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Psychiatrie, Woche 2 - Masken, Hierarchien und wie ich 6 Arme bekam


Vica

1.397 Aufrufe

Die zweite Woche im klinischen Praktikum ist zu Ende, 7 weitere folgen noch :D Eine ziemlich besondere Woche, denn: Ich habe unsere Abteilung alleine geschmissen. Nee, das liegt nicht daran, dass meine Kollegen erkrankt wären :D Überhaupt hielt sich die Corona-Panik in dieser Woche sehr in Grenzen. Tatsächlich haben alle meine Mitpraktikanten aufgehört, da sie am Ende des Praktikums angekommen waren. Der letzte verbliebene Kollege hatte am Tag davor wirklich alles drauf gesetzt, dass ich so viel Input wie möglich bekomme, um den Laden alleine zu werfen. Hat das funktioniert? Mal sehen. 

Gemacht: 
Drei für Praktikanten vorgesehene Gruppen geleitet (für die Patienten ein freiwilliges Angebot, wird nicht mit der Kasse abgerechnet). 

Einzeltermine mit Patienten, in denen man eine oberflächliche Rollenspielsituation macht, die der Patient dann mit seinem Therapeuten bespricht. Diese wird gefilmt und dann in der eigentlichen Therapie besprochen. Nein, ich habe das mit den Kameras bisher nicht gerallt. 😌

Und: Unendlich viel Dokumentation für die Therapeuten. 

Insgesamt fallen gerade 6 Aufgabenbereiche in meinen Bereich. Ich fühle mich daher sechsarmig :D 



Größte Überraschungen:

Worüber ich erstaunt bin: Nichts ist hier so heilig wie die Hierarchie. 

Wen kann man fragen, wenn kein Praktikant mehr da ist und auch die Praktikumsleitun, die in einer ganz anderen Abteilung und sogar anderem Gebäude ist, eh nie erreichbar ist? :D Wer könnte mir eventuell mal helfen, bei der HRV-Messung die Elektroden richtig zu verkabeln?Mein erster Gedanke war: Natürlich die Psychologen, Therapeuten oder Therapeuten in Ausbildung (=Pias). 
Aber das hatte bei den anderen Praktikanten schon für Schnappatmung gesorgt. Niemals dürften wir die mit solchen Aufgaben betrauen und auch nur fragen! Das ginge gar nicht. Ich solle sie lieber bloß nicht mit sowas nerven. 

Die Rangfolge ist etwa so:
1) Gott: Chefarzt
2) Erzengel: Psychologische Psychotherapeuten
3) Engel: Psychotherapeuten in Ausbildung
4) Heilige: Psychologen (Hier kaum Diplom, fast alles M.Sc.s) 
5) Ha, ha, ha: Praktikanten 

Okay :001_huh:. So wirklich Verständnis habe ich dafür nicht. Der Vater meiner Freundin leitet auch ein Altenheim und hätte solche Aufgaben sicher nicht nötig, trotzdem teilt er sich selber auch für den Putzdienst dort ein - nebst Putzfrauen. Geht alles! 
Mache ich nächste Woche mal anders. Fragen kostet doch nichts. Und viele Leute sind froh, wenn sie helfen konnten (ob Karriereleiter weiter oben oder nicht). 

Größte Herausforderungen: 

  • Vor allem in den Einzelterminen hätte ich gerne mehr Erfahrung, wie man die Situation so darstellen soll und wie die Gespräche noch besser geführt werden könnten. Interesse diesbezüglich habe ich schon bei der Praktikumsleiter in bekundet. Leider wird aber wohl kein Termin zum Hospitieren auf die Schnelle frei. 
  • Diese PCs :( Nicht nur, dass wir Windows 98 (!!) nutzen, sondern sie sind unfassbar voll und unordentlich von Ordnern, die zu einem großen Teil verwaist sind. Da sollt ihr nun ein Dokument finden, welches im Unterordner von Unterordner eines Unterordners ist, dessen Name absolut nichtssagend ist.  Ja, ich weiß, dass es noch schlimmer geht - unser Möbelhaus arbeitet mit MS-DOS :D 

 


Größte Erfolgserlebnisse?

  • Tatsächlichen Mehrwert für die Patienten mitgebracht zu haben, dh wenn die im Rollenspiel echt mitgehen. 
  • Den Laden wirklich alleine am Laufen zu halten (Termintechnisch etc.) 
  • Innerhalb einer Woche wurde ich vom Typ "Keine Ahnung von klinischen Abläufen" zum Halb-Profi für klinische Abläufe  
  • Testtheorie! Das war mal mein 0-Ahnung-Fach, weil man als Normalsterblicher keinen Zugang zu Screening-Fragebögen oder gar ganzen Testbatterien hat. Jetzt wende ich diese hier an und bräuchte für das Fach nicht mal mehr lernen :D 

 

Und Corona?

Wir haben hier keine weiteren Fälle. Das Wetter ist gut und weniger fühlen sich krank. Dafür haben wir jetzt auch Stoffmasken :D Die tragen wir auch während der Therapien, was ganz furchtbar albern auf die Patienten wirkt. 

 

Nächste Woche wird spannend. Es kommen 4 neue Praktikanten, eine davon ist blind. Alle soll ich anlernen 😮. Das wird also sehr heiter. Aber ich habe Ideen :D 

Bleibt gesund :) 

Feature Foto: Miguel A Padrinan|pexels.com 

11 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Du erlebst gerade das, was ich in meinen Praktika erlebt habe. Learning by Doing. Wenn man die Mentalität dafür hat (bei Dir ist es wohl so), kann man viele Erfahrungen sammeln. Nur irgendwie stumm daneben laufen, war noch nie meins. 

Hast denn irgendwann mal Reflexionstermine (in der Klinik wohl er nicht, aber vielleicht im Studium)?

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Ich finde es beeindruckend, was du alles in kurzer Zeit übernimmst. 

Wird die krasse Hierarchie und die Angst, jemanden zu stören, nur von den Praktikanten empfunden, oder läuft es tatsächlich so? 

 

Insgesamt finde ich es unverschämt, dass das alles unbezahlt erledigt werden soll. Immerhin scheint es dir persönlich viel zu bringen. 

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Ich finde es beeindruckend, dass Sie sich den Aufgaben stellen und sicher ihr Bestes tun, um sie verantwortungsvoll wahrzunehmen.

 

Mir kommt allerdings wirklich das Entsetzen, dass das alles ohne Begleitung durch erfahrene Therapeuten passiert. Ich meine, die Menschen, die Sie da begleiten, sind ja nicht umsonst stationär in einer Fachklinik untergebracht. Sie haben ernsthafte Störungsbilder.

 

Wenn da jemand ohne praktische Erfahrung und Supervision damit arbeitet, ist das risikoreich. Für die Patienten!

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Sehe es auch so wie Frau Kanzler,

 eigentlich solltest du was lernen von anderen und dieses dann auch repetiv anwenden.

Du ersetzt jedoch festes Personal und die Leitung hat für dich keine Zeit...  das ist nicht im Sinne eines Praktikums.

 

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vor einer Stunde, der_alex schrieb:

Du ersetzt jedoch festes Personal und die Leitung hat für dich keine Zeit...  das ist nicht im Sinne eines Praktikums.

 

Leider ist das im klinischen Kontext die Regel. Ganz platt ausgedrückt: "billiges Personal".  Autodidakten (es lebe das Fernstudium) haben da ihren großen Vorteil. 

Wenn ich immer gesehen habe, wie PIA´s einfach ins kalte Wasser geschmissen worden sind und komplette Stationen geleitet haben.... 

Was das für Patienten heißt, braucht man nicht diskutieren... 

Aber Vica macht gerade das Beste daraus. 

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Vica

Geschrieben (bearbeitet)

vor 6 Stunden, KanzlerCoaching schrieb:

Wenn da jemand ohne praktische Erfahrung und Supervision damit arbeitet, ist das risikoreich. Für die Patienten!

 

Es ist viel schlimmer. Die Gefahr besteht aktuell darin, dass die Patienten sterben, und zwar vor Lachen. Es ist bereits ein Running Gag, dass ich die Videosoftware nicht zum Laufen bringen kann, ebenso wenig wie den Fernseher. Andererseits sorgt es bisher zur Erheiterung. 😏 Neben fehlender Supervision gab es keine Einweisung in technische Dinge. 

 

vor 2 Stunden, KanzlerCoaching schrieb:

Also ganz eigentlich müsste man solche Praktikanteneinsätze der Klinikaufsicht melden ...

 

Das könnte ich natürlich machen. Aber wenn man nicht mal Pias fragen soll, wie wird Gott das sehen, wenn ich mehrere Hierarchien gleich überspringe 😁

 

Im Ernst, damit Sie ruhig schlafen können:

- Jeder Patient hat seinen offiziellen Bezugstherapeuten, mit dem er an seiner Störung arbeitet + eine Medikation durch einen Psychiater

- Die Therapeuten oder Pias leiten Gruppen mit therapeutischen Inhalten, z. B. etwas Tiefenpsychologisches

- Die Teilnahme an Praktikanten Gruppen sind für die Patienten freiwillig und die werden als solche ausgewiesen. Sie müssen sich selbst dafür anmelden. Aktuell ist der Andrang groß. 

- Gruppen, die Praktikanten übernehmen sind soziales Kompetenztraining, Kommunikation, Achtsamkeit oder nach Möglichkeit auch Sportgrpopen. Die sind sehr allgemein und unterscheiden sich nicht groß von dem, was man auch an der VHS anbieten dürfte. 

- Einzeltermine zw. Praktikant und Patient sind Rollenspiele, die sich der Patient aussucht. Ich bin da mehr in der Rolle des Schauspielers (trotzdem manchmal au h sprachlos). Die werden gefilmt, damit sie danach zwischen Patient und Therapeut besprochen werden können. Müssen das selber aber auch rückmelden, wie das lief . 

- Aktuell herrscht aber auch Notstand wegen Corona. Durch die Abstandsregeln werden einige Gruppen enorm geschmälert, da wir mehr Personal gebraucht, als da ist. Einige Pias arbeiten aktuell auch nicht bei uns, da sie als Pfleger auf anderen Stationen eingesetzt werden. 

- Alle Praktikanten Gruppen oder Trainings werden nicht mit der Krankenkasse verrechnet, das läuft offiziell als eine Art sinnvolle Freizeitgestaltung 😁

- Sie sind bei den Patienten sehr beliebt 

 

 

Mein Text ist einfach irritierend. Ich habe ihn nun verbessert 👍😊

Bearbeitet von Vica
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vor 8 Stunden, tiransich schrieb:

 

Wird die krasse Hierarchie und die Angst, jemanden zu stören, nur von den Praktikanten empfunden, oder läuft es tatsächlich so? 

 

Die Frage interessiert mich auch brennend. Habe bis jetzt viele Therapeuten kennengelernt und habe wirklich nicht den Eindruck, dass da Standesdünkel betrieben wird. 

 

Glaube, dass sich da auch viel reingesteigert wird. Oder Stichwort Selbstwirksamkeit. Vielleicht auch irgendwo eine Sache des Alters. Der älteste Praktikant war nicht weniger als 12 Jahre jünger als ich. Die Therapeuten und Pias haben eher mein Alter. Sehe mich schon darum mehr auf Augenhöhe. 

 

Ich werde das nächste Woche mal austesten, ob das wirklich so läuft. 

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Das beruhigt mich in der Tat, was Sie da schreiben, Vica. Wobei ich die Tatsache, dass das nicht mit der Krankenkasse abgerechnet wird, als das kleinste Problem sehe. Da finde ich es eher ärgerlich, dass Sie als Lückenbüßer kein Honorar bekommen. Und ich bin auch absolut davon überzeugt, dass Sie das, was Sie tun, mit sehr viel Verantwortungsgefühl tun.

 

Ich habe in meinen "pädagogischen Zeiten" und in den Zeiten, in denen ich in der Beratung mit Personen mit massiven Störungen gearbeitet habe, immer wieder wohlmeinende und engagierte Praktikanten erlebt, die bei den Klienten Dinge ausgelöst haben, die ziemlich daneben waren. Einfach, weil sie Situationen nicht einschätzen konnten. Und ich erinnere mich an meine Anfangszeiten, in denen ich zwar gut Beziehungen zu Klienten aufbauen konnte, aber durch unreflektierte Nähe in ziemlich blöde Situationen mich hineinmanövriert habe, in denen ich durch den Klienten manipuliert wurde. Supervision war da enorm wichtig, einmal zur Selbstkontrolle, andererseits, um auch der Situation wieder rauszukommen.

 

Dass Sie ein ziemliches persönliches Risiko eingehen, wenn Sie die Hierarchien überspringen und melden, was da im Augenblick läuft, ist mir schon klar. Und wenn Sie bei mir in Beratung wären, würde ich mit Ihnen sehr genau überlegen, ob Sie das wirklich tun sollten.

 

 

Bearbeitet von KanzlerCoaching
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Zitat

Mache ich nächste Woche mal anders. Fragen kostet doch nichts. 

 

Genau so sehe ich das auch. Was soll im schlimmsten Fall passieren? - Sie werden dich sicher deshalb nicht raus schmeißen. Und etwas zusätzliche Sichtbarkeit kann ja vielleicht sogar von Vorteil sein. Ich bin gespannt, was du berichten wirst.

 

Ansonsten bin ich enorm beeindruckt von dem, was du da eigenständig leistest.

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