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Vica

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Blogbeiträge von Vica

  1. Vica

    Ganz normaler Klinik-Wahnsinn
    ...die aktuell noch im Studium sind.
    Ich wünsche mir oft zurück, dass ich im Studium bei gewissen Dingen noch vertiefter reingegangen wäre, andererseits vergisst man leider viel, wenn man es nicht braucht. Daher ein paar Tipps von mir, welche Dinge im klinischen Alltag besonders wichtig sind. 
     
    ICD-Codes für Diagnosen lernen
    Ich fand diesen Punkt im Studium ziemlich anstrengend und nervig. Da sie in vielen Klausuren abgefragt werden, besteht schnell die Gefahr, dass man in kurzfristiges Auswendiglernen verfällt. ICD-Codes sind allerdings Dinge, die im klinischen Alltag alltäglich gebraucht und auch aus dem Stehgreif heraus in den Kurvenvisiten mit dem Chefarzt bzw. Oberarzt diskutiert werden. Und ihr selbst vergebt sie schließlich auch! Kliniken werden vermutlich überwiegend mit dem ICD-10 arbeiten, wovon für uns vor allem das Kapitel V wichtig ist. Natürlich muss man nicht jede Codierung kennen, aber die Gliederung sollte man draufhaben, z.B. dass man Wahnhafte Störungen unter F20-F29 findet, affektive Störungen unter F30-F39 usw. Da man nicht alles auswendig wissen kann, empfiehlt es sich, bei den Visiten immer einen ICD-10 dabei zu haben. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass die Klinik einen stellt, somit würde ich mit einen eigenen anschaffen (lachsfarbene Ausgabe).  
      Kommunikation
    Dieser Punkt klingt vielleicht erstaunlich, aber man sollte lernen, im und mit dem Team zu diskutieren. Im klinischen Bereich arbeiten multiprofessionale Teams und insbesondere der Chefarzt oder Oberarzt ist nicht immer einer Meinung mit Stationsarzt und Psychologen, obwohl die beiden letzteren viel näher am Patienten dran sind. Auch die Pflege hat oft ganz andere Vorstellungen davon, wie ihr euren Job machen solltet. Darum gibt es nichts Wichtigeres als: Auch mal - höflich - widersprechen. Respektvoll und freundlich bleiben, aber sich auch abgrenzen. Neue Ideen reinwerfen. Auch mal riskieren, dass man verbal einen Kopf kürzer gemacht wird (das verschafft mehr Respekt, als man denkt und verbessert auf Dauer den Team-Zusammenhalt). Aber auch akzeptieren, wenn das Team zu einer anderen Vorgehensweise kommt und man selbst seinen Plan verwerfen muss.
    Diese Fähigkeiten beherrschen weniger, als man denkt, man lernt auch nichts über solche Verhandlungen im Studium. Viele sitzen dabei wie stille Mäuschen, sind regelrecht schüchtern und zeigen vor allem eins nicht: Eigeninitiative. Wichtig finde ich, dass man nicht nur Ideen reinwirft, sondern auch sagt, wie man sie umsetzt, also z.B. ,,Ich habe bei Patient XY den Verdacht einer paranoiden Schizophrenie. Also mache ich einen [entsprechenden Test, z.B. ESI] mit ihm." 
      Vernünftig dokumentieren 
    Das Dokumentieren von Therapiegesprächen, Patientenkontakten, Gruppen, besonderen Vorfällen etc. ist das A und O in einer Klinik. Es soll eigentlich direkt nach jedem Gespräch passieren. Das klingt nach zu viel verlangt, aber Ärzte im ambulanten Setting schaffen es auch. Es gilt so die Waagschale zwischen Zeitmanagement und krankenkassenkonformen Dokumentieren zu finden. Das heißt: Keine Romane schreiben, wichtig ist, dass eines drin ist: Behandlungsauftrag und Behandlungsziel. Denn der MDK (medizinische Dienst der Krankenkasse) liest die Dokus mit und wird überprüfen, ob die Kosten für den Klinikaufenthalt hier wirklich gerechtfertigt sind.
    Das ist eine Sache, die schon gleich am Anfang mit Anleiter oder Oberarzt geklärt werden sollte, wie hier das Dokumentierschema ist. 
      Das AMDP - System 
    Das wurde bei uns im Studium nur kurz angerissen und ist unerlässlich für den psychopathologischen Befund in vielen Kliniken. Das so genannte "Manual zur Dokumentation psychiatrischer Befunde" von der Arbeitsgemneinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie. Unbedingt empfehlen würde ich euch, das Manual von Hogrefe anzuschaffen. Die Erläuterungen und Beispiele zu Begriffen wie "Gedankenentzug", "Wahneinfall" oder "abends besser" sind oft völlig anders, als man denken würde. Außerdem erwarten Ober- und Chefarzt meistens, dass man sie einigermaßen drauf hat. Es gibt auch Fragebögen-Sheets, die ihr zum Kurz-Screening bei der Diagnostik verwenden könnt. 
      Selbstfürsorge und aushalten, dass andere einen doof finden
    Letztlich etwas, was gerade Anfänger nicht können, sowohl Psychologen als auch Stationsärzte. Tatsächlich tappt man leicht in die Überstundenfalle. Psychologen haben zudem oft falsche Allmachtsfantasien wie z.B. Patienten retten zu müssen oder um jeden Preis ihr Problem zu lösen.
    Ansonsten ist man schnell im Hamsterrad, das keine Feierabenduhr kennt:  Hier noch ein Patient, hier noch eine Krisenintervention, noch nicht zu Ende dokumentiert, für Urlaub keine Zeit, Pause mache ich auch nicht etc. Ach, und die Präsentation mache ich doch gleich zu Hause....Selbstfürsorge im klinischen Bereich ist unbeschreiblich schwer. Niemand schützt euch vor Überarbeitung, aber auch niemand verurteilt meiner Meinung, die sich hier selbstfürsorglich abrenzen - außer vielleicht man selbst. Ich arbeite selbst noch mit meiner Supervisorin daran. Zum Glück habe ich auch einen Oberarzt, der mir keine Überstunden genehmigt. 
    Also achtet auf euch. 
    Pause ist NICHT, beim Dokumentieren zu essen!
    Krankwerden bedeutet NICHT, dass man ein schlechtes Gewissen haben muss.
    Urlaub ist NICHT anderen gegenüber egoistisch. 
    Dass der Oberarzt am Telefon kurz angebunden ist, bedeutet NICHT automatisch, dass er euch eure Krankmeldung übel nimmt. 
      Psychologische Tests kennen
    Jaaa, die allseits nicht so beliebte Testdiagnostik war im Studium wie das Erlernen einer Bedienungsanleitung für ein Gerät, welches man gar nicht besitzt und noch nie gesehen hat. Eure Klinik stellt euch alle Tests zur Verfügung, auch Batterien. Es macht Eindruck, wenn ihr bei der Kurvenvisite wisst, welchen Test man mal ansetzen könnte. Setzt euch daher am besten schon im Studium sehr gut mit Tests auseinander, besonders die Aussagegrenzen sind wichtig und die Voraussetzungen. Ober- und Chefarzt haben die nicht unbedingt auf dem Schirm. Es macht z.B. keinen Sinn, einen produktiv wahnhaften Patienten an einen Intelligenztest zu setzen. Manuale zu den Tests hat idR jede Klinik, also keine Panik.   
     Natürlich immer sehr subjektiv, aber diese Punkte scheinen sich auch mit anderen Ausbildungsteilnehmern zu decken :) 

    Bleibt gesund & haltet zusammen,
    LG

    Feature Foto: Thirdman/pexel.com
  2. Vica
    *Herr G. kommt gute 27 Minuten zu früh zum Termin, als er an meine Stationstür klopft. Ich habe eigentlich ordentlich mit Entlassbriefen zu tun, die ich abtippen muss; sogar welche von einer anderen Station hat der Oberarzt mir zukommen lassen. Aber wenn er schonmal da ist, können wir auch starten. Erstmal weicht er erschrocken zurück, dann schaut er misstrauisch in mein Büro. ,,Sie können ruhig schonmal reinkommen. Es ist keiner sonst hier", lade ich ihn ein. Er ist in voller Montur: Mütze, Schal, Daunenjacke - die will er auch partout nicht ablegen. Um seinen Rucksack klammert er sich wie um einen Teddy, der bei ihm auf dem Schoß sitzt. 
    ,,Sie sind ganz schön früh. Eigentlich haben wir den Termin ja erst in einer guten halben Stunde", meine ich. 
    Dazu erwidert er: ,,Ich bin gerne etwas pünktlicher. Weil - nun ja - es kann ja eine ganze Menge passieren. Darauf muss man gefasst sein. Und bevor ich zu spät komme, mache ich mich gerne rechtzeitig auf den Weg."

    Ich bin zunächst irritiert: Von seiner Zimmertür bis zu meinem Büro auf Station sind es nur ca. 10 Schritte. Also will ich wissen, was alles hätte passieren können, was ihn groß aufhält. Er zieht die Brauen hoch als wollte er sagen "Wie bitte? Das leuchtet Ihnen nicht ein?" und beginnt dann aufzuzählen:
    Er hätte auf dem Flur stürzen können -> Knöchelbruch -> die Pflege würde ihn dann verarzten, so dass er noch rechtzeitig zum Termin kommen kann.  Man könnte mit einer Pflegekraft zusammenstoßen, die gerade Blut bei einem Hepatitiskranken abgenommen hat -> die Kanülen könnten zerbrechen, das Blut könnte ihn kontaminieren -> Pflegekräfte rennen immer so schnell. Um allen auszuweichen, muss er besonders langsam und umsichtig gehen und das dauert nunmal länger.  Außerdem muss er einen Umweg von weiteren ca. 5 Schritten gehen, da er nur durch den hinteren Stationsflur geht. Im vorderen würden immer der Oberarzt und der Chefarzt rumlaufen, und die würden ihm sicher nur Vorwürfe machen, dass er heute hier ist anstatt auf der Arbeit -> denen will er also lieber nicht begegnen.  Auf Station läuft auch ein Patient rum, vor dem er Angst hat. Wenn er dem begegnet, muss er sich immer schnell auf die Toilette flüchten und warten, bis er weg ist. Das kann Zeit in Anspruch nehmen.  Diese Dinge meint Herr G. vollkommen ernst. All das sind Unvorhersehbarkeiten, die jederzeit passieren können und bei denen er besondere Sorgfalt an den Tag legen muss, um sie zu verhindern. Sie belasten ihn sehr stark, quälen ihn richtiggehend. 
     
    ,,Sie sind ja ganz schön beschäftigt. Das stelle ich mir echt anstrengend vor!" sage ich. ,,Aber ich bin auch neugierig: Sind Sie denn gut durchgekommen oder kam was dazwischen?"
    Er überlegt. ,,Nee, heute hat es ganz gut geklappt und mich hat nichts aufgehalten. Aber dass es gut ging, ist Zufall. Hätte auch ganz anders laufen können." 

    Im Gegensatz zu den meisten anderen Störungsbildern auf unserer Station ist mir das von Herrn G. sofort klar: Die generalisierte Angststörung (GAS) wurde bereits im Fernstudium sehr gut und ausführlich behandelt. Ebenfalls gibt's dazu viele Seminare in der Therapeutenausbildung. Eine typische Klausurfrage (das könnt ihr euch direkt merken!) ist: "Was unterscheidet die generalisierte Angststörung von Angststörungen mit konkreten Auslösern (Phobien)?" Die Antwort ist simpel: Bei den Phobien sind die Ängste an einen konkreten Auslöser gebunden, z.B. Spinnen, Höhe, Menschenmassen. Bei der GAS handelt es sich hingegen um Befürchtungen ohne konkreten Auslöser. Es gibt keine reale Gefahr, aber ständige Sorgen, dass Familienmitgliedern oder einem selbst etwas passieren könnte - auch wenn es zum Teil sehr abgefahren ist. 
    Die Ängste treten oft anfallsartig auf und steigern sich zur Panik mit heftigen Körperreaktion, was ein unerträgliches Gefühl ist. Den Rest der Zeit verbringt man mit Sorgen und Sicherheitsverhalten (d.h. Vermeidung), um befürchtete Situationen gar nicht erst entstehen zu lassen. 

    Was Herr G. hier im Mikrokosmos auf Station erlebt, hat er seit einiger Zeit auch im Makrokosmos des Alltags:
    Seine Mutter könnte gestorben sein, wenn sie nicht innerhalb von 15 Minuten auf seine SMS antwortet.  Seine Freundin könne bei einem Autounfall versterben. Deswegen muss er immer mitfahren, um sie im letzten Moment zu beschützen.  Es könnte ein Leck in der Gastherme geben, welches keiner bemerkt. Sowohl er als auch seine Freundin könnten über Nacht an einer Kohlenmonoxidvergiftung sterben.  Seine Kopf- und Rückenschmerzen gehen auf Krebs zurück, den die Ärzte einfach immer wieder übersehen.  Klagt sein Bruder über Kopfschmerzen, denkt er sofort an einen Hirntumor.  Das Flugzeug in den Urlaub könnte abstürzen, deswegen fährt er nur Bahn und Auto und nie in ferne Länder. Das Auto oder Fahrrad lässt er auch überwiegend stehen und geht lieber zu Fuß, auch wenn es weit entfernte Strecken sind, es könnte ein Reifen platzen und zu einem Unfall kommen. Ultimativer Albtraum: Seine Freundin muss auf Geschäftsreise.   
    Das Leben ist unerträglich geworden und um damit klarzukommen, konsumiert er verschiedene Benzodiazepine und trinkt zu viel Alkohol. Deswegen ist er offiziell hier, wofür er sich schämt. Aber die Ängste, die kommen von allem Seiten.

    Wir kümmern uns leider nur um den Entzug, der etwa 2 Wochen geht. So lange haben wir nur Zeit, ihn zu motivieren, sich im Anschluss auf eine Angststation verlegen zu lassen. 

    Ich bespreche ein wenig mit ihm, was die GAS so ist und male den Angstkreislauf an die Flipchart:

    Von dem Hereinbrechen der Angstgedanken -> der Gefühl des Kontrollverlusts -> aufkommenden Gedanken wie "Ich bin hilflos" -> der Angst an sich, die entweder Flucht, Vermeidung oder Erstarrung hervorruft -> den körperlichen Veränderungen wie Herzrasern, Zittern, Atemnot.

    Ein wichtiges Element, vielleicht das Mächtigste, ist auch, die Gedanken zu Ende zu denken, um erstmal zu verstehen, was denn überhaupt so schlimm an was ist:
    Er hätte auf dem Flur stürzen können -> Knöchelbruch -> die Pflege würde ihn dann verarzten -> der Termin ist dann abgesagt -> Die Psychologin könnte dann sauer auf mich sein und das darf nicht sein Man könnte mit einer Pflegekraft zusammenstoßen, die gerade Blut bei einem Hepatitis-Positiven abgenommen hat -> die Kanülen könnten zerbrechen, das Blut könnte ihn kontaminieren -> dann würde ich krank werden und sterben und habe vieles, was ich wollte noch gar nicht erreicht.  Oberarzt und Chefarzt könnten auf mich herabschauen -> das könnte ich nicht aushalten, weil ich dann die Bestätigung habe, nichts wert zu sein. Auf Station läuft ein Patient herum, vor dem ich mich Angst habe und mich verstecken muss -> denn ich traue mir nicht zu, das Problem mit ihm zu lösen, was heißt, dass ich unterlegen und schwach bin. 
    Schlussendlich kann man diese Gedanken dann entsprechend bearbeiten (das ist viel mühseliger, als gedacht und dauert lange). Möglichkeiten:
    - Die Psychologin könnte wirklich sauer sein, dass der Termin nicht zustande kommt. Das wäre natürlich schade, dass sie dafür so gar kein Verständnis hat. Es ist aber auch nicht wichtig, die zu überzeugen. 
    - Wenn ich kontaminiertes Blut abbekomme, heißt das noch lange nicht, dass ich krank werde. Und wenn doch, könnte man die Infektion schnell behandeln. 
    - Ärzte schauen auf mich herab: Das kann sein und es wäre schade. Vielleicht ist es ihnen aber auch egal, oder sie empfinden sogar Mitleid. Beeinflussen kann man es eh nicht, aber es ist kein Schicksal, nicht jedem sympathisch zu sein. (Hier ist auch interessant, dass dies fast immer die Selbstsicht ist)
    - Patient, vor dem ich Angst habe, läuft herum, ich verstecke mich: Ich muss ihn nicht ansprechen, muss nichts mit ihm regeln, ich kann einfach an ihm vorbeigehen. Wenn er mir etwas tun will, suche ich mir schnell Hilfe, die Station ist ja voll. 
     
    Herr G. ist interessanterweise schon nach wenigen Tagen sehr viel gelöster, wie fast alle Patienten - das liegt daran, dass sie so viel Aufmerksamkeit und Zuwendung für eine 1 Stunde am Tag nicht mehr gewohnt ist. Die meisten seiner Familienmitglieder und Freunde sind genervt von ihm: Sie erleben ihn als Spielverderber, Pingelkopf und als manipulativen Kontrolleur (weil er z.B. mit seiner Freundin überall hinfährt), denn natürlich redet er nicht über seine Angst, vor der er sich schämt.

    Auf Station erzielen wir wie ich finde große Erfolge, zumindest für die 2 Wochen:
    Er lernt, es mal drauf ankommen zu lassen und wirklich erst punktgenau zum Termin zu kommen.  Am Patienten, vor dem er Angst hat, soll er mal vorbeigehen (Notfallverhalten ist abgesprochen) - wie ich es mir dachte, wird er keines Blickes von diesem gewürdigt.  Am Oberarzt läuft er ebenfalls vorbei. Hier spürt er die Angst am stärksten. Aber auch hier: Nichts passiert.  Letztlich machen wir natürlich auch viel Biographiearbeit und erfahren von einer überängstlichen Mutter, von der ich sich einige Muster abgeschaut hat. Vom Vater, der jedes seiner Gefühle ins Lächerliche gezogen hat. Vom Lehrer, der ihm nicht helfen wollte, als er Dinge nicht verstand. 
      Mit meinen beiden Kollegen, den Stationsärzten, bespreche ich, dass wir gar keine Medikation verabreichen, außer Dinge, die dem Alkoholentzug helfen und Schlaftee, Pantropazol (Magenschutz), Magnesium sowie Lavendelkapseln.  Mit dem Oberarzt bekomme ich mal wieder Ärger - ich sei zu gutgläubig und zu mild. Das sei ein Trinker und es lohne sich nicht, so viel zu investieren. 
    Aber Herr G. ist kein Trinker, denn er hat das Trinken angefangen, um seine Angst zu besiegen. Außerdem: Schaden wird wohl niemanden, mal über Ängste zu reden? Der Oberarzt winkt ab. 
     
    Wir verlegen schließlich einen Patienten, der völlig aufgeschlossen gegenüber einen Angstbehandlung ist, die die nächsten 6 Wochen zunächst stationär und dann ambulant weitergeführt wird. Die Aufgeschlossenheit war das Ziel. 

    Arbeit mit Angststörungen macht generell Spaß, weil die Patienten oft stark mitarbeiten - sie wollen sie um jeden Preis loswerden und (anders als bei anderen Störungen) ist die Wirkung oft schnell spürbar. Im ambulanten Setting hat man sie daher sehr oft. Bei PiAs und auch Therapeuten sind sie beliebt. 
    Ich habe sehr viele ambulante Angstpatienten, bestimmt 50%. Sie brauchen oft maximal 12 bis 24 Stunden. 

    Ich nehme mal an, dass Patienten wie Herr G. innerhalb eines halben Jahres eine 180-Grad-Wende gemacht haben. Es gelingt solchen Leuten dann wieder, mehr Genüsse in den Alltag einzubauen. Interessant ist auch immer: Von welchem Problem haben die Ängste mich eigentlich abgelenkt? Womit wollte ich mich nicht befassen?
    Und auch, welche Ressourcen eigentlich davon ausgehen, die auch nie richtig ans Licht kommen. Beispielsweise ist das Ausdenken der Befürchtungen schon häufig sehr kreativ, nicht wahr? Und die ganzen Überlegungen zum Thema Vermeidung weisen ja vielleicht auf Lösungsorientierung und Problemlösekompetenzen hin. Eigenschaften, die man vielleicht im Job gut nutzen kann. 

    Bleibt gesund und haltet zusammen, 
    LG

    Feature Foto: MART PRODUCTION/Pexel

    _________
    *Dies ist eine kleine Serie über meine Ersterfahrung mit gewissen Störungsbildern aus meiner Klinikzeit, über die ich damals nicht so gerne sprechen wollte. Es sind Störungsbilder und Situationen, die viele beim Wunsch, Psycholog:in bzw. Therapeut:in zu werden, nicht so auf dem Schirm haben. Wenn du Psycholog:in werden willst, denk dran, dass du auch mal damit konfrontiert wirst und mit Patient:innen, die man nicht immer ,,heilen“ kann. Heilung ist auch nicht immer das Ziel. In regelmäßigen Abständen stelle ich euch meine Ersterfahrung mit Störungsbildern vor. Dabei beziehe ich auch mit ein, wie mir das (Fern)studium half. Die Patienten sind dabei oft ein Konglomerat aus verschiedenen Patienten.
  3. Vica

    Ambulanzzeit
    Mein Praxisstart steht unmittelbar bevor und die Ausbildung geht in eine heiße Phase: Die Ambulanzzeit. Es ist sozusagen die Königsdisziplin, denn nun geht's an's Eingemacht und man macht: Psychotherapie. Es wurde alles Nötige mit den Inhabern besprochen und klargemacht. Ich habe jetzt den Termin und auch alle meine Patient:innen zusammen. Sie wissen noch nichts von ihrem Glück, dass sie von einer langen Warteliste (1 Jahr aufwärts) jetzt auf die Turboliste gekommen sind 😅. Vorgespräche müssen allerdings immer mit dem Praxisinhalber geführt werden. Denn die Patient:innen müssen natürlich wissen, dass sie von jemandem behandelt werden, der PiA ist und müssen natürlich zustimmen.  Sie werden jetzt die Tage von der Sprechstundenhilfe kontaktiert, die dann Termine ausmacht - in dem Fall mit mir.  Auch den ersten Dienstplan habe ich mir zusammengestellt. Die Zeiten und Pausen kann ich wöchentlich neu anpassen und dann der Sprechstundenhilfe mitteilen. 

    Der Praxisstart war ein unglaublicher Aufwand an Papier- und Verwaltungsakten. Noch immer warte ich auf mein Kartenlesegerät und den Zugang zur Praxissoftware. Wahrscheinlich wird es 5 vor 12, bis das eintrifft. Rohakten sind hingegen schon gestern durch das Institut hier eingegangen. Jede:r meiner Patient:innen bekommt eine eigene. Drinnen befinden sich zunächst: ...noch mehr Anträge 😁
    Die sehen u.a. so aus:

    Und ja, wir haben tatsächlich in langen Seminaren gelernt, wie man diese Teile ausfüllt :-D. Eine besonders harte Nuss ist der Bericht an den Krankenkassen-Gutachter. Dieser wird auf Basis dessen, was ich schreibe, entscheiden, ob er eine Psychotherapie bewilligt oder nicht. Hier kann man sehr schnell patzen und prompt kommt der Antrag ohne Bewilligung zurück. Ein gewisser Druck ist da schon, aber ich traue mir das durchaus mittlerweile gut zu, obwohl wir das bisher natürlich nur theoretisch gemacht haben. Außerdem bekommt man hier anfangs noch durch einen Supervisor Hilfe.

    Auch einen Supervisor hier in meiner Heimatstadt konnte ich klarmachen. Mit diesem muss ich mich regelmäßig treffen, um die Fälle zu besprechen. Er untersteht dem Institut.  

    Meine ersten Patient:innen haben Störungsbilder wie Ängste, Depression, Zwänge, somatoforme Störungen (diese sind gut behandelbar idR), aber auch Verdacht auf Borderline und Schizophrenie ist dabei. Letztere habe ich in der Klinik ja tagtäglich, aber nun kann ich sie ganz anders behandeln als bei uns. 

    Wie so häufig, wenn der Start von etwas Großem ansteht, bin ich ganz hibbelig und kann kaum stillsitzen. Vor allem die angenehme Atmosphäre im stationären Bereich. Ich hoffe, dass der Praxisstart eine Art Ausgleich vom zuletzt doch sehr düsteren Klinikalltag darstellt, in welchem sich momentan die Mitarbeiter mangels Führung aktuell selbst zerlegen und regelrecht bekriegen. Bis Winter wird die Praxis neben meinem Klinikjob laufen, aber vielleicht wird es so einfacher, die Abläufe dort eben einfach zu akzeptieren. 

    Bleibt gesund & haltet zusammen,
    LG

    Feature Foto: Pixabay/pexels.com 
  4. Vica

    Psychotherapie Ausbildung
    Leben ist ja bekanntlich das, was passiert, während man dabei ist, andere Pläne zu schmieden. So sieht es aktuell bei mir aus, denn eines Morgens wachte ich auf und: War die einzige Psychologin in unserer gesamten Klinik - das heißt, für 6 Stationen. 
    So ganz überraschend kam das alles nicht :-) Auf die Kündigungen folgte die Fluktuationswelle. Auch das ist verständlich, Planungssicherheit sieht anders aus. Das betrifft nicht nur das psychologische Personal und jenes von der sozialen Arbeit, sondern auch die Stationsärzte. Viele Stationen haben keinen einzigen Arzt mehr. Die Leitung sagt: Probleme jibbet es nücht. Nachbesetzung? Bisher Fehlanzeige. Könnte aber kommen. Na dann. Challenge accepted.

    Echt alles peinlich den Patienten gegenüber. Zum Glück muss man sagen, dass der Redebedarf nicht riesig ist in der Psychosen-Klinik. Viele Patienten kommen aus Akutsituationen, manche sind ofW und noch sehr produktiv wahnhaft oder ganz zugedröhnt. Für viele ist die Medikation hier das A und O, dann die Sozialarbeit, dann kommt erst der*die Psycholog*in. Um die psychologische Versorgung zumindest halbwegs abzudecken, arbeite ich momentan stationsübergreifend. 
    Akutpatienten gehen vor, danach die Nicht-Akuten, dann machen wir Gruppenstunde. Für alle, die übrig bleiben, biete ich ganz kurze Gespräche an, Marke: Wie geht's, wie läuft's, Stationskonzept erklären, Behandlungsplan erklären, Tipps dalassen (die Infoblätter tippe ich zu Hause anschaulich). Das reicht vielen schon, da seit Jahren keiner mehr mit ihnen gesprochen hat. Bei Stationen mit anderem psychologischen Konzept wäre das kein Stück ausreichend, z.B. bei affektiven oder Angststörungen oder bei den Borderlinern. Bei zB Essstörungen wäre es eine Vollkatastrophe, wenn man nicht alle Patienten im Blick hat. 

    Diese Art zu arbeiten hat was von einem Boot, das auf hoher See ein Leck hat. Da man leider auch die Paddel verloren hat, muss man mit den Händen rudern und hoffen, dass man irgendwann an Land kommt. Die Chancen stehen schlecht. Ein Erlebnis ist das nicht. Es geht nur darum, nicht unterzugehen. 
     
    Mein Institut ist nicht glücklich damit, wie das  bei mir läuft. Um genau zu sein ist die Ausbildungsleitung sehr sauer deswegen und rief bei meinem Chefarzt an - dort kam sie aber nicht weiter, da dieser vor kurzem selbst vor die Tür gesetzt wurde ;-). 

    Neben den Nachteilen für die Patienten sind es auch andere Dinge, die mir aufstoßen: Ich vermisse die Kollegen. Den fachlichen Austausch. Eine Führung. Man fühlt sich "übriggeblieben". Aber ich bereue es auch nicht, da zu sein + auch geblieben zu sein. Ich mag diese Klinik unheimlich gerne :-) Weiß aber auch, dass das vielen so ging, die nun weg sind. 

    Bei den Bedingungen muss man froh sein, wenn nicht irgendwann der komplette Laden geschlossen wird. Das hat man durchaus schon gehört! Bei unserer internen Kommunikation erfahren wir das vermutlich erst, wenn wir irgendwann vor verschlossener Türe stehen. Auch das gab es schon. Sind die Tage unserer Psychiatrie gezählt? Man weiß es nicht. Eine neue wird bereits gebaut, mitten im Zentrum mit modernster Ausstattung und Fertigstellung im Dezember. 

    Mal sehen, was so kommt. Beruflich orientiere ich mich jetzt erstmal Richtung Urlaub. 

    LG

    Feature Foto: Humphrey_Muleba/pexels.com 
  5. Vica
    Heute morgen musste ich tatsächlich 2x hinschauen beim Öffnen meines Mailfachs. Tatsächlich erhielt ich heute 2 neue Platzangebote für das Pflichtpraktikum in zwei unterschiedlichen psychiatrischen Klinken. Im Oktober. Sogar eine Entschuldigung des Oberarztes, dass er mir noch nicht geantwortet hat, war dabei (nicht notwendig, aber sehr anständig  ).  Die Kliniken selbst haben nichts miteinander zu tun. In sofern werden sie sich eher nicht abgesprochen haben . 
    Mich wundert der Zufall dennoch. 

    Eigentlich sind Praktikumsplätze im klinischen Bereich hier nicht so einfach zu bekommen. Kein Wunder bei 4-5 Plätzen. Zudem hieß es von vielen Stellen: Ausgebucht bis 2022. Was das für 2020 bedeutet, kann man sich ja denken...

    Haben nun beide Kliniken mit einem plötzlichen Absprung zu kämpfen?
    Warum ich das eher nicht glaube:
    Beide haben laut ihren Homepages die nächsten Praktikumsprogramme (April und Juli) umgehend abgesagt und werden diese erst im Oktober wieder eröffnen. Damit verschiebt sich für alle das Praktikum dort und es wäre natürlich nahe liegend, dass sie die Plätze dann im Oktober wieder antreten (deren Uni wird Verständnis dafür haben, da sie selbst ja auch nicht auf hat).

    Ich frage mich, ob der klinische Bereich aufgrund der aktuellen Situation auch etwas unattraktiver wird. Aber das ist nur Spekulation.  

    Annehmen werde ich die Plätze eher nicht.
    Zum einen ist mein Studium im September zu Ende, womit sie einen Monat zu spät kämen. Zum anderen habe ich ein Praktikum. Und dann ist es auch so, dass sie etwas fernab meiner Ausrichtung sind - wobei immer noch sehr interessant. 

    Dennoch kommt es drauf an, bei welchem KJP-Ausbildungsinstitut ich lande. Wenn die Ausbildung sehr spät in 2021 beginnen sollte, dann könnte man sich so ein Praktikum vorab als praktische Phase anrechnen lassen, bevor die Ausbildung anfängt. Und da wäre Oktober natürlich ein nahtloser Übergang. Ich bin momentan mit zwei Instituten und 1 Uni am Abklären, ob das so hinhauen könnte.  Ist aktuell aber auch etwas schwer zu planen. 

    Jedenfalls kann man daraus folgendes Fazit bilden:
    Stets findet Überraschung statt, da wo man's nicht erwartet hat.
    Und: Auch der Fernstudi (überwiegend) hat Chancen, selbst in hart umkämpften Systemen  

    LG

    Feature Foto: 
    Donald Tong | pexels.com 
  6. Vica

    Psychotherapie Ausbildung
    Wir sind eine Station, deren Patientenklientel man leicht zusammenfassen kann: Wahnhafte Psychosen, Schizophrenie, Abhängigkeitserkrankungen. Diese Störungsbilder werden im (Fern-)Studium zwar gut durchgekaut, trotzdem bestehen hier wenig praktische Berührungspunkte. Meine Erfahrung ist, dass im Studium meistens Depressionen und Angsterkrankungen mehr Raum kriegen,  weniger die schweren Störungen; vielleicht, weil man sie ganz gut erforschen kann, die Patienten sind ja zugänglich. Meine Kollegen von den Präsenzunis teilen den Eindruck. 

    Bei Wahn sind recht viel Stigma und Vorurteile im Umlauf. Die meisten haben den Joker, Amokläufer oder irgendwelche Bösewichte aus Videospielen im Kopf. Damit wird oft völlige Unzurechnungsfähigkeit und Unberechenbarkeit verbunden. Ich war auch nicht sicher, was mich diesbezüglich erwarten würde und hätte mir das wirklich anders gedacht. Am meisten überraschte mich, dass diese Patienten ganz normale Tagesabläufe haben. Sie stehen, wie du und ich, zum Frühstücken auf, helfen manchmal den Pflegern beim Kochen oder spielen Tischfußball mit ihnen. Gehen früh ins Bett, haben Hobbies wie Lesen, Zeichnen, Klavierspielen. Sie sagen Guten Morgen und Tschüss, viele sind Absprachefähig. Manche haben auch ein kleines Projekt, z.B. sich um die Pflanzen der Station zu kümmern oder etwas Kreatives. Sie gehen ganz normal zur Gruppentherapie oder den 50-minütigen Therapiegesprächen. Natürlich befinden sie sich aber auch unter Medikation. 

    Trotz allem haben sie in erster Linie eine falsche Vorstellung von der Realität, von der man sie auch so nicht abbringen kann. Das heißt wiederum nicht, dass sie permanent schreien, jemanden angreifen oder den Kopf gegen die Wand hämmern. Stattdessen haben sie ein permanentes Misstrauen innewohnen, das über Verschwörungstheorien oder normale Kritik weit hinausgeht:  Dazu gehört z.B. Angst, Sorge und Stress, von der Regierung oder Außerirdischen überwacht zu werden. Vieles wird falsch interpretiert und dann werden darin "Zeichen" gesehen. Rechtschreibfehler in Behördenbriefen seien z.B. Versuche der Behörden, die Person zu diffamieren. Manche glauben, dass die Betäubungsspritze beim Zahnarzt neulich Nanobots enthalten habe, die jetzt den Körper übernehmen. Natürlich kann Wahn auch sehr bizarre Formen haben, und fast immer hat es etwas mit Verfolgung oder angeblicher feindlicher Haltung gegen den Patienten zu tun. 

    Erstaunlich häufig (unabhängig von Geschlecht, Bildungsgrad, Alter und Herkunft) wird der Teufel gesehen. Es ist auch erstaunlich, wie sehr sich die Beschreibungen ähneln. Er kommt meistens nachts und kündigt sich mit komischen Geruch und Pferdehufen an. Viele unserer Patienten haben dann richtig Todesangst vor der kommenden Nacht. Sie verstecken sich dann im Schrank oder unter der Decke. 
    Der Teufel kann aber auch die Gestalt eines Menschen annehmen, meistens Autoritätspersonen wie der Noch-Chefarzt. Manchmal aber auch: Blonde Menschen. Traurig ist, wenn Mütter kommen, die z.B. in ihren kleinen Kindern den Teufel erkannt haben. Oder ihren Partnern, besten Freunden. 
    Einige sitzen bei mir und berichten darüber völlig ruhig, als würden sie sich über einen unliebsamen Sachbearbeiter reagieren. 

    Natürlich kann eine wahnhafte Psychose auch komplett aus dem Ruder laufen. Indem manche glauben, dass sie komplett in der Hölle sind und dann von Dämonen umgeben sind. Diese werden auch angegriffen. Bei uns ist es aber extrem selten, und meist ein Zeichen von schlechter/falscher Medikation. Aber dennoch ist generell Vorsicht geboten bei Menschen mit Realitätsverzerrung. Eine gewisse Gefahr bleibt; da diese Patienten oft sehr fassadär sind, ist Wahn nicht oft zu erkennen. Es braucht einen echten Spezialisten (unser Chefarzt ist da 1A drin!), um ihn zu erkennen. Darum ist das Abklären von Eigen- und Fremdgefährdung bei uns auf Station großgeschrieben. Dazu arbeiten wir auch mit der Justiz zusammen, von Richtern haben wir hier tagtäglich Besuch. 

    Kann man diese Menschen noch psychotherapeutisch erreichen?
    Ja, in der Tat gibt es Gesprächsmodelle für solche Patienten. Es geht dann nicht darum, alles zu entkräften; andererseits darf man sie natürlich auch nicht validieren. Absolutes Verständnis für die empfundenen Ängste steht im Vordergrund. Vielen reicht es schon, dass man ihnen mal wieder zuhört. Die Verwandten und ihre restliches Umfeld hat das längst aufgegeben, bei einigen schon seit Jahren (auch das ist irgendwo verständlich). Dennoch brauch die Therapie dann eine Richtung - ein roter Faden ist wichtig, den man aus der Biographie und den gegenwärtigen Problemlösestrategien herausarbeiten muss. Zunächst verbringt man auch einfach positive Zeit zusammen. Dann finde ich es gut, wenn man Ressourcenförderung betreibt, also die Talente und positiven Aspekte des Charakters findet und herausstellt (denen wird oft keine Beachtung geschenkt). Das Zusammensein in der Gruppe hilft auch vielen Patienten. Solche Gruppen muss man allerdings gut führen. 

    Für manche Patienten kann man nicht viel tun; zu lange und zu tief sitzen die Probleme. Ich arbeite dann mit dem Sozialarbeiter zusammen, z.B. wenn es um eine Heimunterbringung geht, da gibt es Auflagen, denen der Patient nicht nachkommt. Ich manche dann mit ihm Ambivalenzarbeit und wir versuchen, die guten Seiten einer Heimunrerbringung zu finden. Oder ich versuche, ihnen die Angst vor dem Chefarzt oder Misstrauen gegen Tabletten zu nehmen. Dazu gehört immer die Betonung, dass alles ja auch nur ein Versuch ist, kein Zwang, und man selbst die Entscheidung hat. Letztere Erkenntnis bringt das Eis fast immer zum Brechen. 

    Fazit: Ich arbeite sehr gerne mit diesen Menschen zusammen und möchte momentan nirgendwo anders hin. Ich fand bisher jeden einzigartig und bereichernd. Es gibt natürlich auch mal unangenehme Patienten, das ist klar. 

    Trotzdem: Keine Angst vor der Wahn/Psychosenstation, solltet ihr im Rahmen des Fernstudiums die Möglichkeit bekommen, da ein Praktikum zu machen. :) 

    Bleibt gesund & haltet zusammen,

    LG

    Feature Foto: Ivan_Siarbolin/pexels.com  
     
  7. Vica

    Psychotherapie Ausbildung
    Das Studium klinische Psychologie war lang und hart, das Einschreiben in den Schwerpunkt mit zusätzlichen Hürden verbunden. Viele belegen das Fach, weil es Voraussetzung für die Psychotherapeutenausbildung ist. Dabei lernt man erstaunlich wenig darüber, was man in der Zwischenzeit so als klinischer Psychologe überhaupt tut 😁 Das kann natürlich von Klinik zu Klinik auch variieren, aber ich merke bei meinen "Mit-Azubis" aus dem Kurs, dass es sich doch überall überschneidet. 
     
    Zusammenarbeit mit den Ärzten
    Meine direkten Teampartner sind die Stationsärzte (nein, es gibt keine Hierarchien!). Sie brauchen meine Meinung z.B. hinsichtlich Suizidalität, Konsumverhalten oder dem Vorhandensein von Störungsbildern, um die Medikation anzupassen. Kurzum: Die Ärzte unternehmen nichts ohne mich und ich wiederum nichts ohne sie. Hört ein Patient z.B. Stimmen, schicken sie ihn zu mir. Ich kläre es ab und verweise wiederum auf die Ärzte, wenn es um die Medikation geht. Diese Teamarbeit macht mir großen Spaß und umgekehrt ist es genau so. Man fühlt sich wie eine Forschergruppe. Sind wir tatsächlich alle ratlos, wird noch der Oberarzt und/oder der Chefarzt hinzugezogen. 
     
    Explorieren
    Hier wird mit qualifizierter Gesprächsführung herausgefunden, wie sich gewisse Sachverhalte beim Patienten darstellen. Konsumiert er? Eigen- oder Fremdgefährdung? Suizidal? Wahnhaft? Usw. Sehr wichtig ist dabei eine guter Zugang als Therapeut. Wir orientieren uns dabei an einem Erfassungssystem für den psychopathologischen Befund, das AMDP-System, welches im klinischen Schwerpunkt auch Thema war. 

    Fremd-Explorieren
    Das ist Explorieren mittels Hilfe von Angehörigen, wenn der Patient nicht in der Lage ist, sich zu äußern. Dazu muss eine Schweigepflichtsentbindung vorliegen. Wenn nicht, ist sie sehr schwierig durchzuführen; man muss hoffen, Informationen zu bekommen, ohne gleichzeitig zu sagen, wofür. Zum Glück seltener Umstand. 
     
    Testdiagnostik 
    Ich führe regelmäßig Testungen durch auf psychische Krankheiten, z.B. das Korsakow-Syndrom, Dissoziative Persönlichkeitsstörung, schwere Depression, aber auch auf ADHS, Intelligenzminderung usw. Darauf wird man in Testtheorie vorbereitet, es lohnt sich schon während des Studiums hier sehr sorgfältig zu lernen. Die Tests sehen unterschiedlich aus. Manche sind Testbatterien, bestehend aus Fragebögen, Merkfähigkeitsaufgaben, aber auch z.B. Muster legen. Die dauern mitunter Stunden. Andere sind Screeningfragebögen, da geht es um die Selbsteinschätzung der Patienten. In der Regel sind sie skaliert. Testergebnisse sind wichtig für die Krankenkasse und die Anschlussperspektive, so z.B. auch für den Sozialarbeiter. 
    (Und ja, die Auswertung erfolgt statistisch!) 
     
    Therapeutische Gespräche
    Diesen Part lernt man im Studium nicht, dafür während der PP-Ausbildung. Sie dauern idR 25 oder 50 Minuten, je nachdem, was die Kasse für die Störungsbilder eurer Station so vorsieht. Therapieintensive Stationen haben auch 100 Minuten. Je nachdem, welches Krankheitsbild der Patient hat, sind die Gespräche mal sehr niederschwellig, mal fordernder (z.B. Situationsanalysen). Ich empfinde das als schönsten Teil der Arbeit und musste sehr drum kämpfen, diesen weiter auszubauen. 
     
    Aufnahmegespräche
    Mit dem Stationsarzt zusammen. Direkt nach Einlieferung geht es dann ins Untersuchungszimmer. Der Arzt untersucht körperlich, der Psychologe stellt Fragen zur Anamneseerhebung und beschreibt den Zustand des Patienten. 
     
    Spontane Krisenintervention
    Bedeuten bei uns z.B. Selbstmorde verhindern. In heiklen Situationen, wo ein Patient sterben möchte, greift man ein. Zum Glück gibt es auf einer geschlossenen Station natürlich nicht viele Möglichkeiten, dies auch umzusetzen. Dennoch versucht man, hier einzugreifen. Ich habe diese Deeskalationsaufgabe noch um "Fixierungen vermeiden" erweitert. Häufig lässt sich eine Fixierung/Sedierung doch noch verhindern, wenn man ruhig zuredet (aber natürlich nicht immer). 
     
    Gruppentherapie
    Gab es auf meiner Station nicht mehr, habe ich daher eingeführt. Mit ziemlichen Erfolg. Hier führen wir Psychoedukation (Aufklärung über Krankheiten) durch oder machen daraus offene Runden. Häufig gibt es ein Thema, z.B. Abstinenzmotivation und wir sammeln gemeinsam. Hier sind ein wenig Entertainer- und Lehrpersonal-Qualitäten gefragt. Ebenfalls ein sehr schöner Teil der Arbeit. 
     
    Anhörungen mit Richtern 
    Regelmäßig haben wir Richter auf der Station, die darüber entscheiden, ob eigen- und fremdgefährdete Personen mittels Unterbringungsbeschluss bei uns verweilen. Sie müssen aber auch Fixierungen/Sedierung zustimmen. Die Runde besteht dann aus den Ärzten und mir, zuvor auch aus dem Patienten, da die Richter ein persönliches, medizinisches und psychologisches Urteil wollen. Diese Gespräche gestalten sich oft etwas schwierig, weil Richter keinerlei psychiatrische Kenntnisse haben und z.B. bei sehr fassadären Krankheitsbildern (z.B. Schizophrenie) Schwierigkeiten haben, die Fassaden zu unterscheiden. Insgesamt habe ich hier aber nur gute Erfahrungen gemacht. Es wurden in meiner Zeit hier noch keine leichtfertigen Urteile gefällt. 
     
    Psychopathologischer Befund und Entlassbericht diktieren
    Für mich der schwierigste Teil der Arbeit. Hier wird der ganze Behandlungsverlauf anhand der Akte zusammengefasst. Man hat nie Zeit dafür, zudem fehlt mir das Wissen über Medikamente so sehr, dass ich viel Zeit brauche, um alles nach zu recherchieren. Ich teile mir die Briefe mit den Stationsärzten auf. Kontrolliert werden sie vom Ober- oder vom Chefarzt. Ist was falsch, kriegt man es gnadenlos um die Ohren gehauen. Bei uns achtet der Oberarzt auch auf Ausdruck, Grammatik usw. Ich bekam anfangs viele wieder zurück. Mittlerweile gelingen sie mir sehr gut. Ich war so frei, sie sogar um einen Punkt zu ergänzen, nämlich die psychologischen Interventionen. Hat keinen gestört, im Gegenteil 😁 Wir hatten während der PFH solch ein Schreiben als Projektarbeit, doch leider hatte ich bis dahin den Großteil wieder vergessen. 
     
    Übergabe (2x täglich)
    Hier redet das gesamte Team (inkl. Pflege, Sozialarbeiter usw.) über jeden Patienten auf Station. Es geht um Beobachtungen, Medikation. Psychologenmeinungen waren hier eigentlich nicht so gefragt. Das habe ich direkt geändert und trage nun auch meine Arbeit vor, was sehr gut ankam.  
     
    Vorträge auf Klinikkonferenz 
    Na, wer hat gedacht, dass er keine Präsentationen mehr halten muss, wenn das Studium vorbei ist? 😁 Wir müssen regelmäßig unsere Stationsarbeit vorstellen, und zwar vor dem versammelten Rest aller Klinikmitarbeiter. Häufig sind diese Präsentationen direkt aus der Hölle. Ich hingegen trage erstaunlicherweise recht gerne vor und fühle mich da durch die extrem häufige Anwendung bei der PFH mittlerweile routiniert. Das Ganze findet wieder am Podium in einem riesigen Zuschauersaal statt. Das mach mir keine Angst (mehr). Bammel habe ich meistens vor technischen Dingen. Bisher ging aber alles gut. 
     
     
    Ein kleiner Abriss der Arbeit, die man so tut; nicht mit einbezogen habe ich Tätigkeiten wie Konferenzen, Sondersitzungen, Dokumentation aller Gespräche, die Verhandlung von Verlegungen, meine eigenen Fallberichte für die Ausbildung etc. pp. Wie gesagt ist das überall anders, aber in etwa könnt ihr erwarten, dass euch auf Station ähnliche Aufgaben erwarten.

    Bleibt optimistisch & haltet zusammen,
    LG

    Feature Foto:
    Gustavo_Fring/pexels.com 
     
  8. Vica

    Psychotherapie Ausbildung
    2020 war ein Jahr mit vielen einschneidenden Erlebnissen: Die Corona-Pandemie-Maßnahmen, die Einschulung meiner Tochter und der Abschluss des Studiums sowie der Start der Psychotherapeutenausbildung waren solche Erfahrungen. Anfang und Ende des Jahres unterschieden sich stark. Insgesamt sah es so aus: 

    Januar
    Obwohl ich in der letzten Zeit zäh vorangekommen bin, beschließe ich, Gas zu geben und das Studium im September zu Ende zu bringen. 
    Da habe ich noch ein Praktikum, die Projektarbeit, 2 Klausuren, den Zulassungstest zum Campusstudium und die Masterthesis vor mir; weniger als die Hälfte der ECTS des Masters. 

    Februar
    Die Projektarbeit (Traumatisierung bei der Geburt) kommt mit 1,00 zurück - Motivationsschub ohne Ende!
    Ich habe unfassbares Glück, auf die Schnelle ein klinisches Praktikum zu bekommen, da jemand abgesagt hat. 
    Ende des Monats ist es geschafft: Meine letzte Klausur ist geschrieben. 
    Der schriftliche Teil des Campus-Aufnahmetests ebenfalls.

    März
    Den mündliche Teil des Aufnahmetests kann ich auch für mich bestreiten. 
    Der Corona-Lockdown setzt ein. Schulen und Kindergärten ebenfalls zu, doch zum Glück ist mein Mann im Home Office. 
    Das Praktikum findet statt, während alle anderen Kliniken Praktika, Famulaturen etc. absagen.  
    Die Anmeldung für die Masterarbeit geht ebenfalls durch. 

    April
    Ich lerne im Praktikum wundervolle Kollegen kennen, mit denen ich heute noch Kontakt habe.
    Auf den Stationen ist hin- und wieder jemand positiv.
    Noch gibt es keine Maskenpflicht - und dann doch. 
    Ich leite meine ersten praktikantengeführten Gruppen: Training sozialer Kompetenzen und Achtsamkeit. 

    Mai
    Ich komme durch die Stationen Narzissmus, Essstörungen sowie Depression und PTBS. Ich habe einen festen Patienten, bei dessen Therapien ich hospitieren kann. Mit dem Therapeuten gerate ich ab und an aneinander. Trotzdem sind wir ein tolles Team und heute befreundet. 
    Ich habe einen spontanen Vorstellungsermin mit meinem Institut via Skype. Einige Tage später erreicht mich die Zusage: Ich werde sowohl Erwachsenen- als auch Kinder/Jugend - Therapeutin. 

    Juni
    Das Praktikum ist zu Ende - mir wird eine Stelle als PiA angeboten. 
    Ganz viel Familyzeit!
    Ich versuche, mich ansonsten voll der Thesis zu widmen. Aber sie ist ein Brocken und ich verzweifle hin- und wieder fast. 

    Juli
    Ich befasse mich viel damit, wie die Psychotherapeutenausbildung abläuft. Ansonsten bin ich mit der Thesis beschäftigt, lese viel und komme nicht voran. Sommerferien der Kids, Urlaub ist natürlich nicht und Kinder sind in den Schwimmbädern "nicht vorgesehen". 😣 

    August
    Masterarbeit: Trotz aller Plackerei Schuldgefühle, Prokrastination, schlechter Schlaf und Schreibblockaden. Der Plan steht, aber der Flow will einfach nicht kommen. 

    September
    Endlich kommt bei der Thesis Fahrt auf! Wir erleben einen recht schönen und gemütlichen Herbstanfang. Viel Netflix und vor allem: Viel Kuchen 🤭 Eigentlich wäre dies das Ende des Studiums gewesen, aber durch Corona wird das Ende um 4 Wochen verschoben. Einschulung meiner Tochter - unfassbar aufregend! Alles unter Coronabedingungen...doch das Lehrpersonal gibt sich unglaubliche Mühe.

    Oktober
    Am 5. ist Abgabe der Thesis. Panik! Selbst 1 Woche vorher bin ich mir nicht sicher, ob ich auf dem richtigen Dampfer bin und werfe nochmal die Planung über den Haufen. Ich gebe quasi in der letzten Minute ab, der letzte Schreibtag ist der blanke Oberhorror. 
    Der Austausch mit meinen anderen Kollegen macht es mir leichter, mich zu entspannen.  In 3 mental extrem angespannten Wochen glaube ich gar, durchgefallen zu sein.

    November
    Aber das Kolloquium verläuft bombig. Die Thesis kommt mit 1,3 zurück und ich werde gefragt, ob ich sie nicht publizieren möchte, worauf ich mich auch einlasse.
    Arbeitsbeginn, Gruppenleitung und erste eigene Patienten, Supervision. 
    Das Zeugnis kommt wenige Tage später. Das wars. Endlich Psychologin! 

    Dezember
    Die Psychotherapeutenausbildung startet. Meine erste Reise unter Corona-Bedingungen. Ich lerne tolle Menschen kennen.
    Der Chef der Klinik tritt allerdings zum 31.12. zurück und nimmt seinen Stellvertreter mit. Da keiner sonst die Weiterbildungsermächtigung für PiAs besitzt, bleibt nichts, als sich eine neue Klinik zu suchen. Man darf gespannt sein. 
     
    --
    Beruflich könnte 2021 genau so weiterlaufen. Ich habe viel vor und bin gespannt, wo mich die Reise hinführt. Nun freue ich mich auf dieses Jahr, wünsche euch viele positive Schlüsselmomente und natürlich Gesundheit und Zusammenhalt. 

    LG

    Feature Foto: pexels.com/Heiner
  9. Vica

    Psychotherapie Ausbildung
    Auch auf die hat das Studium klinische Psychologie nicht im Geringsten vorbereitet 😁 Dabei wäre tatsächlich ein Exkurs im Thema "Stationsablauf" gar nicht so übel, um mal einen groben Überblick zu bekommen. Für alle angehenden (klinischen) Psychologen hier also ein kleiner Überblick, wer auf Station wer ist. 
    (Natürlich nur wieder auf uns bezogen, variiert überall leicht) 

    Klinikleitung
    Die Klinikleitung ist jemand, den man nur aus Sagen und Legenden kennt. Sie trifft alle Entscheidungen für jede Station und die Zukunft des Hauses, hat aber überhaupt gar keine Bodenhaftung zur Station. Viele wissen nicht mal den Namen der Leitung und wer überhaupt dahinter steckt. Nicht mal wo sein Büro ist ist bekannt, und seine Telefonnummer kennt nur die Verwaltung. Ist nur in seltenen Fällen ein Arzt, häufig eher betriebswirtschaftlicher Lebenslauf.
    Hat bei uns so in etwa den Rang einer Sagengestalt à la Loreley. Gibt es ihn wirklich? Einige haben ihn mal gesehen, aber kann man das glauben?...

    Direktor
    Sozusagen der Chef aller Chefärzte. Der Direktor ist zwar nie auf Station, dennoch omnipräsent. Er veranstaltet und leitet Klinikkonferenzen und verschickt regelmäßig Rundmails, wo z.B. wichtige Dinge wie Kündigungen, Stationszukunft oder Dienstpläne angesprochen werden -  wodurch alle an seinen Lippen hängen. Er gibt auch regelmäßig Zeitungsinterviews und ist überhaupt das mediale Gesicht der Klinik. Ist wie gesagt Arzt, auf den Stationen sieht man ihn hingegen aber nie. 
    Hat sowas wie den Status von Gott, manche erstarren richtig in Ehrfurcht, wenn sie ihm zufällig begegnen. 

    Chefarzt
    Dem Chefarzt unterstehen alle Stationen eines Klinikteils (z.B. Allgemeinpsychiatrie, 4 Stationen oder Suchtklinik, 5 Stationen etc.). Er ist auch ein wenig sowas wie Gott. Wenn er seinen Besuch ankündigt, fangen alle nervös an, aufzuräumen etc. Hat so eine gewisse Autoriät, die er vor sich herschiebt, ist wissenstechnisch brillant, aber gefürchtet für seine Kritik. Auf Station ist er eher selten zu sehen, aber immerhin zum Fixtermin, nämlich der Chefarztvisite. Er ist sowas wie der direkte Vorgesetzte der Psychologen + Stationsärzte und untersteht nur dem Direktor. Heißt: Krankmeldungen, Kündigungen etc. gehen alle an ihn. Anders als der Direktor schlüpft er manchmal aber dennoch in die Rolle eines Stationsarztes, z.B. um den Oberarzt zu vertreten. Kommt gut aus mit anderen Ärzten, hält aber nicht so viel auf die Meinung der anderen Stationsmitarbeiter.  

    Oberarzt 
    Ist sozusagen der Kopf aller Stationsärzte einer Station. Ist ein Facharzt und als solcher höhergestellt als die normalen Stationsärzte, Der Oberarzt ist freilich kein Chefarzt, aber die Grenzen verschwimmen total. Er ist direkter Teampartner des Chefarztes, doch letzterer ist zu selten da, um wirkliche Teamarbeit zu leisten. Sieht sich aber auch als direkter Vorgesetzter der Psychologen. Ein Posten mit viel Aktivität, aber im Gegensatz zum Chefarzt sehr nahbar. Der Oberarzt ist immer zugänglich. Er macht neben Visite auch Kurvenviste, Entlassungsplanung, spricht regelmäßig auch Patienten, aber nicht so oft wie z.B. Stationsärzte.  Greift auch aktiv in die Ausbildung des Psychologen ein, hilft, verwaltet und organisiert. Hält viel von der Meinung anderer Stationsmitarbeiter. 
     
    Stationsarzt
    Ärzte, die noch jung und noch "unverbraucht" sind, es gibt aber welche, die auch 50+ sind. Arbeiten unglaublich hart und effizient. Haben dasselbe Aufgabengebiet wie der klinische Psychologe, bloß dass er medikamentös vorgeht und keine psychologischen Interventionen anbietet. Arbeitet als direkter Teampartner des klinischen Psychologen. Fehlt einer von beiden, wird es für den anderen schwierig. Ist auch sehr eng mit der Pflege; sind optisch oft nicht von der Pflege zu unterscheiden, da sie dasselbe tragen. 

    Psychologische Psychotherapeuten (Approbierte)
    Haben ähnliche Kompetenzen und Zuständigkeitsbereiche wie der Oberarzt. Ihre Arbeit ist im Gegensatz zum Psychologen mehr therapieintensiv, also auf Patientengespräche und Gruppen ausgerichtet, weniger das Drumherum wie psychopathologische Befunde und überhaupt die ganze Diagnostik. Leiten bei uns Supervisionen, also die "Therapie" für die Psychotherapeuten in Ausbildung. 
    Direkter Vorgesetzter und direkter Teampartner ist der Chefarzt; kommen aber besser mit dem Oberarzt klar.  
     
    Psychologen
    Was genau ein klinischer Psychologe macht, habe ich hier etwas intensiver beschrieben:

    Sozialarbeiter
    Meistens der Held/die Heldin der Station. Hat unglaublich guten Draht zu Patienten, Pflege UND ärztlich-therapeutischen Personal. Für die Patienten der greifbarste Mitarbeiter, da diese natürlich viele Angelegenheiten regeln, mit denen der Patient nicht mehr klarkommt: Pflegegrad, Heimanbindung, Geld, Langzeittherapiemaßnahmen. Besichtigt auch noch Unterbringungen mit Patienten und organisiert Veranstaltungen. Löscht nebenher noch kleine Brände, z.B. Teamkonflikte, setzt sich wie ein Anwalt für Mitarbeiterbelange beim Chefarzt an. Braucht regelmäßig psychologische Gutachten. Hat besonders guten Draht zum Pflegepersonal und ist skeptisch gegenüber Psychologen.
    Es lohnt sich, sich mit dem Sozialarbeiter gut zu stellen und gleich mit ihm ein Team zu bilden!  

    Pflege
    Tragen die gesamte Station auf ihren Schultern. Leisten Übermenschliches vom Arbeitspensum. Haben oftmals unglaublich breites medizinisches Wissen, haben Präsentationstalent (Übergabesituationen) und sind die größten Arbeits-Organisationstalente, die ich kenne. Haben einen sehr kumpelhaften Draht zu den Patienten und in Krisensituationen immer eine Lösung. Erscheinen gegen Ekel absolut immun und sind vor allem bemerkenswert mutig. Sind im Grunde dauerüberlastet, machen trotzdem Überstunden bis zum Mond. Eine ganz faszinierende Gruppe, von der man selbst viel lernen kann. 
    Sind skeptisch gegenüber Ärzten und Psychologen (gut stellen sehr wichtig!). Werden vom Chefarzt leider nicht ernst genug genommen und daher oft nicht gut auf diesen zu sprechen. 

    Pflegeleiter
    Ist sozusagen der Chefpfleger der Station, aber nicht deren Vorgesetzer, sondern ein Primus Inter Pares. Hat ein unglaubliches Organisationstalent und bildet eine kommunikative Brücke zwischen allen Stationsangehörigen. Kann auch gut mit allen Arztversionen und Psychologen. Kümmert sich und ist ein absoluter Macher. Setzt Belange aller Mitarbeiter beim Betriebsrat durch.  
       
    Putzpersonal 
    Meine Hochachtung vor allen, die im Krankenhaus putzen. Gerade bei Patienten, die keine Kontrolle mehr über ihre Körperausscheidungen haben, sind sie sehr häufig im Einsatz. Mit dem Putzpersonal am besten gleich gut stellen. Ich mache manchmal Pause mit ihnen. Haben sehr guten Draht zu den Patienten. 

    Richter & Polizei
    Sind keine wirklichen Mitarbeiter unserer Station, aber mehrmals täglich bei uns, so dass man häufig per Du ist. Sie haben gar kein Wissen über psychische Erkrankungen, entsprechend distanziert ist natürlich der Patientenkontakt.  


    Dies  also mal als "kleiner" Überblick aller wichtigen Organe, die eine Station zusammenhalten. Bestehende Hierarchien sollte man meiner Meinung nach ignorieren und jeden auf Augenhöhe betrachten und entsprechend ernst nehmen. Das gilt auch für das Putzpersonal. So erreicht  man nicht nur die beste Stimmung, sondern auch die effektivsten Ergebnisse. Und das kann der Station schonmal den Hintern retten, wenn sie von der Schließung bedroht ist. 

    LG 

    Feature Foto: Tima_Miroshnichenko/pexels.com 
  10. Vica
    *Können psychische Erkrankungen ohne Zutun des Patienten zum Tode führen?
    Den gefürchteten psychiatrischen Notfall des malignen neuroleptischen Syndroms finde ich in keinem meiner Studienunterlagen, außer in einem Nebensatz im Master. Auch im Fernstudium habe ich nie davon gehört. Das Krankheitsbild ist relativ selten, so sehr, dass es eigentlich in einer Folge Dr.House dargestellt werden könnte. Dennoch war die Wahrscheinlichkeit, auf unserer Station (Wahnhafte Störungen + Sucht) einer solchen Störung zu begegnen, höher als auf anderen. Denn sie wird von dem ausgelöst, womit man Wahn behandelt, durch eine Nebenwirkung von Neuroleptika. 

    Erstmals mitbekommen habe ich das durch einen jungen Patienten, der so um Anfang 20 gewesen sein dürfte. Herr M. ist wohnungslos und seit Jahren süchtig. Eine Erkrankung mit Schizophrenie (wahnhafte Störung mit Wirklichkeitsverlust, Wahnvorstellungen, überwiegend Stimmenhören, Verfolgungs-/Fremdbeeinflussungsängsten etc.) bestand offenbar seit dem späten Teenageralter. Die Verwandten hatten es nicht mehr ausgehalten und setzten ihn vor die Tür - genau diesen Verlauf hört man enorm oft, insofern war Herr M. nichts Ungewöhnliches bei uns. Der Sozialarbeiter hatte ihm gerade Hoffnung gemacht, dass ein Langzeittherapieplatz in und eine Wohnmöglichkeit in Aussicht stehen könnte; sogar eine Besichtigung hatten die beiden geplant, insofern standen die Zeichen für die Zukunft zunächst mal gut. 
     
    Insgesamt ein sehr sympathischer, geselliger und eher zurückhaltender Patient (seeehr angenehm auf einer Wahn-Station!)
    Bei der Chefarztvisite, zu der Herr M. fröhlich gelaunt und vielleicht etwas schüchtern hereinkommt, scheinen der Chef- und der Oberarzt allerdings Signale zu empfangen, die ich und die Assistenzärztin irgendwie nicht auf dem Radar haben. Herr M. sieht gut aus und berichtet gebessertes körperliches Empfinden. Er war erst seit vorgestern hier und gebessertes Empfinden bei fehlender Eigen- und Fremdgefährdung ist ein Grund, die Entlassung zu planen. 
    Pflege, Assistenzärztin + ich hätten eigentlich gedacht, dass der nach dem Mittagessen geht. 🤔
     
    Unsere beiden Chefs sehen das aber offenbar anders, als sie seine Kurve (seine Papierakte) studieren. Sie sehen deutlich besorgt aus. Besonders die Kreatin-Werte des Patienten im Blutbild scheinen ihnen Bauchweh zu bereiten. Immer wieder fragen sie, ob er Fieber hat, was er verneint, er hat auch jetzt keines. Darauf kann ich mir keinen Reim machen, aber Infektionen gibt's natürlich bei uns auch ab und an. Ich denke auch jetzt, dass sie darauf hinauswollen, ob er sich eine Erkältung oder eben Corona (zu der Zeit noch häufig und ein riesiges Problem auf Station) haben könnte. 
    Seine Medikamente setzen sie alle sofort ab, was ich ungewöhnlich finde, weil es ja die sind, die die Schizophrenie behandeln. Ich habe auch noch nie erlebt, dass man sie komplett streicht. Aber auch da denke  ich mir nichts dabei.

    Am Nachmittag desselben Tages ruft der Chefarzt bei mir an. Da die Stationsärztin weg ist, soll ich mit ihm kommen und protokollieren, wir machen eine Zimmer-Visite bei besagtem Herrn M. Sein Zustand hat sich im Laufe des Tages wohl sehr verschlechtert. Als wir im Zimmer ankommen, sieht man den heute morgen noch munteren Herrn M. in seltsamen Verrenkungen auf dem Rücken im Bett liegen. Die Beine sind angewinkelt wie in Sitzhaltungen, die Hände hoch in die Luft gestreckt und an den Handgelenken seltsam verdreht. 
    Herr M. ist bei Bewusstsein, aber antwortet uns nicht, sondern blickt starr geradeaus. Der Chefarzt spricht trotzdem mit ihm und erklärt seine Schritte. Er bewegt Herrn M.s Gliedmaßen hin- und her, sie bleiben jeweils in der Position. Das kenne ich nun wiederum aus dem Studium, das ist ein katatoner Stupor,  und der sieht so aus:
     Das Ganze ist zwar extrem scary, vor allem wenn der Patient alles mitbekommt,  sozusagen "gefangen im eigenen Körper".
    Und ja, es ist wirklich sehr gewöhnungsbedürftig, das mit anzusehen - Menschen verharren normalerweise nicht in solchen unangenehmen Positionen und es wirklich krass, was Erkrankungen mit einem anstellen können. 
    Aber ein katatoner Stupor kommt auf einer Wahnstation häufiger vor, wenn der Patient akut wahnhaft ist. Grundsätzlich gefährlich ist er nicht direkt. Aber: Der Chefarzt hat aber wieder die Temperatur des Patientin im Auge. Sie liegt im relativ ungefährlichen Bereich von 37,2 herum, was aber schon 0,2 Grad mehr sind als am Morgen. Bevor ich gehe, soll ich ihm anrufen und nochmal die Kreatin-Werte durchgeben, was ich auch mache. 

    Von der Pflege erfahre ich später, dass Herr M. bis zum Mittagessen vergleichsweise normal drauf war, aber dann ging es rapide nach unten mit seinem Befinden: Zunächst stärkstes Schwitzen mit unglaublichem Durst. Dann habe er seine Augen nicht mehr bewegen können - das habe Panik verursacht und er sei ,,durchgetickt", habe das Gefühl gehabt, dass die Pflege ihn vergiftet habe. Später habe er dann gedacht, Strahlen aus dem Handy hätten ihn unter Kontrolle. Auch das haben wir seeeeehr oft auf dieser Station. Schließlich bricht er mit Herzrasen zusammen und muss ins Bett, wo er zunehmend mutistisch (stumm) wird und später dann den Stupor entwickelt. Herz-Kreislauf und Schwitzen stabilisiert sich bald, weswegen keiner etwas Schlimmes vermutet. Nur der Chefarzt ist nicht überzeugt, er ordnet eine ganz engmaschige Betreuung an. 

    Als ich Feierabend habe, sehe ich mehrere Pfleger vom Nachtdienst um sein Bett stehen.

    Am nächsten Morgen erfahre ich, dass Herr M. relativ rasch Fieber entwickelt hat. Er wird als Notfall in ein somatisches Krankenhaus verlegt. Dort kommt er noch bei vollem Bewusstsein an, fällt aber ins Koma. Wenige Stunden später stirbt er. 
    Er ist schon verstorben, als ich den Dienst antrete. 
    Der Oberarzt berichtet, dass Herr M. ein malignes neuroleptisches Syndrom entwickelt hat, im Prinzip eine sehr schwere, seltene Nebenwirkung auf sein Medikament (ein Neuroleptikum). Sobald der Patient erhöhte Temperatur entwickelt, wird es sehr kritisch. Das hatten meine beiden Chefs wohl im Auge gehabt und hatten darum schnell gegengesteuert. Dennoch umsonst. 

    Obwohl die Mortalität dieser Erkrankung nicht so hoch ist (5-22% herum schlimmstenfalls) kommt es leider doch manchmal zum Tod. Vor allem, wenn der Körper zu sehr ausgezehrt ist von jahrelangem Drogenmissbrauch und Leben unter schwierigen Bedingungen. 
    Zwar kannte ich Herrn M. nur am Rande, er nahm keine psychologischen Gespräche wahr. Und doch traf mich damals die Nachricht. Vor allem wegen seiner ziemlich wegen seiner bedauerlichen Vorgeschichte und weil er keine Möglichkeit mehr hatte, gegenzusteuern. 

    Auch das sind also Dinge, die in der Psychiatrie vorkommen können und dessen man sich als klinische:r Psycholog:in bewusst sein muss. 


    Bleibt gesund & haltet zusammen,

    LG

    Titelbild: Craig gary/pexels

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    *Dies ist eine kleine Serie über meine Ersterfahrung mit gewissen Störungsbildern aus meiner Klinikzeit, über die ich damals nicht so gerne sprechen wollte. Es sind Störungsbilder und Situationen, die viele beim Wunsch, Psycholog:in bzw. Therapeut:in zu werden, nicht so auf dem Schirm haben. Wenn du Psycholog:in werden willst, denk dran, dass du auch mal damit konfrontiert wirst und mit Patient:innen, die man nicht immer ,,heilen“ kann. Heilung ist auch nicht immer das Ziel. In regelmäßigen Abständen stelle ich euch meine Ersterfahrung mit Störungsbildern vor. Dabei beziehe ich auch mit ein, wie mir das (Fern)studium half.
    Die dargestellten Patienten sind dabei oft ein Konglomerat aus verschiedenen Patienten und Begebenheiten.
  11. Vica

    Kinder- und Jugendbuchautor*in
    Wie gut, dass so ein Thema schon gleich am Anfang aufkam: Frustrierende Situationen beim Schreiben, Blockaden, falsche Vorstellungen und Gründe, warum man beim Schreiben stets nicht weiterkommt und letztlich jedes Projekt doch wieder in den Wind schießt.

    Das ist nämlich auch eines meiner Hauptprobleme, nicht nur beim kreativen Schreiben, auch beim akademischen. Der ständige Kampf gegen den Drang, alles abzublasen und alle damit verbundenen Komplexe. Sein Schreiben abzubrechen verschafft auf längere Sicht nämlich keine Erleichterung, sondern noch mehr Frust: Neben offensichtlicher Mangelbegabung ist man jetzt nicht mal in der Lage, was zu Ende zu führen. Die Idee bleibt trotzdem da, reift, aber findet keinen Weg hinaus. 

    Ich fand erstmal beruhigend zu wissen, warum das ein Problem vieler Autoren ist. Das wusste ich auch schon vorher, weil viele ja das ja auch berichten. Noch interessanter fand ich an der Stelle aber, was überholte Vorstellungen vom Schreiben damit zu tun haben und dass man gewissen Klischees aufsitzt, wie ein Autor zu sein hat. Auf mich traf folgendes zu: Ich hatte tatsächlich ein gewisses Persönlichkeitsbild von Autoren im Kopf, Landhaus, Kaminzimmer, schwerer Sessel, gewisse Autorensoftware, die sich dann für Stunden einschließen und schreiben während sie gerade Inspiration haben etc. pp. Damit einher ging meine Vorstellung, dass es ohnehin nur solche Berufs-Autoren schaffen, wirklich etwas aufs Papier zu bringen, was brauchbar ist, denn die haben ja die optimalen Bedingungen.
    Wie soll das dann erst Otto-Normalfernstudi schaffen, der schon mehrere Herausforderungen hat?
     
    Dass Autoren aber eben einen anderen, ganz gewöhnlichen Hauptjob haben, auf Ikea-Stühlen oder mangels Arbeitsplatz auf der Couch sitzen und auch mal in Word oder LaTeX tippen, während sie nebenher noch Kinder betreuen oder den Haushalt/Sport/Freizeit machen, entsprach tatsächlich keiner meiner Vorstellungen von diesem kreativen Umfeld. Und dennoch geht es dem Großteil so. Für mich war das sehr befreiend zu wissen, warum und wie genau das den Schreibprozess keinen Abbruch tut und die meisten Bestseller oder liebgewonnen Geschichten so entstanden. Es wurden dann auch noch Autorenbeispiele aufgeführt, die unter den widrigsten Umständen tolle Sachen schreiben konnten. 

    Die Verabschiedung solcher Vorurteile hatte dann tatsächlich Initialzündung: Ich habe diese Woche so viel getippt wie noch nie und blieb jeden Tag dran. Der übliche "Ist doof! Alles Mist! Abbrechen!" - Kritiker im Kopf lässt sich zwar nicht ausschalten, aber ganz verschwinden muss er ja auch nicht, weil er mahnt, kritisch zu bleiben. 

    Tatsächlich könnte das mal wieder der Auftakt sein, wieder in die tägliche Schreibroutine reinzufinden. Fühlt sich gerade sehr gut an und ich bin gespannt, wie lange das anhält. 

    Bleibt gesund & haltet zusammen,

    LG

    Feature Foto: Ketut_Subiyanto/pexels.com 
     
  12. Vica

    KJP-Nebenjob
    Was gehört zu den größten Herausforderungen beim Arbeiten im ambulanten Bereich, wie bei mir der KJP?
    Schwieriges Patientenklientel wie fordernde Eltern, die die Heilung innerhalb von 50 Minuten erwarten?
    Schwer zugängliche Kinder?
    Eltern- und Kinderwünsche an die Therapie, die unterschiedlicher nicht sein könnten?
    All das mag unangenehm erscheinen, gehört aber im Grunde dazu wie die Mehrwertsteuer; es gibt aber therapeutischerseits genug Möglichkeiten, sich darauf vorzubereiten. 🧐

    Weniger am langen Hebel sitzt man als angestellter Therapeut, wenn der Bereich wegen davongelaufenen Personal ernsthafte strukturelle Probleme bekommt. Nicht nur die Therapeuten wandern ab (ich schätze mal in die Kliniken, wo mehr gezahlt wird), auch das Sekretariat. Nun sind wir eine Arztpraxis ohne eine einzigeN einziGen med. Fachangestellten oder ArzthelferIn. Es ist niemand mehr da, der Patienten begrüßt, Karten einliest, Anträge stellt, (Privat)Abrechnungen erstellt, Arztbriefe schreibt, Rezepte ausstellt etc. Zwar gab es Gespräche mit Bewerbern, aber nichts bleibt länger als 2 Wochen gefühlt. Kein Wunder: Wenn 40-Stunden-Stellen länger unbesetzt sind, summiert sich ganz schön was auf. Wer will in den Job starten, um nur Altlasten abzuarbeiten? Ohne Anlernen btw. 
    Der Chef findet: Dann müssen wir das halt eben selbst hinkriegen. 

    Ich dachte so die erste Zeit: Höhöhö, hold my beer. Denn: Ich arbeite ja noch in einer ambulanten Erwachsenenpraxis (für die Ausbildung) und bin dort ein 1-Mann-Betrieb. Die oben erwähnten Tätigkeiten gehören hier ganz normal dazu. Vielleicht könnte man dazu etwas in die KJP-Praxis einfließen lassen?

    Tja, also das Thema Termine machen ist nicht so schwer, auch meine Arztbriefe lesen sich gut. Doch es krankt an anderen Stellen. Uns erreichen keine Absagen, keine Terminanfragen, nicht mal die Türklingel hören wir, weil diese nicht an unsere Räume weitergeleitet wird, sondern ins Sekretariat, Lichtjahre von unseren Räumen entfernt. Steht ein Patient vor der Tür, kriegen wir das gar nicht mit. Oft sind wir auch mitten im Gespräch. 
     
    MedizinischeR FachangestellteR ist nicht umsonst ein Ausbildungsberuf. Von 90% von deren Abläufen haben wir beim besten Willen keinen blassen Schimmer (die anderen 10% machen wir zudem sicher ziemlich holprig) und mal ebenso nebenbei noch Praxisführung, während wir Patienten behandeln klappt einfach nicht. 
    Die Arbeit in so einem Betrieb muss man sich einfach aufteilen. 
    Wem nützt denn ein Klavier ohne Tasten?
     
    Dadurch, dass man Patienten vom getürmten Kollegen übernimmt, übernimmt man auch: Den Ärger und Druck der Eltern, dass sich seit Monaten nichts tut, dass es keine Klinikeinweisung gibt, keine Medikation etc. Man hat den Patienten noch nie nie gesehen und steht da, wie der Ochs vorm Berg. Soll aber für alles verantwortlich sein. 
    Gefällt mir nücht. 👎

    Für die ambulante Versorgung bzw. die Patienten ist das sicher schon ein Albtraum. Uns droht als Angestellten nun aber auch ein Desaster: Niemand kann die Löhne machen. Man überlegt schon, ob man alte Angestellte mal anklingelt, ob die für ein paar Tage vorbeikommen. Bislang ohne Erfolg.
    Die Stimmung bei PatientInnen und Angestellten könnt ihr euch vorstellen. 

    Na, hoffentlich steht man Ende des Monats schwarze Zahlen auf meinem Konto. Ich bin in der komfortablen Situation, zwei Jobs zu haben. Nun stellt euch aber die blanke Mehrheit vor, die davon Miete, Strom und Brötchen bezahlt. Aber exakt das droht nun. 

    Die Situation des Personalmangels und der zusammenstürzenden Infrastruktur in Arztpraxen gibt es aktuell fast überall. Wen es interessant, kann hier mal reinschauen: https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Aerzte-in-SH-schlagen-Alarm-Ambulante-Versorgung-in-Gefahr,praxen100.html 

    Tja, mal sehen, wie es so weitergeht. Eine Weile schaue ich mir das schon noch an. Vorab: Der Job ist zum Glück nicht schlecht. Schade um die Rahmenbedingungen.
    Ich fürchte, darauf kann man eigentlich nur mit reduzierten Arbeitszeiten und Teilschließungen reagieren. Das ist wohl bisher keine Option. 
     
    Im nächsten Jobleben werde ich Papierkram. Der bleibt wenigstens liegen. 😶

    Bleibt gesund & haltet zusammen,
    LG
     
  13. Vica

    Theorie-Ausbildung
    Am Ende war es ein kleines Sommermärchen: Die Theorie-Ausbildungsseminare fanden nach einem langen Online-Winter und Frühling wieder in Präsenz vor Ort statt. Es gab grünes Licht vom Landesprüfungsamt für Ärzte und PPs. Viele hat es sehr gefreut, alle wieder in Natura zu sehen. 
    Jetzt geht unsere Ausbildung aber wieder in den Lockdown, d.h.: Ende mit Präsenz - wir sehen uns online!
    Aber was machen wir da eigentlich genau, in dieser Präsenzzeit, bzw. was haben wir bisher gemacht?
    Ein kleiner Überblick nach fast 1 Jahr Theorie-Seminaren: 

    Wann?
    Der Rhythmus ist zweiwöchentlich, manchmal aber auch mal nur alle 3 Wochen oder - wenn man Glück hat und bisher keins verpasst hat - auch mal nur 1 im Monat. Da unser Ausbildungsinstitut kapazitätentechnisch im Moment aus allen Nähten platzt, wurden manche Kurse auch schon vor dem aktuellen Ausbildungs-Lockdown online abgehalten. 
    Seminare gehen von freitagmorgens oder bis Samstagabend oder bis zum Morgen des Sonntags.  Typische Zeiten sind: 9:30 bis 18:30 oder 11:00 bis 20:00. 
    ...so läuft das jetzt noch bis Ende 2023! 😅

    Ort:
    Unser Institut hat mehrere Ambulanzen, in dem auch Patienten empfangen werden, und in einem der 4 ist dann abwechselnd das jeweilige Seminar. Die Ambulanzen kann man sich wie normale Arztpraxen vorstellen. Manche sind mitten in der Stadt, manche außerhalb. In unserem Fall muss man auch erst tatsächlich am zum Teil sehr vollen Wartezimmer vorbei watten und stiefelt dann in einen hinteren Teil, der nur Mitarbeitern zugänglich ist. Hier befinden sich neben den Behandlungsräumen dann Seminarzimmer. Für jede Gruppengröße was dabei. Die Zimmer sind typische Seminarräume, wie sie häufig in Fortbildungen genutzt werden. 

    Wer doziert? 
    Es gibt ein Seminar zu ziemlich vielen Themen aus der Psychotherapie, aber auch Medizin (meisten Psychopharmakologie) und Rechtsthemen. Die Seminarleiter arbeiten quasi nebenher für das Institut und verdingen sich hauptberuflich in Praxen, Unis, Kliniken (meist aber nur die größeren, z.B. Charité) . Es sind fast immer Oberärzte, Professoren, niedergel. Psychotherapeuten, Chefärzte (in der Reihenfolge). In Rechtsseminaren sind es häufig Anwälte
    (davon häufig Syndikusanwälte). Rechtliche Seminar-Themen sind etwa: Arzthaftungsrecht, Schweigepflicht, aber auch Praxisgründung, Haftungsfälle usw. Diese Leute sind zum Teil auch für andere Institute und Ausbildungsverbände tätig. 
    Es handelt sich aber fast immer um Koryphäen auf dem jeweiligen Gebiet: Im Seminar um Suizidalität hatten wir z.B. eine Psychologin, Notfall-Helferin für ein gewisses Einzugsgebiet ist. Viele dieser Leute sind in ihrer Welt auch prominent, haben Podcasts bei großen Zeitungen, in der Forschung tätig und fast alle haben Literatur herausgebracht (wie viele Leben braucht man dazu wohl?).

    Ablauf eines Seminartages:
    Fast jedes Seminar beginnt mit einer Vorstellungsrunde. Heißt, man plaudert also reihum, wer man ist, wo man arbeitet und welche Fragen und Ansprüche man vielleicht im Vorfeld an das Seminar hat. Sich bei jedem Seminar erneut vorzustellen macht schon Sinn, weil wir keinen Dozenten zweimal haben und sich auch oft Gasthörer bei uns befinden (das sind Leute, die zu einem anderen Kurs gehören, aber dieses Seminar im Vorjahr verpasst haben und nun nachholen). 
    Die Fallstricke und Herausforderungen anderer in deren Kliniken sind auch sehr interessant.

    Nach der Vorstellungsrunde beginnt uneeeeendlich viel Theorie (Studien, Psychotherapieforschung, Medizin, viel Statistik, aktuelle Literatur <- keine Sorge, man hat NACH dem Studium und Prüfungsleistungen einen entspannten Bezug dazu). Das ist mal mehr, mal weniger interessant, je nach "Unterhaltungstalent" des Dozenten*der Dozentin. Ich habe gemerkt, dass ich mehr damit anfangen kann, wenn immer mal wieder kurz Zwischenfragen gestellt werden, wie man das findet.

    Nach dem Theorieblock geht es in den Praxisblock. Hier bilden sich Kleingruppen und fast immer wird das Folgende im Laufe des Tages abgedeckt:
    Flipchart oder Power Point Präsentation erarbeiten  Schauspielerische Einsätze. Einer ist Patient, der andere Therapeut, der dritte ist Beobachter, der am Ende Feedback gibt (ich spiele btw besonders gerne Patienten :-) Insgeheim bringe ich auch manchmal ein echtes Problem aus dem Alltag rein, hehe). Intensive Diskussionsrunden zu gewissen Fragestellungen (mag ich am liebsten) Arbeitsblätter ausfüllen und später vorstellen Exkursion, also z.B. in Kleingruppen spazieren gehen und sich da mal gewissen Herausforderungen stellen, um über die eigenen Grenzen zu gehen. Z.B. sich im Geschäft intensiv beraten lassen und dann doch etwas ablehnen usw. Wird weniger genutzt seit Corona. Die Kleingruppen finden in einem der anderen Räume statt, sofern da nicht gerade Therapien laufen. Der Dozent selbst rotiert zwischen den Räumen und gibt Tipps und Hilfestellungen. 

     
    Pausen:
    Die einzigen Fragen, die Leute zu Beginn stets haben, ist, wie die Pausenregelung so aussieht 😁 Oft haben wir mehrere 10-Minuten Pausen. Zum Mittag einigen wir uns oft auf 1 Stunde Pause, was etwas wenig ist, angesichts dessen, dass man eigentlich 2 Stunden hätte. Aber ihr ahnt es vielleicht schon, dafür kann man früher Schluss machen...
    Eine Pause kann aber unheimlich toll sein, z.B. wenn man die Zeit findet, mal Pizza essen zu gehen. Das bleibt auch lange in Erinnerung hängen. Oft schaffen wir das aber nicht, und großartig vorgekocht hat auch keiner, da er davor ja eine harte Arbeitswoche hatte. Also bleibt es oft bei: Brötchen und Sandwiche aller Art und alles, was Bäcker und Netto so herhalten...(meistens eher unbefriedigend, wenn man gerne Mittagstisch hätte, aber es geht).  
    Zwischen den Pausen kann man auch immer wieder rausgehen. Es stehen dutzende Kaffeemaschinen, Tee, Nervennahrung usw. bereit.

    Abschluss:
    Am Ende gibt es immer Feedback-Runden. Der Dozent will wissen, was gut war, was er besser machen kann usw. usf. Meistens will niemand der Erste sein, der sich meldet. Ich bin oft so durch am Ende eines Tages, dass ich keine Kapazitäten im Oberstübchen mehr frei habe, da viel zu sagen - ich bin aber meistens auch einfach zufrieden und äußere das so. Kritisch fällt mir oft auf, dass viele schlechte PPs erstellen: Anstrengendes Design (Blaumann-Blau als Hintergrund, weiß-rote Schrift, komisches Gedöns), vollgeschrieben ohne Ende und dann 200 Seiten Slides. Das wird aber auch schon immer ausreichend zurückgemeldet. 
    Es gibt fast immer massenweise Handouts mit: Tests, gebundene Booklets (auf Wunsch auch digital), Arbeitsblätter für Patienten oder Kopiervorlagen. Eine Literaturliste für Vertiefung gibt es ebenfalls. Bisher hab ich fast immer eines davon besorgt.  
    Ganz am Schluss gibt's dann die Unterschrift ins Ausbildungsheft (wehe dem, der es verliert!). 

    Hygiene-Konzept & Technik:
    In jedem Seminar gibt es einen Corona-Beauftragten, der offiziell auf die Lüftungsabstände achtet und die Fenster öffnet bzw. das Signal dazu gibt. Das ist jemand aus dem Kurs, vorher dazu auserkoren.  Klaro auch, dass die gesamte Tagesdauer Masken getragen werden müssen. Zugang ist nur 2G. 

    Außerdem wird immer jemand zum technischen Gehilfen gewählt. Falls der Dozent nicht weiterkommt. Bedeutet in der Realität: Beamer anstecken, PC neu starten, falls nix mehr geht, aufkommende Panik bei Bluescreens verhindern... Ist aber noch nie vorgekommen, dass das von Dozentenseite benötigt worden wäre.

    Nutzten im Alltag: 
    Ich persönlich finde die Theorieausbildung, die Seminare und Dozenten einfach brillant. Entsprechend HOCH ist der Nutzen auf der Arbeit. Aber  auch generell ist die Ausbildung so ein life-changing Ding. 


    ...ist aber alles schon wieder vorbei :-) Mit sofortiger Wirkung sind alle noch kommenden Ausbildungsseminare auf Online umgestellt worden. Das ist auch okay. Zum einen kann ich keinen Qualitätsabbruch feststellen. Zum anderen gibt es innovative Ideen, das ganze Online zu gestalten. Statt Kleingruppen dann Breakout-Räume, in die man einige Zeit geschickt wird. Anwesenheitslisten werden regelmäßig abgefragt, die Kameras bleiben an. 
    Manche haben sich schon sehr an online gewöhnt. Irgendwie scheint es effizienter zu sein, wie auch das Home-Office. 

    Dass die PP- und auch Ärzteausbildung im Theorieteil jeweils zum Fernstudium werden könnte, hätte man sich vor 2 Jahren nicht mal ansatzweise denken können.
    Ich habe zwar den Eindruck, dass es immer noch eine Notlösung darstellt, die man nicht gerne sieht; aber ich habe auch schon gehört, dass man gewisse Kurse auch noch Corona online beibehalten will. 

    Im Moment muss man ja hoffen, dass es mal ein "nach Corona" geben wird 
    Ich bin erstmal froh, dass die Kurse auf Online umgestellt sind. Mehr Zeit zu Hause, weniger Reisekosten und vor allem: Weniger Infektionsgefahr. Lange Zugreisen bringen ja doch eine gewisse Gefahr mit sich, und gerade in geschlossenen psychiatrischen Einrichtungen hat man da eine gewisse Verantwortung. In der Familie sind zudem viele Risikogruppen, die man nicht gefährden will - obwohl die zum Glück ihren Booster schon haben. 

    Bleibt gesund & haltet zusammen,

    LG

    Feature Foto: fauxels/pexels.com  
  14. Vica

    Kinder- und Jugendbuchautor*in
    Mein Laudius-Ordner hat mittlerweile stolz an Umfang gewonnen. Während ich mit sehr dünnen Kapiteln und wenig Lehrheften den Kurs startete, hat er nun die Stärke eines typischen Kontoauszüge-Ordners, der im Keller sein Dasein fristet 😁 Futter hat der Ordner genug bekommen. Das neue Fernlehrbrief-Material wurde immer pünktlich quartalsmäßig nachgeschickt. Es kam stets im DIN A4 - Umschlag, bereits gelocht und konnte nachgeheftet werden.

    Aber, ups: Im März ging ja meine PT1 los (das praktische Klinikjahr der Psychotherapeuten) und seitdem hatte ich es nicht mehr wirklich geschafft, mich diesem schönen Kurs zu widmen. Das machte mich ganz schön unzufrieden von kreativer Seite her. Auch abgesehen vom Job kam bei uns ordentlich was obendrauf - ein Umzug während Corona stellte sich als logistische Meisterleistung heraus. Während des Umzugs war aber klar, dass eine Lernecke gleich fest mit eingebaut wird (sowas habe ich in unserer alten Wohnung generell vermisst). Und siehe da, schon am Tag des Einzugs fischte ich meinen blauen Ordner aus den Umzugskisten. Ich bin nun etwas im Rückstand, aber ziemlich optimistisch, dass ich das recht schnell wieder aufhole. So wirklich Zeitdruck hat man ja nun auch nicht. Die Lernhefte werden zwar zunehmend anspruchsvoller. Aber es ist kein Problem, an einem Abend 3 bis 5 Kapitel wegzulesen. 

    Unkreative Phasen habe ich immer mal wieder, nicht erst wie jetzt seit März. Trotzdem fühlen sie sich für mich ziemlich unnatürlich und auch schwierig an. Oft habe ich dann das Gefühl, dass mir ein Werkzeug zum Verarbeiten von Sinneseindrücken und Alltagserlebnissen und ein gewisser Freiraum einfach fehlt. Eine Weile kann man noch damit umgehen, aber im Dauerzustand rächt es sich. Aber irgendwie kommt man nicht dagegen an, dass man zu müde ist, eine Seite mit selbst erdachtem Inhalt zu füllen. Manchmal hat es etwas vom Prokrastinieren aus der Studienzeit, man schiebt es hinaus. Und wird durch den ganzen Druck immer unzufriedener. 



    Die Beschäftigung mit diesem Kurs ist auch ohne schreibend aktiv zu werden eine spannende Reise zu alten Klassikern und irgendwie auch der eigenen Kindheit. Dadurch bringt er auch nur von theoretischer Seite her genügend Vergnügen mit. Trotzdem plagt mich seit den letzten Jahren das Problem, dass sich mein Denken immer mehr theoretisiert hat und mir die Fantasie flöten ging, die ich vor allem früher hatte. Das ging mit Schreibblockaden einher.

    Aber wie kam es dazu?
    Was hat mir die Fantasie abspenstig gemacht?
    Warum drängt sich stattdessen immer wieder akademisches Geschwurbel dazwischen - so ziemlich die Antithese zu Fantasie?
    Vermutlich die 1001 Hausarbeiten, die ich in den letzten Jahren geschrieben habe. Stress und Druck, z.B. bei Klausurphasen. Permanente Perfektionsansprüche wie in Bewerbungsschreiben. Und so viel Fremdbestimmung durch äußere Umstände.  Und Erfindungsreichtum, eigene Standpunkte und Freitexte waren im Studium auch so gar nicht gefragt. All das blockiert den kreativen Fluss sozusagen. 

    Meine große Hoffnung ist ja, mittels diesem Kurs den kreativen Flow wieder zu finden - oder besser gesagt, mehr zulassen zu können. Ich bin echt froh, gerade in einem Kapitel gelandet zu sein, welches sich dieser Art Schreibblockaden widmet. Und auch, dass sich der gesamte Kurs immer wieder mit den Themen Selbstzweifeln beim Schreiben, Fantasieverlust etc. auseinander setzt. Kognitiv wird man dabei auch aktiv an die Hand genommen, indem man als Übungen z.B. angeleitete Imaginationen zu Ende führt oder ein paar Szenen schreiben soll, die klar die eigenen Grenzen überschreitet. 

     Ich merke schon, dass die verstaubten Zahnräder im Oberstübchen wieder ins Laufen kommen...😁 Langsam, aber da geht was. Durch die Arbeit in der Psychiatrie habe ich zudem ein ganzes Füllhorn an Storyideen bekommen. Ich denke auch, dass meine Charaktere hierdurch an Tiefe und Brennschärfe gewonnen haben. Jetzt muss das noch zu Papier. 
    Naja, soll. Und ein Jugendbuchformat muss natürlich auch noch draus werden.
    Alles ist verbunden 😁
     
    Bleibt gesund und haltet zusammen.
    LG

    Feature Foto: Francesco_Ungaro/pexels.com
    Hochgeladene Bilder: Privat 
  15. Vica

    Theorie-Ausbildung
    Neben Ambulanz, eigenen Patienten und Klinikjob sind sie in letzter Zeit ein wenig ins Nebensächliche abgerutscht: Die Seminare. Warum das? Nein, ich habe kein einziges geschwänzt bisher. Der Grund ist viel angenehmer: Tatsächlich hat man uns Sommerferien gegönnt. Von Anfang Juli bis gestern war "Schule aus!" angesagt, sozusagen 😁. Die freien Wochenenden waren exorbitant gut! Das muss ich schon sagen.

    Tja, aber alle Ferien sind eben auch einmal zu Ende und so saß ich gestern wieder in einem KJP-Seminar. Der Auftakt war wahnsinnig gut, weil die Dozentin für ihr Thema so sehr geglüht hat. Ich liebe es, Leuten bei Dingen zuzusehen, von denen sie selbst vollends überzeugt sind 😊 Mich persönlich reißt positiver Input jedenfalls selbst immer mit. 

    Aber!
    In der letzten Zeit hatte es aber auch mal Dozenten gegeben, die sich beim Thema Online so gar nicht auskannten. Da geht schon was an Zeit und Nerven drauf für: ,,Könnt ihr meinen Bildschirm sehen?", ,,Könnt ihr MICH sehen?", ,,Also ich sehe EUCH nicht...", ,,Ich würde jetzt gerne Break Out Rooms machen, aber das Programm lässt mich nicht!", ,,Weiß jemand, wie man hier was in den Chat stellt? Wo ist der denn?" oder gleich ganz: ,,Also leider verstehe ich von dem Programm hier gar nix. Ich nutze das nie! Ich verstehe von Technik nichts." Oder der Dozent verschwand plötzlich. Auch schon vorgekommen: Dozent ist Chefarzt und lässt sich mittendrin auf Station rufen, um auf Stationsinternes zu klären. Da sitzt man als Seminarteilnehmer schonmal wie eine Orgelpfeife vorm Bildschirm.
    Angebliche Stromausfälle kamen bei uns auch vor - so auch in anderen Seminaren. 
    Wovon ich ja auch nichts halte, sind erzwungene Vorstellungsrunden à la "Ich arbeite da und da". Erstens kennen wir uns alle sehr gut, zweitens sind das Informationen, die dem Kurs überhaupt nichts nützen. Aber bis sich alle 25 vorgestellt haben, kann das schon dauern. 
    Aber das sind zum Glück Ausnahmen. Und es waren sehr wenige Seminare, wo das der Fall war. 
    Was ich dann richtig gut fand: Jedes Seminar mit einem solchen Ausfall durfte man (online) freiwillig nachbelegen, der Dozent wurde dann schnell ausgetauscht. 

    Dennoch war man in meinem Institut not amused und hat schnell reagiert. Die Fanfare wurde nun geblasen: Alle kommenden Seminare werden wieder in Präsenz stattfinden. Da unsere Ausbildung in der Hochphase der Corona-Zeit begann, war hier natürlich viel Online angesagt. Und dafür wirklich sehr gut gemacht, ich konnte qualitativ überhaupt keine Unterschiede zu Präsenzseminaren feststellen. Auch in Präsenz klappt ja immer mal wieder was nicht (Beamer fällt aus, Laptop streikt, Präsentation lässt sich nicht öffnen, Drucker gibt den Geist auf, Dozent steckt im Stau fest). Da ist die Frage, ob man die Online-Vorfälle unbedingt so katastrophisieren muss. Und freilich hat Online zahlreiche Vorteile, gerade wenn man von weit kommt und Eltern kommen nicht in die Betreuungsbredouille. Und ja, finanziell ist das eine ziemliche Mehrbelastung mit der Bahnanreise und Hotelübernachtung...

    Nun ist es aber so wie es ist: Online ist erstmal abgesagt. Ich kann es schon nachvollziehen und finde es auch gut, dass die Aufsicht von oben funktioniert und man schnell reagiert.
    Aber in Hinblick auf den kommenden Herbst und Winter frage ich mich, ob es eine gute Idee ist, die Seminare zum Ende des Sommers wieder auf Präsenz umzustellen. 🤔

    Man wird sehen. Könnt auch nach vorne losgehen.😊
    Ich selbst und mein Kurs sind nicht mehr davon betroffen. Meine Seminarzeit endet bald, wir sind so gut wie durch. Zwar werden wir noch bis 2023 Seminare haben, aber die sind extrem entzerrt 😊 Die Präsenz-Termine, die wir noch haben, hatten wir ohnehin so im Curriculum stehen.

    Bleibt gesund & haltet zusammen,

    LG

    Feature Foto: Pixabay/pexels.com
  16. Vica

    Erstkontakt
    Als ich in einer komplett klofreien Zone dringend auf Klo musste, obwohl es noch gut 1 km bis zu meinem Gebäudekomplex der Klinik war, beschloss ich, die Toilette des hübschen Klinikteils zu nutzen, an dem ich jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit nur vorbeispazierte. Ein, wie ich finde, besonders ansehnlicher Teil in den Räumlichkeiten eines alten Klosters. Ich hatte keine Ahnung, welcher Psychiatrieteil das war und es stand auch nirgends dran.  
    Ich wunderte mich allerdings, dass mein Generalschlüssel, den ich vom Chefarzt hatte, nicht funktionierte. Auch der Türcode verweigerte mir den Eintritt. Zum Glück war da aber ein Pförtner, der das Ganze beobachtet hatte und so kam ich doch noch dazu, die Mitarbeitertoilette nutzen zu dürfen 😁

    Die Kollegen auf meiner Station schauten mich später an, als hätte ich einen Reisebericht in ein Paralleluniversum geliefert. Ich erfuhr, dass ich angeblich in der Forensik gewesen war 😁 Der Teil der Psychiatrie, der sich um psychisch kranke Straftäter kümmert. 
    Ich wurde sofort gelöchert: Wie sieht's da aus? Hast du Patienten gesehen? Sind die Fenster vergittert?
    Nichts konnte ich beantworten, ich hatte ja auf nichts geachtet.
     
    Hintergrund: Die Forensik war tatsächlich ein sehr isolierter Bereich bei uns. Kein Austausch mit anderen Stationen. Als Pfleger, Psychologe oder Arzt konnte man bei Personalmangel in wirklich jeden Klinikbereich eingesetzt werden - außer in der Forensik. Auch nicht umgekehrt. Klinikinterne Schulungen und Kongresse fanden natürlich mit dem Gesamt-Klinikpersonal statt. Außer mit einer Station...nun ja, ihr könnt euch vermutlich denken, welche nicht dabei war. 
    Darum funktionierte dort auch nicht unser Generalschlüssel. 
    Warum das so war?
    Erfuhr man nicht. Ober- und Chefarzt beschwichtigten nur mit "Haben wir rechtlich nichts mit zu tun."

    Obwohl durchaus großes Interesse besteht, ist es für Psychologen und vor allem PiAs gar nicht immer so einfach, in der Forensik angenommen zu werden. Zeitgleich herrschte aber genau da - zumindest in unserer Region - große Personalmangel.
    Erschwerend kam damals noch dazu, dass im gesamten Sektor massive Sparmaßnahmen eingeleitet worden waren und die psychologischen Therapien oft wegfielen, da auch die Psychologen wegrationalisiert wurden. Die Forensik hatte damals einen Psychologen, den ich noch kennengelernt habe. Es war ein harter Hund, der in Anzug und Krawatte erschien - aber ich dachte damals auch, dass seine robuste Art wohl genau das Richtige für die Station war. Er verschwand aber recht schnell im Rahmen der extrem gruseligen Kündigungswelle. Seitdem gab es in der Forensik wohl 1x die Woche Gruppengespräche, die von Pflege oder Sozialarbeiter angeleitet wurden. Das ging gerade noch so durch als Therapiemaßnahme. 

    Aber wie es manchmal so ist, kommt der Berg ja auch mal zum Propheten 😁
    Zu uns kam kein Berg, aber die Forensik. 
    Während der Pandemie hatte es dort einen so katastrophalen Corona - Ausbruch gegeben, dass daraus das reinste Krankenlager wurde. Die gesunden restlichen 10 mussten umstationiert werden, und so landeten sie: Natürlich bei uns. Denn wir waren eine der wenigen geschlossenen Stationen und konnten ähnliche Bedingungen bieten. Jeder von uns war verpflichtet, ein Alarm-Telefon am Körper zu tragen. Ich fand das nicht weiter schlimm, da wir ja auch als Akutstation fungierten und manche Patienten erstmal stabilisieren mussten für die Forensik oder auch für den Haftantritt. 
    Vor allem das weibliche Personal hatte aber schreckliche Angst vor der Bestimmung und probte den Aufstand. Natürlich umsonst. 

    Und so hatten wir eines Tages plötzlich 10 Forensiker bei uns herumlaufen. Ich gebe zu, ich hatte auch so meine Bias, was das wohl für Typen sind. 😅 Und ob das nicht eine explosive Mischung für unsere entzügigen und wahnhaften Patienten ist. Aber ich wurde eines Besseren belehrt. Tatsächlich waren diese Patienten sehr auffällig - groß, muskulös, tätowiert; ein bisschen klischeehaft fast. Sie liefen in Grüppchen über die Station oder standen mit verschränkten Armen herum. 

    Interessanterweise schlugen diese ganz andere Töne gegenüber unserem manchmal schwierigen Patientenklientel an und sorgten für Ordnung. Plötzlich hörten wir Dinge wie: 
    - ,,Alter, du bist einfach nur asi! Räum deinen scheiß Teller ab!"
    - ,,Heute Abend steigt das Ding - so wie besprochen! Du, du und du: Spannbettlaken, Decke, Kopfkissen. Ich räum den Kram dafür in die Schmutzwäsche." 
    - ,,Guten Morgen!" (<- sagte nicht mal mehr das Personal)
    - ,,Wann müssen wir ins Bett?"
     
    Forensische Psychologie gab's nicht im Studium. Auch die PP-Ausbildung hat kein einziges Seminar dazu angeboten. PiAs auf der Forensik hatten wir bis auf wenige Ausnahmen keine am Institut. Ich musste mich also auf eigene Kosten ein wenig weiterbilden, und da gab's einige spannende Dinge: Förderung der Opferempathie, Strategien zur Senkung der Wiederholungsrisiken, Stressintoleranz-Bearbeitung, Rückfallprophylaxe generell, Emotionsregulation, Bewältigung von Opfererfahrungen...)
    Doch ich stellte fest, dass die 10 Jungs, die im Gegensatz zu unseren Patienten jeden Behandlungstermin wahrnahmen, gar nicht über sowas reden wollten.

    Stattdessen ging es um: Probleme auf Station wie Langeweile, Probleme mit Behörden, Angst, Briefe zu öffnen von Verwandten, Sehnsucht nach dem Leben draußen, Perspektivlosigkeit, Schuldgefühle (aber meistens ggü den Eltern, weniger den Opfern). Als ungerecht empfundene Maßnahmen. 
    Oder: höchst menschliche Probleme wie Angst vor der Dunkelheit, Schlafprobleme, sich schämen, dass jemand einen auf Toilette hören könnte.

    Mir fiel bei allen eine außergewöhnliche gute Strukturierung auf, was sicher das Werk des Forensikpersonals war. Jedoch bemerkte ich auch häufig eine sehr kurze Lunte und bei einigen auch die Vorstellung, dass man Ärger an jedem auslassen darf, der mich ärgert, und man sich manchmal Dinge nehmen darf, weil man selbst ja auch gefühlt irgendwo übergangen wurde. Das waren Aspekte, die in der forensisch-psychologischen Arbeit sicher interessant waren. Die Jungs kamen jeden Tag zum Gespräch. 
    Manche Gespräche hatten auch etwas Komisches: Einer erschien z.B. mit einem Schwall ungeöffneter Briefe von Behörden, die er sich nicht zu öffnen traute und die ihm Panik bereiteten. 

    Das ist schon interessant: Sie haben zum Teil krasseste Straftaten begangen, aber furchtbare Angst vor Mahnbescheiden. Oder was die Mutter dazu sagen würde. Darüber sprachen wir. Auch versuchten wir mal andere Bezeichnungen als Schweine für die Strafbehörden zu finden, die ja nur auf Dinge reagierten, die man selbst verzapft hatte. ,,Die hätten aber ein Auge zu drücken können!", ,,Die verdienen doch selbst genug!", ,,Ich soll immer geben, geben, geben, aber nie was bekommen. Da muss ich mir doch selbst was nehmen!" waren dann so Widerstände, die kamen. 
    Aber man muss auch realistisch bei den Ansprüchen bleiben: Die Straftaten wurden im Rahmen der psychischen Erkrankung begangen, beispielsweise bei Schizophrenie. Viele konnten sich gar nicht mehr wirklich daran erinnern, was sie getan hatten und ich nehme an, vieles wurde auch verdrängt. Denn manche der Taten waren so schlimm, dass sie selbst den Täter traumatisierten - paradoxerweise. 
     
    Wir hatten immer mal wieder Patienten von der Forensik; und ja, manchmal eckten sie auch an. Dass der Bereich damals so wenig gefördert wurde, fand ich sehr schade. Aber es ist auch, wie es ist: Viele haben Angst, dort zu arbeiten. Und natürlich darf man auch nicht unterschätzen, dass man mit potenziell gefährlichen Straftätern zu tun hat. Auch in unserer Forensik war es zu einem Messerangriff auf einen Pfleger gekommen, den dieser knapp überlebt hat. Das sind Dinge, die passieren können. Den Gefährlichkeitsaspekt muss man schon im Hinterkopf haben.  Insofern verständlich, dass es kein Bereich für jedermann ist. 


    Bleibt gesund & haltet zusammen,

    LG

    Feature Foto: Rajul_Sharma/pexel.com

     
  17. Vica

    KJP - Zusatzausbildung
    Auf dieses KJP-Seminar habe ich mich am meisten gefreut und war daher froh, dass es so relativ weit am Anfang stattfand (Pandemiebedingt noch immer per Zoom, sehr zum Dozentenleid) 😁 Denn erstens finde ich dieses Alter spitze, zweitens sind Säuglinge eine schrecklich vernachlässigte Gruppe in der Psychologie, wenn es nicht gerade um Bindung geht.  Kaum einer scheint sich wirklich für sie zu interessieren, daher gelten sie als Special Interest. 
    Ich könnte mir aber wahnsinnig gut vorstellen, irgendwann mal eine Babysprechstunde anzubieten. 

    Aber was kann ich mir unter dem Konzept Psychotherapie mit Säugling nun vorstellen? Mir fiel erstmal nichts ein, was nicht eine Hebamme, Säuglingskrankenschwester, Kinderärztin oder Erzieherin nicht auch kann. Und die haben den Dreh da schon sehr schnell raus und Kinder fassen sehr schnell Vertrauen zu ihnen. Das sind auch die Berufsgruppen, die mir als Laie zuerst einfallen würden, wenn ich mir bezüglich eines Babys Hilfe suchen würde. Ob Laien da wirklich auch Psychotherapie auf dem Radar haben? Eher nicht. Insofern: Fraglich, wie gut sowas frequentiert ist.  

    Welche Ansprüche hatte ich an so ein Seminar und wo ging meine Fantasie da so hin?
    Ich merkte schnell, dass ich die Hoffnung hatte, dass es vielleicht etwas gibt, was den Selbstwert eines Säuglings wieder aufbauen kann, welcher einen nicht so guten Start ins Leben hatte...oder auch aktiv misshandelt/traumatisiert wurde.
    Auf meiner Station gibt es häufiger mal Mütter, da hat vorher entweder eine Inobhutnahme stattgefunden. Oder sie sind schwanger und Substanzabhängig. Was kann man für solche Kinder aktiv tun? 
    Das waren so Vorstellungen/Wünsche, die ich im Vorfeld hatte - häufig vermischen sie sich etwas mit den Angeboten aus der Sozialen Arbeit. 

    So war das Seminar dann wirklich:
    Zunächst hatten wir jemanden (KJP!), der nur aus der Praxis erzählte und weniger mit Studien + Fachliteratur um die Ecke kam. Das war ein sehr großer Gewinn. Nichts gegen Studien, aber bei einigen Themen ist es wichtig, sehr nah am Menschen zu bleiben. Es gab viele Videos  zu sehen, die verschiedene Beratungssituationen, aber auch Elternverhalten zeigten: Wie Eltern ihr Kind füttern, wie sie interagieren mit ihren Babys, wie sie ihre Kinder zu Bett bringen und das Verhalten des Kindes im Anschluss, ab wann gewisse Situationen kippen, oder welche Strategien ein Säugling tatsächlich schon anwenden kann. Darauf wurde dann auch hirnorganisch eingegangen. Hier war ich zum Teil wirklich überrascht; zusätzlich war das ganze recht unterhaltsam 😅
    Selbstregulationsmöglichkeiten von Babys waren ein großes Thema. 
    Und auch, dass es nicht darum geht, die optimale und ultimative Beruhigung des Kindes zu finden, weil man ansonsten zu sehr darauf ausgerichtet ist, seinen Alltag durchzustrukturieren. Bei einigen Eltern geht das wohl so weit, dass nur noch um 12:00 gegessen wird, auf keinen Fall um 12:03. Dass das Kind abends vorm Schlafengehen genau 3x gestreichelt wird, aber nicht 5x. Und sich Versagensgefühle bei den Eltern einstellen, wenn die "Strategie" dann doch nicht hinhaut. 
    Auch auf Kinder, deren Eltern selbst psychopathologisch auffällig sind, wurde dann eingegangen, was ich sehr erhellend fand. 

    Die Psychotherapie mit dem Baby war dann natürlich immer im Kontext mit den Eltern zusammen. Es ging also nicht darum, nur das Baby als Patienten zu sehen, zu validieren, zu beruhigen etc.
    Sondern: Wie gehen die Eltern auf das Kind ein und umgekehrt. Dann werden Hypothesen abgeleitet + Verbesserungsmöglichkeiten hervorgehoben. Klar, dass in so einem Kontext unheimlich viel Videofeedback zustande kommt, heißt, die Eltern werden gefilmt und können sich selbst dann anschauen (da scheint Eigen- und Fremdwahrnehmung oft Lichtjahre auseinander zu liegen). 
    Dass das alles klappt...da hatte ich so meine Zweifel!
    Aber wir haben Vorher-Nachher-Videos angeschaut und ich war verblüfft. 

    Der Vorteil von diesem Bereich ist: Man sieht den Erfolg sofort, denn das Baby wird sich nicht verstellen und sich sozial erwünscht verhalten, damit endlich die Therapiesitzung zu Ende ist 😄 
    Oft reicht schon 1 Sitzung mit Eltern aus, nur selten kommt es wohl bis zu 5 Sitzungen. Therapeutisch super; betriebswirtschaftlich für Klinik oder Praxis aber schnell eine Kostenfalle. Das war insgesamt die größte Überraschung für mich; man stellt sich das Einrichten so einer Sprechstunde oft romantischer vor, als es in der Realität ist. 

    Spannend war noch, dass unsere einzelnen Stress-Grenzen getestet wurden, indem schreiende Babys eingeblendet wurden. Gestresst davon waren überwiegend die Nicht-Eltern im Kurs. Und auch solche Gefühle waren willkommen! 

    Mein Wunsch nach der Baby-Sprechstunde wurde bekräftigt; aber ich glaube, dass ich da so 50/50 zehren würde vom Seminar-Input, aber auch meinen eigenen Erfahrungen als Mutter und generell mit Kindern, vor allem was den Draht zu Kindern angeht. Die Nicht-Eltern konnten sich dementsprechend auch nicht so gut vorstellen, Babys in ihr Programm später mit aufzunehmen. Als Begründung wurden zu hohe Stresslevel vom Schreien und wenig Selbstvertrauen in Abgrenzung zu somatischen Problemen genannt.

    Ansonsten war es schön zu sehen, dass mal wieder ein KJP-Seminar so besonders gut war. Das Wochenende werde ich jetzt aber dazu nutzen, in Ruhe zu Ende zu prokrastinieren, denn ich habe keine Lust, weiter auf Zwischenprüfungsvorbereitung zu setzen 😅

    Bleibt gesund & haltet zusammen,

    LG

    Feature Foto: Burst/pexels.com
  18. Vica

    Erstkontakt
    * Die erste somatoforme Patientin hatte ich während meiner PT1-Klinikzeit. Frau S. war, wie die meisten PatientInnen unserer Station, wegen Alkoholexzessen da und befand sich gerade in der Entgiftung. Zusätzlich bekam sie seit Jahren vom Doc Holliday ihres Vertrauens Tilidin (starkes Schmerzmittel) verschrieben, von dem sie jetzt nicht mehr runterkam. Das war aber nicht der Ursprung ihrer Probleme. Sie war über 50, verheiratet und aus finanziell gut gestellten Verhältnissen. Man erfuhr über sie, dass ihre nun erwachsenen Kinder ebenfalls alle recht erfolgreiche Menschen geworden waren. Sie selbst war Hausfrau und war in der Kindererziehung wohl regelrecht aufgegangen. 
     
    Zu mir kam sie nur, weil der Oberarzt fand, dass es "keine schlechte Idee sein könnte, mal mit mir zu reden", aber direkt Hoffnung auf einen Behandlungserfolg hatte er nicht. Er und sein Chef wanken im Gegenteil schon wieder ab. Patienten wie Frau S. scheinen oft nicht interessant genug zu sein. Ich kenne das aber in anderen Zusammenhängen, dass gerade bei solchen Hausfrauen 50+ einfach nicht mehr vernünftig hingeschaut wird. 
     
    Frau S. war sehr gut gekleidet und frisiert und ordentlich übergewichtig. Sie atmet sehr schwer, als sie sich bei mir in den Stuhl fallen lässt. Der Entzug macht ihr ganz schön zu schaffen. Sehr sympathisch ist sie nicht; ich empfinde sie als recht fordernd: Sie brauch was zu trinken von mir, bevor es los geht, aber Wasser bitte nur mit Sprudel. Für den Stuhl bitte ein Kissen. Als Nächstes beschwert sie sich über die primitiven Duschmöglichkeiten bei uns. Außerdem: Sie hat sich alles auch so vorgestellt, dass sie bei uns Zahnbürste, Zahnpasta, Duschgel und Haarshampoo gestellt bekommt. Die Pflege hat ihr schon unmissverständlich klargemacht: Wir sind eine geschlossene Station, kein Hotel. Sie müssen ihre Angehörigen bitten, was vorbeizubringen, sonst gibt's halt nix. Das hat Frau S. sehr verletzt, berichtet sie. Generell ist sie sehr, sehr empfindlich - aber das ist typisch bei solchen Störungsbildern: Nervlich sind sie oft überreizt und empfinden daher alles schlimmer. Sie lässt mich nicht zu Wort kommen, bzw. unterbricht mich regelmäßig. Ich merke schon: Zuhören möchte sie nicht so gerne, lieber erzählen. Was auch bedeutet: In ihrem Privatleben bekommt sie vermutlich wenig Raum für ihre Anliegen. 

    Wie es zum Alkohol kam, den sie sich wochenlang reingezogen hat und warum der Mann es nicht mitbekam (?), kann sie sich auch nicht erklären. Mich interessiert mehr das Tilidin und warum sie sich das seit Jahren verschreiben lässt. In Kombination mit Übergewicht habe ich da meistens einen Verdacht und der bestätigt sich schnell: ,,Seit Jahren habe ich unerträgliche Schmerzen", berichtet sie. Im Rücken, in der Hüfte und in den Knien. Die Schmerzen seien nicht auszuhalten. Sogar nachts im Schlaf träume sie von ihnen. Sie kann detailgenau nennen, welche Komponenten sie daran beteiligt sieht: Das Darmbein, das Sitzbein, die Iliosakralgelenk-Blockade, das Acetabulum, Patellaluxation...man merkt: Sie befasst sich sehr viel mit Schmerzstellen. 
     
    Früher habe sie viel Sport gemacht und getanzt, Größe 36 habe sie getragen, trotz mehrerer Kinder. Dann hätte es angefangen mit einem Bänderriss, der aus dem Nichts kam -> der Schmerz ging nicht weg, kein Sport mehr, Schonung, weitere Schmerzen. ,,Und nun bin ich ein Wrack", meint sie. Eins kommt ins andere: Keiner will mehr etwas mit ihr unternehmen. Wegen der Schmerzen würde nichts mehr gehen. Sie könne nicht länger als 20 Minuten in einem Kinosessel sitzen, danach würden Gelenke und Rücken versteifen. 
    Das Tilidin habe anfangs gut geholfen. Nach Absetzen aber Horror. Und nun nimmt sie es, hat aber trotzdem Schmerzen. Ob man's dann nicht weglassen kann? Lieber nicht, wie schlimm ist es wohl erst ohne?
    Und der Alkohol? Wie üblich ein Versuch, die Einsamkeit zu bewältigen. Wir besprechen, das so eine Selbstmedikation kosten hat. Genau wie das Tilidin. Das alles kann erst recht krank machen. 

    Ja, was solle sie sonst tun? Die Ärzte nehmen sie nicht ernst, was sie als am schlimmsten empfindet. Niemand finde Ursachen. Alle sagen: Erstmal abnehmen. Das würde aber auch nicht funktionieren, sagt sie. Sie habe alles ausprobiert an Diäten: Geht nicht. Vieles seien ja auch Wassereinlagerungen. 

    Zunächst mal will ich wissen, wie viel Sport oder Bewegung sie überhaupt betreibt -> Keinen. Geht ja auch nicht, stellt sie schnell klar. Ich achte hier besonders drauf, immer alles schön zu validieren. ,,Ich würde auch ungerne Sport machen bei Schmerzen", sage ich. ,,Wenn ich sowas habe, gehe ich gerne ins Wasser. Ich muss nicht gleich Bahnen ziehen. Einfach mal wieder das Gefühl haben, schwerelos zu sein." Geht nicht, sagt sie schnell. Da komme sie nicht mehr raus aus dem Wasser. So wie sie aussehe, sei ihr das auch unangenehm.
    ,,Wie viele übergewichtige Menschen sind Ihnen denn jemals in Erinnerung geblieben, mal ehrlich?" frage ich. Ja, da muss sie zugeben: Keine. Aber trotzdem würde es nichts: Zu weit weg das Schwimmbad, Autofahren sei nicht mehr drin, wegen der Knie. 

    In den nächsten Tagen stellen wir uns ein wenig die Ei und Huhn Frage. Und erkennen, dass die Tatsache, dass sich alle von ihr abwenden, nicht zwangsläufig mit ihren Schmerzen zusammen hängt. Aber sie hat da etwas diese fordernde Art. ,,Sie haben einen ausgesprochen feinen Geschmack und wissen ganz genau, was Sie wollen. Das ist auch gut, aber ich fürchte manchmal, das das bei anderen Menschen so ankommt, dass man es Ihnen nicht gut rechtmachen kann." Außerdem hat sie aufgrund ihres Rückzugs natürlich nur ein Thema: Schmerzen. Ihr Mann, Workaholic, nie krank, nimmt da sofort Reißaus. Womit wir schonmal herausfinden, warum die Ehe nicht läuft. Das kränke sie besonders, sagt sie. Es würde ihr schon helfen, ab und zu mal etwas Trost zu bekommen. Trost oder überhaupt Aufmerksamkeit? Tja, wenn sie das wüsste, meint sie. 
    In ihrer Kindheit habe sie als Älteste die bettlägerige Mutter liebevoll bis zu deren Tod gepflegt. Und die Geschwister nebenbei erzogen. Wie es ihr damit ging interessierte niemanden. Dann habe sie ihre Kinder bekommen. Das war die schönste Zeit im Leben. Die Schmerzen begannen schon, als die ältesten Kinder auszogen. Mit dem Auszug des letzten Kindes sei es besonders schlimm geworden. Ihre Lebensaufgabe brach sozusagen weg.

    ,,Das war sicher eine schmerzhafte Erfahrung", sage ich vorsichtig. Vorsichtig deswegen, weil sogenannte somatoforme Patienten sehr empfindlich darauf reagieren, dass es eben die Seele sein kann, die den Körper krank macht. Das liegt oft daran, dass sie an anderen Stellen oft nicht ernstgenommen und für verrückt erklärt wurden. Da der Arzt nichts feststellt, ist die Logik dann oft: Muss vom Kopf kommen, oder noch wertender: Das ist eingebildet. Auch die Verwandten stöhnen oft schon. Vielleicht kennt ihr selbst auch wen in der Familie, der euch schon regelrecht auf die Nerven geht mit seinen Krankheiten oder Befindlichkeiten. 
    Der Schmerz ist aber trotzdem da und für Patienten sehr echt. Wenn sie ins ambulante Setting kommen, haben sie oft noch nicht die Vorstellung, dass die Psyche sozusagen den Körper krankmacht. Sie kommen oft, weil sie lieber über ihren Frust mit Ärzten und Umfeld reden wollen. 
    Tatsächlich geht es dann aber viel darum, Belastungsfaktoren wie Ängste, Einsamkeit, unverarbeitete Kränkungen aufzudecken. Und auch, dass der Schmerz erstmal vermutlich nicht weggehen wird und man schaut, was kleinschrittig möglich ist, um wieder ins Leben einzusteigen, Hobbies und Genüsse zu entwickeln und die Frührente vielleicht noch nicht anzustreben, trotz der Schmerzen.
    Das ist ein sehr schmaler Grad und nicht immer gelingt es. Das Schonungs- und Vermeidungsbedürfnis ist häufig hoch, oft auch aus verständlichen Gründen. 

    Im Fall von Frau S. war aber besonders hilfreich, ihr mal etwas Raum zu geben - das hat man oft auf Sucht-/Entgiftungsstationen. Seit vielen Jahren hat keine mehr zugehört. Natürlich kann man in den 2-3 Wochen keine somatoforme Störung heilen. Aber wohl sie dafür begeistern, sich danach auf einer somatoformen Stationen behandeln zu lassen. 

    Im Fernstudium waren die somatoformen Störungen zwar ein größeres Thema. Was aber weniger gesagt wurde, dass man die Patienten während der Gespräche schon in die Aktion bringen kann. Ich lasse sie z.B. die Störungsbilder selbst an der Flipchart anmalen und bekräftige sie dann (,,Gut, dass Sie schreiben. Sie haben eine schöne Schrift!"). Oder: ,,Manchmal kann man die Pflege fragen, ob Sie Duschgel mitbringt. Das machen wir jetzt mal zusammen. Wir gehen erst in Ihr Zimmer Geld holen, dann gehen wir zur Schwester und Sie fragen mal."
    Auf jeden Fall muss man Schmerz immer ernst nehmen und auch, dass er sich für jeden nunmal anders anfühlt. Man kann auch von seinen eigenen Erfahrungen zehren: Vielleicht geht ihr nur dann zum Arzt, wenn es nicht anders geht und kriegt dann trotz dickster Erkältung nur zu hören, dass er im Hals nichts sieht und bei den Bronchien nichts hört. 
    Im Falle somatoformer Patienten heilt die Zeit keine Wunden. Man muss den Grad finden zwischen Mitgefühl und Aktivierung. Und man muss gut Frust und Verbitterung aushalten können. Diese können eine ganz schöne Knacknuss sein. 
     
    Bleibt gesund & haltet zusammen,
    LG

    Titelbild: Ivan Samkov/pexels.com
     
    _________
    *Dies ist eine kleine Serie über meine Ersterfahrung mit gewissen Störungsbildern aus meiner Klinikzeit, über die ich damals nicht so gerne sprechen wollte. Es sind Störungsbilder und Situationen, die viele beim Wunsch, Psycholog:in bzw. Therapeut:in zu werden, nicht so auf dem Schirm haben. Wenn du Psycholog:in werden willst, denk dran, dass du auch mal damit konfrontiert wirst und mit Patient:innen, die man nicht immer ,,heilen“ kann. Heilung ist auch nicht immer das Ziel. In regelmäßigen Abständen stelle ich euch meine Ersterfahrung mit Störungsbildern vor. Dabei beziehe ich auch mit ein, wie mir das (Fern)studium half. Die Patienten sind dabei oft ein Konglomerat aus verschiedenen Patienten.
  19. Vica

    Kinder- und Jugendbuchautor*in
    So in etwa eine Woche habe ich gebraucht, um das erste Lernheft samt Einsendeaufgabe durchzubekommen. Trotz der geringen Seitenanzahl habe ich mir das schön in kleine Häppchen verpackt. Ein Anliegen meinerseits war ja, die Freizeit nicht nur mit Auf-Der-Couch-Rumliegen, Fernsehen, Smartphone etc. zu verbringen, sondern mal wieder etwas zu machen, was auch weiterbringt UND Spaß macht. Das hat schonmal sehr gut geklappt.
     
    Das erste Heft drehte sich um klassische Heldenreisen und wie erfolgsversprechend diese sind. Ich bin sicher, dass euch partout sämtliche Filme und Bücher einfallen, wo dieses Konzept greift. Insbesondere bei den Klassikern. Ich finde ja sogar, dass man auch manche Biographien unter diese Entwicklungsphasen zusammenfassen kann, und damit meine ich jetzt nicht mal nur Prominente. 

    Weiterhin wurden einige Kinderbuchklassiker vorgestellt, z.B. Harry Potter und Pipi Langstrumpf und es wurde analysiert, was hier im Wesentlichen zum Erfolg dieser Bücher beigetragen hat. Aber auch ein paar "Überraschungserfolge", wie z.B. Moby Dick, wurden betrachtet. Es ging dann darum, was genau hier Kinder anspricht und warum das auch konstant bis heute geblieben ist, obwohl heutige Kids ja von ganz anderen Dingen berührt werden als die damaligen.
     
    Bei der Einsendeaufgabe tat ich mich etwas schwer - nicht im dem Stoff, aber im Stil. Das eine war eine simple Erklärung zu einem Modell, das andere mehr eine Kreativaufgabe. Man konnte im Rahmen der Arbeit sein eigenes Schreibprojekt vorstellen, wenn man wollte. Interessanterweise fiel mir das zunächst schwer. Es sind kleine, wohl behütete Schätze, die ich eigentlich nur für meine Kinder schreiben wollte - sie für den Start gleich zur Schau zu stellen, widerstrebte mir noch etwas. Darum habe ich erstmal "allgemein" geantwortet und warte mal so ab, wie die Zusammenarbeit mit dem Fernlehrer generell so verläuft 

    Bleibt gesund & haltet zusammen,
    LG

    Feature Foto: Mike/pexels.com
  20. Vica

    Die Frage
    Neulich gab es hier ja die spannende Frage, was eigentlich ein Sexualtherapeut so tut, und was sich dahinter überhaupt verbirgt. Vorweg weiß ich natürlich nicht, wie das vereinzelt bei Fernschulen mit ein paar Schwerpunktmodulen so aussieht 🙃

    Aber: An unserem Institut ist Sexualität aber ein fester Bestandteil der Ausbildung; es gibt mehrere Seminare dazu. Genaugenommen heißt die Seminarreihe bei uns Sexuelle Funktionsstörungen, weiterhin taucht Sexualität aber auch bei Seminaren wie systemischer Paartherapie auf. Zusätzlich hatte ich noch interessante Veranstaltungen dazu an der MHH. Nicht nur Psychologen oder Psychotherapeuten können sich darauf spezialisieren. In meiner Lehrpraxis arbeitet z.B. auch eine Ärztin, die sich den Schwerpunkt auf Sexualtherapie gelegt hat. 

    Das erste Seminar, das wir dazu hatten, hatte eine recht lustige Atmosphäre 😄 Ich hatte erwartet, dass wir trotz gestandenem Alter rumkichern wie vorpubertierende Achtjährige. Nun, gelacht wurde in der Tat viel, aber nicht über sexuelle Themen, sondern weil wir wirklich eine gute Dozentin hatten. Solche Seminare stehen und fallen überhaupt mit dem Dozent, und so sicher auch die Sexualtherapie an sich. Zu den Seminaren gehört auch eine Selbsterfahrung in der Gruppe. Hier wurde überwiegend diskutiert und geschaut, wie verkrampft wir selbst so sind. Können wir die Dinge beim Namen nennen? Es wurde auch viel über eigene Sexualität diskutiert. Und man musste Patientenperspektive einnehmen, um nachzuvollziehen, wie schwierig es natürlich ist, darüber zu reden. 
    Aber wir sprachen auch viel über uns, unsere Stärken und Schwächen (denn wir wollen auch Patient/innen stärken + Akzeptanz für Schwächen fördern). Naja: Natürlich nicht so Bilderbuch-Stärken wie Zuverlässigkeit, Pflichtbewusstsein und was man sonst noch so von der Softskills-Liste runterleiern kann. Schon etwas spezifischer. Was gehört spezifisch zu mir?  Etc. 

    Nun, was sind denn eigentlich Themen in dieser Art Therapie?
    Z.B.
    Enttabuisierung ist das A und O. Manche Patienten können nicht mal Geschlechtsteile benennen, ohne sich in Grund und Boden zu schämen. Vielen ist auch nicht bewusst, was alles unter Sexualität fällt. Körperschema ist auch ein großes Thema. Die meisten schämen sich ebenfalls sehr für ihre als nicht perfekt empfundenen Körper. Selbstakzeptanz ist dann ein großes Ding (konkret: zu dick, zu dünn, zu männlich/weiblich, zu untrainiert, unzufrieden mit Gesicht), aber auch:   Probleme mit Geschlechtsteilen, bezogen auf Größe, Optik und Funktion. Viele wissen auch nichts über die Anatomie und die Funktion an sich.  Gestörte Sexualentwicklung nach Trauma, Missbrauch usw. (Manche Therapeuten arbeiten auch präventiv im Rahmen von "Kein Täter werden").  Alle LQTBQ+-relevanten Themen  Unterdrücktes  Unerfüllter Kinderwunsch und damit verbundene sehr schwierige Sexualität  Postnatale sexuelle Störungen  Biographisches zum Thema Sexualerziehung, Tabus usw.  Sexualität im Alter, in Langzeitbeziehungen usw. (nachlassender Spaß an der Sache, Verpflichtung usw.) Funktionsstörungen jeglicher Art, z.B. angeboren oder erworben oder durch Stress  Bei Frauen ist Vaginismus ein sehr großes Thema, bei Männern Erektionsstörungen  Orgasmusprobleme  Ausbleibendes Lustempfinden usw. und so fort...

    Die Patienten selbst kommen meistens zum Erstgespräch mit der vagen Vorstellungen, dass mit ihnen was nicht stimmt - und es darum auch nicht klappt. Und sie daran Schuld tragen würden. Oft wollen sie dann schnell wieder hergestellt werden, um wieder "Erfolge" zu präsentieren und damit z.B. die Beziehung zu retten. Da ist aber oft ein Anknüpfpunkt, dass es darum gar nicht geht und man im Leben nicht nur Leistung erbringen muss und soll. 

    An Methoden vermischen sich hier kognitive, tiefenpsychologische und systemische Therapie. 
    Ich habe aktuell zwei Sexualtherapien und muss sagen, dass das Thema großen Spaß macht.  Man merkt hier häufig sehr schnell die Veränderung in der Person, wenn sie solche tief verankerten, aber weggesperrten Dinge ansprechen kann. Natürlich fällt dies dem Patienten sehr schwer, vor allem Männern. Deswegen finde ich wichtig, dass sie nicht gleich alles erzählen müssen. Manche können nicht mit Partner/in über Sorgen, Ängste, Vorlieben und Wünsche reden. 
     
    Als Therapeut muss man absolut unverkrampft über solche Themen reden können und auch so viel Vertrauen ausstrahlen, dass Patienten bereit sind, zu reden. Es darf weder einen Pfui-Anstrich haben, noch in eine Richtung gehen, dass es auf sexuellen Erfolg ankommt. Und auch darf niemanden genötigt oder gelöchert werden. Ich denke mir, dass schon jeder selbst am besten weiß, wann er was preisgibt. Und dann gestalte ich die Atmosphäre so, als würden wir über das Wetter reden.
     
    Generell sollte man als Therapeut ein gutes Gespür für den Umgang mit Schuld und Scham haben. Ich persönlich glaube auch, dass ein höheres Alter hier von Vorteil ist. 
     
    Während der Seminare hatte ich noch Bedenken, ob ich das wohl wirklich schaffen könnte, mit Patienten darüber zu reden. Aber das ging erstaunlich gut. Darum: Keine Sorge vor Sexualtherapie. 

    Bleibt gesund und haltet zusammen,

    LG

    Titelbild: DS_stories/pexels.com 
  21. Vica

    Psychotherapie Ausbildung
    Unser liebes, tolles, unkonventionelles und manchmal etwas schräg-schrulliges (aber dadurch liebenswürdiges) Ausbildungsinstitut wird schließen. Das wurde schon länger gemunkelt, nun ist es offiziell. Der Mitarbeiterstab wird bereits reduziert. Ebenfalls aussortiert wurden Karteileichen. Ja! Es gibt tatsächlich Ausbildungsteilnehmer/innen, die einen begehrten Ausbildungsplatz bekommen, und niemals, zu !keinem einzigen! Kurs jemals antanzen - und das von Anfang an nicht. Sogar zahlenderweise.
    Aussortiert wurden ebenfalls einige Leute, die etwas zu lange den Vertrag pausiert haben - z.B. durch Elternzeit, die immer weiter verlängert wurden oder wegen sonstiger Pausen. 

    Eigentlich ist die Ausbildung ja so auf 3 bis 5 Jahre ausgelegt. Andererseits sagt auch keiner was, wenn's länger dauert. Früher konnte man jahrelang problemlos pausieren, theoretisch zwischendrin was anderes studieren oder mal ein paar Jahre arbeiten. Viele sind auch finanziell in die Bredouille gekommen oder haben einfach ewig keinen Klinikplatz für PT1 und 2 gefunden. Das sind Gründe, warum lange Ausbildungspausen oder -verzögerungen geduldet werden und das finde ich auch gut so. Ich habe neulich mit zwei Kursteilnehmern einen Plausch gehabt, die 2012 gestartet sind und noch nicht fertig sind.

    Aber wie auch immer: Theoretisch hätte man nach der Reform der Ausbildung ja noch bis 2032, längstens (Härtefallregelung!) aber bis 2035, Zeit, in Ruhe auf dem alten Weg zu approbieren. 

    Die Realität ist leider anders: Vielen PiAs ist es zu unsicher, ob sie die Ausbildung auf dem alten Weg noch abschließen werden können. Und so tun sie, was ihnen sinniger erscheint: Sie machen gleich den neuen Psychotherapie-Direktstudiengang. Und nicht mehr die Ausbildung an den Instituten. Genau das wird finanziell nun zu einem Fallstrick für viele.

    Die Institute werden natürlich auch nach den neuen Regeln noch gebraucht. Aber sie werden nur noch Fortbildungen für die Absolventen der Direktstudiengänge anbieten. Wie genau das aussieht, ist noch nicht so ganz klar...zumindest hat es niemand kommuniziert. 
    Vermutlich schließt der Laden in der alten Form und wird in neuer Form - mit neuer Leitung, Stab, Konzept etc. - zurückkehren. Statt 2035 ist nun also wohl schon um 2028 Ende Gelände.

    Mich persönlich betrifft das nicht, da ich kurz vor Ende stehe. Allerdings befinden sich alleine in meinem Ausbildungsjahrgang gerade 5 Leute in Elternzeit. Diese bekommen demnächst Post vom Institut, die lange Auszeit nochmal zu überdenken - es könnte am Ende nicht passen. 
    Immerhin ist unser Institut ausgesprochen kinderlieb. Sogar neugeborenenlieb. 

    Übrigens ist das kein Einzelfall: Auch von anderen Instituten deutschlandweit habe ich davon gehört. 

    Wer also die Ausbildung noch auf dem alten Weg anstreben kann, sollte unbedingt mit einbeziehen, dass die Institute sich vor der Deadline umstellen KÖNNEN, oder eben schließen.

     Gute wäre dann, das ganz genau durchzusprechen mit dem Wunsch-Institut. 

    Bleibt gesund und haltet zusammen,

    LG

    Feature Foto: Jan van der Wolf/pexel.com
  22. Vica

    Erstkontakt
    Meine ersten Erfahrungen auf der Station für Ess- und Körperschemastörungen hatte ich bereits im Master-Praktikum. Eigentlich ist das eine eigenständige Praktikantenstelle. Doch die Kollegin wurde krank, und so kam es, dass ich für sie einsprang.

    Als mir das mitgeteilt wurde, merkte ich, dass mich diese Aufgabe ganz schön nervös machte.
    Ja, Essstörungen waren ein recht großes Thema im klinischen Studium und generell im Fernstudium. Ja, es gab eine Klausur und eine Fall-Facharbeit dazu (d.h. mit echter Patientenakte). Die theoretischen Grundlagen dazu saßen. Trotzdem bestellte ich mir am Vorabend ad hoc nochmal ein recht teures e-Book. Aber doch bekam ich kaum etwas in den Kopf davon.
    Ich hatte eher andere Sorgen. Ich z.B. bin ein absoluter Genussesser. Ich esse gerne und durchaus auch mal viel. Dadurch fiel es mir schon im Studium etwas schwerer als bei anderen Störungen, diese nachzuvollziehen.  Würde ich dadurch überhaupt authentisch rüberkommen? Oder lag es daran, dass dies die tödlichste aller psychischen Erkrankungen ist? Und man damit eine recht hohe Verantwortung und sicherlich viele Verluste hat? 

    Die erste große Veränderung war, dass ich meinen Dienst schon um 7:00 Uhr antreten musste statt wie üblich um 8:00. Mein Tag startete nämlich in der Küche, wo es darum ging, zusammen mit der Ernährungsberaterin und der Köchin das Frühstück zuzubereiten. Meine etwas undankbaren Aufgaben waren das Abwiegen der Mahlzeiten und das Eintragen in eine Tabelle. Außerdem: Mengen + Kalorienbedarf auf jede einzelne Patientin anpassen und ebenfalls  eintragen.

    Die Patientinnen lernte ich beim Essen kennen. Mir sitzen alle Krankheitsbilder gegenüber, die man auf solchen Stationen üblicherweise hat: Anorexie (Magersucht), Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und Binge-Eater (haben regelmäßige, unkontrollierte Essanfälle). Es sind die dünnsten Menschen, die ich je gesehen habe (abgesehen von den Binge Eatern, die deutlich in der Unterzahl sind).
    Der ausgeprägteste Fall wiegt nur 28 Kilo und sitzt mit Beatmung im Rollstuhl: Jegliche Art Bewegung soll hier vermieden werden, damit keine Kalorien verbrannt werden. Ein einziger Mann ist dabei. Die Damen und der Herr sind ausgesprochen freundlich und interessiert an mir. Die Gespräche am Tisch sind sehr intellektuell und zugewandt. Viele Patientinnen sind „Töchter aus gutem Hause“.
    Meine Aufgabe ist, mit ihnen zu essen, dabei aber auch zu überwachen, dass der Teller leer gegessen wird. Hier bekomme ich später von der Ernährungsberaterin eins aufs Dach: Teller leer essen bedeutet offenbar nicht das, was ich darunter verstehe. Also muss ich hier tun, was ich überhaupt nicht gerne tue: Nämlich anderen Vorschriften zu machen. „Das müssen Sie mir aber bitte noch gründlicher essen!“ soll ich die nächste Zeit sagen.
    Außerdem muss ich lernen, die Tricks zu durchschauen, mit denen sie sich ums Essen bringen: Viel reden, Streit anfangen, sehr lange Klogänge oder Trick 17, viel aufstehen und herumlaufen um Dinge zu holen – in Wahrheit aber Kalorien zu verbrennen. Und auch das zählt nicht: „Mein Essen ist versalzen/zu heiß/schmeckt nicht/kalkig/angebrannt.“ Etc.

    Das Essen, egal welches, ist stets ein schwieriger Moment. Manche sitzen heulend davor, weil sie es nicht schaffen. Andere haben regelrecht Angst. Manchmal geht es auch hässlich zu: Es wird übereinander hergezogen, wer mehr gegessen hat.
    Getoppt wird die Dramatik nur vom täglichen Wiegen. Das mache zum Glück nicht ich, sondern die behandelnde Therapeutin der Station (auch eine PiA). Sie ist auch für den Notfall dabei. Das Heulen und Weinen ist noch auf der Station gegenüber, bei den Borderlinern, hörbar.
    Ich bin auch schon wieder am Abwiegen: Wer hat wie viel gegessen? Wie viel Kalorien sind das in etwa? Ich muss alles notieren.

    Beim Mittagessen genau dasselbe: Begleiten, mitessen.
    Am Nachmittag haben die Damen Gruppentherapie und auch Spiegeltherapie mit ihren Therapeuten. Im Anschluss der Spaziergang mit der Station, der dann alleine von mir begleitet wird. An Anfang falle ich auf die vielen kleinen Tricks zur Steigerung des Kalorienumsatzes herein: Strecken wählen, die minimal länger sind. Strecken, die bergauf gehen. Strecken, die ins Leere laufen, damit man umkehren muss und dadurch mehr Weg zurücklegt. Zu schnelles Gehen. Das Treppenhaus nutzen, statt den Fahrstuhl.
     Die Rollstuhlfahrerin schiebe ich natürlich. Einmal verhakt sich der Rollstuhl auf den Bürgersteig. „Sehen Sie?“ meint sie. „Ich bin eben doch zu schwer.“ Urgs! Überhaupt: Wie man genau über das Thema Essen redet, weiß ich an der Stelle nicht. Konfrontiert man sie damit, dass sie lebensgefährlich dünn sind? Führt das nicht zu Trotz und Abwehr? Immerhin kriegen sie das aus jeder Ecke schon zu hören, teilweise auch als Vorwurf.
    Die Gespräche mit den Damen und dem Herrn sind, wenn es vom Thema Essstörung weggeht, äußerst angenehm.

    Am nächsten Morgen aber gleich der Schock: Eine Patientin hat sich mit der Ärztin überworfen und Glasscherben gegessen, um nicht weiter essen zu müssen. Die ist in der Notaufnahme.  Wie durch ein Wunder gibt es aber keine ernsten Verletzungen. Die Therapeutin betrachtet das unaufgeregt: Das kommt häufig vor, versichert sie mir. Mich schockt es trotzdem nachhaltig.

    Die Patientinnen und der Patient haben auch Koch- und Backkurs. Danach der nächste Fauxpas meinerseits: Ich lasse mich beschenken. Die Damen haben Pralinen und Plätzchen gebacken und verschenken sie an das Personal.
    „Das sind Feeder!“ ermahnt mich die Therapeutin. „Es macht sie glücklich, wenn andere essen. Du musst sie auffordern, das selbst aufzuessen.“
    „Wie lehne ich denn ab, ohne sie direkt zurückzuweisen? Denn Zurückweisung war ja häufig in ihrem Leben ein Problem, oder?“ will ich wissen. So richtig eine Antwort bekomme ich darauf nicht. Darum mache ich es die nächsten Tage so: „Ich freue mich mega! Wollen wir sie zusammen essen? :-)“
    Im Verhältnis: Ich: 1 Praline, sie: 5. Und das klappt.
    Ich bin mega stolz, als ich in den Kalorien-Listen notieren kann, dass „meine Patienten“ dadurch sogar auf mehr Kalorien als vorgegeben landen. Auch wenn es unfassbare Arbeit war, Phi mal Daumen die Kalorien der Selbstmach-Pralinen rauszufinden.

    Bei den interessantesten Dingen, den Einzeltherapie-Sitzungen oder der Gruppentherapie, darf ich nur selten teilnehmen, was ich schade finde. Aber man macht dort recht interessante Dinge: Spiegeltherapie ist für die Patientinnen sehr schwer auszuhalten, denn hier muss man sich selbst betrachten und beschreiben. Es gibt auch viele andere interessante Methoden: Etwa wenn der gefühlte Körperumfang kreisförmig von der Patientin aufgemalt wird. Und dann ein Seil den tatsächlichen Umfang misst und danebengelegt wird.
    Allein kommt es mir aber so vor, dass zumindest bei diesen Patienten nicht allein das Unwissen eine Rolle spielt, wie ein normalgewichtiger Körper so aussieht, sondern das Ganze eine Reaktion auf etwas ist. Und tatsächlich hört man in den Einzeltherapien häufiger so etwas:
    „Mein Körper ist das einzige, was ich beherrschen kann“; „Hier ist meine Welt!“, „Mein Körper hat völlig versagt, in allem. Ich wurde nur gemobbt.“; Und noch viele andere Dinge, die therapeutisch aufgearbeitet werden.
     
    Als meine Vertretungs-Arbeit dort getan ist und ich wieder zu meinem allgemeinpsychiatrischen Bereich zurückkehre fällt mir dagegen auf, wie unstrukturiert hier alles läuft. Keine Kalorien zählen? DAS soll ein leerer Teller sein? Etc. pp.  Mir kommt alles vor wie ein heilloses Durcheinander.😅

    Die Arbeit dort war einerseits faszinierend, weil ich glaube, nie so interessante Gespräche mit Patientinnen geführt zu haben. Zudem habe ich dort auf Patientenebene sehr begabte und einfach tolle Personen kennengelernt, deren Geschichten und Einstellungen mich berührt haben. Ein Gespür dafür, dass etwas, was man für sich für selbstverständlich kann, anderen Leuten etwas so viel Leid bescheren kann, war ebenfalls eine wichtige Erfahrung. Und auch die Mühen und der Kampf, den die Betroffenen auf sich nehmen, war hier sehr sichtbar, etwa in den Essenssituatinen.
    Darüber hinaus habe ich generell viel über die Wertigkeit von Essen gelernt. 
     
    Andererseits habe ich die Methodik mit lachendem und weinendem Auge gesehen. Ich kann verstehen, dass es zunächst mal im Fokus steht, die Patienten irgendwie auf eine gute Kalorienzufuhr zu bringen. Dazu gehört eine sehr hohe Struktur, wie eben Listen abhaken und viel Kontrolle. Andererseits erleben sie so wieder, dass über sie fremdbestimmt wird. Ich habe dauernd Sorge, dass ich jemanden verletzen könnte mit den permanenten Grenzen, Aufforderungen zum Tellerleeressen und Begrenzen der Bewegungsfreiheit.
    Mein Fazit ist, dass man als Praktikant auf so einer Station in viele Fettnäpfchen treten kann und hier drauf bestehen sollte, gut angelernt zu werden.

    Als PiA ist das etwas anderes. In der Ausbildung hatten wir ein intensives Essstörungs-Seminarwochenende. Ich hatte innerlich schon einige Blockaden, weil ich die Befürchtung hatte, das Thema liegt mir nicht. Aber es wurde einfach das beste Seminar und danach habe ich mich extrem gut aufgestellt gefühlt und sogar Bock auf eine entsprechende Station bekommen. Das zeigt: Man brauch hier nur gute Anleitung und Tipps vom Profi. Bei diesem Störungsbild brauch man meiner Meinung nach mehr Hinweise von erfahrenen Therapeuten als bei anderen, weil das Vermeidungsverhalten so enorm ist. Auch Trigger spielen hier eine große Rolle. 

    Meine anfänglichen Sorgen hätte ich aber nicht haben müssen. Ich denke, das Wichtigste ist immer Authentizität, und gerade als Genießer kann man hier ein interessantes Modell sein. Eine potenziell tödliche Erkrankung bleiben die Essstörungen natürlich schon. Aber auf Stationen mit so viel Struktur und Beobachtung ist es aber unwahrscheinlich, dass jemandem da etwas durch die Lappen geht: Im Extremfall kann es zur Zwangsernährung kommen. Das ist mit den Patienten auch abgesprochen. 

    Spannend fand ich, dass durch die Station in mir ein paar generelle Fragen zum Thema Essen aufkamen und ich viel damit konfrontiert wurde, wie das mit dem Essen damals bei uns zu Hause gehandhabt wurde. Dass Essen z.B. auch ein Machtmittel sein kann, war ebenfalls so eine Erkenntnis. 
     
    In der Ambulanz habe ich heute einige Menschen mit Essstörungen, vor allem in der KJP :-).  Ich habe immer noch Respekt vor der Störung, weil so viele Faktoren dahinter sind, aber insgesamt haben wir sehr gut Verläufe. Aber auch wenn ihr als PiAs auf solchen Stationen eingeteilt werdet: Habt ein Auge darauf, die Praktikanten gut anzulernen :-).

    Bleit gesund & haltet zusammen,

    LG
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