Ich habe vor Urzeiten meinen Fachwirten abgeschlossen und möchte berichten, wie das meiner Erfahrung nach in der Berufswelt aufgenommen wird. In der Zwischenzeit habe ich Richtung Wirtschaft/Medien sowohl an einer staatlichen Uni als auch an einer Fernhochschule (an)studiert. Somit habe ich gewisse Vergleichswerte.
Ich bin sehr stolz auf meine Fachwirt-Qualifikation, denn der Weg dort hin war anspruchsvoll und der Stoff umfangreich. Im beruflichen Kontext bin ich mit der Haltung konfrontiert "Du hast ja nur eine Ausbildung gemacht". Das sagt einem nur selten jemand ins Gesicht, aber im Berufsalltag macht sich das manchmal in der Wertschätzung bemerkbar, insbesondere dann, wenn das Umfeld über akademische Abschlüsse verfügt und sicherlich ohne böse Absicht, Dinge erklärt werden, die fachlich in meinem Berufsfeld vorausgesetzt werden können. Manchmal wurden mir trotz langjähriger Berufserfahrung Kompetenzen aufgrund meiner vermeintlich geringeren Qualifikation abgesprochen. Ich denke, dass vielen Kolleg*innen gar nicht klar ist, was hinter diesen Qualifikationen steckt und dass z. B. der Fachwirt mit einem Meister und wie ich jetzt gelernt habe, sogar mit einem Bachelor-Abschluss vergleichbar ist.
Das "Vergleichbar" ist aber auch der Knackpunkt und ich würde vielen Argumenten, die sich kritisch zu der neuen Bezeichnung äußern, zustimmen. Meine Fachwirt-Qualifikation ist inhaltlich nicht vergleichbar mit einem Bachelor-Studium. Ganz einfach gesagt, weil der Fachwirt auf recht konkrete Berufsziele, meist auf Leitungsebene, abzielt. Das Lernziel im Bachelor-Studium ist meiner Erfahrung nach anders ausgerichtet (z. B. wissenschaftliches Arbeiten). Auch wenn die Berufsfähigkeit nicht ausgeschlossen wird, so steht sie m.E. weniger im Fokus als beim Fachwirten. Was allerdings die Breite und Praxisnähe des Fachwirten angeht, habe ich hier mehr unterschiedlichen Stoff verarbeiten müssen, als in meinen Studiengängen, die doch weitaus spezialisierter waren. Sicherlich kommt es hier auch darauf an, welchen Studiengang und welchen Fachwirten/Meister man macht.
Fazit: Für mich geht es nicht um besser oder schlechter, sondern um anders. Das Niveau beider Qualifikationen habe ich tatsächlich als recht gleichwertig erfahren. Als Maßnahme gegen die schlechte Reputation des Fachwirten, so wie ich es erlebt habe, finde ich den Titel auf den ersten Blick nicht schlecht. Und die internationale Vergleichbarkeit (falls es wirklich so ist?), hätte ich als frisch gebackene Absolventin damals sehr begrüßt, denn ich hätte gern wie meine Freunde, die studiert hatten, Auslandserfahrungen gesammelt. Trotzdem kann ich mir gut vorstellen, dass es zu mehr Verwirrung führt, denn auch nicht jeder Personaler und das Gros an Kolleg*innen, insbesondere in KMU, verstehen, was hinter diesen Titeln steckt - meiner Erfahrung nach wurde ja nicht mal die Fachwirt-Qualifikation richtig verstanden. Dann stellt sich die Frage, ob diese neue Bezeichnung überhaupt jemand hilft.