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Physische Geographie III - Angriff der Hirschlausfliege


Azurit

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Eigentlich solltet ihr den nächsten Blog-Eintrag gestern bekommen. Ich hatte Frühschicht und wollte danach gemütlich ca. 50 Kilometer fahren, um dort ein neues Aquarium abzuholen, das von den Maßen exakt auf mein Fensterbrett passt. Besonders freute ich mich, dass meine Schwester spontan mitfahren wollte, da eine gemeinsame Autofahrt weniger langweilig ist. Anschließend wollte ich bei einem gemütlichen Kaffee den nächsten Blog-Eintrag schreiben.

Leider kommt es immer anders als man denkt, vielleicht bin ich auch einfach ein kleiner Pechvogel. Ich holte meine Schwester ab und wir fuhren los. Ich wollte noch kurz bei der Bank halten, um das Geld für das Aquarium abzuholen. Bei uns im Ort gibt es gerade viele Baustellen. Eine ältere Dame musste die Umleitung nutzen, regte sich darüber auf und überblickte die Vorfahrtssituation nicht. Sie fuhr ungebremst mit 50 über die Kreuzung. Ich bremste noch voll, aber gereicht hat es nicht mehr, ich schlug voll in ihre Beifahrer-Tür ein. In der Tat hat es sich nicht sonderlich schlimm angefühlt, die Passanten schauten allesamt schockierter als ich. Als unendlicher Optimist stieg ich noch aus dem Auto und ging davon aus, dass ich nun eben eine Beule in der Front habe... Wir sind alle mit dem Schrecken davon gekommen. Außer einer Beule am Fuß und leichter Nackenzerrung meiner Schwester, einem kleinen blauen Fleck an meinem Knie und einer Zerrung meines Rückens passierte nichts.

Leider habe ich aber nicht nur eine Beule in der Front. Als ich ausstieg, sah ich dann überall Trümmer (mein Kennzeichen war bestimmt 5 Meter vom Auto entfernt), weitere Teile waren weit verstreut, das Kühlwasser spritzte und dampfte aus einigen Löchern, ein Kabel war gerissen... Natürlich können wir froh sein, dass keiner verletzt wurde und nur materielle Güter einen Schaden davon getragen haben. Dennoch bin ich extrem traurig. Ich hatte das Auto seit 3 Wochen, bin zum 3. Mal gefahren und es war quasi das Geburtstagsgeschenk meines Vaters. Nun ist es wohl ein finanzieller Totalschaden. Als er mir die Schlüssel übergab, sagte er aus Jux noch "aber bau nicht gleich einen Unfall!". Ich bin natürlich nicht Schuld, aber es tut trotzdem sehr weh.

 

Aber nun kommen wir zurück nach Schweden. Ich kam tatsächlich in Filipstad an und dort wartete bereits ein "Mini-Bus" samt Dozent auf mich. Wir fuhren in unsere Unterkunft, eine Art Jugendherberge oder Schullandheim. Ich hatte gerade Zeit, mein Gepäck abzustellen, dann ging es auch schon los.

Wir fuhren an verschiedene Orte, um uns einen Überblick über das Gelände zu verschaffen, das wir in den nächsten Tagen untersuchen würden.Dort gruben die Dozenten auch schon erste Löcher, um uns zu zeigen, auf was wir achten sollen. Nachdem es dann anfing, aus Kübeln zu regnen, fuhren wir zurück zur Unterkunft und anschließend in die Stadt, um in einem asiatischen Restaurant zu essen. Danach hatten wir noch eine Vorlesung über das, was wir nun tun sollten und über die Region, in der wir uns aufhielten. Dann blieb noch etwas Zeit, die Kommilitonen kennenzulernen. Meine Erwartung war, dass die meisten wohl aus Schweden sein würden, aber das war weit gefehlt. Die Exkursion war sehr international, wir hatten Studenten aus Großbritannien, Rumänien, Spanien, Griechenland und sogar aus Brasilien. Da ich nach der Nacht am Hauptbahnhof von Malmö doch sehr müde war, ging ich allerdings zeitnah ins Bett.

Am Sonntag starteten wir dann eine Exkursion in ein glaziofluviales Delta. Hier schauten wir uns verschiedene Landschaftsformen an. Es regnete mittlerweile nicht mehr, wobei Schweden für mich als Deutsche sich natürlich sehr kalt anfühlte. Am Nachmittag wurden wir dann in Zweier-Gruppen aufgeteilt, um unser Gelände zu untersuchen. Für meine Gruppe war zunächst geplant, dass wir gemeinsam mit einer anderen Gruppe und einem Dozenten in den Sumpf gehen würden, um dort Bohrungen mit einem Russischen Bohrer vorzunehmen. Ich trat natürlich direkt in eine Wasserlache und hatte nasse Füße. Insgesamt war der Sumpf natürlich sehr unwegsam. Wir aßen Cranberries direkt von der Pflanze und bohrten 4 Meter tief - danach hatten wir die glaziofluviale Schicht erreicht und konnten aufgrund der Härte nicht tiefer bohren. 10 000 Jahre altes Material hatten wir in unseren Händen! Und dann lernte ich auch schon, wie man in den Geowissenschaften Korngrößen prüft: man zerreibt das Material in den Händen. Wenn man etwas fühlt, handelt es sich um Sand. Ist es kein Sand, prüft man, ob man mit den Zähnen etwas spürt. Dann ist es Schlick. Ansonsten ist es Lehm. Sehr eklig, ich glaube, ich habe noch nie so viel Dreck gegessen wie auf der Exkursion :D Anschließend ging es noch auf die andere Seite, wo wir uns eine interessante Steinformation anschauten. Wie war dieser riesige Block auf zwei kleineren gelandet? Vielleicht ein Erdbeben? Eine endgültige Erklärung gab es nicht.Auf dem Rückweg verknackste ich mir im unwegsamen Gelände den Fuß... und blieb im Sumpf stecken, konnte mich aber selbst befreien. Danach fuhren wir wieder in die Stadt und aßen im Burger-Restaurant, insgesamt ist Essen im Restaurant sehr viel günstiger wie in Deutschland. Leider war das Restaurant überfordert mit unserer Anzahl und so war mein Burger zwar sehr lecker, aber leider kalt. Nun konnte ich auch einkaufen gehen, um mir Mittagessen und Frühstück für den nächsten Tag zu machen - richtig gehört, völlig normal, dass in Schweden die Läden sonntags geöffnet haben! Anschließend ging es zurück zur Unterkunft und ich ging wieder früh ins Bett, um am nächsten Tag ausgeschlafen zu sein.

Am Montag war ich mit meinem Partner dann auf mich allein gestellt. Wir hatten 3 Quadrat-Kilometer zu untersuchen. Zunächst wollten wir das Grundgestein sehen, also fuhren wir bis zum Ende eines Weges und wanderten dann einen Hügel hinauf. Anschließend wollten wir nach links zum See. Hier mussten wir steile Abgründe besiegen, überall riesige Steine, das war schon ein bisschen gefährlich. Letztendlich schafften wir es aber zum See und gruben unser erstes Loch. Danach wollten wir dann zum Mittagessen an einen anderen See auf der anderen Seite, mussten aber außen herum laufen und querten daher das Gelände einer anderen Gruppe - also nicht so viel Untersuchung möglich. Wir fanden den See und Spuren von Bären. Dort gruben wir erneut ein Loch. Dann wanderten wir weiter durch den Wald, überall große Gesteinsbrocken, viel Vegetation, alles sehr unwegsam. Ich hatte abends bereits den Muskelkater meines Lebens. Natürlich gruben wir unterwegs weitere Löcher - allerdings war nicht viel möglich, da überall Steine waren. Am Weg angekommen, war ich sehr froh und wir wurden abgeholt und in die Unterkunft zurückgebracht. Danach gingen wir wieder in die Stadt, diesmal Pizzeria. Plötzlich piekte mich etwas in meinen Kopf. Ich fasste hin und fand ein Insekt - die Hirschlausfliege. Laut meinen schwedischen Freunden völlig ungefährlich für Menschen. Normalerweise fliegen sie Hirsche und Rehe an, um dann Blut zu saugen, sich durch die dicke Haut zu bohren und ihre Jungen abzulegen. Dabei stoßen sie ihre Flügel ab. Im Restaurant fand ich mehr und mehr dieser Tiere in meinen Haaren, es war richtig unangenehm, da sie vom Nacken her krabbeln und sich durch die Haare hangeln, um dann Blut zu saugen. Sie hängen dann quasi zwischen den Haaren an der Kopfhaut und man bekommt sie nicht heraus, ohne sich selbst Haare auszureißen. Es wurden immer mehr und mehr und ich hatte keine Ahnung, warum. Zurück in der Unterkunft musste ich feststellen, dass sie wohl das Futter meines Pullovers liebten, denn dort saßen viele weitere, die mir sicher auch noch auf den Kopf gekrabbelt wären. Insgesamt musste ich ca. 20 dieser Insekten von mir entfernen und hatte die weiteren Tage große Panik vor den Tieren - und mir zukünftig einen Zopf gemacht. Abends feierte ich meinen Geburtstag mit den anderen, ich hatte Gin aus Deutschland mitgebracht. Diesmal ging es dann tatsächlich spät ins Bett, aber am Geburtstag ist das dann auch mal erlaubt.

Vielleicht klingt mein Bericht sehr negativ, aber das soll er nicht sein. Ich habe Orte gesehen, an denen normalerweise keine Menschen sind, die Landschaft und die Natur dort sind wunderschön. Direkt aus dem Wald und dem Sumpf habe ich Cranberries, Preiselbeeren und Blaubeeren in großen Mengen gegessen. Und das Wetter hat gehalten, es hat nicht geregnet, manchmal kam sogar die Sonne heraus. Außerdem war ich sehr stolz, dass ich es geschafft habe, ohne Sturz und Verletzungen samt schwerem Rucksack zu klettern.

Das soll für heute reichen, der Eintrag ist fast schon zu lang geworden :) Im nächsten Beitrag erfahrt ihr dann alles über Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. Dann gibt es noch einen weiteren zu Freitag und meiner Rückreise. Und ich hoffe, ihr wollt wissen, ob ich bestanden habe, oder das nochmal machen muss ;)

6 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Hui, du hast wirklich eine Pechsträhne! :blink: Es freut mich zu lesen, dass alle beim Autounfall heil geblieben sind und du eine schöne Zeit in Schweden hattest. Ich bin mir sicher, dass du bestanden hast! Was du alles ausgehalten hast!

 

Ich kenne die Hirschlausfliegen leider zu gut aus diversen Finnlandaufenthalten. Wer in den betroffenen Gebieten Beeren oder Pilze sammeln geht, ist meist gut verhüllt. Meine Empfehlung, falls du noch mal in die Wildnis darfst: ein breitkrempiger Hut und ein feinmaschiges Moskitonetz für den Kopf. Der Hut darf nicht aus Leder oder Wollfilz sein, oder Lederbestandteile haben und sollte idealerweise aus einem sehr robusten, stichfesten Material sein. Das gilt auch für die restliche Körperbedeckung. Bei mir schauen oft nur die Fingerspitzen aus aufgeschnittenen Handschuhen raus, der Rest ist verhüllt. Lieber innen Sauna als außen diese Biester! Manche bevorzugen auch Kopftuch/Mütze und Halstuch, aber ich bin dann dauernd nervös am kontrollieren, ob wirklich alles bedeckt ist.

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Andere Leute sagen gerne "kämpfen, fallen, aufstehen", ich sage meistens "kämpfen, sterben, auferstehen" :D

 

Leider hat mich vor diesen Biestern niemand gewarnt. Am Anfang dachte ich noch, dass sie süß aussehen, wie sie da rumschwirren... Die nächste "Wildnis" wird dann erstmal Schottland sein, wohin ich noch muss und ob nochmal nach Värmland, hängt dann von meiner Kurswahl ab. Nächstes Mal werde ich auf jeden Fall vorher googeln, ob es irgendwo böse Insekten gibt. Vielen Dank für deine Tipps, das werde ich auf jeden Fall beherzigen! Wobei ein Kommilitone es auch schlecht erwischt hat: er wurde im Hostel vor der Exkursion von diversen Bettwanzen gestochen...

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Du hast aber auch ein Pech.... Ich hoffe die Versicherung zahlt zügig, nur gut das euch nicht allzuviel passiert ist.

 

Deine Exkursion hört sich spanend an, aber fürs nächste Mal nimm ne handvoll Glück mit... nur zur Sicherheit ;)

 

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Das mit dem Glück muss ich mal ausprobieren :D

 

Leider habe ich Probleme, Bilder vom Handy auf den PC zu bekommen :( Geht nur, wenn ich sie vorher über Whatsapp verschicke.

 

Hier seht ihr zwei Bohrungen, einmal 4 bis 5 Meter tief und einmal 6 bis 7 Meter tief..

 

 

Bohrung 5 Meter.jpg

Bohrung 7 Meter.jpg

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Sehr beeindruckend, wie du das alles durchgestanden hast. Mir wäre das definitiv zu viel Abenteuer gewesen - und zu viele Viecher 😉 . Insgesamt wart ihr da ja doch ziemlich auf euch allein gestellt. Bestimmt eine Zeit, die dir in lebendiger Erinnerung bleiben wird.

 

Und ich gehe auch fest davon aus, dass du bestanden hast. Und bin dennoch gespannt auf die weiteren Berichte.

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