Horrorwoche Zeugniswoche
So viel Angst und Schrecken wie in der letzten Woche war in der KJP ja selten unterwegs - und zwar bei allen Patienten von 6-19. Kinder, deren Augen auf Halbmast sind, weil sie seit Tagen nicht schlafen. Kids, die allein im Wartezimmer 5x zum Klo rennen. Tägliches Erbrechen, Nahrungsverweigerungen, depressive Verstimmungen noch und nöcher. Obendrauf: Ebenfalls genervte, entkräftete, keine Empathiereserven-mehr-besitzende, da mit dem Latein am ende seienden Eltern. Selbst die anderen Therapeuten stöhnen schon mit. Der Grund für die Horrorshow an allen Fronten: Es ist hier Zeugniswoche. Morgen werden einem alle schulischen Errungenschaften (und Verdrängungen) in Form von Noten sowie Schulschwänz-Tagen unweigerlich aufs Brot geschmiert. Entkommen unmöglich.
Wir haben viele Kombis, u.a.:
1er-Kinder, die mit Angst- und Panikattacken reagieren, weil sie befürchten, irgendwo könnte eine 2 sein.
- Kinder, die einen glatten 1,0-Schnitt haben und trotzdem unzufrieden damit sind, weil sie die Latte damit so hochlegen.
- Kinder, die ein gemischtes Zeugnis haben (1,2,3 + 4 ,manchmal auch eine 5 dabei) und sich dafür schämen, als hätten sie einen Schnitt von 6,0.
- Kids, bei denen das Zeugnis nun über den Gang zum Gymnasium oder Realschule entscheidet.
- Kids, die relativ gute Noten haben, aber dieser nicht den Erwartungen der Eltern entspricht.
- Und Kinder, die echt katastrophale Noten haben - wobei es angesichts ihrer Erkrankungen und schlimmen Umstände ein unglaubliches Wunder ist, dass sie überhaupt zur Schule gegangen sind.
Der Druck, denn schon Erstklässler mitbringen, ist immens. Dagegen kann man kaum anargumentieren. Die Überzeugungen, nicht zu genügen, sind so betonhart festgefahren, es ist nicht zu fassen - dass man das alles von einem Papier abhängig macht.
Aber ich erinnere mich zurück, dass Zeugnisse bei mir auch immer mit Erniedrigung, Scham und dem Druck, andere zufriedenzustellen, verbunden war. Plus die Befürchtung an Bestrafung, blöde Sprüche und natürlich dem Gefühl, dass andere einfach besser sind. Würg.
Was kann man da noch machen, so ganz akut? Ich habe mit allen Kids alternative Zeugnisse geschrieben. Da haben wir Dinge reingepackt wie: Humor, Freundlichkeit, Erzähl-Talent, Kreativität, Großartigkeit, Liebenswürdigkeit etc.
Erstmal können die Kids sich selbst bewerten. Wenig überraschend werden sie sich hier überwiegend schlechte Noten geben. So kommt man gut an ihren Selbstwert heran.
Natürlich sollten hier Bestnoten vergeben werden.
Das Ganze geht auch (für Klasse 1-2) als Aufsatz, da es hier ja oft noch keine Noten gibt.
So haben sie wenigstens neben ihrem Horror-Zeugnis noch ein schönes dazu und sie können es erstaunlich gut annehmen.
Könnt ihr auch mit eigenen Kindern machen oder Neffen, Nichten etc., die ihr kennt.
Täte uns vielleicht als Fernstudis auch manchmal gut, uns gute Zeugnisse auszustellen, da wir ja oft auch extrem kritisch mit uns umgehen. :-) Ich stelle da ähnliche Tendenzen fest, unzufrieden mit sich zu sein, wenn etwas über die 1,3 hinausgeht.
Bleibt gesund und haltet zusammen,
LG
Feature Foto: RDNE_Stock_project
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