Wie eine geschlossene Station so aussieht
Mein Ex-Fernstudi-Kollegen haben, wie sie etwas vorsichtig ausdrücken, "Respekt" davor, dass ich auf einer geschlossenen Station arbeite und da auch explizit hin wollte (dass es im Endeffekt geklappt hatte, ist natürlich Zufall bzw. Volltreffer). Meine psychologieabstinente Familie und Freunde erschrecken sogar. Sei das nicht am Ende gefährlich? Ich kriege auch manchmal WAs mit "Pass gut auf dich auf!". Mal in die Runde gefragt, was sie denn überhaupt mit diesem Ort verbinden, kamen diese Dinge dabei heraus:
Die Station würde sich demnach optisch sehr stark abheben von anderen. Konkreter: Da gäbs keine Fenster und/oder Gitterstäbe, Panzertüren, schlecht verputzte Wände, Rohre, die rausschauen und flackendes Licht. Die Pfleger hätten Kampfsportausbildung oder seien bewaffnet. Die Patienten würden entweder wie Willenlose über die Station gespenstern (im Stationsnachthemd) oder würden in ihren Zimmern eingesperrt werden und/oder nur Fluchtversuche unternehmen. Die Rede ist auch oft von Zwangsjacken oder Gummizellen; eine Verbindung mit Besserungsanstalt bzw. Strafanstalt war auch oft da (was Psychiatrien im vorletzten und letzten Jahrhundert tatsächlich noch waren).
Kurzum: Eine "geschlossene" Station ist in den Köpfen vieler sowas wie das Arkham Asylum.
Ich weiß nicht, wie es auf anderen geschützten Stationen, wie sie richtig heißen (fort folgend auch so verwendet) so zugeht, aber große Unterschiede gibt es in den Leitlinien eigentlich nicht, darum mal eine kleiner Rundgang bei uns
Das gröbste Vorurteil ist, dass alle unfreiwillig da sind. Es gibt tatsächlich welche, die qua Beschluss da sind, da wurde richterlich (zumeist über den rechtlichen Betreuer) die Unterbringung erwirkt, etwa bei Menschen mit sehr schweren psychischen Erkrankungen oder Suizidgefährdete. Die können tatsächlich auch nicht raus und müssen warten, bis der Beschluss abläuft. Viele haben einen vorläufigen Beschluss und werden von der Polizei gebracht, wurden z.B. voll intoxikiert aus einer Schlägerei geholt. Ebenfalls sehr viele sind freiwillig da und haben sich selbst ein geliefert. Ausgang kann fast jeder bekommen, außer Eigen- und Fremdgefährdete.
Der einzige optische Unterschied von außen ist, dass die Stationstür abgeschlossen ist. Es ist keine Panzertür oder sonst was, es gibt auch keine Schleuse mit Gittertüren. Geht man rein, ist das erste, was auffällt, der Kaffeeduft aus dem Pflegezimmer. Finde ich persönlich immer sehr angenehm. Für viele erstaunlich: Die Station sieht optisch genau so aus wie alle anderen auch. Es gibt tapezierte Wände, viel Licht, Bilder an den Wänden und auch Pflanzen. Die Patienten laufen frei auf der Station herum und zwar in ihren Alltagsklamotten. Einzelzimmer sind sehr selten, meistens sind sie zu dritt. Ein großer Unterschied besteht bei der Verglasung der Fenster. Diese sind quasi unzerstörbar und für Patienten auch nicht zu öffnen. Das ist wichtig, da in akuten Wahnphasen manchmal Stühle etc. dagegen geworfen werden. Sie haben vier Freizeitzimmer: Eine Kantine, wo natürlich gegessen wird (Kaffee, Tee, Snacks + Getränke stehen dazwischen bereit), einen Sportraum, einen Fernsehraum und ein Raucherzimmer. Normalerweise gibt es Gruppenangebote, aber die fallen wegen Corona leider flach, wodurch sich natürlich Langeweile einstellen kann.
Was ist alles geschlossen? Neben der Stationstür auch die Fenster, Büros, Behandlungszimmer, Schränke, Pflegerzimmer und Mitarbeitertoiletten. Leider auch der Fluchtweg, darum ist ein besonders gut geschulter Brandschutzhelfer auf Station Pflicht (3x dürft ihr raten, wer das nun ist 😄 Aber dazu ein andermal mehr).
Unsere Patienten gelten als sehr herausfordernde Fälle und teilweise als therapieresistent (wurden von Therapeuten und Familie aufgegeben). Dennoch kann man zu vielen davon einen erstaunlich guten Draht bekommen. Manche sind natürlich misstrauisch, weil sie außerhalb nur Ablehnung sammeln. Eher noch sind sie vermehrt ambivalent: Sie wollen unbedingt Hilfe, können aber im nächsten Moment in eine Wahnphase fallen und sich von allen angegriffen fühlen (z.B. indem sie plötzlich denken, in der Hölle zu sein und alle Pfleger und andere Patienten als Dämonen wahrnehmen).
So kann es dann eben auch sein, dass der Stationsalltag auch anstrengend sein kann. Es gab und gibt Übergriffe auf Pfleger, einer davon ist vor Jahren fast tödlich verlaufen (klar werden Patienten gefilzt, aber sie sind sehr kreativ darin, sich Waffen zu bauen). Dann droht die Sedierung, die alle gerne vermeiden wollen - eine extrem unschöne Angelegenheit, für Pfleger, Patient und alle Anwesenden. Zum Glück kommt das so gut wie nie vor und die wenigen, die ich gesehen habe, haben mir echt gereicht.
Anstrengend bzw. besonders herausfordernd finde ich die administrative Arbeit: Falldokumentation, Rückfallprotokolle, mit Krankenkasse, Familienangehörigen und Betreuern verhandeln. Noch dazu habe ich erheblich viel Therapeutenarbeit, dazu gehört Programme ausarbeiten, Kopiergedöhns, Recherche usw. Eigentlich bräuchte ich doppelt so viele Stunden. 😄 Hat das Studium einen darauf vorbereitet? Nöp, aber welches tut das schon 😄 Trotzdem merke ich die offensichtlichen PFH-Vorteile meines Studiums in Vergleich zu anderen.
Was ich damit meine und wie der Alltag mit Patienten so aussieht beim nächsten Mal.
Kurzum:
Viele Vorstellungen von der geschützt geführten Psychiatrie kommen aus dem Fernsehen und vermischen sich mit Forensik, Sicherheitsverwahrung oder dem Gefängnis. Ich finde, dass man viel Stigma abbauen könnte, wenn es ein paar mehr Berührungspunkte mit der Öffentlichkeit geben würde. Das käme vor allem den Patienten zugute.
Bleibt gesund & haltet zusammen
LG
Feature Foto:
drmakete_lab/pexels.com
Bearbeitet von Vica
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