Die Frage: Sexualtherapie
Neulich gab es hier ja die spannende Frage, was eigentlich ein Sexualtherapeut so tut, und was sich dahinter überhaupt verbirgt. Vorweg weiß ich natürlich nicht, wie das vereinzelt bei Fernschulen mit ein paar Schwerpunktmodulen so aussieht 🙃
Aber: An unserem Institut ist Sexualität aber ein fester Bestandteil der Ausbildung; es gibt mehrere Seminare dazu. Genaugenommen heißt die Seminarreihe bei uns Sexuelle Funktionsstörungen, weiterhin taucht Sexualität aber auch bei Seminaren wie systemischer Paartherapie auf. Zusätzlich hatte ich noch interessante Veranstaltungen dazu an der MHH. Nicht nur Psychologen oder Psychotherapeuten können sich darauf spezialisieren. In meiner Lehrpraxis arbeitet z.B. auch eine Ärztin, die sich den Schwerpunkt auf Sexualtherapie gelegt hat.
Das erste Seminar, das wir dazu hatten, hatte eine recht lustige Atmosphäre 😄 Ich hatte erwartet, dass wir trotz gestandenem Alter rumkichern wie vorpubertierende Achtjährige. Nun, gelacht wurde in der Tat viel, aber nicht über sexuelle Themen, sondern weil wir wirklich eine gute Dozentin hatten. Solche Seminare stehen und fallen überhaupt mit dem Dozent, und so sicher auch die Sexualtherapie an sich. Zu den Seminaren gehört auch eine Selbsterfahrung in der Gruppe. Hier wurde überwiegend diskutiert und geschaut, wie verkrampft wir selbst so sind. Können wir die Dinge beim Namen nennen? Es wurde auch viel über eigene Sexualität diskutiert. Und man musste Patientenperspektive einnehmen, um nachzuvollziehen, wie schwierig es natürlich ist, darüber zu reden.
Aber wir sprachen auch viel über uns, unsere Stärken und Schwächen (denn wir wollen auch Patient/innen stärken + Akzeptanz für Schwächen fördern). Naja: Natürlich nicht so Bilderbuch-Stärken wie Zuverlässigkeit, Pflichtbewusstsein und was man sonst noch so von der Softskills-Liste runterleiern kann. Schon etwas spezifischer. Was gehört spezifisch zu mir? Etc.
Nun, was sind denn eigentlich Themen in dieser Art Therapie?
Z.B.
- Enttabuisierung ist das A und O. Manche Patienten können nicht mal Geschlechtsteile benennen, ohne sich in Grund und Boden zu schämen. Vielen ist auch nicht bewusst, was alles unter Sexualität fällt.
- Körperschema ist auch ein großes Thema. Die meisten schämen sich ebenfalls sehr für ihre als nicht perfekt empfundenen Körper. Selbstakzeptanz ist dann ein großes Ding (konkret: zu dick, zu dünn, zu männlich/weiblich, zu untrainiert, unzufrieden mit Gesicht), aber auch:
- Probleme mit Geschlechtsteilen, bezogen auf Größe, Optik und Funktion. Viele wissen auch nichts über die Anatomie und die Funktion an sich.
- Gestörte Sexualentwicklung nach Trauma, Missbrauch usw. (Manche Therapeuten arbeiten auch präventiv im Rahmen von "Kein Täter werden").
- Alle LQTBQ+-relevanten Themen
- Unterdrücktes
- Unerfüllter Kinderwunsch und damit verbundene sehr schwierige Sexualität
- Postnatale sexuelle Störungen
- Biographisches zum Thema Sexualerziehung, Tabus usw.
- Sexualität im Alter, in Langzeitbeziehungen usw. (nachlassender Spaß an der Sache, Verpflichtung usw.)
- Funktionsstörungen jeglicher Art, z.B. angeboren oder erworben oder durch Stress
- Bei Frauen ist Vaginismus ein sehr großes Thema, bei Männern Erektionsstörungen
- Orgasmusprobleme
- Ausbleibendes Lustempfinden
usw. und so fort...
Die Patienten selbst kommen meistens zum Erstgespräch mit der vagen Vorstellungen, dass mit ihnen was nicht stimmt - und es darum auch nicht klappt. Und sie daran Schuld tragen würden. Oft wollen sie dann schnell wieder hergestellt werden, um wieder "Erfolge" zu präsentieren und damit z.B. die Beziehung zu retten. Da ist aber oft ein Anknüpfpunkt, dass es darum gar nicht geht und man im Leben nicht nur Leistung erbringen muss und soll.
An Methoden vermischen sich hier kognitive, tiefenpsychologische und systemische Therapie.
Ich habe aktuell zwei Sexualtherapien und muss sagen, dass das Thema großen Spaß macht. Man merkt hier häufig sehr schnell die Veränderung in der Person, wenn sie solche tief verankerten, aber weggesperrten Dinge ansprechen kann. Natürlich fällt dies dem Patienten sehr schwer, vor allem Männern. Deswegen finde ich wichtig, dass sie nicht gleich alles erzählen müssen. Manche können nicht mit Partner/in über Sorgen, Ängste, Vorlieben und Wünsche reden.
Als Therapeut muss man absolut unverkrampft über solche Themen reden können und auch so viel Vertrauen ausstrahlen, dass Patienten bereit sind, zu reden. Es darf weder einen Pfui-Anstrich haben, noch in eine Richtung gehen, dass es auf sexuellen Erfolg ankommt. Und auch darf niemanden genötigt oder gelöchert werden. Ich denke mir, dass schon jeder selbst am besten weiß, wann er was preisgibt. Und dann gestalte ich die Atmosphäre so, als würden wir über das Wetter reden.
Generell sollte man als Therapeut ein gutes Gespür für den Umgang mit Schuld und Scham haben. Ich persönlich glaube auch, dass ein höheres Alter hier von Vorteil ist.
Während der Seminare hatte ich noch Bedenken, ob ich das wohl wirklich schaffen könnte, mit Patienten darüber zu reden. Aber das ging erstaunlich gut. Darum: Keine Sorge vor Sexualtherapie.
Bleibt gesund und haltet zusammen,
LG
Titelbild: DS_stories/pexels.com
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