Selbsterfahrung: Willkommen im Nichts
Es war so weit, die große "Abenteuer"-Selbsterfahrung stand an. Es war keine Überraschung, es ist so ein Termin, der lange rot umkreist im Kalender steht...erst kommt er langsam näher und plötzlich ist er halt da. Und man fragt sich: Mist, wie ging das nun doch so schnell.
Das grob vorgegebene Thema: Kontrolle abgeben. Leider nicht in den üblichen Räumlichkeiten einer Großstadt, sondern: In einer dafür angemieteten KJP-Praxis mitten in der Pampa. Das war einer der Gründe, warum ich - abgesehen von der Dauer von fast 1 Woche - da wenig Lust drauf hatte.
Auch komplett zuwider war mir eine so lange Trennung von meiner Familie. Da kommt einem das Heulen. So ging es aber auch den anderen Kursteilnehmerinnen, und somit war man auch eine Leidensgemeinschaft.
Logistisch war das Dorf unheimlich schwer zu erreichen. Auch die nächste Stadt wäre von mir aus nur mit 3 komplizierten Umstiegen in nicht so gut greifbare Nähe gerückt. Gerüchteweise gibt's dort auch eine Buslinie, die wohl so ca. 2x täglich das Dorf anfährt. Hab' ich aber nirgends auf Fahrplänen dort gefunden.
Also war klar, dass man sich hier von vornerein anders organisieren musste und so gründeten wir eine Fahrgemeinschaft dorthin. Das ließ sich sehr gut machen. Auch buchten wir alle dasselbe Hotel, welches allerdings in der nächsten Stadt lag - im Dorf selbst gibt's keine Übernachtungsmöglichkeiten.
Irgendwann kam man dann nach einem unbeschreiblich heißen Vormittag, gefühlt komplett dehydriert am Seminarstandort an. Da wir 10 Minuten zu spät waren, gab es auch keine Möglichkeiten, sich nochmal von der Fahrt zu erholen - wir wurden gleich reingewürfelt in den Kurs und es wurde gleich gepowert.
Schnell wurde uns klar, warum wir die Straße nicht mal auf dem Navi gefunden hatten:
Dorf? - Auslegungssache. Eigentlich eine Straße mit links Wohnhäusern, rechts Bauernhöfen.
Straße? - Kann man so sehen, ist aber eigentlich ein Feldweg, den man sich auch mit Hühnern, Traktoren und ordentlich Wildwechsel teilt, ungefähr so breit wie man selbst, trotzdem Gegenverkehr.
Tanken, Aldi, Bäcker, Mäckes? - Haben wir alles! Also 4 Dörfer weiter...
Geldautomat? - Hatten wir definitiv früher mal...guckt mal, ob der noch da ist. (Nope btw)
Wie merkt man, dass Wochenende ist? - Na, am Feuerwehr-Alarm (3x), eine alte Fliegersirene.
Kaffee zum Seminar? - Wird schwierig, ist ne Privat-Kaffeemaschine, die gehört euch nicht!
Eigentlicher Chef im Dorf: Der Hahn. Er läuft den ganzen Tag die einzige Dorfstraße auf und ab. Wenn er kommt, wechselt alles die Straßenseite. Kräht alle 15 Minuten zuverlässig.
Die Frage, die ich mir stelle: Wie finden Patienten denn in diese Praxis?!
Ohne Auto und Rumfragen ist man komplett aufgeschmissen. Parken kann man überall, wo man will.
Die Praxis an sich: Ein umfunktioniertes Wohnhaus mit 2 Etagen und Keller. Man erkennt deutlich die Strukturen der alten Wohnbereiche.
Und dann ging es los: Lebensgeschichte vorstellen, wohlwollendes Hypothetisieren der Gruppe, emotionale Aktivierung, Interaktionsanalyse, Selbstmodifikation, ressourcenorientierte Explorationssitzung, berufsethischer Katalog und und und.
Plakate erstellen, diskutieren, Hypothesenfindungen, vortragen, vorspielen etc.
Es wurde reingepowert, von 9:30 bis 20:00 Uhr. Maximal anstrengend.
Abends ging es dann per Fahrgemeinschaft zum Hotel zurück, Das hatte auf Booking gruselige Bewertungen, war aber das einzige in der Nähe. Zum Glück hatte nichts davon gestimmt: Es war sehr gemütlich, außergewöhnlich und fantastisch ausgestattet. Der Chef (92 J.) machte noch persönlich Rundgänge und fragte, ob alles in Ordnung sei.
Und dann waren da die schönen Seiten: Zusammen in Gruppen ausgehen. Gut Essen gehen. Cocktails schlürfen. Viele Fotos und Videos nach Hause schicken. Mal wieder herzhaft über Belangloses lachen. Jeden Tag vom Rückweg träumen.
Schließlich kam der Tag, wo man sagen konnte: Haken dran! Es ist vollbracht! Einer der schwierigsten Termine in der ganzen Ausbildung ist abgehakt, da ist die Unterschrift, das kommt nicht wieder. Besser geht's nicht. Dieser riesige Stolz, den Kraftakt gemeistert zu haben. Und mitgenommen haben wir SEHR, SEHR VIEL.
Der Standort war natürlich nicht umsonst außerhalb der bequemen Großstadt gewählt.
Hinterher kam mir schon, wie nötig das Thema "Kontrolle abgeben können" auch bei mir war: Hotelbewertungen durchlesen, Wege bis auf den kleinsten Meter durchplanen wollen, erstmal Supermärkte etc. abchecken und das alles von zu Hause aus...letztlich musste man alle Planung eh über Bord werfen.
Und man stellt fest: Man kann sich wunderbar auf sich selbst verlassen.
Bleibt gesund und haltet zusammen.
LG
Feature Foto:
A_Koolshooter/pexel.com
Bearbeitet von Vica
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