Nur weil man büffelt, lernt man nicht
Im Englischen wird zwischen "studying" und "learning" unterschieden. Im Deutschen wäre das beides "lernen."
Ich lerne auf eine Klausur. Ich habe gelernt, das verbotene Riff auf der Gitarre zu spielen.
Wie wir sprechen formt anteilig wie wir denken [1][2][3][4]. Daher ist für uns das Lernen auf eine Klausur recht nah am tatsächlcihen lernen. Um Verwirrung zu vermeiden, nutze ich ab jetzt "büffeln" wenn es um den Prozess der Wissensaneignung geht.
Was das Lernen angeht, haben wir in den letzten Jahren wirklich Fortschritte gemacht. Nur leider kommen die nicht immer bei den Personen an, die es eigentlich brauchen würden. Was anteilig auch daran liegt, dass an überholten und stellenweise falschen Ideen (wie der Idee der "Lerntypen") oder des wiederholten Lesens / Anhörens festgehalten wird. Vielleicht, weil es vertraut vorkommt, und wir Vertrautes als gut befinden [5].
Weil es vertraut ist. Und man damit ja auch eine gewisse Erfolgsquote hatte (davon gehe ich jetzt bei den Besuchern hier einfahc mal aus), ist auch der Druck gering, sich etwas Neues zu suchen. Und wenn die Methoden nicht gut funktionieren, dann macht man halt mehr. Und fragt sich, wie man das denn alles in der kurzen Zeit schaffen soll. Ggf. noch neben einem Job. Und dem Privatleben.
Die teilweise wirklich grenzwertigen Lerntipps, die man dann auf TikTok oder YT finden kann, machen es nicht wirklich besser. Da wird dann alles Mögliche versprochen ("Mit dieser Methode kannst du alles lernen") um dann kompletten Schwachfug als Lösung anzubieten (siehe Bild).
Teilweise kommt das dann auch von Personen, die Dienstleistungen in dem Bereich anbieten. Was dann wirklich übel ist, weil sich ja Leute auf deren Ratschläge verlassen.
Da sind mir einige aus dem englischsprachigen Raum bekannt, aber wir finden auch inzwischen im deutschsprachigen Bereich Anbieter, die mit absolut haltlosen Aussagen kommen. Und dann gerne sagen, warum "Dinge nicht funktionieren", aber sich verdammt bedeckt halten, wenn es darum geht, wie sie funktionieren.
Ich hab ja schon in älteren Einträgen auf diverse gute Bücher verwiesen, daher möchte ich hier eher auf das grobe Herangehen eingehen. Gehen wir mal davon aus, dass drei Dinge relevant sind
- Wissen in den Schädel reinbringen (Encoding)
- Abruf des Wissens (Retrieval)
- Rückmeldung (Feedback)
Beispiel: Der Gedankpalast (Loci-Methode) basiert darauf, dass wir Informationen an Räumen verorten, und dann einen bestimmten Weg ablaufen, um dann dort diese Dinge wiederzufinden. Beispielsweise beim Weg durch die Wohnung. Die Methode ist gut erforscht, und funktioniert sehr gut für Informationen, die keinen inneren Zusammenhang haben. Wie die Reihenfolge der Karten im Stapel und Wort- oder Ziffernfolgen.
Es hat allerdings auch Einschränkungen. Man braucht ein System um abstrakte Dinge zu einem Bild werden zu lassen, und braucht für verschiedenen Inhalt auch unterschiedliche Wege, die man ablaufen kann.
Das gleiche Prinzip funktioniert aber auch mit vorhandenem Wissen. Anstatt etwas mit einem Ort, der mir vertraut ist, zu verbinden, kann ich es auch mit früherem Wissen verbinden. Wenn ich bereits "etwas Wissen" zu Hyänen (einfach mal als Beispiel) habe, dann kann ich die Informationen, dass Hyänen Weibchen im Rudel ranghöher sind als Männchen, besser hängen. Und dann ist die Fressreihenfolge Weibchen, Junge, Männchen auch recht einfach zu merken, da hier die neue Information mit bekanntem Wissen kombiniert zum nächsten führt. Das passt also zum einen logisch zusammen, ist interessant (da anders als bei anderen Tieren), und "besondere" Dinge haben auch eine höhere Relevanz für uns als alltägliche.
Hier noch ein paar weitere Punkte, die beim Encoding helfen können: Chunking, Visualisierung der Zusammenhänge (insbes. in Netzform) und (Neu-) Organisieren von Wissen. Letzteres ist ein Spezialfall, da man dazu erstmal eine Grundlage braucht, und durch Reorganisation dieses Wissens neues Wissen (und neue Querverbindungen) schafft. Dazu gleich mehr im nächsten Abschnitt.
Das Wissen abzurufen ist ebenfalls wichtig. Hierbei sollte (aus Sicht der Klausurvorbereitung) der Anforderungsreiz möglichst nah an dem liegen, was bei der Prüfung verlangt wird. Andererseits: Wenn man es schafft, das Wissen gut in Bestehendes einzubetten, und einen das Ganze auch noch interessiert, kann man es auch jemand anderen erzählen. Oder eben beiläufig in einem Blogpost erwähnen. Hab ich eigentlich schon mal erwähnt, dass Spinnen ihre Beine durch ein hydraulisches System strecken und nicht durch Muskeln? Evtl. kann man auch bekannte Dinge auf einen neuen Bereich anwenden oder entdeckt Gemeinsamkeiten. Das erlaubt es, Wissen zu verallgemeinern. Und wenn man sich anstatt vieler Speziallfälle nur ein paar Regeln merken muss, dann vereinfacht das einiges. So ist laut einem Interview mit Richard Petty das Elaboration Liklihood Modell enstanden, da er versucht hat, sich die ganzen Fälle zur Überzeugung besser zu merken und zu organisieren [6].
Der letzte Punkt ist Feedback. Wenn ich jemanden etwas erzähle, dann merke ich, wo meine Wissenslücken sind. Insbesondere, wenn nachgefragt wird. Hin und wieder die eigene Wissensbasis zu prüfen ("ist das eigentlich wirklich so?") oder eigene Annahmen zu hinterfragen ist da auch hilfreich. Dabei ist auch wichtig, die Quellen einschätzen zu können. Denn es gibt einige prominente Beispiele, in denen in Fachbüchern und Lehrbriefen falsch und/oder veraltete Informationen enthalten sind.
Boah. Langer Artikel. Und eigentlich nur, weil ich "nur weil man lernt, muss das nicht heissen, dass man lernt" irgendwie irritierend fand.
[1] Bloom, P., & Keil, F. C. (2001). Thinking through language. Mind & language, 16(4), 351-367.
[2] Roberts, S. G., Winters, J., & Chen, K. (2015). Future tense and economic decisions: Controlling for cultural evolution. PloS one, 10(7), e0132145.
[3] TedX (2013). Grammar, Identity, and the Dark Side of the Subjunctive: Phuc Tran at TEDxDirigo. https://youtu.be/zeSVMG4GkeQ?t=70
[4] Vernon, M. (1967). Relationship of language to the thinking process. Archives of General Psychiatry, 16(3), 325-333.
[5] Zajonc, R. B. (1968). Attitudinal effects of mere exposure. Journal of Personality and Social Psychology Monographs, 9, 1–27. http://dx.doi.org/10.1037/h0025848
[6] McRaney, D. & Petty, R (2018). YANSS 134 - The Elaboration Likelihood Model. https://youarenotsosmart.com/2018/09/11/yanss-134-the-elaboration-likelihood-model/
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