Vater, der jedes seiner Gefühle ins Lächerliche gezogen hat. Vom Lehrer, der ihm nicht helfen wollte, als er Dinge nicht verstand. 
      Mit meinen beiden Kollegen, den Stationsärzten, bespreche ich, dass wir gar keine Medikation verabreichen, außer Dinge, die dem Alkoholentzug helfen und Schlaftee, Pantropazol (Magenschutz), Magnesium sowie Lavendelkapseln.  Mit dem Oberarzt bekomme ich mal wieder Ärger - ich sei zu gutgläubig und zu mild. Das sei ein Trinker und es lohne sich nicht, so viel zu investieren. 
    Aber Herr G. ist kein Trinker, denn er hat das Trinken angefangen, um seine Angst zu besiegen. Außerdem: Schaden wird wohl niemanden, mal über Ängste zu reden? Der Oberarzt winkt ab. 
     
    Wir verlegen schließlich einen Patienten, der völlig aufgeschlossen gegenüber einen Angstbehandlung ist, die die nächsten 6 Wochen zunächst stationär und dann ambulant weitergeführt wird. Die Aufgeschlossenheit war das Ziel. 

    Arbeit mit Angststörungen macht generell Spaß, weil die Patienten oft stark mitarbeiten - sie wollen sie um jeden Preis loswerden und (anders als bei anderen Störungen) ist die Wirkung oft schnell spürbar. Im ambulanten Setting hat man sie daher sehr oft. Bei PiAs und auch Therapeuten sind sie beliebt. 
    Ich habe sehr viele ambulante Angstpatienten, bestimmt 50%. Sie brauchen oft maximal 12 bis 24 Stunden. 

    Ich nehme mal an, dass Patienten wie Herr G. innerhalb eines halben Jahres eine 180-Grad-Wende gemacht haben. Es gelingt solchen Leuten dann wieder, mehr Genüsse in den Alltag einzubauen. Interessant ist auch immer: Von welchem Problem haben die Ängste mich eigentlich abgelenkt? Womit wollte ich mich nicht befassen?
    Und auch, welche Ressourcen eigentlich davon ausgehen, die auch nie richtig ans Licht kommen. Beispielsweise ist das Ausdenken der Befürchtungen schon häufig sehr kreativ, nicht wahr? Und die ganzen Überlegungen zum Thema Vermeidung weisen ja vielleicht auf Lösungsorientierung und Problemlösekompetenzen hin. Eigenschaften, die man vielleicht im Job gut nutzen kann. 

    Bleibt gesund und haltet zusammen, 
    LG

    Feature Foto: MART PRODUCTION/Pexel

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    *Dies ist eine kleine Serie über meine Ersterfahrung mit gewissen Störungsbildern aus meiner Klinikzeit, über die ich damals nicht so gerne sprechen wollte. Es sind Störungsbilder und Situationen, die viele beim Wunsch, Psycholog:in bzw. Therapeut:in zu werden, nicht so auf dem Schirm haben. Wenn du Psycholog:in werden willst, denk dran, dass du auch mal damit konfrontiert wirst und mit Patient:innen, die man nicht immer ,,heilen“ kann. Heilung ist auch nicht immer das Ziel. In regelmäßigen Abständen stelle ich euch meine Ersterfahrung mit Störungsbildern vor. Dabei beziehe ich auch mit ein, wie mir das (Fern)studium half. Die Patienten sind dabei oft ein Konglomerat aus verschiedenen Patienten.
  11. Vica
    * Als ich am ersten Tag des Praktikums an der Anmeldung stehe und meinen Essensplan für eine Woche ausfülle, fällt mir die Dame bereits auf. Mit sehr schweren Schritten schreitet sie die Haupttreppe zur Lobby herunter, obwohl sie insgesamt zierlich ist und auch gefütterte Hausschuhe trägt. Sie zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Das liegt nicht nur daran, dass sie so groß und komplett wie eine Trauernde in Schwarz gekleidet ist. Es ist auch, als schiebe sie etwas Schweres, Undefinierbares vor sich her. Es ist unsichtbar, aber doch irgendwie wechselswirkend mit allen anderen, denn viele drehen sich nach ihr um und machen gemischte Gesichter. Ein wenig wie die Definition von Dunkler Materie: Etwas, das wir nicht sehen, aber gleichzeitig doch nachweisbar gravitativ mit der Umwelt reagiert. 
    Schwer zu sagen, wie alt sie ist. Bestimmt kaum 20, aber sie hat den Bewegungsapparat einer 80jährigen. Ich habe noch nie gesehen, dass sich jemand so bewegt, als gehöre er einer anderen Raumzeitdimension an als alle anderen. 
    Sie erinnert mich auch an eine Tim-Burton-Figur, als sich wie ein Gespenst an mir Richtung Physio-Raum vorbeischiebt.  Oder auch an eine Trauerweide, die sich mit größter Mühe aus der Erde gelöst hat.
    Passend dazu spreche ich von ihr nun als Frau T.

    Ich sehe Frau T. immer mal wieder im Verlauf der Wochen über das Klinikgelände gespenstern. Entweder beim Essen, alleine im Hof oder im Treppenhaus. Als Noch-Master-Studentin überlege ich die ganze Zeit fieberhaft, zu welchem Krankheitsbild diese Störung passen soll. Irgendwie schaffe ich es dann auch, einen Hospitationstermin bei ihrem Bezugstherapeuten zu kriegen und während der Therapiesitzungen dabei sein zu dürfen.
    Der Therapeut, selbst noch PiA, war damals ziemlich angenervt von der Patientin und verstand meinen Ehrgeiz weniger. Er sei schon der Dritte, der sich an ihr probieren würde, und der Chef habe auch keine Ideen mehr – auch medikamentös schlage alles fehl. Sie gelte als therapieresistent, hoffnungsloser Fall - und sei nur hier, damit das Schlimmste verhindert werden könne.

    Ich lernte, dass sie eine Major Depression hatte, eine schwere Form der Depression. In ihrem Fall auch eine hartnäckige Variante. Sie war nicht mehr arbeitsfähig und musste ihren Job aufgeben. Die Traurigkeit und die Antriebslosigkeit hatte sie komplett im Griff und zog sich durch alle Bereiche ihres Lebens.  Insofern brachte Frau T. nichts mehr mit, womit wir arbeiten können und was wir „Ressourcen“ nennen: Keine Hobbies, keine Freunde, keine Beziehung, keine Zukunftsvorstellungen, kein soziales Umfeld außer den komplett ratlosen Eltern.
    Deswegen bissen sich vermutlich andere Therapeuten die Zähne an ihr aus. Dass auch die Medikation nichts daran änderte, machte die Ärzte und Psychotherapeuten etwas misstrauisch. Schnell entsteht der Verdacht eines Krankheitsgewinns für den Patienten. Dass sich eigentlich nichts ändern soll, weil es Vorteile mitbringe. Z.B. dass sich alle um einen kümmern. 
    Und das kann sein.
    Dennoch finde ich sowas heikel. Es wäre ja auch pathologisch, auf diese Weise Aufmerksamkeit zu suchen. 

    Schon während der ersten Therapiesitzung, bei der ich mit etwas Abstand anwesend sein durfte, fiel mir auf, was mir später in meiner eigenen PiA-Zeit bei sehr vielen Depressiven auffällt: Der gesenkte Blick nach unten. Um Blickkontakt muss man bitten. Es scheint den Betroffenen selbst nicht aufzufallen, sie erschrecken oft ein wenig. Wenn sie den Blick heben, sieht das sehr angestrengt aus.  Als würde man aus dem Keller kommen und in die Sonne gucken. Die Mimik der Patientin ist quasi nicht vorhanden. Sie wirkt kalt, aber auch irgendwie sehr, sehr angestrengt. Erstaunlicherweise berichtet sie (mit monotoner Stimme ohne Timbre, was  ich auch sehr typisch finde bei dem Krankheitsbild), dass es ihr heute eigentlich ganz gut würde. Das bringt sie aber nicht rüber. Sowas wird man als klinischer Psychologe im Befundbericht später als „affektverflacht“ eintragen.

    Frau T. geht mit dem Therapeuten ihre Diary Card durch, eine Art Tagebuch mit Vordruck, die sie von den Ärzten bekam. Täglich muss sie ankreuzen, wie lange der Schlaf, wie hoch die Suizidgedanken, wie viele Mahlzeiten sie eingenommen hat. Daraus geht auch hervor, dass sie erneut von ihren Therapiegruppen ferngeblieben ist. Es sei zu viel Angst aufgekommen und sie hätte sich nicht motivieren können. Ich nehme ein bisschen Genervtheit beim Therapeuten wahr. Offenbar haben sie schon oft Situationsanalysen mit konkreter Hilfestellung besprochen, die die Patientin aber nicht umgesetzt hat. Auch das ist typisch bei dieser Depressionen: Fehlender Glaube, die Zukunft irgendwie positiv beeinflussen zu können. Das Schlimme ist auch: Man hält dieser Düsternis für die Realität. Häufig ist die Aussage: „Das bringt ja eh nichts.“
    Auch diese Patientin spricht ein heikles Thema an: Sie habe gehört, dass man im Team schon Witze über sie reiße. Natürlich beschwichtigt der Therapeut hier, aber es scheint mit schon zu stimmen. Wo immer man ihren Namen anspricht im Haus, überall werden die Augen über sie gerollt. Ich verstehe das weniger – sicher, einerseits ist die Reaktion authentisch, andererseits ist Ablehnung und Genervtheit bei Depressiven immer Gift und wird sie wohl kaum motivieren. Dass auch Depressive lernen müssen, dass sie bei anderen aufgrund ihres (beinflussbaren) Verhaltens unter anderem zwischenmenschliche Probleme bekommen, mag ja stimmen – aber dafür würde ich eher Phasen wählen, wo der Patient viel stabiler ist.

    Meinem Verständnis entzieht sich aber, warum alle diesem Fall so abgeneigt sind. Ich finde ihn unheimlich interessant. Das Leid der Patientin ist nachvollziehbar. Klar, ihre Sorgen entsprechen nicht der objektiven Realität - aber andererseits empfindet sie es eben so und leidet darunter. 

    Während ich im Raum sitze und zuhöre, spüre ich fast körperlich diese unfassbare Schwere, die von der Patientin ausgeht. Wie ein schwarzes Loch, das die Raumzeit anders dehnt als alle anderen Objekte im Raum. Das erzeugt eine unangenehme Stimmung. Ein wenig, als würde man einer Beerdigung beiwohnen. Sie berichtet vergleichsweise offen, was sie quält. So viel Hoffnungslosigkeit, Befürchtungen, Ängste und das Gefühl, dass die Zukunft gar nichts für sie bereit hält (nichts Positives jedenfalls). Sie kämpfe den ganzen Tag gegen den Drang, sich im Bett zu verkriechen. Zuhause tut sie das auch, manchmal tagelang. Schuldgefühle plagen sie bis in den kleinsten Lebensbereich. Dann folgt eine Abhandlung über die Überzeugung, für andere eine Last zu sein und die macht mich beim Zuhören traurig. Es ist bedauerlich, dass ein so junger Mensch so denkt.

    Mich lässt dieser Fall jedenfalls nicht los. Jeden Abend krame ich noch ein wenig in den sehr guten Studienbriefen meiner Hochschule (die sind ja von Hogrefe) und bestelle etwas über Major Depressions. Wir hatten auch sehr gute Vorlesungen zu diesem Fall, so dass ich weiß, wo ich suchen muss.
    Ich frage mich, wie es sein muss, so am Leben zu leiden. Und stelle mir vor, dass man sich vielleicht fühlt wie jemand, der durch die Dunkelheit des Weltalls schwebt. Kein Licht zu sehen. Völlig orientierungslos. Alles eher bedrohlich. Man könnte sich bewegen und kämpfen, um seine Richtung zu beeinflussen, aber es wäre sehr schwer. Erst recht würde man die Kraft nicht aufbringen, wieder auf einem Planeten zu landen und dort Fuß zu fassen. Warum auch? Man weiß ja nicht, ob es gut sein würde dort. Und in seiner Zeit im leeren All hat man vielleicht verlernt, mit den Bewohnern zu kommunizieren.

    In diesem Bild überlege ich mir, welchen Mehrwert ich da als kleiner Praktikant noch liefern kann.
    Oberarzt: Hat medikamentös schon alles ausprobiert. Ist genervt, weil langsam zu viele teure Medikamente bestellt werden müssen.
    Stationsarzt: Häufig zufällig nicht anwesend, wenn sie bei ihm klopft. Komplett ratlos.
    Chefarzt: Verliert die Geduld mit ihr. Will ein neues Bett.
    Ihr PiA-Therapeut: Genervt, hat alles ausprobiert, sie macht aus seiner Sicht nichts mit, das gilt als „nicht änderungsmotiviert“.
    Ergotherapeutin, Sporttherapeutin, Krankenschwester, Koch: Alle verdrehen die Augen.
    Allein bin ich  deutlich älter als viele Jung-Therapeuten und der übliche Praktikant. Kann ich mir dadurch mehr Geduld abringen? Und was mache ich damit?

    Wenn ich also so jemand wäre, der in der Dunkelheit schwebt, was bräuchte ich, um mich auf dem Planeten wieder zu erden? Und den Aufwand zu betreiben, dort zu landen?
    Vielleicht eine Art Guide. Einen Vermittler zwischen den beiden „Biotopen“. Sicher aber keinen, der mir Vorwürfe macht. Und auch keinen mehr, der mir sagt – direkt oder indirekt – dass ich mit meiner Depression nicht okay bin.
    Und auch dass das All, die Dunkelheit, nunmal existiert, das muss man akzeptieren.
    Aber vielleicht kann man dann ebenfalls akzeptieren, dass es außerhalb des Planeten existiert und weil es da ist, das Leben auf dem Planeten nicht direkt beeinflusst. 

    Da kommt mir die Idee der therapeutischen Spaziergänge. Der PiA-Therapeut ist nun auch langsam genervt von mir, aber hält es für eine gute Idee. Die Gespräche bringen ja eh nichts. Er hat keine Zeit, also kann ich mit ihr gehen. Und das machen wir die nächsten 4 Wochen. Immer eine ganze Stunde. Wir brauchen lange, da sie sehr langsam geht. Was mir auffällt, ist dass sie die Dinge um sich herum nie so betrachtet. Also lenke ich die Aufmerksamkeit dahin. Auf simple Dinge, wie Blätter, Blütenformen, Hunde, Spaziergänger, Geschäfte, Schaufenster. Immer wieder frage ich sie nach ihrer Meinung, um sie ins „Diesseits“ zu holen. Anfangs ist es nicht leicht, weil sie sehr in ihrer Welt ist. Wie sie sich bewegt und wie sie so in ihren dunklen Gedanken versunken ist, erinnert sie mich an einen Kriegsheimkehrer, der unglaubliche Dinge gesehen hat. Es fällt auch anderen Leuten auf.

    Und doch fällt mir ein wesentlicher Punkt auf, den alle anderen nicht berücksichtigen: Bei ihr darf nichts sein, wie es ist. Von allen Seiten gibt es Aufträge und Erwartungen. Die weiteren Qualitäten dieses Menschen mit Depressionen scheinen niemanden zu interessieren.
    Also lasse ich das Psycho-Gebabbel. Ich bringe sie stattdessen dazu, mir Dinge zu erklären, die sie gut kann (und natürlich nicht wertschätzt). Ich lobe sie nicht - weil sie kein Hund ist. Stattdessen erkläre ich, dass ich das demnächst mal so umsetzen will, wie sie es empfiehlt.

    Ich frage mich, ob das Bild mit dem Weltall vielleicht nicht so gut passt. Vielleicht ist so eine schwere Depression eher eine Mauer, die jeden Morgen droht, auf einen zu fallen. Um nicht erschlagen zu werden, muss der Erkrankte seine ganze Kraft dagegen stemmen. Links und rechts von ihm sind allerdings so viele Leute, die noch etwas von einem wollen: Medikamente, Arbeit, „Lach doch mal!“, „Du musst dies, das…du darfst nicht…du machst nicht…“ etc. Dabei geht’s nicht darum, die Mauer zu sprengen und abzubauen. Sondern mehr darum, sie zu stemmen. Entweder, indem man helfende Arme anbietet. Oder Ideen, die Mauer zum Stehen zu bringen. Auch mit einer Mauer kann man im Leben teilnehmen.
     
    In den nächsten Wochen freuen wir uns beide auf die Spaziergänge. In der Klinik ist das bald ein Running Gag. Frau T. kauft sich sogar neue Schuhe, die längeres Wandern zulassen. Ihre Depression ist natürlich immer noch da. Unter anderem.
    Ihr PiA-Therapeut zieht irgendwann Bilanz beim Chefarzt und seinem Supervisor. Er lobt dort die Entwicklungen seit der Spaziergänge. Die Patienten spreche nun mehr und gehe immerhin schon wieder zu den Gruppen.


    Doch dann ist Schluss. Der Chefarzt, der sie nicht mal mehr in den Visiten empfängt, schmeißt sie raus. Besser gesagt: Überweist sie in einer Klinik, in der sie sich einer Elektrokrampftherapie unterziehen soll. Die ist am anderen Ende des Landes. Vielleicht bringt das ja noch was, stellt er schulterzuckend fest. Den PiA-Therapeuten hört er gar nicht erst an dazu. Keiner im Kollegium versteht es, auch die Sonst-so-Genervten nicht.

    Für die Patientin ist es die ultimative Ablehnung. 5 Wochen hätten sie noch gehabt hier. Nun muss sie gehen. Und das schon recht schnell. In nur 3 Tagen muss sie gehen.
    Ich finde es höchst bedauerlich. Den Chefarzt interessiert aber nicht, was die Praktikantin zu sagen hat, das hatte ich mir vorab schon gedacht. Dass er sie jetzt kickt, wo sich ihre Lage wieder entspannt und sie auch wieder mehr teilnimmt: Bedauerlich. 
    Dass es nur "eine gute Phase" ist, ist natürlich nicht von der Hand zu weisen.
    Dennoch wird es beschlossen, nicht mit ihr abgeklärt. 
    Sie schreibt damals fleißig Briefe an alle, bei denen sie sich bedanken will. Auch an mich. Ich habe ihn sogar immer noch.

    Trotz des Ausgangs bin ich vergleichsweise froh über die Erfahrung. Heute immer noch sozusagen mein innerer Präzedenzfall im Umgang mit Depressiven.  :-)
     
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    * Dies ist eine kleine Serie über meine Ersterfahrung mit gewissen Störungsbildern aus meiner Klinikzeit, über die ich damals nicht so gerne sprechen wollte. Es sind Störungsbilder und Situationen, die viele beim Wunsch, Psycholog:in bzw. Therapeut:in zu werden, nicht so auf dem Schirm haben. Wenn du Psycholog:in werden willst, denk dran, dass du auch mal damit konfrontiert wirst und mit Patient:innen, die man nicht immer ,,heilen“ kann. Heilung ist auch nicht immer das Ziel.  In regelmäßigen Abständen stelle ich euch meine Ersterfahrung mit Störungsbildern vor. Dabei beziehe ich auch mit ein, wie mir das (Fern)studium half. Die Patienten sind dabei oft ein Konglomerat aus verschiedenen Patienten.

    Bleibt gesund und haltet zusammen 😊.

    LG

    FEature Foto: Andrea Piacuquadio/pexels.de
  12. Vica

    Erstkontakt
    *Im klinischen Master und der PP-Ausbildung habe ich so viel gelernt wie sonst nirgends über die Psychologie. Manche Störungsbilder finden aber trotz allem kaum Beachtung und fristen ein Nischendasein in folgender Hinsicht:
    - Fast niemand kennt sie
    - Es gibt kein Seminar dazu
    - In den Vorlesungen bzw. Fall-Anamnesen kommt man nicht drauf zu sprechen
    - In Kliniken wird die Diagnose nie codiert/vergeben
    - Selbst wenn man sie vergibt, hat man kein Behandlungskonzept dafür

    Dazu gehört das interessante Störungsbild mit dem ICD-10 Code F.60.1 - Schizoide Persönlichkeitsstörung. 
    Die meisten lesen erstmal fälschlicherweise "schizophren" oder denken "das klingt ähnlich, dann hat das bestimmt auch was mit Stimmenhören zu tun". Weit gefehlt. 

    Aber woran liegt das eigentlich, dass die schizoide PS so selten vergeben wird? Ich würde mal behaupten, dass es die Symptome sind, die es sehr schwer machen, diese Störung von anderen abzugrenzen:
    Diese Menschen leben zurückgezogen, sind ausgeprägte Einzelgänger und bevorzugen es, sich in Phantasiewelten zu flüchten. Gefühle ausdrücken, Freuden und Genüsse zu erleben ist hier schwierig. Oft gibt es nur einen starren Gesichtsausdruck. Man hat nur wenige soziale Kontakte, viele wenden sich wieder ab. Einsamkeit und Isolierung wirken oft angstverstärkend. Die Welt wird als feindselig und unverlässlich empfunden. Man ist quasi in permanenter Abwehrstellung. 

    Das ist alles ein wenig unspezifisch; während sich vermutlich viele Leute ohne F60.1 darin (teilweise) wiedererkennen, gibt es viele Störungsbilder, auf die das ebenfalls passt: Asperger, Depressionen, soziale Phobie, Angststörungen, Narzissmus, Verbitterungsstörungen. Diese haben Behandler viel eher auf dem Schirm. 

    Beim ersten Patienten mit Schizoider PS waren wir relativ ratlos, was man ihm abgesehen von seiner Suchtdiagnose vergeben sollte. Es war ein älterer Herr, missmutig, unhygienisch und ständig mit Regelverstößen auffallend. Ein so genannter "Drehtürpatient", er kam seit Jahren immer wieder, eigentlich wegen Alkohol- und Substanzmissbrauch und war deswegen schon im Substitutionsprogramm, welches er aber nun doch regelmäßig schwänzte und stattdessen rückfällig wurde. Jetzt drohte er, aus dem Programm zu fliegen. Substitutionsplätze sind recht begehrt und er hat lange mit seinem Sozialarbeiter darum gekämpft. Bei der Rückfall-Analyse und der Frage, warum er das hart Erkämpfte jetzt schwänzte, fiel mir auf, wie verbittert er über Kleinigkeiten sprach:
    Die Sprechstundenhilfen wären nicht freundlich genug gewesen, wie es "Aufgabe der Frauen" sei. Sie hätten ihn anders begrüßen müssen. Die Substitutionslösung sei in seltsamen Behältern gewesen und auch die Darreichung entsprach nicht seinen Vorstellungen. Die Sitze zu unbequem, kein Kaffee angeboten, keine Verabschiedung à la "beehren Sie uns bald wieder". Das waren interessante Vorstellungen für jemanden, der dort auch schonmal randaliert hätte. Natürlich war nicht nur der Substitutionsarzt schlecht, auch alle Krankenhäuser, Therapeuten, Sozialarbeiter, Familienangehörige, die Buslinie, die nicht vor der Tür hält. Der Vermieter, der die Wohnung ihm doch kostenlos zur Verfügung stellen könnte, er hat doch Geld genug. Der Stromanbieter, das Finanzamt. Die Oma, die ihr ganzes Erspartes in ihn gesteckt hat, die alte Mutter, in deren Wohnung er ausgetickt ist, obwohl sie regelmäßig seine Schulden bezahlt hat - alle seien Schuld an seiner Situation.
    Ich merke, wie das an meinem inneren Geduldsbaum rüttelt. Solche Empfindungen sind wichtig, da es hilft, zu verstehen, warum andere sich von ihm abgewandt haben. 

    ,,Wenn ich mir mal so anschaue, was Ihr Sozialarbeiter so für Sie gemacht hat, fällt mir auf, dass er sich dabei aber ganz schön ins Zeug gelegt hat für Sie. Das geht über das Geforderte hinaus. Ist das dann eigentlich wirklich so, dass er Ihnen echt nur Schlechtes will?" frage ich verdutzt. 
    ,,Der will doch nur Kohle, deswegen macht der das!" kontert er. 
    ,,Das kriegt er ja auch, ohne über das Geforderte zu gehen. Könnte es sein, dass er das einfach für Sie tun wollte? Damit sich bei Ihnen was bessert?"
    Aber darauf geht er nicht ein, sondern wechselt das Thema. Das tut er mehrmals, immer wenn man ihm kurz die Möglichkeit gibt, zu reflektieren, ob die Welt sich wirklich gegen ihn richtet. Schwierig an Persönlichkeitsstörungen ist mitunter, dass die festgefahrenen Denkmuster überdauernd und nur sehr schwer korrigierbar sind. Zwischendrin hält er inne, weil er immer wieder alle Personen beschimpft. Teilweise wegen Dingen, die er einfach falsch einsortiert und die auch damit zu tun haben, wie er Menschen behandelt. Und dass das leider nun mal bewirkt, dass man von ihm Abstand hält. 

    Dabei kann er grundsätzlich nachvollziehen, dass er es anderen schwer macht, ihn zu mögen und ihm freundliche Angebote zu machen - aber alle anderen seien eben auch Schuld, dass er so ist, wie er ist, nun bekäme jeder mal zu spüren, wie das ist. Nach kurzer Analyse stellen wir aber fest, dass er dabei bisher immer nur verloren hat. 
    Wir (bzw. viel mehr ich) überlegen, ob es manchmal möglich wäre,  Menschen zu vergeben, dass sie nicht perfekt sind- und vielleicht um etwas zu bitten. Der Aufwand könnte es wert sein. 
    Er ist entsprechend zerknirscht, eigentlich wollte er von mir hören, dass die Welt böse ist. Aber er stimmt schließlich zu. Das grenzt seine Störung auch von einer Nicht-Störung ab: Er hat Leidensdruck und möchte so nicht weitermachen. Er erwartet allerdings, dass sich die Welt dafür ändern muss. Dass er aber auch auf andere zugehen müsste, betrachtet er als eine Art Schikane. Er sieht aber auch, dass er dabei herausbekommen kann, was er für sich möchte. Das ist in der Tat ein winziger Lichtblick, mit dem man arbeiten kann. 
    Anfangen will er direkt hier auf Station. Statt die Pflege permanent abzuwerten und ihnen Dinge unterstellen, einfach mal fragen, ob sie überhaupt weiterhelfen können. 

    Auf der Heimfahrt im Zug und abends wälze ich die Bücher wegen der Diagnose. Ich habe Narzissmus im Kopf, aber er vergleicht sich nicht mit anderen, nicht nach oben und hält sich generell nicht für kompetenter.  Meine Supervisorin ist so nett, mir noch per WhatsApp zu antworten: Check mal eher etwas Schizoides. Tatsächlich passen alle Kriterien. Mit dem Oberarzt wird das am nächsten Tag eine richtige Diskussion. Am Ende trägt er es aber doch so ein. Das ermöglicht ihm bei der Entlassung vieles - so könnte er es im Anschluss auf einer anderen Station versuchen, z.B. eine, die Persönlichkeitsstörungen im Fokus hat oder auch mal bei einer ambulanten Therapie. 

    Gab es denn auch ein Happy End? Freilich nicht, dazu gehören viel mehr als ein paar Sitzungen. Nach seiner Entgiftung 2 Wochen später wird er immer wieder vor die Tür gesetzt. Das Problem ist ja auch, dass man gar nicht weiß, wie man um etwas bittet, freundlich, sozialverträglich. Seine ersten Versuche auf Station gleichen eher Befehlen und sind entsprechend wenig von Erfolg gekrönt.  Ein Training sozialer Kompetenzen wäre da angebracht und das dauert seine Zeit.
    Immerhin: Die teilstationäre Suchtklinik sagt zu, einen Platz zu haben. Hier gibt es ein Soziale-Kompetenz-Training in der Gruppentherapie.  

    Ob er das wahrgenommen hat? Oder einen anderen geduldigen Therapeuten gesucht hat?  Sehr wahrscheinlich nicht. Gerade in der Weihnachtszeit denke ich an solche Patienten zurück. Wie hart man in dieser Zeit den Abstand zu den anderen spüren muss. Der Oberarzt sieht das ganze nüchtern und findet, ich solle nicht so gefühlsduselig reagieren: ,,Können Sie etwa nicht nachvollziehen, dass sein Umfeld mittlerweile Muskelkater im Mittelfinger hat? Da können Sie nichts therapieren."

    Aber ich bin ja froh, dass der Oberarzt und ich nicht einer Meinung sein müssen :-) 
    Im ambulanten Umfeld ist mir bisher kein schizoider Patient mehr begegnet, auch viele Jahre später nicht.

    Bleibt gesund und haltet zusammen,

    LG

    Feature Foto: Emilio Sanchez/pexels  

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    *Dies ist eine kleine Serie über meine Ersterfahrung mit gewissen Störungsbildern aus meiner Klinikzeit, über die ich damals nicht so gerne sprechen wollte. Es sind Störungsbilder und Situationen, die viele beim Wunsch, Psycholog:in bzw. Therapeut:in zu werden, nicht so auf dem Schirm haben. Wenn du Psycholog:in werden willst, denk dran, dass du auch mal damit konfrontiert wirst und mit Patient:innen, die man nicht immer ,,heilen“ kann. Heilung ist auch nicht immer das Ziel. In regelmäßigen Abständen stelle ich euch meine Ersterfahrung mit Störungsbildern vor. Dabei beziehe ich auch mit ein, wie mir das (Fern)studium half. Die Patienten sind dabei oft ein Konglomerat aus verschiedenen Patienten.

     
  13. Vica

    KJP-Nebenjob
    Wir sind eine der vermutlich verrückten Arztpraxen, die zwischen den Jahren aufhaben 😁 Aber auch die Zeit davor war ganz schön krass. So viele kranke Kinder wie jetzt habe ich noch nie gesehen, die die Eltern zum psychologischen Gespräch bringen, das ja 50 Minuten geht. Easy ist das ja nicht gerade, man muss schon recht viel reden. Das ist wesentlich anstrengender, als eine Unterrichtsstunde in der Schule durchzuhalten, bei der man sich immerhin noch etwas zurückziehen kann. Es ist zwar ein Facharzttermin, aber dennoch wäre es leicht, Termine gerade abzusagen wegen einer Erkrankung des Kindes. Dafür wird kein Ausfallhonorar berechnet und das wissen die Eltern auch. Dennoch schleppen sich ganze Familien krank wie Bolle zu uns. Vor allem das Wartezimmer dürfte ein Viren- und Bazillenmutterschiff sein. 

    Aber auch generell habe ich selten so viele komische Sätze von Eltern gehört, wie jetzt im Dezember 🤐. Eine kuriose Auswahl: 
     
    Kind hustet, röchelt und hat fiebrige Augen. Elternteil: ,,Ups, das ist mir aber nicht aufgefallen. Naja, besser in den Ferien krank, als in der Schule." (das gilt dann vermutlich auch für das Praxispersonal) ,,Sie hat Fieber und war auch nicht in der Schule. Aber sie wollte halt unbedingt hierher."  NACH der Stunde mit dem Kind, wenn man die Eltern drauf anspricht, dass es dem Kind aber gar nicht gut ging: ,,Ja, stimmt, sie hat ganz doll Husten. Der Corona-Test war ja auch positiv heute morgen."  ,,Ich weiß nicht, warum wir hier sind. Mein Mann weiß es auch nicht. Die Ärzte konnten es uns auch nicht sagen?" ,,Ja, ich hätte ein Anliegen. Also mein Sohn ist ganz schlecht in Mathe, er hat eine 3. Das Gymnasium, das wir ausgesucht haben, sieht ganz gerne bessere Noten in den Hauptfächern. Also eine 2 bräuchten wir mindestens. Deswegen wollte ich fragen, ob Sie ihn so bearbeiten können, dass er eine 2 auf dem Zeugnis bekommt. Das wäre dann im Grunde alles an Anliegen."  ,,Können Sie nicht mal die Lehrerin anrufen und der sagen, dass wir nicht so schlimm sind?" ,,Wir haben die Matheaufgaben mitgebracht. Nr.5 und Nr.6 hat er nicht verstanden, ich leider auch nicht. Könnten Sie da nicht mal einen Blick draufwerfen?" Weder Kind, noch Mutter sprechen deutsch oder englisch. Förderhilfe bestellt Intelligenzdiagnostik bei uns, die ja ebenfalls auf Deutsch ist (!). Förderhilfe zum Ergebnis: ,,Pppuh, der ist aber ganz schön entwicklungsverzögert, oder?"  Elternteil über ein kontaktfreudiges, gesprächiges und zugewandtes Kind: ,,Mein Sohn ist Autist." - ,,Laut Diagnostik nicht. Das haben auch schon 5 andere Praxen so festgestellt?!"  - ,,Ich weiß, aber erstens ist er komisch und das kann nur davon kommen. Zweitens bräuchten wir den Fahrservice zur Schule umsonst, aber dafür benötigen wir die Diagnose."  Elternteil über fröhliches, kreatives und sozial gut angebundenes Kind: ,,Guten Tag, wir hätten gerne eine Depressions-Diagnose. Ich habe auch Depressionen und kenne mich bestens aus. Die Tabletten hätte ich zu Hause, die verschreibt mir mein Psychiater immer, die helfen gut. Wir brauchen aber noch eine Diagnose-Bestätigung, damit sie nicht sitzenbleibt." ,,Die uneingeschränkte Gymnasiums-Empfehlung für mein Kind freut uns natürlich, aber wir haben beschlossen, sie auf die Realschule zu schicken. Es ist die bessere Lösung, weil da gibt es um 13 Uhr Mittagessen. Ich habe leider keine Zeit, täglich zu kochen."  ,,Mein Sohn ist sehr seltsam und sehr speziell. Ständig kommen seine Freunde zu Besuch, und dann hat er sich noch diese seltsamen Hobbys gesucht: Fechten, Geigenunterricht und seit neuestem geht er auch noch ins Fittnessstudio. Und er hat jetzt schon nen Ferienjob für den Sommer klargemacht. Das ist doch nicht normal." - ,,Was wären denn normale Hobbys?" -,,Naja, nicht sowas jedenfalls. Fernsehen oder was man halt macht, wenn man nach Hause kommt."   
    So abgefahren das klingt, so gut ist es auch, dass die Eltern zu uns kommen. Wie mein Oberarzt immer sagte: "Wir sind zuständig!". Wäre das nicht so, könnte man nicht mehr an einigen Ansichten arbeiten. Man sieht aber, warum "Systemische" immer Sinn macht im Familien und Jugendkontext.
     
    Also: Lernt immer gut Systemische! Ich selber habe sie im Fernstudium etwas zu stiefmütterlich behandelt und musste daher quasi bei mir selbst nachsitzen zum Arbeitsbeginn 😁

    Bleibt gesund (haha, der war gut !) und haltet zusammen,
    LG

    Feature Foto:  Los_Muertos_Crew/pexel 
  14. Vica

    Erstkontakt
    *Herr S. ist brutal übermüdet, als er im Stuhl auf meinem Büro landet.  Man sieht es an den stark geröteten Augen, aber er ist auch motorisch unruhig, rutscht nervös im Stuhl hin und her, guckt sich immer wieder um und schielt misstrauisch zum Signalblinklicht des Rauchmelders. Mit Anfang 60 ist er ein relativ später Neu-Alkoholiker, zumindest für unsere Station, auf der viele in seinem Alter schon vor dem 15.Lebensjahr abhängig waren. 

    Seit ca. 6 Monaten hat er aber angefangen, von 0 auf 100 sehr große Mengen zu konsumieren. Das spricht meistens für einschneidende Erlebnisse, die man versucht, mit Alkohol zu kompensieren. 
    Seine Lebensumstände sprechen erstmal dagegen: Gut situiert, Unternehmer, Autos, Haus, Frau, keine Schulden, Kinder, Enkel. Eine absolute Ausnahme hier auf Station (die Pflege rät ihm schon, das besser nicht an die große Glocke zu hängen). 
    Wie er hierherkam? Er hat keinen blassen Schimmer.
    Er erinnert sich nur noch daran, dass seine Frau ihn gebeten hatte, den Tisch zu decken. Das gute Porzellan. Das habe er dann auch gemacht.
    Gedeckt hat er tatsächlich. Nur nicht zu Hause, sondern auf der Autobahn. Mitten in der Nacht. Mit imaginärem Geschirr und auch Gästen. Dass man da unbeschadet rauskommt, dazu brauch man dann eine ganze Armee von Schutzengeln.
    Die Story kann er nicht glauben. Aber was will man erwarten bei um die 4 Promille?

    Warum er neuerdings so viel trinkt? Zunächst druckst er ein wenig herum und verkauft Ausreden von wegen Stress usw. Erst als er merkt, dass ich interessiert zuhöre und nicht wertend bin, rückt er etwas näher und senkt geheimnisvoll die Stimme. Ich frage mich schon, was da wohl gleich kommt. 
    ,,Ich werde von einem Dämon verfolgt! Er kommt jede Nacht und es gibt kein Entkommen! Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll!"
    Geistesgegenwärtig nicke ich das ab und schiele nochmal in die Akte. "Fühlt sich von Monstern verfolgt" hat der Oberarzt da tatsächlich vermerkt. Von wahnhafter Psychose oder Schizophrenie steht da aber nicht - demnach soll ich das auch nicht explorieren. 
    Ich merke aber, dass es ihm unangenehm ist, darüber zu reden. Er habe es noch keinem gesagt, außer dem Oberarzt und jetzt mir. Seine Frau wisse es nicht und das solle auch erstmal so bleiben. Sie denkt, dass er eben manchmal Albträume hat. Aber so langsam nimmt er an, dass das nicht einfach ein Traum sei, denn er sei definitiv hellwach nachts. 
    ,,Seit wann sehen Sie den Dämon?" frage ich. 
    Schon ein halbes Jahr sei das so und fast jede Nacht, mindestens aber 4x in der Woche.  Er kommt ausschließlich nachts. Aber die Angst vor der Nacht hat auch den Tag komplett eingenommen. Vor allem, wenn es auf den Nachmittag zugeht, sei er oft schon voller Furcht. Nur mit Alkohol gelinge es ihm, die Ängste kurzzeitig zu lösen. 
    Wenn es geht, wolle er gar nicht mehr schlafen. In manchen Nächten versuche er, sich wachzuhalten. Das erklärt auch die Übermüdung. 

    Ich bitte ihn, mal eine typische Nacht mit dem Dämon zu schildern. Was er erzählt, klingt ziemlich scary:
    Er schlafe immer ganz normal ein, damit habe er gar keine Probleme. Irgendwann in der Nacht gehen seine Augen auf. Er kann alles sehen und ist seinem Empfinden nach wach. Das Seltsame ist: Er kann sich nicht bewegen. Sein ganzer Körper sei wie gelähmt. Er ist sich sicher, dass der Dämon ihn irgendwie verhext, damit er nicht weglaufen kann. 
    Dann kommt der Dämon durch die Tür. Er sei extrem hässlich, käme in Kutte und hätte verbrannte Haut. Herr S. wünscht sich, er könnte wenigstens den Blick abwenden. Aber das geht nicht. Er will schreien und sich bewegen, aber er hat keine Kontrolle über seinen Körper. Der Dämon käme immer näher und würde anfangen, ihn zu würgen. Herr S. bekommt keine Luft, Todesängste überkommen ihn. Er nimmt alles sehr genau wahr, die kalte Hand der Gestalt und den Schmerz des Würgens, sogar riechen kann er den Dämon. An Ammoniak würde der Geruch erinnern. Irgendwann ist der Spuk vorbei und er sitzt wach im Bett. Schweißgebadet. Manchmal ist es so arg, dass er aus dem Bett fällt. 

    Ich klopfe mal ein wenig seinen Medienkonsum ab: Horrorfilme schaut er nicht, er hätte früher mal Stephen King gelesen, aber nur die, in denen keine Aliens etc. vorkommen. Religiös ist er nicht, auch keine esoterischen Interessen, das sei "alles Unsinn", findet er. Definitiv sei das kein Albtraum, meint er, alles sei real, obwohl Schlafwandeln in der Familienanamnese auch angegeben wird. Was ihn selbst irritiert: Es ist halt immer derselbe Dämon. Bei Albträumen müsste es doch immer was anderes sein - das spricht doch dafür, dass irgendwas Übernatürliches hier passiert. 
    ,,Nicht unbedingt", meine ich. Und erkläre ihm ein wenig augenzwinkernd: Gerade wenn er nicht viele Horrorfilme schaut, vielleicht hat sein Gehirn dann ja nicht viele Modelle dafür, wie ein Dämon aussieht. 
    Das macht Sinn für ihn. 
    Trotzdem leidet er einfach immens darunter, immer wieder dieses Viech zu sehen. Dass es nicht real ist, das kann er annehmen. Aber das macht  es erstmal nicht besser. 

    Anfangs glaube ich immer noch an die Psychose. Das Thema Schlafstörungen hatte ich schon im (Fern)Studium und auch in den Seminaren. Aber die Tatsache der Lähmung irritiert mich. Das weicht deutlich ab. 
    In der Pause rufe ich mal auf der Neurologie an, denn ich habe dort einen Kumpel, der auch Neurologe ist. Er bringt mich zunächst auf den Begriff Narkolepsie und auch Kataplexie. Aber im Bezug auf den Nachtschlaf ist er sich sicher, dass es eines ist: 
    Schlafparalyse. 
    Bzw.: Schlaflähmung oder Schlafstarre. REM-Atonie. 

    Er erklärt: ,,Die Lähmung macht Sinn, damit wir bei Träumen nicht tatsächlich aufstehen und wegrennen. Manchmal passiert es aber, dass der Patient den Wachheitszustand erreicht und die Lähmung noch da ist. Das Bewusstsein ist voll da, nur der Körper ist bewegungsunfähig."
    Er plaudert weiter aus dem Nähkästchen, dass sehr viele Patienten das Gefühl hätten, nicht atmen zu können, obwohl das nicht stimmt. Für sie fühlt es sich aber real an. Sie erleben es so, als würden sie dann ersticken. Sie "träumten" dann, dass sie von jemandem erwürgt werden, aber auch: zu ertrinken, verschüttet zu werden, ins Weltall gesaugt zu werden und dort ohne Raumanzug herumzuschweben etc. Und: Sehr viele Patienten sehen Gestalten. Horrorfiguren, Gespenster, Einbrecher. Halluzinationen, optisch wie akustisch, sind sehr oft. Sie scheinen so eine Mixtur aus der Traumwelt und der sich einstellenden Panik zu sein. 

    In diesem Zuge hatte sich bei Herrn S. eine Angst- und Panikstörung entwickelt, die dann aber nicht so codiert wird: Denn es gibt ja einen realen Grund für die Sorge, etwa dieser Zustand. Glücklicherweise leiht uns die Neurologie den Kumpel aus und es ist möglich, mit Herrn S. eine Diagnose zu erstellen. 

    Das Ganze erleichtert Herrn S. sichtlich. Dass das auch anderen so geht. Er bekommt wichtige Tipps: Etwa sein Übergewicht abzubauen und - sofern möglich - auf gar keinen Fall auf dem Rücken zu schlafen (dafür gibt es spezielle Kissen). 

    Zu mir kamt Herr S. noch, weil wir den Alkoholkonsum als Lösung abbauen mussten. Außerdem überlegen wir, wie wir mit dieser Gestalt umgehen. Das mache ich ähnlich mit ihm, wie ich es auch später in der KJP machen werde:;
    - Wer ist die Gestalt eigentlich? Wer könnte das sein? Er darf seine Fantasie spielen lassen (wir kommen drauf, dass das ja eine ganz arme Socke sein muss. Einfach so nachts bei anderen Leuten einzudringen und diese zu würgen)
    - Die Gestalt bekommt einen Namen, möglichst was ziemlich, naja, menschliches: Bertha, Günther, etc. 
    - Warum fürchtet man sie eigentlich? Kann man auf die nicht auch wütend reagieren? Denn immerhin dringt die ja in Ihr Haus ein etc.
    - Ein alter Trick ist auch, sich solche Viecher in alberner Unterwäsche vorzustellen. 
    - Außerdem kann man versuchen, währenddessen durchaus auch an schöne oder alltägliche Dinge zu denken, sich an Vokabeln zu erinnern, kleine Rechenaufgaben zu machen, um die Panik zu durchbrechen. 

    Jahre später habe ich übrigens recht viele Patienten, die Schlafparalyse angeben. Vor allem in der KJP kommt das  Thema sehr oft vor. Bei manchen ist es auch ein einmaliges Erlebnis, nicht jeder hat sie regelmäßig. Auch viele meiner Bekannten und Verwandten geben an, dass sie dieses Phänomen schon hatten und es sich extrem belastend für sie anfühlt. 

    Ein Tipp vom Neurologen: Der kleine Finger oder Zeh, manchmal auch die ganze Hand oder Fuß, kann man während der Paralyse oft bewegen. Durch das Bewegen erwacht der Körper dann komplett. 
     
    Ich empfinde die Schlafparalyse ehrlich gesagt noch heute als ziemlich heftige Angelegenheit. Definitiv ernst zu nehmen und abzugrenzen von einfachen Albträumen, Schlafwandelei etc. 

    Bleibst gesund und haltet zusammen,
    LG

    Feature Foto: Elina_Araja/pexel 

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    *Dies ist eine kleine Serie über meine Ersterfahrung mit gewissen Störungsbildern aus meiner Klinikzeit, über die ich damals nicht so gerne sprechen wollte. Es sind Störungsbilder und Situationen, die viele beim Wunsch, Psycholog:in bzw. Therapeut:in zu werden, nicht so auf dem Schirm haben. Wenn du Psycholog:in werden willst, denk dran, dass du auch mal damit konfrontiert wirst und mit Patient:innen, die man nicht immer ,,heilen“ kann. Heilung ist auch nicht immer das Ziel. In regelmäßigen Abständen stelle ich euch meine Ersterfahrung mit Störungsbildern vor. Dabei beziehe ich auch mit ein, wie mir das (Fern)studium half. Die Patienten sind dabei oft ein Konglomerat aus verschiedenen Patienten.
     
  15. Vica
    Würde ich nochmal Psychologie studieren? 
    Das Psychologiestudium war für mich ein wenig wie eine Heldenreise - man geht als völlig unbeschriebenes Blatt hin und kommt zernarbt in Rüstung zurück und hat einen völlig anderen Blickwinkel auf das Leben. Es hat mir die Sicht auf vorher als selbstverständlich wahrgenommene Dinge geöffnet, die vielen Menschen in ihrem Leben so immer verborgen bleiben werden. Vor allem war es eine Ressource für Inspiration, Kreatives und Wachstum - alle Dinge entwickelten sich gleichzeitig und nebeneinander her, griffen aber auch ineinander. Es ist nicht, wie viele immer denken, dass etwas an der Empathie verändert wird - daran hakte es bei mir nicht. Aber die mit dem Studium verbundene Empirie war letztlich auch eine Möglichkeit, einen rationaleren Blick auf viele Sachverhalten zu haben und nicht zu urteilen. Das war mir auch in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichern sehr hilfreich. Außerdem lernte man auch, Kompromisse zu machen und sich mal unterzuordnen, sich mit seinen ungefragten Ratschlägen zurückzahlten und nicht nur seine Sicht der Dinge durchzuklopfen. Psychologie wird NIE als Alleingang funktionieren, ohne mit anderen Menschen zu kommunizieren und auch deren Bedürfnisse zu sehen. 

    Unsere Dozenten waren nicht einfach nur Tutoren, sondern richtige Mentoren, die Leidenschaft für ihr Fachgebiet hatten und uns damit ansteckten. Blind konnte man jede Buchempfehlung nachkaufen, und wenn die Dozenten selbst Bücher geschrieben hatten, hatte man es natürlich vor dem Ende des Semesters gelesen. Für mich sind die Dozenten noch heute Vorbilder; sowohl meine englischen von der OU, die man damals noch in Frankfurt zum Debatten-Austausch treffen konnte, obwohl dazu fast alle durch halb Deutschland reisen mussten, als auch die späteren Profs. Noch heute frage mich oft: "Was für Prof XY tun?". Das Zusammentreffen mit diesen Kommilitonen habe ich als besonders wertvollen Austausch in Erinnerung. Überhaupt waren Kommilitonen damals noch richtig enge Strukturen. So weit, wie man das zulassen wollte natürlich. 
    Natürlich ist man nicht immer im Gleichklang mit Dozenten. Und die Enttäuschung, wenn es schlechte Noten gab und man das gar nicht glauben konnte, so dass man extra zur Klausureinsicht gefahren ist. Um dann festzustellen, dass man wirklich so schlecht war. Mitunter schmerzliche Erfahrungen waren das, aber sie waren hilfreich im Bezug darauf, dass man sich auch irren kann. Und muss. Die Einsicht in die eigene Fehlbarkeit ist eine der wichtigsten Dinge im Leben, die man lernen kann. Wer das aushält, der ist für vieles gewappnet. 

    Das Psychologiestudium lehrte aber auch, dass alles zwei Seiten hat: Einerseits die Störungsbilder mit psychischen Erkrankungen, andererseits aber was Gesundheit bedeutet, und mit welcher Methodik man daran arbeitet, sie herzustellen. Auf diese Weise wird einem klar, was für ein fragiles, wertvolles Gut Gesundheit ist und wie wichtig im Leben Dinge wie Achtsamkeit, Dankbarkeit und ein Bewusstsein dafür ist, dass nichts wirklich selbstverständlich ist. Im psychologischen Alltag wird man dazu gezwungen, kreativ, innovativ und gleichzeitig auch logisch Probleme unter hohem Druck zu lösen. Die Verbindung dieser 3 Kernpunkte ist einer der Hauptpunkte, die diese Arbeit so spannend machen. Tagtäglich neue Herausforderungen - und manchmal erreicht man nicht den Weg, den man einschlagen will. Entweder weil das Team, der Chefarzt oder falsche Ansatz dir einen Strich durch die Rechnung machen. Hier hilft mir die Einsicht in die Fehlbarkeit, die ich im Studium gelernt habe. 

    Damals war ich so stolz auf meine Uni + die Hochschule, dass ich Tassen und Sweater bestellt und sie im Alltag durch die Gegend trug. Lange Jahre hingen Bachelor und Master an meiner Wand. Von meinen Kommilitonen erhalte ich noch heute Weihnachtskarten. Die Studiengebühren waren immens. Aber die habe ich ,,gerne" gezahlt, finanziert durch Studijobs in denen man wiederum andere Studenten traf. Diese Jobs waren nicht die Welt - Regale in der Drogerie einräumen, kellnern, Kaffeekochen etc. Zu mehr reichte die Zeit ja nicht, aber sie reichten aus, um das Studium zu tragen. Auch hier lernte man unheimlich viel fürs Leben. Wer zum Beispiel einmal in der Nachtschicht von Samstag auf Sonntag die Toilette bei Mäckes reinigen darf, lernt das Putzen mal aus einer anderen Perspektive als bei Muttern zu Hause 😀  

    War es deswegen eine Freude, sich jedes Mal an die Lernsachen zu setzen? Mit Sicherheit nicht. Klar lernt man was Neues und mit der Zeit hat man das Gefühl, einem wächst ein zweiter Kopf. Es war zum Teil auch ein Kampf gegen Selbstzweifel, Sorge und vor allem: Wenig Streit. Ein ständiger Struggle Privatzeit vs. Studienzeit. Oft habe ich gedacht: Hoffentlich ist es bald zu Ende. Und das war wichtig, denn davon zehrt ein Studium, dessen Inhalte man schnell ins Berufsleben umsetzen will. 

    In einer Zeit, in der einige ihre Hochschule nun als Quelle für Beschwerden sehen, merke ich generell, wie mir das Verständnis abgeht. Man bucht, statt sich  rückzumelden. Man ist Kunde, statt Student. Zur Einschreibung gibt's: Tablets, Handys, Rabatte oder je nachdem auch mal ein Auto. Klar, es hat Vorteile: Im Prinzip könnte man sagen, bietet man seinen Studis tatsächlich etwas an. Dafür ist mein Eindruck aber auch, dass die Ansprüche grenzenlos gewachsen sind. Und leider so viel unfassbar Pessimistisches daraus erwächst: Ich sehe viele Themen, die sich nicht mit spannenden Inhalten auseinandersetzen, sondern nur noch den ewigen Kampf gegen Dozenten, Hochschule, Qualisicherung etc. Etwas, das sich immer und immer wieder wiederholt und offenbar kein Ende mehr nimmt.
    Der Kreis wird dabei nicht durchbrochen, denn trotz Alternativen bleiben manche dort, wo man am Unglücklichsten ist. 
    Das ist schade. 
    Gerade diese ewige Wiederkehr der immer gleichen Querelen macht aber leider etwas mit mir als Leser und ich muss mich manchmal echt fragen, wie ich damit so umgehen will. Aber vielleicht müssen auch lediglich die Zufriedenen etwas lauter werden. Eigen kleinen Beitrag dazu wollte ich leisten. 🌈
     
    Ich wünsche allen: Eine schöne Studienzeit, spannende Herausforderungen, interessante Aspekte und Mentoren :-)

    LG

    Feature Foto: Pixabay 
  16. Vica

    Alumna - Dasein
    Jedes Jahr im November ist Jahrestag meines Masterabschlusses. Dieses Jahr sogar schon der dritte. An jenem Master-Kolloquiumsmorgen im November 2020 war es ein unglaubliches Gefühl, nach insgesamt 6 Jahren einen Haken hinter das Psychologiestudium setzen zu können 😁. Ein bisschen Gelingdruck gab es ja damals auch, schließlich hatte ich meine erste Stelle als Psychologin schon, ebenso wie den Vertrag mit dem Ausbildungsinstitut - und die standen natürlich unter der Prämisse, dass das mit Master auch klappt.  
    Es klappte auch, und der Rest des Lebens konnte beginnen. Mit etwas Pathos gesagt. 

    Tja, nun sind ein paar Jahre ins Land gezogen. Zwischenzeitlich habe ich die superschicke Bachelor- und nicht ganz so schmucke Masterurkunde längst wieder abgehängt und ihnen ein neues Zuhause zwischen den Ordnern für die Steuer beschert. Eine Weile, vor allem am Anfang des Weges, haben sie mich voller Stolz daran erinnert, was möglich ist. Heutzutage muss ich sagen, dass beruflich mittlerweile andere Zwischenziele erreicht habe, von denen ich nun etwas mehr zehre: Etwa meine beiden Klinikjahre. Spontan würde ich lieber zweimal hintereinander bei den Hunger Games mitmachen, als das zu wiederholen 😐. Aber bereuen tue ich es auch nicht, denn es geschafft zu haben, verleiht mir Rückendeckung und in gewissen Dingen auch Chuzpe, welchen ich vorher nicht hatte 😄. Außerdem schaden solche Erfahrungen ganz und gar nicht, unter schwierigen Bedingungen einen Weg für sich gefunden zu haben. Vor allem die diagnostischen und medizinischen Erfahrungen dort sind unendlich kostbar und ein großer Vorteil gegenüber anderen Kollegen, wie ich immer wieder merke. 

    Aber kurzum, hat mir der Master gebracht, was ich wollte?

    Das ist klar wie Kloßbrühe, zumal er der Türöffner für die Weiterbildung war. Bei Bewerbungen um Psychologenstellen (egal, in welchem Bereich) benötige ich den Master natürlich noch immer. Dass der Master eine klinische Ausrichtung hat, ist für die Stellen in Kliniken und Praxen natürlich ein Vorteil. Aber dort werden z.B. auch Psychologen mit Gesundheits- oder Pädagogik-Master eingestellt. Auch in Forschungsteams ins das so. Wer klinisch arbeiten möchte, kann das also durchaus auch mit seinem nicht-klinischen Master versuchen. Der Bachelor im Fach Psychologie ist bei diesen Bewerbungen übrigens nur noch Kosmetik, bei der Einstellung wird er nicht mehr verlangt (nur das beglaubigte Masterzeugnis). 
    Der Bachelor wird allerdings von meinem Ausbildungsinstitut noch verlangt und auch das Landesprüfungsamt hat ihn einer Äquivalenzprüfung unterzogen, obwohl nur der klinische Master im Endeffekt ausschlaggebend ist (nicht jeder PPler hat einen Psychologie-Bachelor). 

    Besonders überraschend finde ich auch heute noch die allgemeine Wertschätzung für diesen Abschluss, auch bei den Chef- und Oberärzt:innen bzw. generell den leistungsorientierten Kolleg:innen.
    Das Ganze war so vorurteilsfrei und voller Anerkennung, dass ich es kaum glauben kann. Dabei interessiert man sich vor allem dafür, wie man das denn mit Kindern, über die Entfernung und mit Job so wuppen kann, ohne direkte Kollegen. Ganz besonders viel Interesse an der Stelle erzeugt da der Bachelor aus England. Ich selber hänge das übrigens gar nicht so gerne an die große Glocke. Zu groß nach wie vor die Sorge vor Vorurteilen 😶Aber wie eine Kollegin neulich meinte: Leider gaslighted man sich hier selbst ziemlich. 

    Und die Zweifler? Die, die genau wissen, dass mit einem (Fern)Studium ja nichts erreicht werden kann? Geben sie Ruhe, wenn man mit einem Abschluss plötzlich doch einen Job mit viel Verantwortung in guter Position erhält?  Natürlich nicht. Die eine Hälfte tut so, als hätte sie nie was gesagt. Die andere Hälfte betreibt so eine Art "Abwertungs-Verlagerung": Es gibt seltsamerweise Mitleid für Dinge, die eigentlich toll oder völlig normal sind. "Och Gott, du leitest ein Team? Du Ärmste."; ,,Och, nur 10 Minuten von zu Hause weg der Arbeitsplatz? Du Ärmste.", etc. 
    Das Medium ist hier egal: Die negative  Sicht ist die Problematik. 🙃 

    Aber es gibt auch andere Veränderungen. In den 3 Jahren hat sich eine Menge verändert. Mittlerweile ist für viele dieser Art Weg zum PP verschlossen; die neuen Direktstudiengänge wurden eingeführt.  Viel hat sich getan. Die heutigen Direktstudenten, die ich kenne, können sie unseren Master gar nicht mehr gut vorstellen. 

    Und ansonsten? In meinem Umfeld mache ich das Berufliche generell wenig zum Thema, über Abschlüsse wird hier natürlich nicht gesprochen. Dafür sind Arbeitskollegen und Weggefährten da. Die Freizeit gehört der Family und den Hobbies. Darum sind wir auch nicht für unsere Berufe bekannte, sondern für unsere spektakulären Kinder-Parties 😁. Die meisten Nicht-Arbeitskollegen in meinem Umfeld denken, dass ich entweder Künstlerin oder Kinderbuchautorin bin. Über den echten Job sind sie dann meistens erstaunt. Den Schluss finde ich interessant - aber für mich ist das okay so. Immerhin scheine ich weniger den üblichen Klischees zu entsprechen  😁

    Bleibt gesund und haltet zusammen,

    LG

    Feature Foto: The Lazy Artist Gallery/pexel.com
  17. Vica
    Passend zu Halloween heute eine interessante Beobachtung aus der KiJu-Psychiatrie über ein Störungsbild, das jüngere Kinder extrem stark belastet und von den Eltern häufig bagatellisiert wird. Ich hatte das große Glück, dass im Fernstudium darauf eingegangen wurde. Ich glaube aber nicht, dass das die Norm ist. 

    Gibt es denn eine Störung, bei der Kinder im Vor- und Grundschulalter am liebsten selbst einen Termin in unserer Kinderpsychiatrie ausmachen würden, wenn sie könnten (statt, wie sonst, von den Eltern eher gegen ihren Willen gebracht zu werden)? 
    Eindeutig ja, denn viele haben eine extreme Angst vor Monstern, Geistern und Gespenstern in der Nacht, die sie kaum schlafen lässt und manchmal zu echten Schlafdefiziten führen kann. Die wiederum führen dazu, dass sie in der Kita oder in der Schule und im sozialen Miteinander in Probleme kommen, da sie oft erschöpft und überreizt sind, womit viele Untersucher beim Verdacht auf ADHS sind. Die Problemlösekompetenzen sind mit Müdigkeit auch nicht mehr die besten, darum kann ein Kind schneller zuschlagen oder sich umgekehrt schneller vermöbeln lassen. Auch kann es zu Einnässen kommen. 

    Man kann sie sogar als eigene Erkrankung codieren, wenn sie sehr ausgeprägt ist: 
    F93.1 Phobische Störung des Kindesalters

    Wer kommt denn zum ungebetenen Besuch?
    Ungeheuer sämtlicher Varianten sind ganz schön gewitzt. Sie warten natürlich immer, bis die Erwachsenen weg sind und kommt dann heraus: Aus dem Schrank, vom Dachboden, Keller, dem Erdboden, manche gehen durch Wände, manche kommen aus anderen Dimensionen. Wiederum andere Spukgestalten kommen von außen ins Haus, wenn die Erwachsenen schlafen. Die Kinder sind dann überzeugt, dass sie den Geist die Treppe hochkommen hören. Stufe für Stufe. Manche wohnen auch in Häusern, die solche Überzeugungen stärken, in dem sie recht geräuschevoll sind: Die Fensterläden ächzen, der Wind heult, das Holz knarzt, die Mäuse tippeln auf dem Dachboden. Das Monster verwischt alle Spuren.
    Es gibt das aber auch in anderer Ausführung: Einige Monster sind in der Toilette versteckt und warten darauf, zuzubeißen, sobald ein Kind draufsitzt. Folglich wird die Toilette gemieden. Es wird lieber nochmal nach einer Windel gefragt. Den Grund möchte das Kind nicht sagen. Viele Monster verbieten dem Kind ja auch, darüber zu reden. Eltern denken dann oft unnötigerweise in die Richtung, dass das Kind Entwicklungsschritte rückwärts macht.  Auch Außerirdische, die versuchen, das Kind nachts zu entführen, sind weit verbreitet. Bei religiösen Kindern ist es mehr Furcht vor dem Teufel, der sich nachts meldet, aber auch Angst vor Engelserscheinungen oder Angst vor dem Erscheinen verstorbener Verwandte gehören dazu. 

    Verständnis gibt's nicht immer.
    Manche Kinder flüchten nachts ins Elternbett. Dennoch werden die Ängste oft abgetan mit "Monster gibt's doch gar nicht!", was nur dazu führt, dass die Kids sich unverstanden fühlen, denn die Angst bleibt. Einige werden nachts auch wieder zurückgeschickt. Am nächsten Tag bekommt man dann auch ein Fernseh- oder Medienverbot reingedrückt, daran muss es nach Auffassung mancher Eltern liegen (ist aber Quatsch mit Soße und führt wohl kaum dazu, dass ein Kind sich öffnen kann). 
    Interessanterweise nehmen einige erwachsenen Kinder die verweigerte Hilfe damals ihren Eltern heute noch krumm. Fast alle meine  (erwachsenen) Ambulanz-Patienten berichten dies. 

    Ich kann mich daran erinnern, dass ich diese Spukängste in der Nacht als Kind auch hatte. Ein uraltes Haus aus dem 18.Jahrhundert kann sich nachts auf dem Dorf in ein Spukschloss verwandeln. Gleichzeitig war da eine gewisse Scham vor dem Problem.

    Was mache ich mit den Kids?
    Validieren: Ich versetze mich in seine Lage. Es muss fürchterlich anstrengend sein, die Nacht so zu bewältigen, statt in Ruhe zu schlafen. Und dass mir das sehr leid tut. Oft tritt an dieser Stelle schon die erste Besserung ein: Das Thema wird endtabuisiert.  Im Narrativ bleiben: Ich möchte wissen, wie das Kind sich das Monster vorstellt. Ist es männlich oder weiblich? Welche Farbe hat es, was macht es so bei Tageslicht? Wo schläft es, wo wohnt es, wie kam es in diese Welt, wann hat es angefangen? Welche Geräusche usw. nutzt es, um das Kind zu erschrecken?  Das Monster bekommt einen Charakter: Wir malen das Monster zusammen und es bekommt einen Namen manche Monster haben bereits Namen).  Sokratischer Dialog: Ich möchte dann gerne (interessiert!) wissen, warum das Monster bei dem Kind eingezogen ist. Ich frage das Kind auch, warum es denkt, dass das Monster nur zu diesem Kind kommt - aber nicht z.B. zu den Geschwistern, Eltern, Freunden. Kann es sein, dass das Monster irgendwie einsam ist? Denn es könnte ja nachts schlafen. Das muss doch furchtbar anstrengend sein, jede Nacht diese Spukshow zu machen? Hat das Monster vielleicht Probleme in der Schule, wird es von anderen nicht so anerkannt? Könnte das Monster vielleicht versuchen, auf diese (blöde) Weise, Kontakt aufzunehmen? Das Monster flößt ja nur Angst ein, aber es schadet dem Kind nie - kann das bedeuten, dass es vielleicht gar nicht schaden will? Welche guten Seiten hat das Monster im Alltag? Was müsste es tun, damit man es mag? Helferfigur: Falls das Monster aber bitterböse ist, implementieren wir eine Helferfigur, vor der das Monster selbst Angst hat. Z.B. ein Spiderman-Poster aufhängen, den mag es nämlich gar nicht. Oder aber sich das Monster z.B. in Herzchen-Unterhosen vorzustellen. Schmusetiere wie Teddys können auch als Wache vor der Tür oder in den Schrank oder ans Fenster gesetzt werden etc.   Akzeptanz: Wir sprechen auch ein wenig über das Gefühl Angst und dass Angst eine normale Empfindung ist, die den Menschen auch hilft. Denn die Nacht, die ist ja wirklich ein bisschen gefährlicher als der Tag. Ich will auch wissen, ob sie sich auch schonmal geirrt haben, z.B. bei Schatten, die ja oft total ähnlich aussehen können.  Rollenspiel: Ich spiele (verkleidet) das Monster, das Kind kann mich alles fragen, oder auch verbannen, bestrafen, therapieren...whatever. Viele Kinder wollen selbst in die Rolle des Monsters schlüpfen :D.   Für Zuhause empfehle ich oft die Monster AG oder Monster Uni von Disney (nicht selten ein ziemlicher Game Changer) oder Lektüre wie "Das kleine Gespenst", "Die kleine HExe" etc. Aber auch explizit Geschichten mit Gruselgestalten und mutigen Kindern, die sich selbst zu helfen wissen, z.B. Ronja Räubertochter, Harry Potter, Merida usw. Es gibt auch schöne Brettspiele mit eher positiv besetzen Gruselgestalten (Das verrückte Labyrinth, Schnappt Hubi, Geistes Blitz, Hubi). Kindgerechte Halloweenpartys sind ebenfalls eine tolle Gelegenheit, Dämonen, Geistern und Hexen eher positiv zu begegnen und mal in deren Rollen zu schlüpfen.  Elternschule: Ich mache auch separate Elterntermine, um zu erklären, dass vor allem kleinere Kinder nicht zwischen Realität und Wirklichkeit unterscheiden können und ihre Angst kein Versagen ist, weder beim Kind noch bei ihnen wegen schlechter Medienkontrolle usw. Ich erkläre auch die Ursachen von Angst, dass das eine normale Emotion ist und wie sie die obigen Schritte ganz leicht selbst durchführen können (insgesamt ist das leider der schwierigste Part und auch, der am wenigsten umgesetzt wird).  Schlussendlich: Zeit und Geduld!   
    Nicht immer, aber manchmal treten diese Ängste als Stellvertreter-Angst bei Traumata, Trennung, Streits, wichtigen Entwicklungsschritten (Schulwechsel usw.), Verlust/Tod auf. Das müssen wir immer mit beachten und mit behandeln. Denn hier kann es sonst zu einer Angstverschiebung kommen: Hat man dann die Nachtängste behandelt, treten auf einmal Zwänge oder soziale Ängste auf. 
    Aber das ist glücklicherweise nicht oft der Fall. 

    Kleiner Fact am Rande: Alle oben erwähnten Ängste gibt's NATRÜLICH auch im Erwachsenenalter und zwar häufiger, als ihr denkt. Aber das ist eine andere Geschichte :-). 

    In diesem Sinne: Fröhliches Halloween! 

    Bleibt gesund und haltet zusammen,
    LG

    Feature Foto: Jan_Van_Bizar/pexel.com

     
  18. Vica

    Theorie-Ausbildung
    Nach fast 3 Jahren und über 40 Seminaren sowie 600 Theoriestunden kann ich freudig verkünden: An diesen Ausbildungs-Baustein kann ich nun ebenfalls einen Haken machen. 
    Mit anderen Worten: Das war's mit dem theoretischen Teil der Ausbildung. 
    Und das bedeutet nicht nur, der großen Staatsprüfung immer näher zu kommen, sondern auch, dass unheimlich viele zeitliche und finanzielle Kapazitäten frei werden. 

    Denn ich muss nun weder für ein Wochenende regelmäßig zum Institut (150 km) pendeln, noch an Zoom-Veranstaltungen teilnehmen. Letztere wurden Ende 2021 ohnehin fast komplett wieder abgeschafft. 

    Anders als bei den 2 Klinikjahren blicke ich trotz der ganzen Anstrengung - physisch wie psychisch - doch etwas wehmütig zurück. Denn es waren unfassbar intensive und wesensverändernde 3 Jahre. Ich habe viel gelernt über Störungsbilder, Interventionen und im Endeffekt auch über mich selbst. Ich würde sagen, dass ich heute ein komplett anderer Typ bin.
    Vor allem aber bekam ich Kontakte und Vernetzung und auch Berührungspunkte zu psychotherapeutischen Stars. Gute Freunde und Bekannte habe ich ebenfalls gefunden. Sogar meine Familie kennt sie mittlerweile sehr gut. 

    Nicht nur unsere 3 Institutsambulanzen werde ich vermissen. Sondern auch Dinge aus dem zwischenmenschlichen Bereich:


    Das Hotel mit dem Kinobildschirm (kommt hier nicht so gut rüber)
    Hier fing es vor gut 3 Jahren im Dezember 2020 an. Ins Hotel durfte man aufgrund der damaligen Pandemiemaßnahmen nur, wenn man einen sehr guten Grund für eine Geschäftsreise nachweisen konnte, die irgendwie mit Systemrelevanz zu tun hatte. Deswegen war ich damals auch nur 1 von einer Handvoll Gäste, als alles startete. Mitarbeiter gab es gar nicht, der Check-in & out fand über Telefon statt. Später fuhr der Gastronomiebetrieb natürlich wieder hoch. Nimmt man immer dasselbe Hotel, wird es irgendwie heimisch mit der Zeit. 



    Frühstück
    Anfangs waren Hotel-Bars und Restaurants natürlich noch geschlossen, so dass ich mich mit meinen Mitstreitern traf und wird durch die unbekannte Großstadt tuckerten, um irgendwo eine Bäckerei zu finden, in der man Frühstück to-go mitbekam. Später fand das Hotelfrühstück wieder statt und war so eine Bereicherung vorm Seminar, dass wir uns mitunter vor der Reise drauf freuten. Es hielt teilweise bis zum Abend der Abreise vor. 



    Die Abende nach dem ersten Seminartag
    Der erste Seminartag ist immer der anstrengendste, wenn er um ca. 20 Uhr zu Ende ist. Also ging es in Gruppen stets nochmal zur Gastronomie. Das hob jedes Mal die Stimmung und man ging zumindest nicht hungrig ins Bett. 😁

    Chillen in Bordrestraurant
    Sich mit ebenfalls pendelnden Mitstreitern im Bordrestaurant treffen und gemütlich die 150km-Fahrt mit Kaffee und Kuchen hinter sich bringen war immer eine phantastische Art und Weise, die Reise zu starten. Manchmal sind wir so auch wieder zurückgefahren. 


    Und natürlich darf ein persönliche Hitliste nicht fehlen:
     
    Bestes Seminar (Präsenz): Für mich ein Seminar über Essstörungen, weil die Dozentin so begeistert aus dem Berufsalltag plauderte. Sie hat es geschafft, dass man ahnungslos in das Seminar ging und sich hinterher super gut zutraute, auf so einer Station zu arbeiten. Dass an dem Tag die Flipchart auseinander fiel und der apfel für die Präsentationen einfach starb hielt sie nicht auf. Ansonsten eins zu Suizidalität&Krisenintervention aus demselben Grund.  Bestes Seminar (Zoom): Ein Seminar zum Thema "Ausscheidungsstörungen". Hier passte alles: Die virtuelle Arbeitsumgebung via gather.town, die mir totales Secret-of-Mana-Feeling gab, bis hin zur Tasse der Dozentin, die der Poo-Smiley aus WhatsApp war. Einfach superb! Ebenfalls toll: Das zu Mutismus. Das einzige Seminar, in welchem es erlaubt war, im Chat zu schreiben, statt nur Wortmeldungen zu machen. Schlechtestes Seminar: Eines via Zoom, in welchem die Dozentin inklusive cringer Schauspieleinlage einen Live-Nervenzusammenbruch bekam. Eines zum Thema Autismus, in welchem ein Chefarzt mit Hintergrunddienst in der Klinik von seinem Hinterzimmer aus sendete und permanent auf Station gerufen wurde. Der hatte so wenig Lust und lästerte so viel über Patienten, es grenzte an Arbeitsverweigerung. 
    Und jetzt?
    Geht's weiter mit dem letzten Baustein der Lehrpraxis, also den Behandlungsstunden. Auch hier müssen 600 zusammenkommen. Ich freue mich über viele freie Wochenenden. 

    Bleibt gesund und haltet zusammen,
    LG

    Feature Foto:
    100_files/pexels.com 

    Hochgelandene Bilder:
    Privat
     
     
  19. Vica

    Psychotherapie Ausbildung
    Vor ca.6 Jahren gehörte unser Studiengang zu einer Art Testballon und war Pionierarbeit auf dem Weg in die PP-Ausbildung. Fast alle wollten mit dem klinischen Master in die Ausbildung, kaum einer (nicht mal eine Hand voll) wollte andere Wege gehen. 
    Es ergaben sich auch für alle, die wollten, Institutsplätze. 

    Seitdem ist aber einige Zeit vergangen - sind alle noch am Start?

    Tatsächlich habe ich mit einigen gesprochen, die abgebrochen haben und andere Wege gegangen sind. Es ist schwer zu sagen, wie viele genau, da man nicht zu jedem einen Kontakt hinkriegt. Grob geschätzt scheint aber nur ein knappes Drittel dabeigeblieben zu sein. 

    Schwierigkeiten, die zum Abbrechen geführt haben und genannt wurden, waren diese:
    Seminare neben dem Berufsleben nervig Psychologenstelle auf Station ausreichend Selbstständigkeit als Heilpraktiker ausreichend  Therapeutisch arbeiten war doch nicht das Wahre  Genervt vom Gesundheitswesen/komplett umgesattelt  Schwierigkeiten in jeder Stelle: Oft gewechselt, aber überall Struggle mit dem Team/Wenig Anerkennung/Verheizt ohne Anleitung usw.  Ärger mit Anerkennungen irgendwelcher Stunden und Leistungen  Genervt/frustriert von Stellensuche für PT1  Ausbildung insgesamt zu anstrengend/wenig Freizeit  Finanzielle Einbußen durch die Ausbildung, vor allem in der Ambulanzzeit (bei jungen Ausbildungsteilnehmern wird die Finanzlücke hier oft durch die Eltern geschlossen)
    Nur die absoluten Hardliner sind dabeigeblieben. 
    Davon machen fast alle Verhaltenstherapie, nur 2 Tiefenpsychologie (obwohl das Interesse an letzterer damals im Studienkurs durchaus höher war). Andere Therapieschulen habe ich nicht entdeckt. Damals wurde uns auch die systemische Therapie sehr angeraten und wir hatten interessante Kurse dazu. 
    Die Doppelapprobation oder Zusatzquali KJP machen nur 3. 
    Die meisten scheinen in der Reha oder auf allgemeinpsychiatrischen Stationen untergekommen zu sein. Danach kämen Geronto und Sucht, dann Depressionsstationen (das sind interessanterweise auch die Rangfolgen bei uns im PP-Ausbildungskurs). 

    Schön zu sehen ist, wie Leute dabeigeblieben sind, denen es damals gar nicht sonderlich zugetraut wurde. Und wie diese sich im Laufe der Zeit verändert haben. 😄

    Was treibt die Leute an, die am Ball bleiben?
    Meinem subjektiven Gefühl nach ist es so, dass viele ziemlich konkret wissen, was sie mit der Approbation machen wollen. Einige Beispiele:
    Selbstständigkeit in eigener Praxis (Keine Träumereien, Gespräche mit Bank haben u.a. schon stattgefunden) Partner in Praxis, Angebote gibt's schon (natürlich meist aus der Lehrpraxis) Erstmal angestellt in Praxis bleiben und abwarten, bis irgendwo Kassensitz zum Kauf frei wird  Irgendwelche interessanten Selbstständigkeitsideen, die tatsächlich Nischen füllen  Vertiefungsgebiet/Patientengruppe steht bereits fest Können im alten Job bleiben, würden danach aber Stationsleitung etc. werden  Werden Praxis der Mutter/des Vaters und dessen Kassensitz übernehmen 
    etc. 
      Ungesagte Gründe für Abbrüche: Ich persönlich habe den Eindruck, dass die Ausbildung manche antriggert. Als besonders "belastende" Seminare wurden nämlich die  Selbsterfahrungen genannt. Also da, wo man sich sehr viel mit seinen eigenen Dämonen auseinandersetzen muss. 
    Auch generell muss man wissen, das man natürlich viel psychisches Leid sieht und ggf. auch erfährt, bspw. durch Suizide auf Stationen, diverse Persönlichkeitsstörungen mit Nähe-Distanz-Störungen oder auch auf den geschlossenen Stationen. Und natürlich durch die permanente Beschäftigung mit den Störungsbildern selbst. 

    Das sind alles Dinge, die helfen können, sich für/gegen eine Ausbildung zu entscheiden - ob nun alter oder neuer Weg.

    Bleibt gesund & haltet zusammen,
    LG 

    Feature Foto: Cameron_Readius
     
  20. Vica

    KJP-Nebenjob
    Während meiner Klinikjahre hatte ich einige Male mit KJPs zu tun, die in die ausbildungstechnisch in die Erwachsenen-Psychotherapie gewechselt haben. Ich tat mich schwer damit, das nachzuvollziehen und hakte natürlich nach. Die Antworten waren immer dieselben: Die Arbeit mit den Kindern ist schön, natürlich ist es nicht unattraktiv, sich ihnen spielerisch oder kreativ anzunähern, erst recht, wenn man ein Typ mit gutem Patientenzugang ist. Doch die (Zusammen)Arbeit mit den Eltern hätte sich so schwierig gestaltet, dass sie von dem Berufsbild Abstand nahmen. Sofort kam mir in den Sinn, dass ich auch Lehrer und Erzieher im Freundeskreis habe, die mit derselben Begründung umgeschult haben. 
    Als unbeschriebenes Blatt in der Hinsicht konnte ich mir nicht vorstellen, dass das so schwierig werden würde. Tatsächlich merke ich hier in der KJP aber auch, dass schwierige Elternsituationen die Arbeit mit dem Kind komplett torpedieren können. Ich dachte zunächst an Einzelfälle, aber tatsächlich gibt es auch zu mindestens 50% solche Elternsituationen:
     
    Eltern psychisch erkrankt -> sehen Probleme aber beim (gesund entwickelten) Kind Eltern(teile) traumatisiert -> Völlig normale Trotzphase des Kindes wird als Vorbote eines gewalttätigen Charakters gesehen, wie eben der Vater (oder auch die Mutter) gewesen ist. Beide Elternteile streiten in der Sitzung so heftig, dass man die Polizei rufen muss Krasse kognitive Verzerrungen -> Eltern finden ihre Töchter zu hässlich, möchten diese zur Schönheits-OP schicken und wollen dafür ein Gutachten für die Kostenübernahme. Sie haben kein Interesse an den Sitzungen und kommen auch nicht mit rein. Beschweren sich aber später, dass die Stunde hätte anders laufen müssen, teilweise mit Unwahrheiten.  Feindliche Haltung der Eltern ggü. Ärzten, Therapeuten, Sozialarbeitern usw.  Die Therapiesitzung wird als Hausaufgabenhilfe verstanden. Die Hausaufgaben werden auch mitgebracht.  Eltern vergessen regelmäßig die Termine  In vielen Fällen müssten sie nicht zu uns, sondern mit ihren Anliegen definitiv hierhin: Zur Berufsberatung, Ohren-/Augenarzt, Rechtsanwalt, Polizei, sonstiger Facharzt oder Jugendamt.  Diese Störungen sollen am Ende einer einzigen Sitzung geheilt werden: Autismus, Schulverweigerung, oppositionelle Störung.  Auch häufig: Depression, Angststörungen und Suizidalität sollen behandelt werden, damit die Kinder wieder bessere Noten schreiben.  In den allermeisten Fällen wird keine Struktur aufgebracht, d.h. besprochene Verhaltensweisen werden nicht umgesetzt und auch nicht eingeübt: Weder Wiege-/Essenspläne (bei Kindern mit Essstörungen), Schreibübungen (bei LRS), es wird nicht, wie besprochen vorgelesen (z.B. bei Sprachverzögerungen), Haushaltshilfen nicht angefordert und Tagesklinikplätze oder Mutter-Kind-Kuren, die bereits bewilligt wurden mit unserer Hilfe, nicht angetreten.  Letztere machen sicher 90% aus, auch bei besser zugänglichen Eltern. Selbst erarbeitete Dinge werden nicht umgesetzt. Ziele werden dann immer wieder mit den Eltern erarbeitet, hinterfragt und analysiert und es klingt dann auch gut und selbst reflektiert. Es wird aber trotzdem nichts verändert und dasselbe (bereits identifizierte) Problemverhalten weiter durchgezogen. 
    Ein leider sehr unbefriedigender Aspekt an der Arbeit. Ich merke auch, dass ich mich daran irgendwie nicht so gewöhne - anders als bei meinen bisherigen Einsatzgebieten, die bisher auch Fallstricke hatten, aber selbst Wahn in Kombi mit Sucht während der PT1+2 hat mich nicht so ratlos dastehen lassen. Einerseits natürlich, weil mit den Eltern hier eine neue Variable dazukommt, die die Behandlungen in die eine, aber auch in die andere Richtung beeinflussen kann - aber auf die ich zwischen den Terminen ( 3-6 Wochen i.d.R) keinen Einfluss habe. An den eigentlichen Symptomträger, das Kind, komme ich so aber nicht ran. 

    Andererseits weil es vielleicht auch irgendwo stark mit meinem Wertesystem kollidiert - ich bin ja auch Mutter. Supervision wäre hier womöglich angebracht - gibt es aber bei einer Anstellung als Psychologin nicht, d.h., man müsste sich extern einen Supervisor besorgen = 100€ à 50 Minuten. Es gibt aber auch nicht wenige Fortbildungen, die schon heißen "Arbeit mit schwierigen Eltern" und die man sich mit Lehrern/Pädagogen und Sozialarbeitern teilt. Aber auch die haben ihren Preis, 350€ aufwärts und mehrere Tage muss man investieren. 

    Im Fernstudium hatten wir das Thema KJP recht intensiv. Ähnlich wie bei den Fortbildungen am Institut aber ausgerechnet da aus einer sehr theoretischen und empirischen Richtung: Modelle, Statistik, Testdiagnostik, Reliabilitäten, Heuristik usw. Eher interessant für alle, die in dem Bereich forschen möchten. 

    Immerhin sehen es meine (überwiegend kinderlosen) Kollegen genauso. 
    Die erste Idee war, dass wir eine Intervisions-Gruppe (im Grunde eine Selbsthilfegruppe) gründen. Mit der Chefin geht das auch d'accord, d.h. es soll in der Arbeitszeit stattfinden und nicht gar hinterher.  
    Ich hoffe, dass uns das ein wenig etwas bringt, zumal wir alle gleich ratlos sind. Vielleicht bringt aber am Ende schon der Austausch darüber Rückendeckung mit sich. 😁

    Bleibt gesund und haltet zusammen,

    LG

    Feature Foto: Daisy_Anderson/pexel.com 
  21. Vica

    KJP - Zusatzausbildung
    Mein neues Büro ist lila, pink und apfelgrün. Statt dicker Wälzer wie ICD-10, AMDP-Befunds-Hilfen und anderer Nachschlagwerke, tummeln sich im Regal jetzt "Maxi und die Gefühlshelfer" oder "Ein Dino zeigt Gefühle". Keine schweren und klobigen Testbatterien auf Persönlichkeitsstörungen, die so umfangreich sind, dass sie in Koffern herumstehen - stattdessen stehen in meinem Schrank jetzt: Mensch-ärger-dich-nicht, Dobble, Halli Galli, Lotti Karotti oder natürlich UNO.  Und anstelle 70er-Jahre-Möbelhausromantik (Bild mit Sonnenuntergang etc.) ist die Wand jetzt gesäumt von echten Kinderkunstwerken. Alles, was kleine Patientin in einer Stunde so hinterlassen. Einige davon sind sogar schon für mich. 
    Das einzige, was mich hier an mein altes Büro in der Psychiatrie erinnert, ist ein PC aus der Steinzeit und Praxis-Software aus dem Urkambrium. Eine ganz nette Zeitreise - sowas hätte ich eher ins Museum verortet, aber nie gedacht, dass man sowas überhaupt noch zum Laufen kriegt. 😁

    Ein Tag in der KJP startet im Nachmittag. Ganz klar, denn Kinder haben vormittags Schule oder Kindergarten. Ich habe noch keine Patienten 2x gesehen. Es sind so unglaublich viele, dass der Ablauf im Grunde mit einer Arztpraxis zu vergleichen ist - dadurch sind aktuell nur wenige Termine im Quartal für jeden möglich, aber sie helfen wohl, denn alle kommen wieder: Manche Patienten kamen in der Grundschulzeit und machen nun bald Abi. Und es ist mehr als nichts! 

    Meine Software zeigt mir immerhin an, wer im Wartezimmer sitzt, so dass ich mich erst dann da hinbewege, wenn der/diejenige eingetroffen ist. Die Zeit davor verbringe ich damit, in gefühlter 1,25x Geschwindigkeit die Krankenakte zu überfliegen. Was haben die Ärzte gesagt, was haben Diagnostiker herausgefunden? Oft bleibt keine Zeit, alles zu lesen - aber das muss auch nicht. Das Alter meiner neuen Patienten reicht aktuell von 0 bis 18.

    Der Tag startet zum Beispiel mit einem Achtjährigen, der ADHS-Symptomatik hat. Seine Mutter kommt mit rein, wie in 80% der Fälle. Meine Vorgängerin ist noch nicht lange weg, viele wollen einfach wissen, mit wem sie es zu tun haben. Ich möchte gerne auch von dem Jungen selbst hören, wie es ihm geht und welche Wünsche er hat. Die Mutter verbessert viel von dem, was er sagt. Auch mich lässt sie oft nicht aussprechen. Ich habe den Eindruck, er kann das nicht so frei sagen, wenn Mama dabei ist. Die Mutter konkretisiert ihre Wünsche zu dem, was fast alle Eltern hier sagen: Sie will exakt wissen, was sie tun muss. Auffallend ist, wie offen und toll konzentriert er mit mir Das verrückte Labyrinth spielt, nachdem die Mutter sich nach 20 Minuten ins Wartezimmer gesetzt hat. 

    Der nächste kleine Patient wird ebenfalls von der Mutter begleitet. Er hat eine Lese-Rechtschreib-Schwäche und hat zusätzlich Ergotherapie. Für die Verordnung bedarf es nun einmal im Quartal meine Beurteilung. Er habe wieder abgebaut und schreibe schlechter. Ich lasse ihn ein paar Sätze schreiben und kann nicht viel Pathologisches finden. Auch die Zeugnisnote ist toll, das Schriftbild findet sich nicht in der Kritik wieder. Schnell stellt sich heraus, dass die Mutter sich eher von der Lehrerin persönlich angegriffen fühlt. Und auch hier wurden die zuvor vereinbarten Schreibübungen nicht weitergeführt. Ich empfehle einen Schreiblernstift, wie ich ihn kenne, den ich google und natürlich weiter zu üben. Statt langweilige Wörter wie "Schule" oder "Haus", spricht nichts dagegen, eine Reihe "Darth Vader", "Lego" oder "Mario und Luigi" zu schreiben. Dafür kann man sich direkt begeistern. 

    Als nächstes kommt eine Dreijährige. Die kann man natürlich nicht befragen, sondern beobachten. Also gehen wir in eines der Spielzimmer. Da Autismus vermutet wurde, achte ich besonders auf die Interaktion, kann sie in andere Rollen schlüpfen, Objektpermanenz, Theory of Mind etc. Alles Paletti an der Stelle, aber um die Mutter mache ich mir Sorgen. Sie ist total am Anschlag, darum führen wir ein entlastendes Erwachsenen-Gespräch.  

    Die nächsten zwei Patienten sind Geschwister, die in die Stunde kommen. Sie haben richtig krasse Angst vor Gespenstern, Monstern, Vampiren, Hexen und alles weitere, was nachts unterm Bett lauern könnte. Das Verhalten ist relativ neu. Sowas passiert schnell, wenn gerade besondere Phasen sind: Trennung, Schulübertritt, Freunde ziehen weg, Todesfälle. Wir machen eine Malstunde. Die Aufgabe ist, die Monster, die so auftauchen, mal zu malen. Dann verpassen wir  denen eine Geschichte. Warum ist die Hexe eigentlich so hässlich und so gemein, dass sie nachts Kinder erschreckt? Hat die kein Zuhause? Die muss ja ganz schön einsam sein. Während wir den Spukgestalten so Biographien verleihen, entsteht eine Menge Spaß. Wir stellen fest, dass die Monster gar nicht so anders sind. Aber zur Sicherheit gestalten wir noch eine Helfer-Figur für jeden, damit die Monster demnächst lieber zu Hause bleiben. Als Hausaufgabe sollen sich die zwei noch die Monster-AG + Uni anschauen. 

    Dann kommt eine Jugendliche mit Verdacht auf Borderline. Stattdessen ist sie allerdings selektiv mutistisch und sagt kein Wort - außer über das Thema Anakin Skywalker, da wird sie lebendig und erzählt. Gut, dass ich da etwas mitreden kann. Im Hinterkopf laufen die Hypothesen heiß: Warum ausgerechnet diese Figur? Ich frage mich, ob die Themen vielleicht Unterschätzt werden, verborgene Talente, nicht gesehen werden oder anders als die anderen sein könnten. Aber oft ist es auch der Wunsch nach einem Beschützer oder selbst stärker zu sein als andere. Den Anakin können wir jedenfalls als Avatar verwenden: Wie fühlt der sich so? Ist er eher traurig und was für Struggles hat er so? Auch Musik können wir hier zum Einsatz bringen, wenn Kinder stumm sind. Bist du heute ein hohes F? Ein mittleres C? Oder ein tiefes A? Sie will nichts Negatives besprechen in der ersten Stunde. Also widmen wir uns schnell ihren Stärken, die wir auf einem Poster festhalten. Dazu schlüpfe ich schnell in Anakins Rolle. 

    Als nächstes steht eine Telefonsprechstunde auf dem Programm. Eine Lehrerin meldet sich bei mir, die meine Vorgängerin terminiert hatte. Leider kenne ich den Fall dazu noch nicht, aber ich führe das Gespräch, da es sich anders nicht einrichten lässt. Schnell wird klar: Das besteht echte Wut auf die Mutter. Das gesamte Kollegium sieht das so. Ratlos lese ich in den Akten mit und gebe zu bedenken, dass solche Fights auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden, oft auch unbewusst. Ich reime mir schnell was aus der systemischen Paartherapie zusammen: Welchen Kompromiss wäre man bereit, einzugehen? Schon für das Kind? Was wäre sie maximal bereit zu ertragen, was am wenigsten? Zähneknirchend lässt sie sich drauf ein, ist aber sichtlich nicht begeistert. 

    Zum Abschluss muss ich zum Konsil ins Krankenhaus fahren. Hier liegt eine Jugendliche, die suizidal geworden war. Wir machen ein entaktualisierendes Gespräch über das, was vorgefallen ist. Wiederum bastele ich mit ihr ein Stärken-Poster und einen Notfallplan, wenn mal wieder solche Gedanken kommen. Die Eltern sind leider nicht gekommen - es wäre wichtig gewesen, sie auch zu instruieren! 

    Zwischen den Patienten bleiben mir exakt 15 Minuten zum Dokumentieren + mich in den nächsten Patienten einlesen. Das mache ich dann mit 2,0x 😄 Den Rest sollen sie mir überhaupt lieber selbst erzählen. 

    So sehen sie aus, die neuen Nachmittage, und ich merke, dass ich gerade ganz schön viel dazulerne, was auch einer der Hauptgründe war, so einen Job zu machen. Die Arbeit mit Kindern ist deutlich abwechslungsreicher, erfordert viel Kreativität. Das Schöne an Kindern ist, dass sie noch nicht so verfestigte Verhaltensmuster haben. Ein richtiger Knackpunkt ist die Zusammenarbeit mit den Eltern. Denn Eigen- und Fremdurteil zwischen Kids und Eltern geht hier sehr stark auseinander. Was mir im Bezug auf Eltern auffällt, ist dass sie im Alltag häufig keinen mehr haben, den sie fragen können - die Großeltern kommen gerade im Bezug auf Medienkonsum nicht mehr mit, es gibt auch keine guten Freunde, Tanten, Verwandte, Ältere, die man mal fragen könnte in unterschiedlichsten Erziehungsfragen. Entsprechend hoch ist die Verunsicherung, aber auch die Pathologisierung. Und eine unfassbare Erschöpfung seitens der Eltern fällt mir auf, die oft Mehrfachrollen auskleiden. 
    Schnelles Switchen zwischen den Störungsbildern ist ebenfalls gefragt, man hat keine Zeit, zwischendurch mal eben lange nachzuschauen. Wie gut, dass mir da der Erwachsenen-PP sehr hilft. 

    Bleibt gesund und haltet zusammen,
    LG

    Feature Foto: 
    Juan Pablo-Serrano-Arenas/pexel.com 
     
  22. Vica

    KJP - Zusatzausbildung
    Wenn da schon eine Regionalzeitung so rumliegt, warum nicht einfach mal so reinschauen?
    Wann hab ich zuletzt eine Zeitung in der Hand gehabt, ich bin viel zu virtuell geworden. 
    Was gibt's Neues in der Umgebung? Fahrradstraße hier gesperrt, 175jähriges Eisenbahnfest im Nachbarstadtviertel, Kiosk macht Umsatzeinbußen, aha! 
    Wenn man schon dabei ist, kann man ja mal in den Anzeigenteil blättern. Aber nur mal schauen. Schauen kostet nix. 
    Für meinen Beruf gibt's da eh nichts. Vermutlich nur Studijobs. 
    Hoppla, hier sind ja sogar Ärztestellen.
    Und sogar ganze Praxen werden hier angeboten. 
    Oha: Und auch Psychologenstellen.
    Oh nein, eine Kinder- und Jugendlichenpraxis. Was steht da ernsthaft? Jemand, der Erfahrung mit Erwachsenen- und Kinder-Therapie hat?
    Die Praxis ist bitte wo?? Da kann ich ja zu Fuß hinlaufen. 
    Ach, was soll das. Wahrscheinlich haben sich da schon wieder x Leute drauf beworben. Und eigentlich hatte ich mich doch jetzt eingerichtet allein mit der Ambulanz.
    Und die glauben einem ja eh nicht, dass man an den verbleibenden Tagen noch gerne mit Kindern arbeiten würde. 
    Genau. Alles hoffnungslos! 
    Obwohl. 
    Na ja, bewerben kann man sich ja mal, richtig? 
    Eigentlich schadet es ja nichts. 
    Schick ich keine ab, kommt keine Antwort. Schick ich eine ab, kommt entweder eine Einladung, eine Absage oder keine Antwort. Drei Möglichkeiten vs. eine. 
    Aber, aber, aber....okay, verschickt. 
    Jetzt einfach vergessen. 
    Vier Tage später: Was ist denn das für eine Telefonnummer? Kenn ich nicht. Rangehen?
    Woah! Praxis! Einladung zum Gespräch!! Termin darf ich mir aussuchen.
    Muss nochmal checken, was diese Praxis genau im Detail macht. 
    Oh nein, das ist wirklich genau mein Ding! 
    Wird eh nix. Kann man im Prinzip auch absagen. 
    Aber kampflos sterben ist auch doof. Also hingehen ist eine Frage der Ehre. 
    Wow, das war ein nettes Gespräch. Die Chemie passt und der Laden gefällt mir auch. Mist, die Enttäuschung wird gigantisch. In zwei Tagen gibts nen Anruf zum festen Termin. Hab ich auch schonmal gehört, so Sachen. 
    Zwei Tage später: Kein Anruf zum Termin.

    20 Minuten später Anruf, Herzinfarkt. 
    Jaeshatlängergedauerthatteheutemorgenselbsteinennotfall.Ihrebewerbungunddasgesprächhabenunssotollgefallenkönnensiebitteanfangenbeiuns.terminhätteichauchschonpassenihnenfolgendearbeitszeiten?
    Hat sie das gerade wirklich gesagt? Hab sowas wie Watte im Kopf.
    Und echt? Die haben kein Problem mit der Ambulanz? Und sagen ernsthaft, ich kann meine Zeiten drum herum stricken? Und bäm. Bist du eingestellt als Kinder- und Jugendlichenpsychologin/-therapeutin i.A. Was du immer wolltest. 
    Einfach so. Ein paar Schritte von zu Hause weg. 
    Das Leben ist eine Wundertüte. 🌈

    Bleibt gesund und haltet zusammen. 

    LG 

    Feature Foto:  Cottonbro_studios/pexels 
     
  23. Vica

    Lernen & Lehren
    @Markus Jung hatte mir noch freundlicherweise ein Exemplar zur Verfügung gestellt, welches dann recht schnell gelesen und rezensiert war. Allerdings hatte ich vergessen, die Rezension auch hochzuladen 🫢. Hier ist sie nun, nach einigen Feinschliffen und nun auch bebildert 😁 Enjoy!



    Es ist 2023, Leute! Als ich vor mehr als 15 Jahren erstmals mit dem Thema Fernstudium/Fernunterricht in Kontakt kam, wäre kaum jemand auf die Idee gekommen, Fernstudenten ein Buch zu widmen.
    Das Lernen im Fernstudium selbst bestand damals aus Fernlehrbriefen mit ,,Frontal-Fakten". Besonders in meiner Anfangszeit fehlte es mir an Struktur, Selbstmanagement und allem, was dazugehört: Eine vernünftige Zielsetzung, Umgang und Einsatz der eigenen Ressourcen. Gesundheits- und Stressmangement und und und. Wer sowas wollte, musste damals Lernratgeber kaufen, die sich an Präsenzstudenten und Präsenzschüler richteten. Sicher, das war ein erster Anlaufpunkt, aber diese betonten stets das Lernen und Zusammenarbeiten mit Mitschülern, Lehrern, Profs usw. Und Tipps gegen Panik vor Prüfungen an weit entlegenen Plätzen ohne jegliche Ortskenntnis oder Mitstreiter gab es gleich gar nicht. 
    Wie schön, dass @Markus Jung und Tim nun ein Buch auf den Markt gebracht haben, das sich ausschließlich der Lernherausforderung für Fernstudis widmet. 

    Eckdaten:
    Es handelt sich um die Erstauflage aus dem August 2022 aus dem Studienscheiss-Verlag (ich feier dieses Label, hehe). Autoren sind Tim Reichel und @Markus Jung. Es ist 172 Seiten stark und liegt mir als Softcover-Variante vor.

    Optik/Haptik:
    Das Titelbild ist ein Farbverlauf in verschiedenen Violett-Tönen, was es durch die knallige Farbe durchaus zu einem Hingucker im Regal macht. Zu sehen sind außerdem etwas schlichtere Cliparts von Studenten, jeweils mit Laptop und Tablet ausstattet, was die digitale Anbindung des Thema Fernstudiums gleich hervorhebt. Es ist zwar kompakt, aber insgesamt leicht und passt super in kleine Rucksäcke oder größere Handtaschen. 

    Preis:
    Für 19,99€ wandert die Softcover-Ausgabe in euren Besitz über. 

    Die Für-Jeden-Widmung am Anfang fand ich wirklich nett.

    Inhalt:
    Wie der Titel schon sagt, handelt es sich bei dem Buch um eine Art ,,Gebrauchsanweisung für das Fernstudium", wobei es  sich insbesondere verschiedenen Lerntechniken widmet, die sich für Fernstudenten hilfreich  erweisen, die ja insgesamt noch etwas mehr Selbstmanagement aufbringen müssen. Dazu beleuchten die Autoren insgesamt 28 Methoden, wovon jede auf 4 Seiten dargestellt wurde.  Ihr erhaltet dabei eine Schritt-für-Schritt-Erklärung und praktische Alltagsbeispiele. Ihr sollt das Buch aber nicht nur im Strandkorb lesen, sondern auch aktiv damit arbeiten, darum gibt es konkrete Aufgaben zum Ausprobieren. Die vorgestellten Techniken gliedern sich kapitelweise in Herausforderungsbereiche, die insbesondere (aber nicht) nur Fernstudis bekannt vorkommen: Das Warum z.B. beschäftigt sich mit motivationalen Strategien, der Plan mit sinnvoller Struktur, der Tag beherzigt Zeitmanagement. Im Fokus-Kapitel geht es dann um Taktiken zu sinnvoller Prioritätensetzung. Im Kapitel Produktivität begegnen wir Selbstorganisations-Techniken, die eben genau diese verbessern können, z.B. die Pomodoro-Taktik aber auch der Einsatz von Pausen ist hier ein Thema. Kapitel 6 widmet sich Themen rund um die Starthilfe, z.B. Deadlines oder Anti-Perfektionismus werden hier aufgegriffen. In Kapitel 7 geht es dann ausschließlich um das Thema Motivation. Kapitel 8 ist ein Trouble-Shooting-Guide für den Umgang mit Rückschlägen und allem, was einen in einen erfolgreichen Lern-Marathon in die Parade grätschen kann. 
    Am Ende finden wir Autorenprofile, Literaturhinweise und natürlich den Link für die Bonusinhalte wie Arbeitsblätter. 

    Für wen ist dieses Buch geeignet?
    Aufgrund der Fülle des Buches und dem starken Fokus auf der Struktur und Selbstmanagement sind meiner Meinung nach insbesondere Neulinge im Bereich Fernstudium angesprochen, ganz besonders, wenn diese von anderen Herausforderungen des Alltags stark beansprucht werden, z.B. sämtliche Menschen mit Mehrfachrollen, Mütter/Väter und Leute, die viel Struktur benötigen und diese weniger in Form von Lerngruppen, strengen Vorgaben etc. haben. Alte Hasen können das Buch für die Selbstoptimierung nutzen, z.B. um nochmal Noten zu verbessern oder Stress zu reduzieren. Grundsätzlich sind die vorgestellten Techniken natürlich nicht für das Fernstudium erfunden worden und können daher freilich auch von anderen Fortbildungsteilnehmern oder Präsenzstudenten genutzt werden. Ein Kapitel daraus konnte ich z.B. für die Therapie mit einer Patientin  mit starken Lernängsten nutzen, weil deren Ängste vor allem auf einem Mangel an Zeitmanagement und Anti-Panik-Methödchen wie Bulimielernen beruhten. Insofern können auch Leute, die im Coaching, Therapie oder Beratung Lernängste behandeln, das Buch nutzen und die Techniken an der Flipchart darstellen sowie den Patient:innen das Buch weiterempfehlen. (Das zählt auch für den KJP-Bereich, auch wenn man es dann vereinfacht z.B. bei Lernängsten nutzen kann).  


    Schreibstil:
    Der Schreibstil ist in simpler Sprache gehalten. Man wird nicht zugeballert mit Endlos-Theorie-Abhandlungen über Studien, was ich sehr praktisch finde. Denn Leute, die dieses Buch lesen, befinden sich vielleicht schon unter Zugzwang. So kann man direkt loslegen - eben wie in einer echten Anleitung.  Kurz und knapp und einige ,,Wenn...dann...."-Aussagen, womit es mich grundsätzlich an ein Coaching erinnert. Das stärkt das Gefühl des Lesers, an die Hand genommen zu werden. Besonders unsichere Kandidaten wissen das zu schätzen. 

    Kritik/Verbesserungen:
     Das Buch ist sehr stark kognitiv ausgerichtet. Was mir persönlich etwas fehlte, wäre noch eine Prise Humor, stellenweise fand ich den Stil etwas steif. Grundsätzlich ist dabei anzumerken, dass es dabei ja auch wie eine Anleitung funktioniert und auch so verfasst ist - müsste es aber gar nicht. Ein bisschen Lockerheit entschärft möglicherweise nochmal den doch sehr anstrengenden Lernprozess der Studis. Persönlich gefiel mir auch Kapitel 8 - Trouble Shooting am besten, weil dieses weniger Anleitungscharakter hat und für mich einfach am "nächsten dran" am Menschen ist.
     Da sehr viele Taktiken dargestellt werden, besteht die Möglichkeit, dass man sich schnell etwas verliert in den vielen Möglichkeit, und zusätzlich mit dem Lernpensum des Fernstudiums an sich könnte das zu einem gewissen Flooding führen. Die optische Aufmachung des Textes könnte noch ein wenig mehr herhalten, finde ich, es erinnert mich teilweise etwas an ein trotz der Infografiken eher an ein Word-Dokument - aber ich denke, so ist das Ganze auch einfach besser auf digitalen Geräten darzustellen. Der Einsatz von Farbe und Bildern oder klar abgegrenzter Bereiche wäre noch eine Überlegung wert (auch wenn in der Prinzausgabe damit der Preis steigen würde). Da es ein Arbeitsbuch ist, wäre Raum für Notizen in Form von "Das möchte ich mir merken" etc. nicht schlecht. 

    Bewertung: 
    Informationswert: 5/5 - Es wird kaum etwas ausgelassen, was helfen könnte.
    Verständlichkeit: 5/5 - Durch simple Sprache und kurze Sätze sowie den Verzicht auf zu viel Theorie 
    Lernzuwachs: 4/5 -  Leichter Abzug, weil die 28 Techniken eventuell zu erschlagend rüberkommen können. 
    Außengestaltung des Buches (Umschlag): 4/5 - Finde die Farbgestaltung catchy 
    Innengestaltung des Buches (Bilder, Überschriften): 2/5 - Da würde ich mir etwas mehr wünschen, ggf. auch Farbe
    Schreibstil: 4/5 - Ist okay gemessen daran, dass es ein Ratgeber ist - könnte an manchen Stellen etwas lockerer sein :-). 

    Frage am Rande: Habe ich etwas gelernt?
    Mit der Approbation ist es noch ein bisschen hin, aber ich werde das Buch auf jeden Fall in der Lernzeit einsetzen. Werde mir aber nur gezielt welche heraussuchen - bei mir ist z.B. Kapitel 3 - der "Tag" besonders angesagt.  Ich nutze es aktuell im Patientenkontakt und auch als Informationsquelle über die verschiedenen Selbstmanagement- und Lerntechniken. 

    Gesamtfazit:
    Ich gebe auf jeden Fall eine Kaufempfehlung und würde mir mehr Bücher über Fernstudis wünschen :-). Toll fände ich, wenn es neben diesem Ratgeber noch einen gebe, der sich mit anderen Herausforderungen von Fernstudis stellt. Z.B.:
    Wahl der richtigen Hochschule, Prüfungsangst, Anreisen zu fremden Prüfungsorten, Pendelstress, Bewerben als Fernstudi, Umgang mit Vorurteilen usw. 

    Bleibt gesund & haltet zusammen,
    LG
  24. Vica

    Ambulanzzeit
    Kann man eigentlich in der Ambulanz/Praxis-Zeit fröhlich Patient:innen aufnehmen und therapieren, wie man lustig ist? 😄 Das hätte was: Man müsste nur irgendwie einen Raum in einer Praxis organisieren und könnte ja eigentlich loslegen und seine 600 Behandlungsstunden sammeln. Irgendwie nice, dafür, dass man noch gar nicht approbiert ist - oder?

    Natürlich ist das nicht so - die Therapiestunden müssen bei PiAs supervidiert werden und zwar in einem Verhältnis von 1:4. Das bedeutet, dass jedes 4.Gespräch (pro Patient) nachbearbeitet wird. Supervisor:innen sind approbierte Psychotherapeut;innen (oder Psychiater:innen) mit Supervisions-Weiterbildung. Eine Supervisionssitzung kostet zwischen 80 und 100€, 50 davon übernimmt das Institut. Einzelsupervisor:innen sieht man, wie der Name schon sagt, einzeln. Gruppensupervision ist hingegen eine Sache, bei der man natürlich als Gruppe auftaucht (5 Maximum, 4 Minimum -> man muss nicht derselbe Kurs und auch nicht dasselbe Ausbildungsinstitut sein). 
    Einzelsupervision geht idR 45 Minuten, wo man bis zu 3 Pat. besprechen kann.
    Gruppensupervision geht 180 Minuten und findet meistens abends statt, denn nur da können alle. Jeder kann hier bis zu 3 Pat vorstellen, während einer mit dem Supervisor spricht, hören die anderen zu (bei uns ist es also keine Gruppendiskussion)
    Supervisor:innen segnen auch Berichte für Krankenkassenanträge ab und können Therapien mit Patient:innen auch ablehnen. 

    Supervisor:innen können ziemlich interessant Persönlichkeiten sein. 

    Einzelsupervisor
    Mein Einzelsupervisor hat seine Praxis ungefähr 10-15 Fahrradminuten (je nach Ampellage) von mir entfernt. Wir sehen uns so im 4-Wochen-Rhythmus. Es ist ein ehemaliger leitender Psychologe einer Klinik, der sich jetzt auf Supervision spezialisiert hat. Er kocht immer Kaffee für mich, wenn ich komme. Sein Steckenpferd ist die Emotionsfokussierte Therapie. Das ist insbesondere für traumatisierte und depressive Patient:innen oder solche mit Angststörungen geeignet. Klaro fließt das dann auch in die Therapieempfehlungen mit ein. Ich finde das nicht schlecht, vor allem da EFT-Seminare aus dem Ausbildungs-Curriculum gestrichen wurden.  Er hat etwas Herbes an sich, aber auch einen trockenen britischen Humor, den ich ziemlich schätze. Da er ländlich gearbeitet hat, versteht er insbesondere die Sorgen und Nöte von Patient:innen, die aus den Dörfern kommen, denn dort herrschen mitunter andere soziale Drücke. Diesbezüglich rückt er immer wieder meinen Blick gerade. Ich muss auch sagen, dass ich mit ihm nicht immer einer Meinung bin, stellenweise war ich auch schon recht angesäuert. Allerdings komme ich genau bei solchen Reibungspunkten stark ins Arbeiten. Auch hat er mir bereits einen Patienten gestrichen und war der Erste, der merkte, dass in meiner alten Praxis was nicht stimmt. 


    Gruppensupervisor ("Gandalf")
    Wie der Name schon sagt, ist dies ein Supervisor, den ich mit einer Gruppe aufsuche. Wir treffen uns ebenfalls alle 4-6 Wochen, aber online, da wir alle weit auseinander wohnen.  Ich bin mit 5 anderen aus unserer Gruppe zusammen. In Natura kennen wir ihn auch: Bei dem wir auch die  Selbsterfahrung auf dem Land gemacht haben, er kennt uns daher ziemlich gut. Dieser tritt zwar bescheiden auf, ist aber ein hohes Tier innerhalb der dritten Welle, hat viele Werke ins Deutsche übersetzt, kannte noch Klaus Grawe, ist befreundet mit Andrew Hayes und war es mit Aaron T. Beck. Er ist ein Experte für kognitive Umstrukturierungen, hat aber auch die Doppelapprobation PP/KJP. Ein ziemliches weiser Typ, dabei aber auch unkonventionell, der nicht so sehr hasst wie starre Strukturen - das gibt es relativ häufig in solchen Leistungs-Dingern wie Psychologie, dass man dazu neigt, den hohen Anforderungen mit Überstruktur zu begegnen (zB sich peinlich genau an Manuale zu halten, statt individuell Lösungswege zu finden). Er ermutigt uns immer wieder, ungewöhnliche Wege zu gehen, was ich super finde. Mich erinnert er stark an Gandalf 😄 "Gandalf" möchten wir nicht mehr missen. Sein Wissensreichtum ist unglaublich. Natürlich ist er dann auch fordernd. Er antwortet auf keine Frage direkt, sondern immer mit Anekdote oder Denkaufgabe. 


    Berner-Master-Supervisorin (Gruppe)
    Unser Institut hat ja eine Kooperation mit der Uni Bern und hierfür müssen wir 3 Patient:innen nach dem Berner System
    behandeln.  Natürlich braucht es auch dafür Supervisor:innen, welche ebenfalls den Berner Master besitzen. Unsere Gruppe hat sich über ein Schwarzes Brett gefunden. Wir treffen uns ebenfalls online, da auch diese Teilnehmer:innen weit auseinander wohnen. Diese ältere Dame ist ebenfalls ziemlich unkonventionell, humorvoll und genauso wie "Gandalf" gegen Perfektionsdruck. Sie ist gleichzeitig sehr fordernd und stellt sehr schneidende, fundamentale Fragen, die vor allem darauf abzielen, verhärtete Vorstellungen in Frage zu stellen (,,Gibt es Ihrer Meinung nach eine Pflicht, sich glücklich zu fühlen?"). Ich mag sie ebenfalls sehr. Außerdem ist sie ein sehr gutes Rollenmodell für Online-Therapie.  

    KJP-Supervisor:in to be
    Da ich ja auch KJP mache, muss ich noch insgesamt 6 ambulante Fälle für Kinder- und Jugendliche behandeln. Das ist aktuell noch nicht der Fall, somit habe ich dann natürlich auch noch keine:n Supervior:in.  


    Jede Supervision muss dreifach dokumentiert und 2x unterschrieben werden. 

    Ihr seht, warum man mit der Ambulanz alleine gut beschäftigt ist 😄 Besonders anstrengend sind Supervisionen allerdings, wenn man neben der Praxis noch einen Klinikjob hat.  Man kommt gefühlt gar nicht mehr in den Feierabend, wenn man bis spät abends noch Gruppe hat. Darüber kann ich im Moment nicht klagen - umso besser, sich der Ambulanz Vollzeit zu widmen. 

    Bleibt gesund und haltet zusammen,

    LG

    Feature Foto: SHVETS_Production/pexels.com
  25. Vica

    Ganz normaler Klinik-Wahnsinn
    Die Blätter färben sich bunt, es schneit, die ersten Tulpen und Krokusse blühen...tja, und irgendwie ist man immer noch ohne psychologischen Nebenjob neben der ambulanten Praxis 😅 Aber man muss ja immer positiv bleiben. Also: Weiter geht's im Bewerbungsroulette. 

    Stelle Nr. 7: Schulpsychologin (für 1 Schule)
    Voraussetzung: Master in Psychologie, Erfahrung mit pädagogischer Arbeit, gerne Schwerpunkt pädagogische Psychologie, aber auch kognitiver oder klinischer Schwerpunkt okay, soziale Psychologie als Modul im Studium gab "Sonderpunkte". 
    Beschäftigungsart: Als Elternzeit-Vertretung ausgeschrieben, im Endeffekt aber doch Befristung mit Verlängerungsoption. 
    Aufgabenbereich: Beratung von Kindern und Eltern, Lehrern sowie pädagogischem Personal, Diagnostik (z.B. Hochbegabung,  Dyskalkulie, Legasthenie) Hilfe bei Lernschwierigkeiten, Gruppenkonflikten, Mobbing, sonstigen Schwierigkeiten und und und. 
    Schwierigkeit, hier genommen zu werden: Keine Ahnung, aber in der Regel beliebt. Meinem Gefühl nach aber häufig ausgeschrieben. 
    Ausgang: 😎

    Diese Stelle hat mich überrascht, da sie - anders als die erste Schulpsychologen-Stelle - nur spezifisch für eine Grundschule galt. Diese war zwar im sozialen Brennpunkt, und wenn der Bedarf besteht kann eine Schule durchaus eigene Sozialarbeiter und Psychologen haben, aber hier in der Stadt und drumherum kenne ich das so noch gar nicht. Man arbeitet eigentlich fürs Jugendamt und wird  dann auf entsprechende Schule verteilt. Allerdings finde ich es so mit einer festen Zugehörigkeit zur Schule wesentlich besser! 
    Ich habe die Einladung sehr schnell bekommen und bereits 1 1/2 Wochen später konnte ein Termin gefunden werden. Da allerdings Erkältungshochzeit war und alles erkrankt war, fand das Gespräch allein mit der Sozialarbeiterin statt, die mich anbei noch herumführte. Das fand ich herrlich angenehm und ungezwungen. Ebenfalls gefiel mir die Schule sehr gut und auch das Konzept fand ich toll. Ernüchterung aber dann leider bei der Anzahl der Stunden - die war für mich zu hoch (38,5). Das schaffe ich nicht zusammen mit der Ambulanz. Ausgeschrieben gewesen waren 26! Und schon bei denen hatte ich mir vorgenommen, diese herunterzuhandeln. Schnell wurde auch klar, dass zwei Stellen zusammengelegt worden waren. Es sah so aus, als würde ein Sozialarbeiter fehlen, weswegen Teile von dessen Aufgabe in die Psychologenstelle mit reingeschrieben wurden. Das empfinde ich überhaupt gar nicht als Problem, da die Sozialarbeiterin auch sicher eine gute Ansprechpartnerin ist. Dass man extrem eng zusammenarbeitet, kenne ich schon aus meiner Klinikzeit. 
     
    Stelle Nr. 8: Bezugstherapeutin für Essstörungen (Privatklinik)
    Voraussetzung: Master in klinischer Psychologie mit fortgeschrittener Psychotherapieausbildung 
    Beschäftigungsart: Unbefristet 
    Aufgabenbereich: Einzeltherapie, Gruppentherapie, Spiegeltherapie, Psychoedukation, Begleitung u. Miteinbeziehung + Beratung der Angehörigen, Begleitung des Essens etc.   
    Schwierigkeit, hier genommen zu werden: Höher, Privatkliniken meistens konservativer, legen zumindest tendenziell etwas mehr Gewicht auf Notenspiegel, angefangen beim Abitur. 
    Ausgang: 😎

    Dass ich hier eine Einladung bekam, hat mich auch überrascht, ich bekam aber gleich in der Einladungsmail gesagt, dass ich unter den Top 3 bin 🫢. Das Gespräch fand noch per Zoom statt, da sich einige Gesprächspartner in anderen Bereichen der Welt befanden. Mit Klinikdirektion, chefärztlichem Leiter, leitendem Psychologen sowie leitendem Oberarzt insgesamt ein ziemlich teurer Vorstellungstermin. Bei so viel gebündelter intellektueller Power wurde ich zudem leicht panisch. 🤐 Tage vor dem Gespräch habe ich mich gefühlt wie vor einer Prüfung. Nur meine einstudierte Präsentation gab mir etwas Hoffnung. . Ich hatte schonmal so ein Gespräch, wo ebenfalls die gesamte Prominenz der Klinik anwesend war, und auch da ging es um Essstörungen, und witzigerweise auch per Zoom! Trotzdem hat das meine Nervosität nicht geschmälert.
    Allerdings waren die Sorgen unbegründet, es war insgesamt mit das lockerste all dieser Gespräche. Essstörungen konnte ich mir nach einem extrem guten Seminar übrigens sehr gut vorstellen, die Dozentin hatte uns damals extrem gute Konzepte an die Hand gegeben und uns wirklich hervorragend an das Thema rangeführt. Nachteilig an dieser Stelle waren Nachtschichten (war gar nicht ausgeschrieben) und tendenziell ebenfalls eine etwas höhere Stundenanzahl. 
     
    Stelle Nr. 9: Psychologin für traumatsierte Kinder (Psychosozialer Dienst)
    Voraussetzung: Master in klinischer Psychologie, optional Psychotherapeutenausbildung oder KiJu-Ausbildung oder beides. Traumatherapie-Weiterbildung muss absolviert werden. 
    Beschäftigungsart: Unbefristet 
    Aufgabenbereich: Einzel- und Gruppentherapie, Öffentlichkeitsarbeit, Seminare geben 
    Schwierigkeit, hier genommen zu werden: K.A., (glaube aber, ist nicht der beliebteste Bereich )
    Ausgang: 😎

    Es war ein endloser Bewerbungsprozess mit oft verschobenen Terminen, kranken Mitarbeitern und Durststrecken im Kontakt, außerdem kam es zu mehreren Vorstellungsgesprächen. Zwischendrin war ich mir auch sicher, ich bin raus. Gerne hätte man sich noch mit der Klinik ausgetauscht, aber dort ließ sich kein Kontakt herstellen, niemand fühlte sich verantwortlich. Ein Arbeitszeugnis hatte ich mal von der Klinik erhalten, allerdings extrem fehlerhaft, weswegen es sich in der Korrektur befindet. Vor Weihnachten wird es sicher nicht eintreffen. Schließlich waren sich aber alle sicher: Brauchen wir eh nicht, kennen wir so 😁 Von dieser Art Arbeit träume ich übrigens schon lange. Erstaunlicherweise aber gelang es mir nicht, das glaubhaft darzustellen 😬Die 2 Klinikjahren haben mich zu förmlich werden lassen. Ein gewisser Zweifel blieb auch an mir, denn ich sei "deutlich überqualifiziert" - da müsse die Motivation schon klarer hervortreten, denn viele Leute hauen schnell wieder ab, die Arbeit mit traumatisierten Kindern bringt viele an ihre Grenzen. 
    Auch hier: Bedenken wegen der Stunde. 38,5 waren ausgeschrieben. Würde ich die echt auf 20 runterhandeln können?
     
     
    Tja, und nun? 😅
    Den Ausgang habe ich bewusst offen gehalten...😁
    Tatsächlich haben alle 3 oben genannten Stellen eine Zusage gegeben. 
    Stelle Nr. 7 konnte aber leider die Stundenanzahl von 38,5 nicht reduzieren. Schon die ausgeschrieben 26 wären deutlich zu viel geworden. Insofern musste ich hier leider absagen, was schade war - die Stelle erschien mir sehr gut. 
    Bei Stelle Nr.8 habe ich lange überlegt. Letztlich sind Privatkliniken immer etwas stärker strukturiert, es ist wenig Raum für Leute, die ständig mit neuen Ideen ankommen, wie ich. Das wäre mir vermutlich schwerer gefallen. Aber ausschlaggebend, mich nicht zu melden, war im Endeffekt die Tatsache, dass mich eine Stelle mehr interessierte, die es dann geworden ist: 
    Stelle Nr.9.  

    Aber dazu bald mehr, sonst wird aus dem Beitrag hier wieder ein Buch. 

    Nur ein kleines Fazit für euch:
    - Ich merke, dass einige von den Berichten entmutigt worden, Stellen zu suchen. Dazu muss ich sagen: Wir sind ein Ballungsraum! Vieeeele viele junge Psychologen ohne Kinder. Es hat generell einen Grund, dass keiner meiner Freunde hier in der Stadt arbeitet, und das sind Lehrer, Anwälte, Ärzte + Psychologen. 
    - Es erweckt den Anschein, als käme man schwer an Stellen. Es handelte sich aber gerade mal um 9 Bewerbungen, und von allen gab es Rückmeldung! 
    - Es hat sich gelohnt, dranzubleiben. 🙂


    Bleibt gesund & haltet zusammen, 
    LG

    Feature Foto: Rodnae Productions/pexels.com 
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