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Skriptqualität an der IU weiter unterirdisch


DerLenny

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Der Statistikkurs (BSTA01) wurde überarbeitet und hat jetzt ein neues Skript. Da ich das alte wirklich gut fand, und es vielen als Alternative zu anderen Statistikskripten angeraten habe, habe ich mich gefragt, was sie da wohl verbessert haben. Denn ich fand den Aufbau des alten Skriptes didaktisch passend.

 

Das neue Skript hingegen ist... falsch. Und ich meine nicht nur etwas falsch. Ich meine grundlegend falsch.

 

Das Skript erklärt Skalenniveaus falsch. Was zur Folge hat, dass jemand den Physikern Bescheid geben sollte - denn laut diesem Skript hat die Temperatur keinen absoluten Nullpunkt mehr. Geld ist ganz klar zum einen stetig, da man ja ganze Centbeträge haben kann (😳) und Verhältnis skaliert. Was laut der Quelle [1] dann auch bedeutet, dass es keine negativen Werte annehmen kann. Den Teil haben sie dann aber im Skript weggelassen. Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob die Autoren an der Stelle gemerkt haben, dass ihre Quelle evtl. nicht vertrauenswürdig ist, aber sie für den restlichen Müll dennoch weiter verwendet haben, oder ob es ihnen einfach nicht aufgefallen ist / sie beschlossen haben nicht alle Teile der Definition zu übernehmen, weil: warum auch?

 

Laut dem Skript / der Quelle, kann man durch Definition einer Skala, alle anderen Skalen abändern. Denn eine Skala ist dann nicht verhältnisskaliert, wenn "die Zahl Null nicht in allen Einheiten die gleiche Bedeutung aufweist." (BSTA01-02, S.19).

Durch Definition einer weiteren Skala mit einem anderen Nullpunkt kann ich also das Skalenniveau jeder anderen Skala abändern. Aha. Ich definiere hiermit die Rummelskala für Körpergröße, die den Nullpunkt auf 110cm legt. Eine Person der Rummelgröße 0 oder größer darf somit alle Fahrgeschäfte benutzen. Personen mit einer negativen Rummelgröße dürfen nur für sie ausgewiesene Fahrgeschäfte benutzen. Und durch die .. um.. sehr verständige Definition im Skript, ist jetzt die Körpergröße an sich (und nicht nur meine Skala) in einem anderen Skalenniveau. Potz-Blitz, Sapperlott aber auch. Jetzt müssen so viele Bücher neu geschrieben werden, weill der doofe Lenny einfach mal das Skalenniveau der Körpergröße geändert hat. Naja, oder nur das Skript der @IU Internation. Hochschule

 

Ich bin da echt etwas baff. Es muss doch beim Lesen auffallen, dass eine zusätzliche Skala keinen Einfluss auf bestehende Skalen haben kann. Wie schafft es so was in ein Lehrskript? Oder auch bei dem diskret/ stetig Ding muss der Fehler beim Lesen auffallen, da das Skript sich hier selbst widerspricht.

 

Aber wer braucht schon Grundlagen? Ich muss gestehen, dass ich nach den Hämmern (Skalenniveaus und diskret/stetig) nicht mehr ganz so aufmerksam gelesen habe, evtl. sind mir also noch ein paar Sachen entgangen.

 

Aber hier noch ein Schmankerl. Zur Schiefe schreibt das Skript:

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"Eine symmetrische Verteilung liegt uns immer dann vor, wenn Mittelwert und Median ungefähr gleich groß sind. [..] Eine schiefe Verteilung kann auf zweierlei Arten eintreten. Ist der Mittelwert größer als der Median, so haben wir es mit einer rechtsschiefen Verteilung zu tun. Die Balken nehmen demzufolge nach rechts hin ab. Eine linksschiefe Verteilung ist hingegen dann gegeben, wenn der Mittelwert kleiner als der Median ausfällt." (BSTA01-02, S.57; Hervorhebungen von mir).

 

Zum einen ist die Formulierung "Immer, wenn ungefähr" wirklich schmerzhaft. Zum anderen ist das, was da steht, eine Daumenregel. Es gilt nicht immer, sondern nur häufig. Und hat eigentlich keine Daseinsberechtigung in einem Lehrskript, wenn man nicht auch noch die korrekte Definition angibt und wirklich sehr deutlich klarmacht, dass es eben eine Heuristik ist.

Hier ein Beispiel, das das Problem zeigt:

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(General Social Survey, 2002: Persons over 18 living in the same houshold, zitiert nach [2])

 

Wir haben hier eine rechtsschiefe Verteilung, aber der Mittelwert ist kleiner als der Median.

Seufz.

 

Was uns zurück zum IU-typischen Problem bringt: Sollen die Studierenden das lernen, was im Skript steht, oder doch lieber die korrekten Informationen? Und warum wurde ein gutes Skript durch... um.. dieses Skript ersetzt? Und die vielen problembehafteten Skripte nicht verbessert?

Man könnte meinen, die IU versucht eine gewisse Fehlermenge nicht zu unterschreiten. Und wenn es versehentlich doch mal passiert, dann legt man das Skript neu auf.

 

--

[1] Bortz, J. & Schuster, C. (2010). Statistik für Human- und Sozialwissenschaftler (7. Aufl.). Springer

[2] von Hippel, P. (2005). Mean, Median, and Skew: Correcting a Textbook Rule. Journal of Statistics Education 13(2).

Bearbeitet von DerLenny

35 Kommentare


Empfohlene Kommentare



vor 1 Minute schrieb Nadja_studiert_Informatik:

Das Ergebnis ist immer ein konkreter Fall. Du musst bei den Werten aus dem IU-Skript 1/2alpha addieren.

Um.. Deine Werte sind identisch zu den Werten im Skript?

Und du musst da auch nichts addieren? Die geben genau das an, was sie angeben sollen?

Also den unteren und oberen z-wert für das gegebene symmetrische Intervall?

 

Beispiel: du willst das symmetrische 50% Intervall haben.

Damit liegen 25% links und 25% rechts von deinem Intervall.

Es geht also von P=25% bis  P=75%.
 

Und damit von z(P=0,25)=-0,68 bis z(P=0,75)=0,68.


Prüfung mittels der Formel aus dem Skript: 2 * Fst(0,68) - 1= 2 * 0,7517 - 1 = 0,5034 ≈ 0,5

Passt also, und entspricht den Angaben im Skript.

 

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vor 2 Minuten schrieb Nadja_studiert_Informatik:

Ich meine diese Zahlen. 

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Ok, du meinst hier sollte als Index das Quantil, nicht das Intervall angegeben werden?

Oder es auf z_krit_2_seitig_0,9 oder so erweitert werden?

Das kann ich nachvollziehen.

 

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Ja genau. Die Aufgaben sind doch auch alle so gestellt, wenn ich mich richtig erinnere, sodass diese Zahl sinnvoller ist? Also wenn es eine Aufgabe zu einem Ausreißer gibt, interessieren mich ja Ausreißer in die andere Richtung nicht, aber klar weiß man, dass es da auch welche gibt. Ich betrachte diesen Teil der Kurve höchstens in einem vorbereitenden Schritt. Mich hat das extrem irritiert.

Ich wusste nicht, dass man es Quantil nennt. Als die Tutorin meinte, dass diese Zahlen im Skript falsch sind, war ich sehr erleichtert. Aber vielleicht geht es Anderen nicht so…

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Am 22.9.2023 um 10:25 schrieb DerLenny:

da der "absolute Nullpunkt" im allgemeinen Sprachgebrach sich ja auf 0 Grad Kelvin und damit Temperatur bezieht.

 

0 Grad Kelvin

Bearbeitet von Ellipse
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Hallo zusammen,

vielen Dank an @DerLenny für Dein Feedback zum Skript.
 

Wir sind bereits mit unserem Fachteam und der modulverantwortlichen Person hierzu im Austausch und melden uns bei Dir persönlich zurück, sobald uns zu diesen Skript-Ausschnitten noch mehr Informationen vorliegen.  

 

Wir bitten dabei allerdings um die Einräumung einer angemessenen Bearbeitungszeit und melden uns bei Dir schnellstmöglich zurück - auch, um noch mehr Informationen zu den exakten Seitenzahlen und Angaben zu bekommen.

  

Beste Grüße

Larissa (Student Relations)

IU Internationale Hochschule

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Die Autorin des Skript hat ein weiteres Werk im Bereich Statistik herausgebracht.
 

Zitat

"Da null Grad Celsius nicht den gleichen Wärme- bzw. Kältegrad wie null Grad Fahrenheit beschreibt, existiert kein natürlicher Nullpunkt. Demnach handelt es sich bei der Temperatur um ein intervallskaliertes Merkmal, da die Zahl Null nicht in allen Einheiten die gleiche Bedeutung hat."

 

Dagegen unterschieden Clauß et al. auf Seite 11 das Skalenniveau der Temperatur nach der genutzten Skala.  

Auch Leonhart (2017, S. 35) nennt die Kelvin Skala als Intervall, und geht auf sie im Rahmen von Skalentransformationen ein.

 

Als reines Gedankenexperiment möchte ich nochmal anführen, dass wenn den nun schon das zweite Mal angeführten Gedankengang der Skriptautorin zu Ende führt, man dafür sorgen kann, dass es keinerlei verhältnisskalierte Skalen mehr gibt, in dem man eine Logarithmische Skala für irgendein Maß einführt, da nach ihrer Logik dies sofortige Auswirkung auf alle anderen Skalen für das gleiche Merkmal hat.

 

 

Am 27.9.2023 um 11:51 schrieb IU Internation. Hochschule:

Wir sind bereits mit unserem Fachteam und der modulverantwortlichen Person hierzu im Austausch und melden uns bei Dir persönlich zurück, sobald uns zu diesen Skript-Ausschnitten noch mehr Informationen vorliegen. 

 

Da es zu keiner Rückmeldung kam, und das neu veröffentliche Skript eines anderen Kurses wieder diesen Passus enthält, gehe ich davon aus, dass die Autorin wirklich davon überzeugt ist, dass das Skalenniveau nicht an der Skala, sondern am Merkmal hängt.

 

Kurz darauf schreibt die Autorin:

Zitat

Die in der Psychologie oftmals verwendete Likert-Skala von 1 bis 10, 1 bis 7 oder anderen Skalenformen besitzt keinen natürlichen Nullpunkt.

 

Was bei der Likert Skala eher unerheblich ist, da hier der Streitpunkt ja auch eher ist, ob sie als ordinal- oder intervallskaliert zu betrachten ist.

Was inzwischen schon eine Art running-gag ist:

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image.png.3499fe3638c9273c99962dd0fac6d569.png

 

Anyway, diese Frage stellt sich die Autorin des IU Skripts aber gar nicht, denn für sie ist klar, dass es eine metrische Skala ist (und dieses Mal ganz unabhängig vom Merkmal).

 

Auch die Schiefe wird wieder mit der Daumenformel präsentiert, ohne zu erwähnen, dass es eine Daumenformel ist. Hier der Verweis auf das oben genannte Beispiel, warum man damit sehr leicht falsch liegen kann.

 

Dafür sind an anderen Stellen "sehr gute" Definitionen vorhanden:

Zitat

Stichprobenvarianz

Die Stichprobenvarianz ist erforderlich, um die Standardabweichung erhalten zu können.

 

Um dann leider mit der falschen Formel aufzuwarten:

image.thumb.png.d691a2db02765b00848575ebf2e0976e.png

 

Dies ist die Formel für den Schätzer der Varianz in der Grundgesamtheit, nicht die Formel für die Stichprobenvarianz.

 

Hier wird also im Kapitel zur deskriptiven Statistik eine Formel aus der Inferenzstatistik genutzt.

Was aber nicht so wild ist, denn dafür wird dann im Kapitel zur Inferenzstatistik keine Inferenzstatistik gebracht, sondern es wird auf die Grundlagen von Hypothesentest eingegangen.

*Zwinkersmiley*

 

Sucht man nach "Schätzer" im Skript, so gibt es genau einen Treffer, hier wird beschrieben, dass der Mittelwert der Stichprobe im Rahmen der Bestimmung des Konfidenzintervalls als "als Schätzer des Erwartungswerts für die Grundgesamtheit herangezogen" wird.

Ansonsten findet sich der Begriff Schätzer oder verwandte Begriffe wie "erwartungstreu" nicht im Skript.

 

Generell sollte man offen sein, was Definitionen angeht. Hier zwei Beispiele als Screenshot, weil ich das selbst in IU Skripten sonst nicht glauben würde:

image.thumb.png.a49df6c3fd4b48074db405161ab6b9de.png

 

image.thumb.png.938b8b8c599b6e7f5afddcdf34b4bebd.png

 

Das Skript schlägt des Weiteren vor, unsinnigen Zusammenhängen keine "überproportionale" Bedeutung zuzumessen. Woraus man wohl schließen kann, dass man unsinnigen Zusammenhängen eine proportionale Bedeutung beimessen soll.

 

Auch bei Entscheidungen zur Bedeutung wird stellenweise eher auf Bauchgefühl gesetzt. Bei der Auswertung einen chi-Quadrat Tests findet sich:

Zitat

In Anbetracht der Tatsache, dass dieser Wert zwischen Null und Unendlich liegen könnte, lässt sich hier kein außerordentlich hoher Wert feststellen.

Normalerweise würde man hier in einer Tabelle nachschlagen oder den p-Wert berechnen.

Das Ergebnis passt hier zwar (df=1, chi-quadrat=2,49, p=0,1146). Das Ergebnis würde bei 3,841 bei einem alpha von 5% signifikant werden. 3,841 ist aber im Vergleich zu "unendlich" aber immer noch recht klein. Es gibt auch keine weiteren Information zur Interpretation.

 

Im Gegenteil: Es wird behauptet, dass man den chi-quadrat Wert nicht interpretieren kann, und daher die Berechnung des Kontingenzkoeffizienten zwingend ist.

In Folge wird Pearson-C berechnet, aber nicht als solcher bezeichnet. Als Abkürzung wird K anstatt C benutzt. Für die Interpretation werden Schwellenwerte genannt, für die keine Quelle angegeben ist, und für die ich auf die Schnelle auch nichts gefunden habe.

Auf Cramers-V wurde verzichtet, weil es ja auch phi für Fälle mit zwei Variablen gibt. Warum das eine schlüssige Begründung ist, steht da leider nicht.

 

Ich mag auch, dass die Autorin stets die kompliziertesten Zusammenhänge durch passende Visualisierung zu vermitteln vermag. Hier ein Beispiel:

image.thumb.png.32b4d87c144a2567dbdf0ec96c6a64a5.png

 

Dass das titelgebende Komplementärereignis in der Abbildung nicht beschriftet ist, scheint übrigens gewollt zu sein, denn das wird knallhart durchgezogen.

 

Neben der Vereinigungsmenge wird auch die sonst eher unbekannte "Durchschnittsmenge" bedacht

image.thumb.png.495e4675a9576d24d0a835283ea4f5cb.png

 

Ich bin hier allerdings unsicher - es könnte auch die Schnittmenge gemeint sein, aufgrund der sonstigen Eigenarten des Skripts bin ich mir hier aber nicht sicher.

 

Schmankerl zum Schluss: für dieses Skript gilt bei stetigen Zufallszahlen P(X = x) > 0.

 

Abschließend kann man sagen, dass die Korrektheit der Skripte weiterhin kein wichtiges Kriterium ist. Das neue Skript dürfte aber aufgrund der gesenkten Komplexität deutlich leichter zu lernen sein, und so den Studierenden entgegenkommen.  Der Sprung zum Folgekurs wird damit aber deutlich steiler.

 

Literaturnachweise

Clauß, G., Finze, F.-R., & Partzsch, L. (2004). Statistik für Soziologen, Pädagogen, Psychologen und Mediziner (5. korrigierte Auflage). Verlag Harri Deutsch.

Leonhart, R. (2017). Lehrbuch Statistik: Einstieg und Vertiefung (4. aktualisierte und ergänzte Edition). Hogrefe AG.

Bearbeitet von DerLenny
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