Dünnhäutigkeit
Ich merke gerade, dass ich auf der Arbeit erlahme. Es liegt nicht an den Patienten und auch nicht an der Station. Noch immer würde ich nicht wechseln und auch nicht tauschen wollen und halte meine Kollegen für die besten im ganzen Laden. Schuld daran ist vor allem ein strukturelles Chaos, das sich so bemerkbar macht: Personalmangel auf allen Ebenen und dadurch ziemlich krasse Pannen im Ablauf. Noch dazu kommen immer mehr Impfdurchbrüche und immer mehr positive Patienten. Wir nehmen nun unter anderem auch Quarantänebrecher auf, die bereits anderswo randaliert haben und mit denen sich, gelinde gesagt, niemand mehr befassen möchte. Mit diesen Patienten Gespräche zu führen, ist ziemlich schwierig - sie externalisieren sehr stark. Kaum hat man mal Zugang zu einem gefunden, ist er dann aber auch wieder verlegt.
Dann hatten wir viele Fehlbelegungen, weil andere Stationen voll sind. Und so hatten wir dann Patienten, auf die wir stations- und personaltechnisch nicht adäquat reagieren können. Dazu gehören zum Beispiel hoch aggressive Patienten aus der Forensik. Ich hatte Warnungen verfasst, dass sich das nicht mit unseren üblichen Patienten verträgt, aber das wurde ignoriert. Und so kam es, dass das Pulverfass explodiert ist und es ein paar sehr unschöne Vorfälle mit Gewalt gab, auch uns als Personal gegenüber. Leider.
Nichts aber ist so schlimm wie der Defätismus der mittleren Führungsebene. Man könnte fast meinen, die haben komplett aufgegeben und wollen den Laden irgendwie bewusst gegen die Wand fahren.
Wir haben aber auch eben immer noch keinen Chef, was das Hauptproblem ist.
Von den neuen Kollegen haben alle bis auf einen direkt in den ersten zwei Wochen gekündigt.
Die Gefahr einer Infektion ist auch immer da wie ein Damokles-Schwert über einem. Es ist ein Wunder, dass sich bei uns noch niemand durch einen Patienten infiziert hat. Ich habe richtig Bammel vor dem Test, der 2x in der Woche abzulegen ist. Mir geht da ein richtiger Horrorfilm durch den Kopf, was das für meine Menschen zu Hause bedeuten könnte, wenn der positiv ist.
Es gibt natürlich auch ein paar Lichtblicke:
- Wie man ein sinkendes Boot über Wasser hält, selbst wenn nur alle mit den Händen rudern
- Der eine neue Kollege ist ein echt angenehmer Typ und entlastet direkt schon sehr viel
- Ich habe einen Booster-Termin. Darum mussten wir uns extern bemühen, und der gesamte Umkreis war ausgebucht.
- Die Theorie-Ausbildung findet bis März komplett online statt. Das ist angenehm und gibt mir ein paar Good-Old-Fernstudium-Vibes 😅
Ansonsten muss ich mal mehr in mich gehen und überlegen, welche Schlüsse man daraus ziehen könnte. Im Moment warte ich noch, wie es unter dem neuen Chef werden wird, mit dem angeblich schon Gespräche geführt werden.
Meine Erfahrung mit der Vergangenheit ist, dass sich, ganz getreu Dalai Lama, alles neu sortiert, wenn es droht, auseinander zu fallen.
Bis dahin:
Wort halten, Hand halten, zueinander halten (+gesund bleiben!).
LG
Feature Foto: cottonbro/pexels.com
Bearbeitet von Vica
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