Summender Neustart
Schon der Matheunterricht hat mich gelehrt: Geht es zu einfach, ist es falsch.
Von dieser Erkenntnis hätte ich mir ein paar Scheiben abschneiden können, als ich meine erste "Lehr"praxis fand. Das ging verhältnismäßig fix für den Standort, der ja überlaufen sein müsste ohne Ende. An meinen tollen Referenzen konnte es jedenfalls nicht liegen - die wollte nie einer sehen. Nicht mal meinen Perso, Zeugnisse oder Ausbildungsbescheinigung. Ich weiß nicht, ob die wissen, wie ich mit Nachnamen heiße. Aber hey, vielleicht fanden die mich einfach nur nett? Man darf ja noch optimistisch sein. Aber wie heißt Optimismus doch gleich mal rückwärts? Sumsi-mit-Po. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich assoziiere das mit Bienenstichen.
Was in der Praxis so ablief: Offener Vertragsbruch, Psychospielchen, Heute-so-morgen-so, verhärtete Fronten. Keine Spur von Lehrpraxis. Die Auflagen für diesen Status hat man für das Institut unterschrieben, aber niemals umgesetzt, stattdessen aber kassiert.
Dass die beiden Betreiber jünger sind als ich und sie die Praxis vor kurzem erst übernommen hatten (ohne Führungserfahrung in irgendeiner Weise, nicht mal Teams oder Kurssprecher), nachdem ein ziemlich tyrannischer Chef nach 40 Jahren dort aufgehört hat, hatte ich ausgeblendet. Ist aber auch klar, dass da keine gesunde Kultur wachsen konnte, zumal das Team ja nicht ausgetauscht wurde.
Überhaupt war einer meiner Kardinalsfehler damals bei der Praxenauswahl, nicht auf mein Gefühl zu dieser zu hören. Denn die Problematik lag offen zu Tage, es kam nicht schleichend. Das sah man schon im ,,Vorstellungsgespräch", dass das eine eigenartige Art Kommunikation ist, wo hinten und vorne nichts passt. Das zog sich auch von Anfang an weiter und durch. Das Problem ist, wenn man selbst denkt, man selbst ist der Weirdo. Und es passte doch gerade alles so schön, hätte doch so gut laufen können - da will man nix wahrhaben und blendet auch alles aus, was schief läuft.
Aufgrund der Überarbeitung in der Klinik war ich damals auch im Funktionier-Modus und habe da nicht wirklich auf mein Gefühl gehört. Okay, man kann ja mal blind sein. Aber alle in meinem Umfeld haben mich gewarnt: Familie, meine Kurskollegen, gute Freunde, meine Supervisoren, die sich wunderten, was ich da für Fälle mitbringe. Am Ende hat sogar das Institut gesagt, es wird sofort die Kooperation aufheben. Aber ratet mal, wer es davon abgehalten hat.
Dass Sumsi-mit-Po da zuschlägt, ist kein Wunder. Gemerkt habe ich es daran, dass mir der Job keine Freude mehr machte. Zeitweise wollte ich gar nicht mehr hören davon. Letztlich hat mich eine sehr gute Freundin aus meinem Ausbildungskurs darauf hingewiesen, wie die zeitlichen Zusammenhänge so waren.
Ja - man muss sich seine eigene Naivität dann auch mal eingestehen. Irgendwann war ich dann so weit, dass ich einsah, das klappt so nicht. Spätestens auch, nachdem Rechnungen ergaben, dass ich so meine Stunden erst in 10 Jahren zusammenhätte.
Als ich dann allen meinen Entschluss allen mitteilte, bekam ich viele, viele Kuddos. Das Institut stand sofort bereit, mir bei der Suche zu helfen. Naheliegend wäre die Instituts-Ambulanz hier vor Ort gewesen, aber es tat sich was unglaublich Tolles auf: Über unsere eigene Institutsleitung konnte eine Praxis hier gefunden werden, die diese gut kennen und die noch Kapazitäten frei haben. Ein Gespräch mit Praxisführung war schnell klargemacht. Ich bin sooo angetan davon und mit den Betreibern und Mitarbeiter/innen stimmt die Chemie. Sie interessierten sich dafür, was da für ein Mensch in die Praxis kommt, wie mein Ausbildungsstatus ist usw. Sie sind alle selbst Eltern, sie haben Humor und die Atmosphäre dort ist hervorragend. Gut ist aber auch, dass sie selbst Dozenten und Supervisoren sind und auch anderweitig für PiA-Ausbildung zuständig.
Die Patienten hatte ich dann ebenfalls eingeweiht, die alte Praxis als Letztes. Da war man nicht zu traurig über meinen Weggang. Den Aufhebungsvertrag gab es zwischen Tür und Angel, kein Tschüss, kein Nix, kein Warum. Ich denke, man weiß ohnehin, wieso! :-)
Das Larifari mit dieser Praxis war auch so weit gegangen, dass ich meinen Mann als Anwalt dazwischenschaltete und erstmalig (22 Jahre Beziehung!) so eine richtige Rechtsberatung bei ihm benötigte. Das hat mir sehr weitergeholfen und ich würde es definitiv jedem empfehlen. Man geht sicherer an alles heran und weiß genau, worauf man achten und was man dokumentieren sollte.
Ich freue mich unendlich auf den Neuanfang und erlebe, wie mein ganzes Interesse an der Materie recht schnell wieder aufgeblüht ist.
Obwohl mein Neustart nach der Klinik ganz schön holprig verlief bisher, und sich vom Winter bis aktuell in den Frühling zieht, kann ich nicht sagen, dass ich in einer Krise bin. Insgesamt erlebe ich meine Menschen sehr wertschätzend. Ob nun Familie, Freunde, Kollegen, Kurs-Buddies, Ausbildungsinstitut. Alle sind hier sehr unterstützend. Eine richtig gute Erfahrung.
Äh, ist das jetzt aber nicht auch wieder Sumsi-mit-Po? Ich denke, ich bin definitiv vorsichtiger und auch an der Sache gereift. Bienen stechen zwar, wenn man sie ärgert - aber Honig mag ich auch :-).
Ich habe die Tage eine Bienentankstelle auf dem Balkon gepflanzt und freue mich auf summenden Besuch.
Ein paar Dinge für die gefühlt wachsende Anzahl angehender PiAs hier, was die Praxen-Auswahl angeht, wenn ihr in die Ambulanzphase kommt:
- Auf Bauchgefühl hören. Wenn ihr ständig das Gefühl habt, ihr seid im falschen Film, liegt das nicht zwangsläufig daran, dass ihr irgendwie überempfindlich seid oder was falsch verstanden habt oder zu hohe Anforderungen oder sonst was.
- Von Top-Lage oder Top-Renommée könnt ihr euch keine Currywurst kaufen. Klinik-Nebenjob-Suche kann damit noch sogar noch schwieriger werden, es glaubt euch keiner, dass ihr da nicht bleiben/euch niederlassen/übernommen werdet.
- Es muss menschlich passen!
- Achtet drauf, dass ein Supervisor in der Praxis anwesend ist. Den müsst ihr nicht unbedingt für die Ausbildung wählen (Supervisions-Freiheit!), aber diese verstehen viel von der PiA-Situation.
- Nehmt es sehr ernst, wenn euch Leute von außen warnen, selbst Fachfremde wie Freunde oder Familie. Bleibt belehrbar und überdenkt alles.
- Gute Leistung ändert nix dran, wenn man euch da nicht will!
- Wo Kommunikationsprobleme bestehen und Ansprüche, Wünsche und Forderungen nicht offen auf den Tisch gelegt werden, kann nix Positives draus erwachsen. Besonders schlimm, wenn beide Seiten dieses Gefühl haben. Wenn ihr bei euch sowas merkt: Arbeitet ruhig dran.
- Anständige Praxen beziehen euch mit ein! Sie nehmen euch mit in Teamsitzungen, fragen euch regelmäßig nach dem Stand der Dinge und verlangen von euch als PiAs nicht sittenwidrige Mieten oder Gelder. Sie bleiben meistens bei der Miete, die das Institut für euch zahlt (idR 10€ pro angefangene 50 Minuten Gespräch). Psychotherapeutische Praxen nehmen in den meisten Fällen mehr als genug ein - PiAs auszuquetschen ist da keine Option. Wenn doch, muss das sehr gut gerechtfertigt sein und ihr müsst wirklich einen Mehrwert haben.
- Investiert bei ernsthaften Problemen in einen guten Anwalt!
- Vergisst nicht, dass es unter gewissen Berufsgruppen nicht auch Halsabschneider gibt. Auch wenn man diesen eine hohe Kompetenzerwartung hinsichtlich Selbstreflexion, Fairness und Ausgeglichenheit hat.
Bleibt (nicht in toxischen Praxen, sondern) gesund & haltet zusammen,
LG
Feature Foto: Skitterphoto/pexels.com
Bearbeitet von Vica
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