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Szenen einer Kündigung


Vica

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Nach einem knappen Jahr verlasse  ich die KJP-Praxis wieder. Und das trotz so gutem Feedback, tollem Team, fairer Bezahlung und vor allem wirklich schöner Räumlichkeiten. Warum das denn dann?🤔

Während dem Chaos, das ich in meinen Klinikjahren erlebt hatte, dachte ich, dass eine kleine Praxis mit einer anderen Klientel (Kinder- und Jugendliche, am besten vor der Haustür) für mich besser sein würde. Das begann nicht erst dort, bereits im Fernstudium hatte ich solche Vorstellungen.

Ich dachte auch, dass meine über das Gesundheitssystem geschockte Psychologen-Seele dort heilen und zur Ruhe kommen könne.  Eine Weile war das auch so :-). Die Arbeit mit Familien war um einige anspruchsvoller, als ich gedacht hätte. Auch die heftigen Emotionen Wut, Hass, Verzweiflung, Misstrauen etc., die einem von den (oft bereits durch jedes Raster gefallenen) Familien aus zunächst begegnen, war ein komplett neuer Faktor. Und auch die Arbeit mit Widerstand (der Kinder, weil nicht freiwillig da, nur auf "Druck" der Eltern!) war etwas, was mir zwar nicht gänzlich neu war, aber in dem Umfang doch eine etwas andere Erfahrung. In der Erwachsenen-Therapie läuft  das ja eher umgekehrt. Da kommen die Patienten ja selbst und stehen auf lichtjahrelangen Wartelisten, so dass vor Glück schon oft geheult wird am Telefon, wenn man eine Platzzusage bekommt. 

Ich finde diese Erfahrungen mit Misstrauen und Ablehnungen überhaupt nicht negativ, obwohl ich anfangs schlucken musste. Letztlich habe ich seeeehr viel mehr über den Beziehungsaufbau gelernt und musste mich daran anpassen. Die Erfolge, die sich dann einstellen, sind höchst rührend

Positiver Nebeneffekt: Man bekommt ein dickeres Fell und hat weniger Sorge vor Ablehnung. Vor allem, wenn aus der Reaktanz dann doch noch etwas erwächst, was man nie erfahren hätte, wenn man nicht drangeblieben wäre. :-)

Aber nicht nur das waren Konfrontationen, mit denen ich umgehen musste. Auch: Hilflosigkeit oder Dinge, die meine Wertevorstellungen überschritten und an denen ich echt zu Kauen hatte. 😐

Die Therapien und Interventionen haben mir großen Spaß gemacht und vielen Kindern sicher sehr geholfen, auch wenn ich das Konzept der Praxis nicht gut fand. Insgesamt ging es mir zu sehr um Gewinnmaximierung als nachhaltige Hilfe. 

Das große Problem an der Sache - und daran hatte ich niemals gedacht, als ich mir die Ruhe einer kleinen Praxis wünschte - war, dass eine inhabergeführte Praxis auch immer ein Betrieb ist. Kleinere Praxen haben in letzter Zeit sehr große Probleme, Personal zu finden. Und überhaupt Nachfolger. Auch mit der technischen Infrastruktur gibt es Probleme seit der Digitalisierung: e-Rezepte, e-Krankschreibungen etc. Wer da nicht mit der Zeit geht, verliert schnell den Anschluss. 

Therapeutischerseits brauchte ich übrigens den Chef auf der Arzt-Ebene, um mit ihm Behandlungsplanungen durchzusprechen, Rezepte anzupassen usw. und bekam aber den Chef auf Unternehmer-Ebene vorgesetzt
Die Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit der Praxis wurde in unsere Hände gelegt, und nachdem das gesamte Sekretariat gekündigt hatte, auch immer mehr Administratives. 
Das fand ich unangemessen, da ich kein Partner (im unternehmerischen Sinne jetzt) bin, sondern Angestellter. So hatte man mit der Zeit nicht mehr das Gefühl, für die Patienten zu arbeiten, sondern eher dafür, den Inhaber reich zu machen. Das ist natürlich im Klinikkontext auch oft so, aber aufgrund der Größenverhältnisse nicht so spürbar. 

Noch schlimmer war das Mikromanagement. Die Kommunikation mit der Führung lief auf übelst unprofessioneller Art, teilweise auch überzogen neurotisch (ich sage nur: Überraschungsbesuche, wenn man krank ist!!!).
Nicht nur therapeutischerseits, sondern auch mit den Patienten. Die Stimmung war schon nach guten 6 Monaten auf den Tiefpunkt. Dies äußerste sich dann so:  Leute wurde eingestellt und kündigten nach 6 Wochen wieder. Unfassbar gutes und robustes Personal, einfach verbrannt! 

Die Arbeitszeiten bis 20 Uhr waren für mich leider inkompatibel. Das ist mir auf Dauer zu wenig Zeit mit meinen Kindern + Mann. Auch wenn sich keiner beschwert hat und wir die Zeit am Abend noch intensiv nutzen. Auch übel: Meine Ausbildung geriet ins Hintertreffen. Obwohl es hieß, dass darauf Rücksicht genommen wurde, war das nie der Fall. Ich konnte so immer weniger Stunden für meine Erwachsenenpraxis sammeln.

Die innere Kündigung war schon länger da, aber irgendwann musste die Reißleine kommen, also schrieb ich sie einfach und holte mir einen Termin beim Chef. Schon das erfordert viel Mut, denn es gibt dann ein Angesicht-zu-Angesicht mit dem Chef. Ich habe mich danach dann aber sehr erleichtert gefühlt :-). 
Und mit Abwertungen habe ich ja, wie oben beschrieben, gelernt, gut umzugehen :-). 

Generell will ich aber die Erfahrung nicht missen. Insofern blicke ich sehr positiv zurück. Beim nächsten Mal hätte ich aber mehr Dinge im Hinterkopf. Ich glaube, dass ich dank Impostor manchmal nicht so genau hinschaue. 24 Kündigungen in 2 Jahren könnten in einem kleinen Betrieb aber doch aufhorchen lassen. 

Ich freue mich auf die frei gewordenen Zeit-Slots, besonders mit der Familie, aber auch für Hobbys und Gesundheit. Außerdem setze ich die Arbeit in der PP-Praxis jetzt in Vollzeit fort. Das dient nicht nur der Ausbildung, sondern erfüllt mich komplett. Kinder darf ich in der Zwischenzeit ebenfalls behandeln, aber nur insgesamt 5 für 200 Stunden. Besser als nichts aber :-). 

Bleibt gesund und haltet zusammen,

LG

Titelbild: Yasin Belge/pexel.com

Bearbeitet von Vica

8 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Es schockiert mich immer wieder, wenn Du von den Zuständen im kranken Gesundheitssystem berichtest. Mitarbeiter, Patienten, Nerven, Geld und Zeit werden sinnlos verbrannt.

Und da wundert man sich über Ineffizienz, Kostensteigerungen und Personalmangel.

 

Bald gehe ich zum fünften (5.!) Lungenarzt, weil seit 3 Jahren keiner anscheinend wirklich rausfindet ob und welche Art von Asthma es ist. Was mich nicht wundert, denn keiner, auch nicht der überweisende Hausarzt, hat einmal eine Anamnese gemacht, fragt nach Symptomen und Vorgeschichte, sondern führt roboterhaft die üblichen Tests durch, verschreibt halt wieder ein (ggf. anderes)

Controller-Medikament, fertig. 

So geht das seit 3 Jahren, und es wird immer schlimmer statt besser.

 

Ein bisschen wie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ 🤣.

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Das Wichtigste ist meiner Meinung nach, dass Du Dich mit der Kündigung gut fühlst und dies ist ganz augenscheinlich der Fall🙂

 

Ich habe viele Jahre in verschiedenen Positionen im ambulanten Gesundheitswesen gearbeitet und dieses im vergangenen Jahr schlussendlich verlassen, denn ich fand die dortigen Zustände nicht mehr tragbar und hatte auch keine Lust mehr auf - überspitzt formuliert - die Verwaltung von Mangel, Wahnsinn und Untergang.... Insofern kann ich Deine Entscheidung gut nachvollziehen!

 

 

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Byana

Geschrieben (bearbeitet)

Liebe Vica,

 

vielen Dank wieder für diesen tollen Tread.

Ich kann das ganze voll und ganz nachempfinden, denn ich habe ähnliche Erfahrungen in der Klinik gemacht.

 

Auch hier braucht man ein dickes Fell und die Rahmenbedingungen lassen sehr zu wünschen übrig (zu wenig Personal, viel Fluktuation, teilweise sehr lange Arbeitszeiten / Überstunden an der Tagesordnung, viel zu grosser administrativer-bürokratischer Aufwand und dazu noch Chefs, die von Führung keine Ahnung haben und auch den Fachkräften im Sozialen Dienst einen Piepser verordneten, damit man ja ständig erreichbar bleibt). Erschwerend hinzu noch der ständige Legitimationsdruck ( warum konnte der Patient nicht rechtzeitig entlassen werden, warum gelang es uns nicht einen entsprechenden Kurzzeitpflegeplatz zu finden, etc.). Problematisch sehe ich vor allen Dingen, dass unser Gesundheitssystem so auf Wirtschaftlichkeit getrimmt  und auf reine DRG-Finanzierung Gesetz wurde, welche eine bestimmte Aufenthaltsdauer vorschreibt und bei Überschreitung Kliniken Abschläge in Kauf nehmen müssen, unabhängig ob es sich um multimorbide Patienten handelt oder nicht. Dies wird weder den Patienten, Kliniken noch den Kostenträgern gerecht. Denn das ganze führt nur zu Drehtüreffekten, zu Uneffektivität und Überforderung des Personals und lässt die Kosten weiterhin in die Höhe treiben!

 

Auch dass die ambulanten und konservativen Behandlungen so schlecht entlohnt werden und das Überleben von Kliniken im Prinzip nur durch lukrative operative Eingriffe gesichert wird, sehe ich sehr kritisch. Dies führt bei vielen Kliniken zum sog. Kliniksterben. Das System krankt an allen Kanten und Ecken! Letztlich führten diese Umstände insb. auch die wahnsinnig langen Arbeitszeiten dazu, dass ich mich damals dazu entschloss, meine Arbeitsstelle in der Klinik aufzugeben.

 

Leider stelle ich aktuell fest, dass es nicht nur im Gesundheitssystem, sondern auch in allen anderen Systemen u. a. auch im Eingliederungshilfe-System sehr happert.  Und eine systemübergreifende Zusammenarbeit zum Wohle unsere Patienten / Klienten so gut wie gar nicht umgesetzt wird. Wünschenswert wären große Gesundheits-und Sozialsystemreformen, die die Probleme richtig an die  Wurzel packen und nicht nur mal da, mal da herumdoktern.

 

Für dein Studium und deine berufliche Zukunft wünsche ich dir alles Gute!

 

Liebe Grüße 

 

Byana

 

 

 

 

 

 

Bearbeitet von Byana
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Byana

Geschrieben (bearbeitet)

vor 18 Stunden schrieb schwedi:

Es schockiert mich immer wieder, wenn Du von den Zuständen im kranken Gesundheitssystem berichtest. Mitarbeiter, Patienten, Nerven, Geld und Zeit werden sinnlos verbrannt.

Und da wundert man sich über Ineffizienz, Kostensteigerungen und Personalmangel.

 

Bald gehe ich zum fünften (5.!) Lungenarzt, weil seit 3 Jahren keiner anscheinend wirklich rausfindet ob und welche Art von Asthma es ist. Was mich nicht wundert, denn keiner, auch nicht der überweisende Hausarzt, hat einmal eine Anamnese gemacht, fragt nach Symptomen und Vorgeschichte, sondern führt roboterhaft die üblichen Tests durch, verschreibt halt wieder ein (ggf. anderes)

Controller-Medikament, fertig. 

So geht das seit 3 Jahren, und es wird immer schlimmer statt besser.

 

Ein bisschen wie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ 🤣.

 

Hallo Schwedi,

 

vielen Dank für deinen Kommentar. Du hast Recht, die Rahmenbedingungen sind in unserem kranken Gesundheitssystem leider katastrophal. Deshalb habe ich auch damals meine Stelle im Kliniksozialdienst aufgegeben. Diesbezüglich habe ich auch einen Kommentar bei Vica geschrieben.

 

Und leider ist es auch den finanziellen Rahmenbedingungen auch geschuldet, dass Gespräche mit (Fach-)ärzten so gut wie gar nicht im gesetzlichen Kassensystem bei Patienten honoriert werden. Honoriert wird viel eher für die Verschreibung von Medikamenten und für die ärztlichen  Untersuchungen, dabei sollte die Anamnese eigentlich die Basis für alles andere sein! 

 

So wie du schreibst, konnte man dir wegen deinem Asthma bzw. der Art des Asthmas ärztlicherseits noch nicht wirklich helfen. Asthma ist in den meisten Fällen auch chronisch, weshalb es auf eine ganzheitliche Behandlung ankommt. Zusätzlich zu ärztlichen / medikamentösen Behandlung wirkt sich  bei Asthma auch  ein Atem-/Lungentraining sowie Reduzierung von Stressfaktoren und Umstellung auf antienzündliche Ernährung positiv aus. Hilfreich könnte es für dich auch sein, ein Tagebuch zu führen, um festzustellen, wann die Asthmaanfälle vermehrt auftreten (in Stresssituationen, Staub bei  alkergischem Asthma,Wetterbedingungen, Veränderung, etc.). Wenn du möchtest, können wir uns diesbezüglich gerne auch austauschen, habe so was ähnliches wie du, nämlich Bronchitis. Aber seitdem ich meine Ernährung auf antientzündlich umgestellt habe und vermehrt auf mich und mein Wohlbefinden achte, geht es mir wesentlich besser. Vielleicht kannst du mich diesbezüglich anschreiben.

 

Dir ebenfalls noch alles Gute!

 

Liebe Grüße 

 

Byana 

Bearbeitet von Byana
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Meine negativste Erfahrung mit einem Lungenfacharzt bisher: 2,5 Stunden Wartezeit, um dann noch nichtmals abgehört zu werden, sondern lediglich dem Diktat des Arztes zu lauschen.

 

Positiv habe ich da eine Praxis in Köln erlebt. Auch völlig überlastet, durchgetaktet und überfüllt, aber doch mit umfangreicher Untersuchung und Fragen wurden kompetent beantwortet. 

 

@Vica Gut, dass Du diese Entscheidung getroffen hast. Kannst Du Dir vorstellen, später komplett selbstständig, also mit eigener Praxis, zu arbeiten? Verwaltungskram gibt es dann ja immer noch, aber zumindest für einen selbst, selbstorganisiert und strukturiert. Etwas, was ich bis heute sehr an meinem Job schätze - naja, zumindest meistens. 😉

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vor einer Stunde schrieb schwedi:

Magst Du mir den Namen der Oraxis verraten in einer PN ?

 

Gerne. PN ist raus.

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vor 12 Stunden schrieb Markus Jung:

 

@Vica Gut, dass Du diese Entscheidung getroffen hast. Kannst Du Dir vorstellen, später komplett selbstständig, also mit eigener Praxis, zu arbeiten? 



Das ist eigentlich das Fernziel und ich bin da schon in der Vorbereitung, aber mein Gefühl damit wird etwas mulmiger, wenn ich sehe, wie schlecht es aktuell vielen Praxisbetreibern geht. Ich bin zumindest froh, nicht momentan eine am Laufen zu haben, sondern erst später und mich da auf alle neuen Anforderungen vorbereiten bzw. anpassen zu können (woher nachher ja immer vorher ist).

 

Zitat

Meine negativste Erfahrung mit einem Lungenfacharzt bisher: 2,5 Stunden Wartezeit, um dann noch nichtmals abgehört zu werden, sondern lediglich dem Diktat des Arztes zu lauschen.


Ich gehe selten zum Arzt, aber meine krasseste Erfahrung ist bisher die Notaufnahme nach einem Arbeitsunfall, wo ich trotz Voranmeldung durch den Oberarzt schließlich gar nicht mehr drankam (+ den ganzen Tag gewartet habe). 
Das ist der Eintrag dazu 😅

 

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