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Pendeln zur Hochschule = Weltreise?


Vica

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Dass wir Fernstudenten sind, hat ja in der Regel seine Gründe. Die meisten können nur so den Spagat zwischen Alltag und Wissenschaft schlagen. An der PFH hatte ich mich ursprünglich wegen des klinischen Schwerpunktes im Fernstudium angemeldet, der dann aber überraschend zurückgesetzt wurde. Früh wurde dann bekannt, dass es den klinischen Schwerpunkt als Campusvariante geben wird und wir, zu gewissen Bedingungen (da zulassungsbeschränkt) an diesem teilnehmen können. So eine wirkliche Wahl hatte ich nicht direkt: Kein klinischer Schwerpunkt = keine Möglichkeit, Psychotherapeut in Ausbildung (PiA) zu werden, wozu ja auch der KJP zählt (die Kinder-/Jugend-Variante). Darum war mir schon klar, dass ich auf jeden Fall bei den klinischen Blöcken für den Master-Schwerpunkt dabei sein will. Das Problemchen an der Sache ist natürlich, dass 1 ganze Woche vor Ort (in Göttingen) sein muss. 

Wie aber macht man das in Elternzeit, 2 kleinen Kindern und einem kleinen Job (der natürlich genau dann Anwesenheit erfordert, wenn das Blockseminar losgeht?) Vielleicht für alle, die sich eine ähnliche Frage stellen. 

Ich hatte mich schon relativ früh ganz bewusst für das tägliche Pendeln entschieden, bin also nicht vor Ort geblieben. Der Gedanke war, rechtzeitig zu Hause zu sein um noch ein bisschen Familienzeit einzurichten. Göttingen ist 250 km weit weg und bedarf auf dem Hin- und Rückweg leider genau 6 Zügen - klingt erstmal abturnend und sehr unsicher, war es aber im Endeffekt gar nicht. 

Zunächst mal musste folgendes abgeklärt werden:
- Mein Mann musste Urlaub nehmen. Zum Glück waren das nur 3 Tage, weil 2 Tage ja über das Wochenende gingen. Damit war die Kinderbetreuung geregelt. Wenn er keinen Urlaub bekommen hätte? Das wäre schon kniffeliger geworden, weil wir auf kein Großelternpaar zurückgreifen können. Es gibt aber bei meinem Mann an der Arbeitsstelle eine Betriebskita, die auch externe Kinder betreut, wenn es sich um solche Notfälle handelt. 
- Für die Redaktionssitzung am Arbeitsplatz, zu der ich hätte erscheinen müssen, konnte ich jemand anderes schicken, der dann für mich entsprechende Artikel-Ideen aufschrieb/an Land fischte. Das war abgeklärt und gar kein Problem. 
- Wie will man die Reise antreten? Für mich ist Zug immer noch das effizienteste Mittel. 

Der Reiseweg sah so aus:
- Der Wecker klingelt um 4:30 - das heißt: Schlafen gehen um spätestens 9. 
- Mit dem Bus um 5:40 zum Bahnhof fahren (am letzten Tag, dem Sonntag, musste ich da allerdings hinlaufen) 
- Um 6:10 fährt der erste Zug nach Hamm
- Um 6:40 der zweite Zug nach Hannover
- Um 8:35 der dritte nach Göttingen, wo er um 9:10 eintrifft
- Um 9:30 startete das Seminar 
- Um 16:40 musste ich wieder den Zug nach Hannover nehmen 
- Dort um 17:16 in den zweiten Zug umsteigen. Um 18:50 traf dieser in Hamm ein. An dieser Stelle wurde es stets kniffelig, weil da nur 4 Minuten Umstiegszeit waren. 
- Um 18:54 fuhr der letzte Zug nach Münster und kam dort um 19:22 an. Mit dem Bus ging es wieder nach Hause. 

Das klingt stressiger, als es ist. Eigentlich war ich nur 1-2 mal in einer Situation, bei der es echt knapp zu werden schien, aber es reichte immer. Ich fand es interessanterweise gar nicht schlimm, so viel Zug zu fahren und dauernd zu wechseln - eher mal ganz interessant. Es ist echt mal eine andere Erfahrung, zu reisen und verschiedene Leute dabei zu beobachten. 

Ausrüstung:
- Bahn-App, sehr wichtig. So konnte ich mir immer die Züge so zusammenstellen, wie es mir passte. Nützlich, wenn das Seminar früher fertig war. Ich brauchte sie nur für die Rückfahrt. 
- Ein ICE-Wochenticket trug wesentlich zu meiner Entspannung bei, denn damit hatte ich komplett freie Zugwahl. Für die 2.Klasse kostet es 220€. Sitze waren mehr als ausreichend vorhanden, ich glaube, der vollste Tag war der Freitag, wo ich 1x eine Weile stehen musste. Einmal durfte ich auch in die erste Klasse, weil die zweite vollbesetzt war und in der ersten nichts mehr reserviert. 

Energielevel:
Ich hätte eher erwartet, dass ich vielleicht gerädert und total kaputt sein würde, gar nicht mehr aufnahmefähig. Zumal ich in meinem Eltern-Alltag eigentlich konstant Schlafmangel vor mir herschiebe und oft das Gefühl habe, dass der Schlaf nicht ausreicht. Wo sollte da die Energie für so eine Reise herkommen?
Komischerweise war ich an diesen Tagen sehr viel wacher und energiegeladener als sonst. Als wäre man quasi in eine Art Superhelden-Modus geschaltet. Die Energie blieb beständig. Hätte ich nie erwartet. 
Auch meine Gruppenkollegen merkten das und sahen sich inspiriert, die Reise nächstes Mal auch so durchzuziehen. 
Ich empfand es als großes Geschenk, zu Hause noch ein bisschen Familienzeit zu haben. 

Sänk ju vor trävälling wiz Deutsche Bahn 
Also ich muss sagen: So ein höfliches Team von der DB habe ich lange nicht mehr erlebt. Freundliche Zugbegleiter, Zugführer, die Witzchen machten. Verspätungen gab es, teilweise auch +70 Minuten. Aber ich war zum Glück nie betroffen, was natürlich Glück sein kann. Zumindest nehme ich 5-10 Minuten nicht so ernst. Mit der freien Zugwahl kann man aber auch schnell umplanen und einfach einen anderen Zug nehmen, wenn es hart auf hart kommt.

 Kaputt/falsch war trotzdem jeden Tag etwas anderes :-) Ich habe mir mal die Mühe gemacht, für alle meine 30 Züge zu notieren, was so schief lag:

Tag 1:
Zug 1: Alle Toiletten im Zug ausgefallen 
Zug 2: Reservierungsanzeigen ausgefallen. Alle Passagiere ohne Reservierung müssen in Wagen 2. Na toll, ich bin in der 10.
Zug 3: Zug kann nicht losfahren, weil hinteres Wagenteil noch nicht da ist. 
Zug 4: "Notarzteinsatz am Gleis" :-( Nr.1
Zug 5: ICE fährt fast 1 Stunde mit ca. 88 km/h, Oberleitung kaputt. Ob ich mal frage, ob ich mit dem Fahrrad vorausfahre und ziehe? Wollte ja eh auch Sportpsychologie dazu wählen, und vielleicht klappt's dann ja noch mit der Bikinifigur??
Zug 6: Fährt fast Schritttempo, denn der Zug davor kommt nicht in die Pötte. 

Tag 2:
Zug 1: Anderes Gleis, Zug hält auf der 10 statt der 1, 1 Minute vorher mitgeteilt.  
Zug 2: Notbremse wird vom Zugbegleiter auf Gleis gezogen, denn in Wagen 5 steht die Tür sperrangelweit auf und das Kommunikationssystem ist ausgefallen, er kann nicht mit dem Zugführer kommunizieren, ans Handy geht er wohl auch nicht.  
Zug 3: "Notarzteinsatz am Gleis" in Hannover, Nr.2 :-(
Zug 4: +16 Minuten Verspätung - holt er aber mit krassem Affenzahn innerhalb von 30 Minuten auf
Zug 5: Der Zug schleicht 1 Stunde lang, Oberleitung angeblich beschädigt. 
Zug 6: 24 Sekunden Umstiegszeit. Sportlich!   

Tag 3:
Zug 1: Alle Anzeigetafeln am Bahnhof fallen aus, inklusive Lautsprecher. Mal hoffen, dass man richtig steht und der Zug nicht wieder woanders abfährt. 
Zug 2: Reservierungsanzeigen ausgefallen. Sitz mal wieder unsicher! 
Zug 3: Notarzteinsatz am Gleis in Hannover :-( Nr.3  Ganz schlimme Sache in Hannover, totales Chaos. Folgezug wartet.
Zug 4: Reservierungsanzeige kaputt, Lautsprecher im Zug funktionieren nicht, WLAN haut nicht hin. 
Zug 5: Die App jagt mir riesen Angst ein mit "Strecke gesperrt" +70 Minuten...nehme lieber mal was anderes. 
Zug 6: Anderes Gleis. Glück gehabt, es ist gegenüber!  

Tag 4: 
Zug 1: Zug hat von außen falsche Anzeige, Anzeigetafel am Bahnhof auch falsch. Sehr irritierend. Da muss man sich also wohl auf seine Intuition verlassen...
Zug 2: Die Frau mit dem Kaffeewagen kommt einfach nicht. Hatte mich auf meinen überteuerten, aber guten Bordkaffee gefreut. Pah. 
Zug 3: Klar, wenn ich mal so dringend muss, dass ich die Bahntoilette benutzen muss, sind alle "defekt". 
Zug 4: Zug kann nicht geteilt werden. Super ärgerlich für andere Reisende. Ich bin zum Glück nicht betroffen. 
Zug 5: Reservierungsanzeige kaputt - wird aber alles erstaunlich diplomatisch gelöst.
Zug 6: Wegen unerwarteten Krankheitsfällen Personalmangel und damit kein Service. Na ja!

Tag 5:
Zug 1: Ist früher als gedacht bei den einzelnen Haltestellen, schafft es aber in der Summe trotzdem, zu spät zu sein!
Zug 2: Kommt mit 15 Minuten Verspätung, schiebt aber im Anschluss so einen Affenzahn, dass ich fast im Sitz klebe und am Ende nur noch 2 Minuten Verspätung draus geworden sind. 
Zug 3: Lautsprecher im Zug kaputt, Servicemitarbeiter gehen von Wagen zu Wagen, um alles durchzurufen. 
Zug 4: Ich bin früher fertig und nehme einen Zug, der 70!!Minuten Verspätung hat - für mich ist er trotzdem früher da, als mein regulärer.
Zug 5: Oberleitungsschaden, langsame Fahrt. Kann nicht in Wuppertal halten wegen eines Erdrutsches(!!) und will nun eine komplett andere Strecke fahren. Zum Glück erst nach meiner Haltestelle.
Zug 6: Abgesehen davon, dass hier nur genervte Leute unterwegs zu sein scheinen, ist hier tatsächlich kein Vorfall zu verzeichnen :-) 

LG

Feature Foto: Pexel.com

 

4 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Diese Aufstellung der einzelnen Vorkommnisse bei den Zügen ist ja spitze, habe schön gelacht :lol::thumbup:

Also hat sich die Woche für dich sehr gelohnt?

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Mein Allzeit krassestes ICE-Erlebnis war in einer Fahrt von Hamburg nach Hannover: "Wir erreichen den Haubtbahnhof Hannover 30 Minuten zu früh. Ja, irgendwie lief es heute richtig gut. Gehen Sie einen Kaffee trinken, kaufen Sie sich was beim Bäcker, wir fahren hier pünktlich weiter..."

 

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Zitat

Zug kann nicht losfahren, weil hinteres Wagenteil noch nicht da ist. 

 

Tut mir leid, aber... ich lach mich schlapp. 

 

Das kann doch echt nicht wahr sein. Unschön, dass Du solch eine Erfahrung machen musstest. Sieh es so: Du hast so etwas nicht täglich vor Dir :)

 

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Die DB ist für mich das Sinnbild der heutigen deutschen Wirtschaft. Rest kann man sich denken.

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