Ans Eingemachte: Psychotherapie für Psychotherapeuten in Ausbildung
Ein für Außenstehende eher unsichtbarer Teil der Psychotherapeutenausbildung ist die sogenannte Selbsterfahrung. Während man im Theorieteil alles über Störungsbilder, Interventionen oder auch mal Diagnostikschulungen etc. macht, geht es bei der Selbsterfahrung um Folgendes:
- Förderung der Toleranz und Offenheit ggü den Patienten
- Förderung der Empathie ggü den Patienten
- Reduktion der eigenen Verletzlichkeit (wegen dysfunktionalen Emotionen, die hier auftreten können, z.B. auf Kritik gekränkt reagieren, falsche Stimmlagen des Patienten als persönliche Abwertung missverstehen etc. pp.)
welche Einflüsse z.B. meine Biographie auf meinen Berufswunsch hat und wie diese das Patient-Therapeuten-Verhältnis beeinflussen können. Und auch, was den oben genannten Punkten im Weg stehen kann. Das kann so aussehen:
- Wer alkoholkranke Eltern hatte, wird vielleicht in der Sucht von einem Alkoholiker selbst getriggert
- Wer aus einem behüteten, leistungsorientierten und distinguierten Elternhaus kommt, hat vielleicht Probleme damit, Interventionsmethoden für eine analphabetische, substanzabhängige Patientin zu finden, die seit Jahren ohne festen Wohnsitz ist.
- Ein Therapeut, der in seiner Kindheit nie Anerkennung und emotionale Vernachlässigung erlitten hat, will sich selbst heilen, indem er andere heilt. Damit das Leben doch gerecht verläuft. Häufige Folge sind Rettungsfantasien und Burnout, weil sich das nie erreichen lässt.
Und und und.
Die Verhaltenstherapie geht davon aus, dass Empathie an sich kein stabiles Konstrukt ist und mit der Zeit nachlassen kann, eine Empathieermüdung stellt sich ein. Das soll im Patientenkontakt aber nicht passieren.
Deswegen müssen wir uns in der Selbsterfahrung immer und immer wieder den dunklen und blinden Flecken unserer Vergangenheit stellen. Die Schale muss platzen. Nicht nur alles, was kränkt und gekränkt hat, muss raus, sondern auch jedes Vorurteil bekommt Raum.
Und das ganze vor versammelter Mannschaft, also 20+ Kursteilnehmern sowie 1-2 erfahrenen Psychotherapeuten.
Die Selbsterfahrung nimmt viel Raum ein, häufig fängt sie Donnerstag an und hört am Sonntagnachmittag auf. Es soll jeder zu Wort kommen, das dauert. Sie kann auf unterschiedliche Weise stattfinden:
Anfangs besteht sie aus Gruppentherapie für jeden Teilnehmer.
Dann wird es intensiver und hat meist viele gestalttherapeutische Inhalte.
Manche fortgeschrittenen Kurse fahren ein Wochenende ins Kloster in den Bergen und kommunizieren dort ein Wochenende, ohne jemals einen Ton zu reden! (nein, nicht über Telepathie 😄).
Es gibt da keine direkten Grenzen, wie man solche Selbsterfahrungen gestalten kann.
Aber auch Körperwahrnehmung, ein Gespür für eigene Grenzen und die Möglichkeit der Modifikation von Bewusstseinszuständen wird erprobt. Dadurch nimmt man als Therapeut nicht nur Patientenperspektive ein und erfährt, wie schwer es eigentlich ist, über gewisse Dinge zu reden, sondern betreibt auch Selbstfürsorge und Burnoutprophylaxe.
Auf diesem Weg wird auch vermieden, dass man es bei Therapeuten mit Leuten zu tun hat, die nur nach Schema F Fragebögen abfragen, das ganze als Leistungsding betrachten ("Guckt mal, ich hab's bis hierher geschafft!") oder sich den ,,drei therapeutischen Teufeln" hinzugeben: Neugierde, Macht, Selbstheilung.
Ich persönlich mag es eigentlich gerne, meiner Bio mal Raum zu geben, aber vor einem Selbsterfahrungs-Wochenende habe ich doch immer Respekt. Ich merke manchmal auch, wie ich mich dagegen dezent sträube und im Seminar selbst wird mir dann klar, welchen Grund das hat.
Bewreut habe ich es noch nie und ich habe generell noch niemanden gehört, der sagt, er habe nicht davon profitiert. Am Sonntag geht es stets zurück - maximal erschöpft, aber befreit. 😊
Bleibt gesund und haltet zusammen,
LG
Feature Foto: Cottobro/pexels.com
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