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Schwierige Kiste Elternarbeit


Vica

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Während meiner Klinikjahre hatte ich einige Male mit KJPs zu tun, die in die ausbildungstechnisch in die Erwachsenen-Psychotherapie gewechselt haben. Ich tat mich schwer damit, das nachzuvollziehen und hakte natürlich nach. Die Antworten waren immer dieselben: Die Arbeit mit den Kindern ist schön, natürlich ist es nicht unattraktiv, sich ihnen spielerisch oder kreativ anzunähern, erst recht, wenn man ein Typ mit gutem Patientenzugang ist. Doch die (Zusammen)Arbeit mit den Eltern hätte sich so schwierig gestaltet, dass sie von dem Berufsbild Abstand nahmen. Sofort kam mir in den Sinn, dass ich auch Lehrer und Erzieher im Freundeskreis habe, die mit derselben Begründung umgeschult haben. 
Als unbeschriebenes Blatt in der Hinsicht konnte ich mir nicht vorstellen, dass das so schwierig werden würde. Tatsächlich merke ich hier in der KJP aber auch, dass schwierige Elternsituationen die Arbeit mit dem Kind komplett torpedieren können. Ich dachte zunächst an Einzelfälle, aber tatsächlich gibt es auch zu mindestens 50% solche Elternsituationen:
 

  • Eltern psychisch erkrankt -> sehen Probleme aber beim (gesund entwickelten) Kind
  • Eltern(teile) traumatisiert -> Völlig normale Trotzphase des Kindes wird als Vorbote eines gewalttätigen Charakters gesehen, wie eben der Vater (oder auch die Mutter) gewesen ist.
  • Beide Elternteile streiten in der Sitzung so heftig, dass man die Polizei rufen muss
  • Krasse kognitive Verzerrungen -> Eltern finden ihre Töchter zu hässlich, möchten diese zur Schönheits-OP schicken und wollen dafür ein Gutachten für die Kostenübernahme.
  • Sie haben kein Interesse an den Sitzungen und kommen auch nicht mit rein. Beschweren sich aber später, dass die Stunde hätte anders laufen müssen, teilweise mit Unwahrheiten. 
  • Feindliche Haltung der Eltern ggü. Ärzten, Therapeuten, Sozialarbeitern usw. 
  • Die Therapiesitzung wird als Hausaufgabenhilfe verstanden. Die Hausaufgaben werden auch mitgebracht. 
  • Eltern vergessen regelmäßig die Termine 
  • In vielen Fällen müssten sie nicht zu uns, sondern mit ihren Anliegen definitiv hierhin: Zur Berufsberatung, Ohren-/Augenarzt, Rechtsanwalt, Polizei, sonstiger Facharzt oder Jugendamt. 
  • Diese Störungen sollen am Ende einer einzigen Sitzung geheilt werden: Autismus, Schulverweigerung, oppositionelle Störung. 
  • Auch häufig: Depression, Angststörungen und Suizidalität sollen behandelt werden, damit die Kinder wieder bessere Noten schreiben. 
  • In den allermeisten Fällen wird keine Struktur aufgebracht, d.h. besprochene Verhaltensweisen werden nicht umgesetzt und auch nicht eingeübt: Weder Wiege-/Essenspläne (bei Kindern mit Essstörungen), Schreibübungen (bei LRS), es wird nicht, wie besprochen vorgelesen (z.B. bei Sprachverzögerungen), Haushaltshilfen nicht angefordert und Tagesklinikplätze oder Mutter-Kind-Kuren, die bereits bewilligt wurden mit unserer Hilfe, nicht angetreten.  Letztere machen sicher 90% aus, auch bei besser zugänglichen Eltern. Selbst erarbeitete Dinge werden nicht umgesetzt. Ziele werden dann immer wieder mit den Eltern erarbeitet, hinterfragt und analysiert und es klingt dann auch gut und selbst reflektiert. Es wird aber trotzdem nichts verändert und dasselbe (bereits identifizierte) Problemverhalten weiter durchgezogen. 


Ein leider sehr unbefriedigender Aspekt an der Arbeit. Ich merke auch, dass ich mich daran irgendwie nicht so gewöhne - anders als bei meinen bisherigen Einsatzgebieten, die bisher auch Fallstricke hatten, aber selbst Wahn in Kombi mit Sucht während der PT1+2 hat mich nicht so ratlos dastehen lassen. Einerseits natürlich, weil mit den Eltern hier eine neue Variable dazukommt, die die Behandlungen in die eine, aber auch in die andere Richtung beeinflussen kann - aber auf die ich zwischen den Terminen ( 3-6 Wochen i.d.R) keinen Einfluss habe. An den eigentlichen Symptomträger, das Kind, komme ich so aber nicht ran. 

Andererseits weil es vielleicht auch irgendwo stark mit meinem Wertesystem kollidiert - ich bin ja auch Mutter. Supervision wäre hier womöglich angebracht - gibt es aber bei einer Anstellung als Psychologin nicht, d.h., man müsste sich extern einen Supervisor besorgen = 100€ à 50 Minuten. Es gibt aber auch nicht wenige Fortbildungen, die schon heißen "Arbeit mit schwierigen Eltern" und die man sich mit Lehrern/Pädagogen und Sozialarbeitern teilt. Aber auch die haben ihren Preis, 350€ aufwärts und mehrere Tage muss man investieren. 

Im Fernstudium hatten wir das Thema KJP recht intensiv. Ähnlich wie bei den Fortbildungen am Institut aber ausgerechnet da aus einer sehr theoretischen und empirischen Richtung: Modelle, Statistik, Testdiagnostik, Reliabilitäten, Heuristik usw. Eher interessant für alle, die in dem Bereich forschen möchten. 

Immerhin sehen es meine (überwiegend kinderlosen) Kollegen genauso. 
Die erste Idee war, dass wir eine Intervisions-Gruppe (im Grunde eine Selbsthilfegruppe) gründen. Mit der Chefin geht das auch d'accord, d.h. es soll in der Arbeitszeit stattfinden und nicht gar hinterher.  
Ich hoffe, dass uns das ein wenig etwas bringt, zumal wir alle gleich ratlos sind. Vielleicht bringt aber am Ende schon der Austausch darüber Rückendeckung mit sich. 😁

Bleibt gesund und haltet zusammen,

LG

Feature Foto: Daisy_Anderson/pexel.com 

Bearbeitet von Vica

10 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Ich habe jemanden bei mir in der Ausbildungsgruppe, die im Grundberuf Erzieherin ist und die Erwachsenen-PT-Ausbildung macht, eben weil man oft an die Kinder nur rankommt, wenn man die Eltern mitbehandelt. Idealerweise ist es im systemischen Setting ohnehin angedacht, das komplette System zu behandeln und nicht nur den/die Indexpatient:in.

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vor 5 Minuten schrieb TomSon:

Ich habe jemanden bei mir in der Ausbildungsgruppe, die im Grundberuf Erzieherin ist und die Erwachsenen-PT-Ausbildung macht, eben weil man oft an die Kinder nur rankommt, wenn man die Eltern mitbehandelt. Idealerweise ist es im systemischen Setting ohnehin angedacht, das komplette System zu behandeln und nicht nur den/die Indexpatient:in.

Ja, das stimmt. Das ist leider der Punkt, an dem sie sich dann aber komplett sperren. Kein Interesse an Mitbehandlung sozusagen. 

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Zitat

Immerhin sehen es meine (überwiegend kinderlosen) Kollegen genauso. Die erste Idee war, dass wir eine Intervisions-Gruppe (im Grunde eine Selbsthilfegruppe) gründen. Mit der Chefin geht das auch d'accord, d.h. es soll in der Arbeitszeit stattfinden und nicht gar hinterher. Ich hoffe, dass uns das ein wenig etwas bringt, zumal wir alle gleich ratlos sind. Vielleicht bringt aber am Ende schon der Austausch darüber Rückendeckung mit sich.

 

So, wie du es beschreibst, ist es ein übliches und lange bekanntes Problem (was ich schon als Laie anhand meiner Zwangsmitgliedschaft in diversen Eltern-WhatsApp-Gruppen nachvollzieh kann ...). Wie kommt es dann, dass es so einen Austausch bisher noch nicht gegeben hat?

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vor 5 Stunden schrieb Vica:

Das ist leider der Punkt, an dem sie sich dann aber komplett sperren.

Da gebe ich dir prinzipiell recht, dass sie sich dagegen sperren. Auch mein Eindruck ist, dass "Probleme" der Kinder oftmals im Gesamtkontext gesehen werden müssen.

 

Ich denke, dass Sitzungen mit Eltern alle paar Wochen einfach nicht die richtige Herangehensweise sind. Vielleicht müsste hier strukturell anders herangegangen werden - von vornherein klarstellen, dass Psychotherapie nicht wie Körpermedizin funktioniert (was schon schwierig wird) und dass es eben nur gemeinsam klappt. 

 

Allerdings ist auch mein Eindruck, dass man Eltern eben genauso wenig zu einer Therapie zwingen kann, wie man es mit anderen Menschen kann. Am Ende hilft nur Aufklärung und die Hoffnung, dass einige Wenige mitziehen... viele werden es vermutlich nicht tun.

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Das Problem kenne ich auch, zwar nicht im therapeutischen Kontext, wohl aber im pädagogischen. Wie du sagtest, sind nicht alle Eltern so. Bei dir häuft es sich sicherlich nochmals mehr, da du im klinischen Kontext arbeitest. Tipps habe ich leider keine. Dafür eine sich herausbildende nüchterne Einstellung diesem Thema gegenüber, was dir aber auch nicht weiter hilft 😅

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Hilfreich wäre eine systemische Ausbildung als Familientherapeut, um zu lernen, mit der gesamten Familie zu arbeiten. Die ist aber nicht in einer kurzen Fortbildung von ein paar Tagen zu machen.

 

Meine jahrelange Erfahrung mit LRS-Kindern hat übrigens gezeigt, dass Schreibübungen, die die Eltern mit den Kindern durchführen, in aller Regel kontraproduktiv sind. Eltern sind eher zu ungeduldig, gehen zu schnell voran und tun sich schwer, in richtiger Art und Weise Feedback zu geben und überfordern ihr Kind ein weiteres Mal.

 

Ich könnte zu allen Punkten, die Sie aufgezählt haben, Romane schreiben ...

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@Vica

 

Sie schreiben hier in der Überschrift "Schwierige Kiste Elternarbeit". Ich vermute, dass "Elternarbeit" auch das übliche Wording in der Einrichtung ist, oder?

 

Was halten Sie davon, auch in der Kommunikation nach außen mit den Eltern von "Familienarbeit" zu sprechen? Das scheint eine Kleinigkeit zu sein, macht aber vom ersten Moment an deutlich, dass es nicht ums Kind geht, sondern um die ganze Familie.

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