Abgeworben...oder was?
Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein Mensch, der sich mir als Headhunter vorstellte. Im ersten Moment wusste ich nichts damit anzufangen. Spontan dachte ich an Boba Fett, Samus Aran oder den Predator und konnte mir nichts darunter vorstellen. Es war dann aber doch sehr wenig außerirdisch: Der werte Mensch rief im Auftrag des Personals einer ziemlich tollen Privatklinik an - er ist auch gleichzeitig der Chefpsychologe dort. Dort hatte ich mich auch mal beworben letzten November, dann aber nichts mehr von dort gehört, was mich bei den Voraussetzungen an die Stelle auch nicht wunderte.
Die haben zwar eine tolle Ausstattung und super interessante Ausrichtungen (Online-Rollenspiel-Sucht!), aber elitäre Ansprüche, die nur wenige erfüllen (ich jedenfalls nicht!). Er erläuterte recht überzeugend nochmal das Klinikkonzept, und auch noch alle anderen Vorteile dieses Ladens, den meine Klinik nicht erfüllt: Ungefähr doppelt so hohes Gehalt, Übernahme der Ausbildungskosten (kreisch), Intervision und einen festen, aktiven Bezugspsychotherapeuten, der die Ausbildung vor Ort in Abstimmung mit meinem Institut in die Hand nimmt.
Noch so'n Vorteil, den er nicht wissen kann, da mittlerweile umgezogen: Der Standort gerade mal 20 Minuten zu Fuß von meiner Wohnung weg. Das ist schon was anderes als mit den Hühnern aufzustehen und dann erstmal mit 2 Zügen + 2 Bussen 30 Minuten zu pendeln.
Und meine alte Bewerbung habe man praktischerweise auch wieder gefunden. Ohnehin werde nur 1x im Jahr rekrutiert, und angeblich stehe ich auf dem Listenplatz 1. Was ja der Super-Jackpot wäre, weil diese Klinik mitten in der Stadt ist und als solche deutschlandweit mit Bewerbungen geflutet wird. Wie kommen die nun auf mich? Und woher wissen die, wo ich arbeite? So ganz wollten die das am Telefon nicht erläutern, aber sie scheinen eines meiner Webinare, das ich im Auftrag meines Chefarztes online gehalten habe, angeschaut zu haben. Wenn ich mein Interesse bekunde, würden sie auf jeden Fall am Folgetag anrufen und den Termin abstimmen, wie er bekundete.
Das hat mich ganz schön durcheinander gebracht. Ich war zudem auch misstrauisch, da ich dachte, man wirbt nur große Tiere ab, aber auch bei den kleineren Stellen scheint es Personalmangel zu geben. Ich überlegte lange, ob ich mich mit einem Wechsel anfreunden könnte.
Ja, meine Klinik ist irgendwie ein wenig gammelig, schmeißt aus heiterem Himmel Leute raus und das Gehalt ist sogar noch 25€ niedriger als die eigentliche Sittenwidrigkeitsgrenze. Ob ich hier wirklich zum Abschluss komme, weiß ich gleich gar nicht, obwohl ich aktuell davon ausgehe, dass ich einen Stein im Brett habe bei der Chefetage. Und wirklich gehen? Naja, nicht wirklich...wie soll man denn 5 Monate im Lebenslauf erklären? Das riecht sehr nach "ausprobiert, aber hat nicht funktioniert" und so ist es eigentlich nicht. Ich hänge zudem unheimlich an unserer Station. Sowohl den Patienten als auch den Kollegen. Und auch dem manchmal gemeinen Oberarzt, der meine Arbeit heimlich fördert.
Andererseits ist sowas wie die Privatklinik besser für die Work-Life-Balance. Gerade wenn man Kinder hat, deren Schule und Kita dort quasi nebenan stehen, rechnet man da auf. Und das blöde Bahnabo von 200€ im Monat wäre ich mit einem Schlag los.
Ich grübelte und grübelte und kam zu dem Schluss, unverbindlich zum Vorstellungsgespräch zu gehen. Im Kopf formulierte ich dann schon Ausreden vor, wie ich mich zu dem Zeitpunkt von der Arbeit stehlen könnte. Bei der aktuellen Klinik zu bleiben wäre dann sowas wie eine Herzensentscheidung. Darf man auch mal treffen. Daher müsste die Privatklinik wirklich gute Bedingungen haben, beschloss ich. Das beinhaltete Entwicklungsmöglichkeiten, Probezeit und Verantwortung.
...tja, aber dann wurde mir die Entscheidung abgenommen:
Dieser Mensch rief nie wieder an :-) Nicht am Folgetag und auch sonst nicht.
So ist sie, die wundersame Welt der Kliniken.
Muss man nicht verstehen. Sagt aber viel.
Aber letztlich eine gute Erfahrung. Es schmeichelt natürlich einerseits. Andererseits muss sich wieder etwas mehr auseinandersetzen mit der Frage, was man eigentlich will. Und was einem fehlt. Sollten die sich doch nochmal melden, werde ich wohl gelassener bleiben.
Puh...es ist noch kein Jahr her, dass meine Fernstudien-Odyssee zu Ende gegangen ist. Wenn ich mal bedenke, welche Erfahrungen ich seitdem so mache, denke ich oft, wie behütet und chillig und strukturiert die Studienzeit war. Für mich keine Kopfgeldjäger mehr. Immerhin könnte ich jetzt mal unserem Oberarzt was entgegensetzen, der nicht müde wird zu betonen, dass er trotz aller attraktivster Angebot jederzeit Abwerbungen ausschlägt, um bei uns sein Dasein zu fristen 😁 Ob ich einfach mal "Been there, done that" antworte?
Bleibt gesund & haltet zusammen,
LG
Feature Foto: Monstera_pexels.com
Bearbeitet von Vica
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