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Erstkontakt: Narzissmus


Vica

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Der Herr im Anzug ist auf Station eine imposante Erscheinung. Nadelstreifen und Budapester da, wo Patienten sich üblicherweise notdürftig Bekleidung beim Sozialarbeiter ausborgen müssen. Herr X. weiß das. In der kurzen Zeit, die er hier ist, hat er schon alle genau gescannt. Nur der Chefarzt, der hat ihn trotz seines guten Aussehens noch nicht angesprochen. Das wäre ja der Normalfall gewesen. Vielleicht ein Versehen: Man könnt ihn mit einem Bewerber auf eine Oberarztstelle verwechselt haben. Dabei ist Herr X. eigentlich Anwalt. Also: Nicht wirklich. Er hat keinen Abschluss, kein Stück Papier, welches das bestätigen würde. Aber er kennt sich aus. Garantiert mehr als die meisten Anwälte. Er hat schon einige verklagt. Oder naja, vielleicht auch nur angezeigt. Aber hey: Zurecht. Er mag von Haus aus Handwerker sein. Das aber eigentlich nur, weil man ihn dazu gezwungen hat, da man seine Intelligenz nie erkannt hat. Juristisch begabt. Also auch Anwalt. Im Herzen. Das zählt genauso.

Von der Pflege hält Herr X. bisher nicht so viel. Die sind für ihn wie die 7 Zwerge, während er lieber mit Schneewittchen sprechen will: Dem Chefarzt Wo ist der denn bloß? Zehn Mails hat er ihm gestern vom Handy aus geschrieben.  Und noch öfter hat er seine Nummer gewählt, die auf der Homepage steht. Aber Pech, da landet man ja nur beim Pförtner. Der Stümper will ihn nicht verbinden. Dabei können nur Höchstkompetente ihm helfen, hier wieder rauszukommen. Dass er hier ist, liegt an einer Verschwörung der Polizei gegen ihn. Der Chefarzt wird dies verstehen.

Er hofft nur, dass er dem Chefarzt gewachsen ist. Was, wenn sich mal nicht so gut ausdrücken kann? Er ihn vielleicht am Ende nicht versteht? Eine Reihe von Befürchtungen bricht über ihn herein und er muss seinen Kragen lockern. Herzrasen und schon wieder diese verdammten Schwitzanfälle. Angst. Durchfall-Gefühl.  Flüchtige Gedanken an Wodka und Diazepam – der offizielle Grund, warum er hier ist. Außer Reichweite leider.

Herr X. muss also doch zunächst von der ersten in die zweite Klasse umsteigen: Mal sehen, was Stationsätzte und Psychologin so machen. Die kommen ran an den Chefarzt. Doch: Was steht da aber an der Tür des Stationsarztes?

Sprechstunde erst heute Nachmittag!

Gut, aber für besondere Fälle wie ihn werden die eine Ausnahme machen. Die sind doch eh da.
„Du! Mädchen!“ sagt er zu der 46jährigen Dame, als spreche er mit einem Äffchen, für das er eine Banane dabeihat. ,,Komm, schließ mir mal auf! Ich weiß, dass er Arzt da ist und ich muss da rein. Und du siehst aus wie jemand, der Ahnung hat. Weißt dich ja auch zu kleiden!“ Doch er hat sich in die Nesseln gesetzt. Statt sich geschmeichelt zu fühlen, faucht sie ihn an: ,,Herr X., wie oft soll ich es Ihnen noch sagen? Auf Station herrscht Maskenpflicht. Und die Sprechzeiten stehen dran! Sie zählen für alle!“
Soviel zu dieser Idee. Blöde Ziege. Nachher mal beim Staatsanwalt anrufen und aufs Band sprechen, dass der mal seinen Hintern hierher bewegt.

Kurze Zeit später steht er in der Tür der Psychologin und streckt ihr die Hand entgegen. Er sagt widerwillig: ,,Guten Tag! Ich bräuchte mal jemand Kompetentes, der mir weiterhilft.“ Widerwillig, weil er sie natürlich nicht für kompetenter hält als sich selbst. Aber er muss das ja sagen, anders hören diese Spinner hier ja nicht richtig zu. Dazu muss man schleimen. Ihn würgts, dass er das tun muss. Aber so läuft es im Leben – nur die Besten wissen, wie man es spielt. Denkt er.

Verlassen kann man sich auf Leue nicht. Vertrauen kann man niemanden. Schwächen dürfen auch nicht sein, die machen einen SO angreifbar. Das hat er früh gelernt, in seiner Kindheit. Etwa als sein Vater ihm mit der Zange die Zähne rausdrehte, wenn er mit schlechten Noten nach Hause kam. Oder ein Brief von der Lehrerin kam, dass er heute schon wieder eingenässt hätte. Sei’s drum. Er ist es gewohnt, unterschätzt zu werden. Das hat nur abgehärtet.

Herr X. betrachtet die Psychologin wie ein schlecht gebratenes Steak. In welchem Film ist er denn jetzt hier? Der sind gerade die Blätter aus der Akte gefallen. Der Stift, den sie hat, schreibt nicht, sie muss einen anderen holen. Ohje, denkt er. Ich seh schon, da muss ich aber mal für Ordnung sorgen.
„Das ist ja ein ganz schönes Chaos hier, Fräulein!“ meint er und deutet auf den Aktenstapel auf dem Schreibtisch.

Die Psychologin merkt tatsächlich Schamgefühl aufkommen: Für den Vorwurf, unordentlich zu sein. Den hat sie in ihrer Kindheit oft gehört. Da hängt viel Beschämung dran an solchen Erinnerungen, auch Gefühle von Kontrollverlust. Die werden noch krasser angezapft, als der Patient mit hochgezogenen Brauen loslegt: ,,Wir können das hier abkürzen, wenn Sie mir einfach den Chefarzt ranzitieren und ihm sagen, dass ich gehen kann. Denn mal ehrlich: Was soll das hier? Mal ehrlich: Würden SIE für sowas hier Krankenkassenbeiträge zahlen?“

Da ist der Imposter in ihr angezapft, wie ihn Fernstudis oft haben. Sie spürt den Druck, Herr der Situation zu werden – weiß aber auch: Darum geht’s hier nicht wirklich. Der Chefarzt hat schon in die Akte geschrieben: F60.8. Keine klare Diagnose, ein Sammelbegriff für vieles. Aber jeder Kliniker weiß es, was gemeint ist: Narzissmus.

Ja, der Chefarzt hat keine Lust auf ihn – sie weiß es aus der Nachtdienstübergabe. Und auch die Pflege will ihn nicht, und auch nicht die Patienten. Alle beschweren sich über sein manipulatives Verhalten. Dass er seinen Urin am Mitpatienten verkauft, abgepackt in die Duschgelflasche, damit sie ihn am nächsten Morgen für die Urinkontrolle nutzen können. Dass er sich Dinge nimmt, als gehörten sie ihm, ins Pflegezimmer marschiert und fordert ohne Ende.

Aber: Sie kann nicht anders, sie muss ihn damit konfrontieren, dass er mit Rechtsbeschluss hier ist. Und nur der Richter das aufheben kann. Da gibt’s kein Halten mehr: „ Das ist ja das Dümmste, Unattraktivste, Inkompetente, was ich je gehört habe! Ein Drecksladen ist das hier hoch!“ brüllt er, steht auf und geht aufgebracht im Kreis hin- und her. Es folgt ein Schwall an Gemeinheiten und Wut. Nicht auf sie, auf alles. Er lässt sie nicht ausreden, unterbricht sie, kränkt bewusst.

Er ahnt es, auch wenn er es verdrängt: Er ist ein schwieriger Typ. Man KANN ihn nicht aushalten, das ist ihm bewusst. Im Ansatz. Aber keiner darf das sehen. Oder erahnen.

„Sagen Sie mal“, meint sie, „Sie sind doch ziemlich hochgewachsen, wie groß sind Sie eigentlich?“
„Naja, so ungefähr 1,87. Eigentlich Standard…“ antwortet Herr X. verwirrt.
„Aus meiner Sicht ist alles über 1,75m riesig“, sagt sie. „Seit Wochen bekomme ich das obere Kippfenster nicht zu. Darf ich Sie darum bitten, es einmal zu schließen?“
„Aber sicher!“ antwortet Herr X. altväterlich und schließt es. Danach kehrt er zum Platz zurück.
„Sehen Sie, ich verstehe, was Sie mit Drecksladen meinen. Selbst bei mir ist das manchmal so, dass ich so denke. Denn ich finde hier keinen, der mir mal kurz hilft, das Fenster zu schließen. Ich höre immer nur: Sorry, keine Zeit! Wissen Sie, was da in mir aufkommt? So ein Gefühl von Hilflosigkeit. Und wenn Sie sagen, dass sie schon so lange versuchen, den Chefarzt zu sprechen, weil sie ein Anliegen haben, aber alle Türen immer wieder zu sind, ist das im Grunde doch dasselbe. Aber ich arrangiere mich damit, ich ziehe mich etwas dicker an. Und wenn ich lese, dass Sie seit vielen Jahren obdachlos sind, aber aussehen wie ein CEO, denke ich, Sie müssten auch ein dickes Fell haben, richtig?“

 

Die nächsten Tage kommt Herr X. häufiger zur Psychologin. Er fühlt sich beschwingt wie lange nicht.
Die nächsten Tage nimmt die Psychologin Extra-Termine mit der Supervisorin wahr. Sie fühlt sich ausgebrannt wie lange nicht. Keine Ahnung, warum. Sie schläft schlechter, hat Kopfweh, fühlt sich irgendwie inkompetenter als sonst. Die Supervisorin nimmt sich die Zeit. Aus der Tasse Kaffee bei ihr wird ein Liter Kaffee und  Kuchen bringt sie auch mit. So sind sie, die Grünschnäbel. Immer diese Rettungsphantasien und den Anspruch, Patienten von allem heilen zu wollen. Es sind sehr intensive Gespräche.
Aber sie werden der Psychologin viel bringen, die sich später sehr intensiv mit dem Thema Narzissmus auseinandersetzt.

Wenige Tage später hat Herr X. erreicht, was er wollte: Er hat sein Chefarzt-Gespräch bekommen. Und ist wieder auf freiem Fuß. Nur 5 Minuten hat das gedauert. Gut, es lief anders, als geplant. Am Ende sprach er eine Morddrohung gegen den Chefarzt aus und bekam Hausverbot. Kann ich doch nichts für, dass der mich so weit bringt.
Und Herr X.? Hat doch gleich gewusst, dass das nichts taugt. Sauladen.
Ein bis zwei wertschätzende Erinnerungen gab es aber doch. Der Pfleger, der ihm Haargel lieh. Vielleicht auch die Gespräche mit der Psychologin. Die Putzfrau, die war wenigstens noch so menschlich. Dennoch: Sauladen. Hat er doch gesagt.

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* Dies ist eine kleine Serie über meine Ersterfahrung mit gewissen Störungsbildern aus meiner Klinikzeit, über die ich damals nicht so gerne sprechen wollte. Es sind Störungsbilder und Situationen, die viele beim Wunsch, Psycholog:in bzw. Therapeut:in zu werden, nicht so auf dem Schirm haben. Wenn du Psycholog:in werden willst, denk dran, dass du auch mal damit konfrontiert wirst und mit Patient:innen, die man nicht immer ,,heilen“ kann. Heilung ist auch nicht immer das Ziel.  In regelmäßigen Abständen stelle ich euch meine Ersterfahrung mit Störungsbildern vor. Dabei beziehe ich auch mit ein, wie mir das (Fern)studium half. Die Patienten sind dabei oft ein Konglomerat aus verschiedenen Patienten.

Bleibt gesund und haltet zusammen 😊.

LG

FEature Foto: Andrea Piacuquadio/pexels.de

Bearbeitet von Vica

6 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Zu einigen Narzissten hatte/habe ich auch Kontakt. Besonders sich selbst als unangreifbar sehen, auch wenn das nur ein Schutzwall gegen eigene Verletzbarkeit sein mag, empfinde ich als sehr anstrengend. Und oft der einzig gangbare Weg, den Kontakt auf ein für mich gesundes/erträgliches Maß zu reduzieren. 

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In dem Zusammenhang muss ich unweigerlich an zwei Dinge denken:

1. Das Buch von Mary Trump "too much and never enough", Donalds Trumps Nichte, ihrerseits Psychologin, die in ihrem Buch darstellt, wie Trump zu dem (wahrscheinlichen) Narzissten wurde, als der er sich präsentiert

2. an die Psychologin Sophie Seeberg, die unter Pseudonym über ihre Erfahrungen als Rechtspsychologin spricht. Sehr unterhaltsam geschrieben ihre Erlebnisse mit teils wirklich traurigen Familien.

 

Vielleicht ereilt dich ja doch noch eine Buchkarriere. Zumindest musste ich an die beiden denken, als ich deinen Text las. Euer Schreibstil kommt mir ähnlich vor und die waren recht erfolgreich 😊

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In meinem aktuellen Praktikum habe ich seit 2 Tagen eine Kopie deines Herrn X. Mein Herr X ist allerdings tatsächlich Mediziner und beweist seit seiner Aufnahme dass auch Patienten weit über ihre Kompetenzen gehen können. 

Heute in der Visite hat er den Oberarzt zur Weißglut gebracht, indem er sich selbst Termine für eine Narkoseaufklärung gemacht hat. Diese Aufklärung benötigt er für seine Intervention auf die er besteht, die allerdings noch nicht mal angeordnet wurde.

Patienten wie die Herren X sind einfach Paradebeispiele, die Frage ist nur für was

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