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Wieder geerdet


Vica

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Es lief alles nach Plan, aber der Plan war halt Mist
Das kann ich aus den beiden Klinikjahren resümieren. Jetzt, einige Zeit nach meinem Austritt dort und eine Selbsterfahrung und ein Präsenzseminar, viel Familienzeit und Freizeit, Arzttermine, Sport + neue Hobbys weiter kann ich sagen: Ich habe wieder Bodenkontakt bekommen :-). 
Aktuell stellt sich die Frage, wie es bei mir weitergeht bis zur Approbation, die ich möglicherweise auf nächstes Jahr schiebe, um mehr Workl-Life-Balance zu haben. Die Ambulanz-Arbeit in der Praxis alleine ist zwar sehr erfrischend und wertschätzend (und man kommt sich, anders als in der Klinik, wieder wie eine richtige Therapeutin /Psychologin vor), jedoch nicht sehr einträglich, da das ganze mit 15 Patienten maximal gedeckelt ist. 

Also stellt sich die Frage: Ambulanz in Vollzeit (das wären alle 15 auf einmal), oder ein kleiner Job woanders. 15 Patienten auf einmal klingt erstmal machbar, das sind ja gerade mal 3 pro Tag. Aber so einfach ist das leider nicht: Zu viele Therapeuten auf zu wenig Räume! Das betrifft auch reine Institutsambulanzen, die extra für PiAs gemacht sind. Wir haben in der Praxis etwa doppelt so viele Therapeuten wie Räume (im Vergleich zu Institutsambulanzen noch Luxus!).    
Deswegen tendiere ich zur zweiten Lösung: Weniger Patienten, ein kleinerer Job woanders. Natürlich darf ein Job die Ambulanzarbeit nicht gefährden. Nicht jeder Arbeitgeber sieht zudem gerne, wenn ich bereits in einer psychotherapeutischen Praxis arbeite, damit müsste er also klarkommen. 

Welchen Job ich mache, musste ich mir aber gut überlegen - auch ob ich wirklich nochmal in ein klinisches System eintrete und dieses unterstützen will. Ich habe hier einfach zu viel strukturell desolate Zustände gesehen und erlebt. 
Falls ich überhaupt nochmal stationär arbeiten würde, müsste eines klar sein: Es müsste absolut meine Richtung und definitiv in der Nähe sein, schon wegen der Familie. Ich brauche einen wertschätzenden Umgang und keine toxischen Gewinnmaximierungsverhältnisse zulasten des Gesundheitssystems. 
Doch ist sowas überhaupt mal eben zu finden? 

Garantiert nicht  vollumfänglich, aber im Bezug auf die Zufriedenheit ist definitiv mehr rauszuholen, als bei der letzten Stelle, wofür man dann auch bereit ist, Abstriche zu machen.
Zunächst war für mich klar, mit welcher Patient/innengruppe ich überhaupt hauptsächlich arbeiten will, auch in Zukunft, und so noch einiges an Erfahrung sammeln möchte.
Das sind in meinem Fall ganz klar Kinder und Jugendliche. Also habe ich auch ein paar KJP-Bewerbungen verschickt. Weiterhin wollte ich nirgendwo ohne Probearbeiten zusagen. 

Bei Stelle Nr.1 hat man schon meinen Vorstellungstermin vergessen, die Oberärztin war (zum Leidwesen der beschämten Personalerin) zunächst weder erreichbar noch auffindbar. Geschlagene 30 Minuten habe ich gewartet, dann kam sie letztlich und hatte noch 10 Minuten Zeit - das Gespräch dann in einem Raum, wo andere Mitarbeiter/innen zeitgleich Mittag machten. 
Hier habe ich abgelehnt. 

Bei Stelle Nr.2 hatte ich hingegen ein sehr gutes Gefühl, besonders fiel mir die Entspanntheit und Freundlichkeit der Mitarbeiter dort auf. Auch beim Probearbeiten fühlte ich mich direkt wohl. Weiterhin bekam ich den Tipp, ruhig auch mal Ellenbogen zu zeigen und Arbeit abzulehnen, das sei schon okay. Das hat mich begeistert und freilich habe ich zugesagt. Da es aber eine Initiativbewerbung war, muss ich warten, bis die Stelle vakant ist.

Ich habe auch etwas andere Arbeitsbereiche in Erwägung gezogen: Schulpsychologin, KJP in einem Kinderkrankenhaus, eine wissenschaftliche Mitarbeit mit möglicher Promotion (letztere interessiert mich aber nicht, es ginge auch ohne) an der Uni und in eine Stelle in einem Heim haben interessiert reagiert. 

Noch habe ich nicht alle Gespräche und Hospitationen geführt. Es wird sich daher zeigen, wie es weitergeht. Aber erstmal finde ich meine Vorgehensweise ganz gut. 

Darum: Nehmt nicht das Erstbeste, auch wenn es heißt, die Stellen seien rar. Achtet auf euer Bauchgefühl, hospitiert und sprecht mit den Mitarbeitern. Ihr habt nichts von Stellen, wo euch am Ende sogar die Zeit für einen Burnout fehlt (perfide gesagt - denn die Karriereleiter ist oft nichts weiter als ein Hamsterrad!). 

Bleibt gesund und haltet zusammen,
LG

Feature Foto:  Daria_Obymaha/pexels.com

Bearbeitet von Vica

9 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Zitat

Ich brauche einen wertschätzenden Umgang und keine toxischen Gewinnmaximierungsverhältnisse zulasten des Gesundheitssystems. 
Doch ist sowas überhaupt mal eben zu finden? 

 

Das ist die große Frage und meines Erachtens nur noch in wenigen Häusern zu finden. Das ist sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass viele Krankenhäuser und Kliniken in privater Trägerschaft liegen und die Gewinnmaximierung im Vordergrund liegt. Aber auch kirchliche Träger oder Unikliniken haben bei Weitem keine entspannte Haltung zu allem - auch wenn man immer wieder hört, dort könnte es tendenziell besser sein.

 

Daher gefällt mir dein Vorgehen, ich bin aber ehrlich gesagt nicht besonders optimistisch. Zudem habe ich ja schon im außerklinischen Bereich gearbeitet und hatte da genau wie du desolate Zustände erlebt. Ich frage mich aber auch, ob nach der Approbation die Selbstständigkeit der einzige gangbare Weg ist, um eben nicht unter die Räder zu kommen? Oder Bedarf es auch gerade in Häusern mit desolater oder gänzlich fehlender Führung nicht einfach mehr Ellenbogen und Widerstand unsererseits? 🤷‍♀️

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vor 2 Stunden schrieb TomSon:

ob nach der Approbation die Selbstständigkeit der einzige gangbare Weg ist, um eben nicht unter die Räder zu kommen?

 

Ich glaube, dass es auch Typsache ist, ob man wo auch immer unter die Räder kommt oder nicht. Desolate Zustände kann man überall finden, auch in einer Selbständigkeit.

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Wobei ich schon denke, dass es in der Selbstständigkeit oft mehr eigene Gestaltungsmöglichkeiten gibt und damit das Gefühl, selbst etwas in der Hand zu haben und nach den eigenen Vorstellungen zu entscheiden.

 

Die Gefahr zum Burn-out sehe ich dort allerdings auch sehr gegeben, auch aus eigener Erfahrung.

 

Und auch die Gefahr, trotz Krankheit weiterzuarbeiten, weil sonst ja gleich Einnahmen wegfallen etc.

 

Unser Gesundheitssystem ist sicherlich insgesamt krank. Dennoch habe ich den Eindruck (aus der Außensicht), dass es je nach Einrichtung zum Teil große Unterschiede gibt.

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Natürlich gibt es große Unterschiede je nach Einrichtung. Und die sollte man auch im Auge behalten, je nach dem persönlichen Freiheitsgrad, den man bei der Auswahl seines Arbeitsumfeldes hat.

 

Aber wir beide, Herr Jung, wissen doch auch, was eine Soloselbständigkeit bedeutet, nicht wahr? Und welche Risiken sie birgt, je nachdem, welches finanzielle Netz man hat bei Krankheit und/oder anderen Unbillen des Lebens.

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Man muss ganz klar sagen, dass gerade innerhalb der letzten Jahre die Belastungen im Klinikalltag deutlich zugenommen haben.

Oftmals sind 2 examinierte Kräfte mit Unterstützung von Auszubildenden und Hilfskräfte für über 40 Patienten zuständig. Dieses schlägt sich natürlich in dem „menschlichen“ Umgang nieder. Aber dieses Problem haben nicht nur Pflegekräfte sondern auch ärztliches Personal, Therapeuten etc. Kliniken, egal in welcher Trägerschaft sind gewinnorientierte Unternehmen. Anhand von DRGs steht vom Moment der stationären Aufnahme das Entlassdatum schon fest.

Ich kann @Vicagut verstehen, dass sie sich diesem  Alltag nicht dauerhaft aussetzen möchte.

Es ist nur unheimlich schwierig eine Position zu finden in der man (zumindest hypothetisch) eine erfüllende Tätigkeit, Kollegialität und sein persönliches Wohlbefinden gleichzeitig vorfinden kann.

Ob die Selbstständigkeit der richtige Weg ist, wird sich zeigen. Aber mit diesem Maß an Selbstreflexion, wie ich ihn aus diesen Blogeinträgen herauslesen kann, denke ich wird sich dieser Weg finden lassen.

Ich drücke jedenfalls die Daumen und werde weiterhin mit großem Interesse den Weg verfolgen

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Dein Vorgehen finde ich spannend, da ich mir das für meine nächste Stelle auch so vorstelle. Also erstmal reinschnuppern, bevor man zusagt. Meine Fragen:

Was genau bedeutet bei dir Probearbeiten? Einen Tag oder eine Woche? Arbeitest du da wirklich mit oder läufst eher mit? Und wie reagieren die Arbeitgeber auf solche Anfragen? Ich kann mir vorstellen, dass man nicht 5 Bewerber auf die Kollegen loslässt, von denen dann ja mindestens 4 nie wieder kommen. Das ist für die Kollegen ja auch eine Belastung jeden reinschnuppern zu lassen.

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@unrockbar:
Also tatsächlich musst du dich im Vorstellungsgespräch vorsichtig vortasten. Wenn die Stimmung gut ist, kannst du ruhig fragen: Dürfte ich mir das hier mal anschauen und Ihnen meine Entscheidung hinterher mitteilen? 
Tatsächlich kam das sehr gut an! Ich denke, es wirkt irgendwie bodenständig. Auch in meiner alten Klinik war es gerne gesehen, wenn Bewerber vorher hospitiert haben. 

Mehr als 1-2 Tage würde ich persönlich nicht machen - das wäre mir ansonsten zu anstrengend. Probearbeiten bedeutet in dem Sinne, dass du schon ein paar Aufgaben übernehmen kannst: Patienten (de)briefen, bei der Diagnostik assistieren, mal eine Gruppe anleiten etc. (Kaffee gekocht habe ich auch 🤪). Für mehr reicht es oft nicht. Ansonsten hauptsächlich mitlaufen! (Und für sich selbst: Feld-Diagnostik laufen lassen, wie hier so die Stimmung ist).

Etwas unsicher war ich, als ich plötzlich Teil der Teamrunde war. Ob ich hätte mitdiskutieren sollen, hab ich bis heute nicht verstanden (fand es aber angemessener, mich da zurückzuhalten). 

Joa, der jeweilige Kollege kann nicht gescheit arbeiten, wenn einer dabei ist, der zu allem 1000 Fragen hat. Jedoch kann es eine Wette auf die Zukunft sein, wenn derjenige danach bleiben will. Dann hätte man ja potenziell Entlastung :-). (Ich denke, das Einarbeiten später wird schlimmer!). 

LG

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