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Jahrestagung der DGWF - The digital turn


Markus Jung

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Letzte Woche war ich von Mittwoch bis Freitag auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium (DGWF) e.V., welche an der Universität Ulm stattgefunden hat.

 

Ulm ist besonders wegen des Ulmer Münsters bekannt und in dem Zusammenhang ist auch der Ulmer Spatz als Wahrzeichen zu erwähnen, da er beim Bau des Münsters eine Rolle gespielt haben soll. Außerdem wurde Albert Einstein in Ulm geboren.

 

Ulm-UlmerSpatz-Original.JPG

I, Joachim Köhler [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]

 

Üblicherweise findet jährlich eine Frühjahrstagung der AG-Fernstudium innerhalb der DGWF (AG-F) statt, die ich nach Möglichkeit besuche. In diesem Jahr gab es aber keine separate Tagung der AG-F, da das Tagungsmotto "The digital turn" auch sehr gut für das Fernstudium passt. So kam es, dass ich erstmals eine DGWF-Tagung besucht habe, die mit rund 200 Teilnehmern recht groß ausgefallen ist. Abgesehen von den Plenum-Veranstaltungen wie den Keynotes haben sich die Besucher dann aber auf mehrere parallel laufende Stränge verteilt. Ich habe mir natürlich primär die Sessions rausgesucht, bei denen es um das Fernstudium ging.

 

Das Tagungsprogramm kann hier abgerufen werden:

https://www.conftool.org/dgwf2019/sessions.php

 

Die Teilnehmer an der Tagung waren überwiegend Mitarbeiter*innen von staatlichen Hochschulen, teilweise auch von Instituten wie dem BiBB. Ich war dort also mal wieder in einer ziemlichen Exotenrolle 😉, finde es aber wichtig, mich mit aktuellen Themen zu beschäftigen, die in der Welt des Fernstudiums und hier auch allgemein der wissenschaftlichen Weiterbildung relevant sind. Private Hochschulen waren kaum vertreten und es wurde für mich deutlich, dass an staatlichen Hochschulen vieles anders läuft als bei den privaten Anbietern. Die Ziele unterscheiden sich oft, aber auch die Rahmenbedingungen und die Organisation. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass sich private Hochschulen deutlich freier bewegen und etwas ausprobieren können, als dies bei den staatlichen Anbietern der Fall ist.

 

In der ersten Keynote ging es um maschinelles Lernen. Speaker war Dr. Tobias Schubert von Festo Didactic. Seine Ausführungen und Praxisbeispiele waren sehr spannend. Beim maschinellen Lernen werden aus dem Input von Daten durch die Maschine selbst Programme und Algorithmen erstellt (etwas vereinfacht ausgedrückt), ohne dass noch für alle möglichen Fälle selbst Code geschrieben werden müsste. Dabei kommt es sehr auf die Qualität der Daten an.

 

Als Beispiele wurden unter anderem genannt und erläutert:

  • Bildanalyse
    • Snapchat-Filter (wo sind Mund, Ohren etc. für die Overlays)
    • Tinder Smart Photo (Marktanalyse, wer reagiert wie auf Bilder in der Partnerbörse)
    • Gestenerkennung, zum Beispiel zur Steuerung von Maschinen
    • Autonomes Fahren
    • Medizin (zum Beispiel unterstützende Auswertung von CT-Aufnahmen)
    • Landwirtschaft (individuelle Düngung je nach Zustand der Pflanzen)
  • Text und Sprache
    • Spamfilter
    • Übersetzungen
    • Spracherkennung (Alexa, Google Assistant etc.)
  • Spiele
  • Industrie
    • vorausschauende Wartung, um Ausfälle zu vermeiden
    • Energiemanagement (Kühlung von Rechnern)
    • Maschinelle Qualitätssicherung
    • Roboter, die selbst lernen, sich zu bewegen und zu orientieren

Erst durch Fragen der Zuschauer (diese konnten über das Tool https://pigeonhole.at/ live während des Vortrags eingereicht und bewertet werden) hin ging es auch um das Thema Ethik, zum Beispiel wenn durch Maschinelles Lernen Entscheidungen über Kredite oder die Partnerwahl getroffen werden, aber auch Personalentscheidungen oder Verkehrssünder durch automatisierte Systeme erkannt werden und Bußzettel erhalten. Oder halt die oft diskutierte Frage, wer bei einem Unfall verschont wird, wenn unausweichlich ist, dass entweder ein älterer Mensch oder ein Kind getötet werden wird. Eine wirkliche Lösung dafür gab es nicht, außer dass die Menschen hier halt immer noch den Rahmen vorgeben und entscheiden müssen, was automatisiert werden soll.

 

Technisch wurde darauf hingewiesen, dass für Maschinelles Lernen immer noch sehr viel Rechenpower benötigt wird, die nach wie vor begrenzt ist. Hier kommen vor allem Grafikkarten mit zig GPUs zum Einsatz.

 

Im Bereich des Fernstudiums und konkret der Weiterbildung, die im Vortrag so nicht behandelt wurden, kann ich mir gut vorstellen, dass Prüfungen immer häufiger automatisiert ausgewertet werden, zunehmend wohl irgendwann auch bei Freitext-Aufgaben oder praktischen Übungen.

 

Einerseits ein faszinierendes Thema, andererseits aber auch eines, bei dem ich viele Bedenken habe da ich befürchte, dass alles automatisiert werden wird, was automatisiert werden kann - und wenn es nur wieder mal um Effizienz, Kosteneinsparung und die Reduzierung von menschlichen Arbeitskräften geht.

 

Im Fernstudium-Track ging es dann unter anderem um Lab@home, ein Heimlabor, das im Studium Zuverlässigkeitsingenieurwesen an der ZFH zum Einsatz kommt. 

 

Dabei handelt es sich um einen kleinen Bausatz, der den Studierenden Leihweise zur Verfügung gestellt wird und mit dem sie dann ein kleines Prüfgerät bauen und mit dem eigenen Notebook verbinden und Messungen durchführen können. Das Ganze wird durch ein Workbook begleitet, es gibt Online-Gruppen, eine Sprechstunde und dann bringen die Studierenden ihre Konfiguration auch mit in die Präsenz, um dort weiter damit zu arbeiten. Dadurch wird das Thema für die Studierenden sehr anschaulich und es macht auch Spaß, selbst etwas zu basteln.

 

 

Im nächsten Beitrag ging es um Onlife Learning Spaces. Katja Ninnemann untersucht hier Gestaltungsszenarien von Lernorten bei der Digitalisierung des Lernraums Hochschule. Sie hat erste Ergebnisse vorgestellt und für eine Folgeuntersuchung soll auch die Community von Fernstudium-Infos.de mit einbezogen werden. Dazu werdet ihr hier im Forum also noch mehr erfahren. Onlife bedeutet dabei, dass online immer mehr ein Teil des Lebens wird, auch im (Fern-)Studium und sich das auch in den Lernorten wiederspiegelt, so dass zum Beispiel Bibliotheken immer mehr als Learning Center mit verschiedenen Lernbereichen gesehen werden, in denen die Technik genutzt wird und Treffpunkte entstehen. Und die Bücher oft in den Hintergrund treten. 

 

 

Die zweite Keynote hat Prof. Dr. Isa Jahnke (https://www.isa-jahnke.com/) von der University of Missouri (https://education.missouri.edu/person/isa-jahnke/) gehalten. Dabei ist sie auf das Konzept 

Learning with technologies versus Learning from technologies eingegangen.

 

Dabei geht es darum die Prozesse so zu gestalten, dass die Technologie das Lernen unterstützt. An der University of Missouri  wird dazu ein Master komplett online angeboten. Die Studierenden arbeiten dort sehr aktiv mit verschiedenen Medien und alles ist recht strikt durchgetaktet, ähnlich wie es hier bei Fernstudium-Infos.de auch schon Studierende in Onlinestudiengängen an britischen Hochschulen berichtet haben. Die Kommunikation findet dabei überwiegend asynchron statt, da die Studierende aus Gegenden mit ganz unterschiedlichen Zeitzonen kommen. Es geht oft darum, nach einem Input von Wissen dadurch zu lernen, etwas zu tun. Eine wichtige Rolle kommt dabei auch den Lernbegleitern, also den Dozenten, zu, welche den Prozess unterstützten.

 

Als technische Plattform kommt Canvas zum Einsatz (https://community.canvaslms.com/), das durchaus Ähnlichkeiten mit Moodle hat.

 

 

Anschließend gab es einen Poster-Pitch. Um die 15 Poster wurden in jeweils einer Minute vorgestellt - und konnten dann in der anschließenden Pause genauer betrachtet und besprochen werden. Interessant fand ich hier besonders, dass die Virtuelle Hochschule Bayern, um deren Angebote es im Forum ja auch schon oft ging, nun auch offene Kurse über openVHB anbietet. Die Website dazu ist unter https://www.vhb.org/open-vhb/ zu finden. 

 

Die abschließende dritte Keynote hat PD Dr. Markus Deimann von der FernUni Hagen gehalten. In seinem eher theoretisch-abstrakten Vortrag ging es um Digitalität, Bildung, Hochschule - eine system(theoret)ische Betrachtung. Sein Manuskript hat er hier zur Verfügung gestellt und hier gibt es seine Folien zum Vortrag

 

Interessant fand ich besonders Überlegungen dazu, welche Abhängigkeit wir von IT-Infrastrukturen und zunehmend auch künstlicher Intelligenz haben und welche Macht diejenige haben, die diese zur Verfügung stellen - und dass es sich dabei um eine verschleierte Macht handelt, weil wir es als normal ansehen, dass wir uns an diesen Ressourcen bedienen können.

 

Auch wie sich im Bereich der Bildung die Systeme von Bildungssystem, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gegenseitig beeinflussen, fand ich sehr interessant und nachdenkenswert. Zum Beispiel wie große Unternehmen wie Google selbst Bildungsangebote produzieren, um Mitarbeiter mit genau den Skills auszubilden, die sie für sich brauchen, um sie in kurzer Zeit als günstiges Humankapital nutzen zu können, statt auf Akademiker zurückzugreifen, die teurer sind und viel Theoriewissen mitbringen, das aber praktisch nur begrenzt eingesetzt werden kann. 

 

Neben den Vorträgen habe ich mich auch über viele Gespräche mit Akteuren aus der Welt des Fernstudiums gefreut und auch darüber Hinweise bekommen, was aktuelle Themen sind und einige Impulse für Beiträge und Videos mitgenommen.

 

im nächsten Jahr findet die Jahrestagung 2020 der DGWF zum 50. Jubiläum in Berlin statt. Ich gehe aber davon aus, dass es dann auch wieder eine Frühjahrstagung der AG-Fernstudium geben wird, die ich wohl eher besuchen werde. Es war in diesem Jahr schon zu bemerken, dass deutlich weniger Akteure aus dem Bereich des Fernstudiums dabei waren, als es sonst bei den speziellen Tagungen nur für da Fernstudium der Fall ist.

 

Außerhalb des Tagungsprogramms war ich im Botanischen Garten, habe mir das eindrucksvolle Ulmer Münster zumindest von außen angeschaut und noch einen längeren Spaziergang bei bestem Wetter an der Donau gemacht. Das war für mich ein Ausgleich zur Konferenz mit den vielen Menschen und dem intensiven Input.

 

Donau.jpg

 

 

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