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Studieren mit Blindheit: Shugaa Nashwan im Interview (Sponsored Post)


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Es ist ein sonniger Freitagnachmittag und Shugaa Nashwan erzählt am Telefon so begeistert und schnell von seinem (Studien-)Alltag, dass ich* nur schwer mit dem Tippen hinterherkomme. Shugga ist blind, Teil des deutschen paralympischen Judo-Teams und studiert als Stipendiat Psychologie (B.Sc.) an der SRH Fernhochschule – The Mobile University.

 

Shugaa, du studierst bei uns an der SRH Fernhochschule seit Juni 2019 im Bachelor Psychologie. Wie lief der Entscheidungsweg für deine Hochschule ab?

 

Der wichtigste Faktor bei der Auswahl war natürlich die Barrierefreiheit der künftigen Hochschule. Da ich aufgrund meines Sports am Olympiastützpunkt in Hannover trainiere, befand sich anfangs die PFH Göttingen in meiner näheren Wahl, zu welcher ich auch ab und zu hätte pendeln können. Ich betreibe Judo als Leistungssport, weshalb mein Sport mit einem Vollzeitjob vergleichbar ist und ich viel unterwegs bin. An einer Präsenzhochschule ist es deutlich schwieriger, beides miteinander zu vereinbaren. Deshalb habe ich zusätzlich einen Probemonat an der SRH Fernhochschule gemacht und war schnell überzeugt: Ich hatte den Eindruck, dass die Mobile University mir die notwendige Flexibilität bietet und bezüglich Barrierefreiheit gut aufgestellt ist. Sie bietet die technischen Möglichkeiten, über die Menschen mit Behinderung die Studieninhalte mit ihren Systemen auslesen und teilhaben können und sie ist dauerhaft in Rücksprache mit ihren Studierenden. Ein Problem gab es allerdings: Ohne Unterstützung wäre es mir nicht möglich gewesen, die finanziellen Mittel für ein Studium an dieser aufzubringen. Deshalb habe ich mich für das Stipendium „Handicap & Studium“ an der SRH Fernhochschule beworben, welches auch Menschen mit Handicap oder chronischer Erkrankung ermutigt, ihren Traum vom Studium zu verwirklichen. Als ich die Zusage für das Stipendium bekommen habe, war ich sehr erleichtert. Sie war der erste Baustein, der mir die Freiheit gegeben hat, um mich so zu entfalten, wie ich es möchte.

 

Wie eignest du dir die Studieninhalte an, was für Hilfsmittel nutzt du?

 

Dazu ist ein grundlegendes Verständnis hilfreich, wie man als Blinder einen Computer nutzt und Inhalte konsumiert. Ich nutze einen Screen Reader, der mir alles, was auf dem Bildschirm angezeigt wird, entweder mittels Sprachausgabe oder der tastbaren Braille-Zeile meines Computers ausgibt. Je besser der Code einer Website gepflegt ist, desto besser funktioniert die Umwandlung des Visuellen ins Auditive oder Haptische. Wenn ich mit der Maus z.B. über einen Play Button fahre, sagt mir der Screen Reader das. Da das Voice Over von Apple besonders ausgereift ist, nutzen viele blinde Menschen deren Produkte, auch ich habe ein MacBook. Auf dem E-Campus meiner Hochschule finde ich mich so sehr gut zurecht, lediglich bei Drittanbietern wie beispielweise der Springer Online-Bibliothek brauche ich mehr Zeit, um mich einzuarbeiten und gelegentlich auch Unterstützung, um mich zurechtzufinden. Leider fehlt mir diese Unterstützung in Form einer Studienassistenz noch immer, da es bei den örtlichen Behörden meist sehr lange dauert, bis ich wichtige Hilfsmittel genehmigt bekomme. Für Visualisierungen nutze ich ein 1,50 x 1,00 Meter großes Whiteboard und einen Baukasten mit Magneten. Der Magnetbaukasten handelt es sich nicht um einen aus meinem Fachgebiet der Psychologie, sondern einen zweckentfremdeten der Physik. Diesen habe ich mit eigenen kreativen Ideen um weitere Elemente wie Schnürsenkel erweitert. Mittels der verschiedenen Magnete, z.B. Plus- und Minuszeichen, Pfeile und eines Schnürsenkels mache ich Grafiken für mich sichtbar.

 

Shugaa nutzt den E-Campus der SRH Fernhochschule für sein Online-Studium

 

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Wann und wo lernst du für dein Studium?

 

Oft lade ich mir einen Studienbrief auf mein Handy herunter und lasse mir diesen auf dem Weg zum Training, bei Wartezeiten oder sonstigen Freiräumen vorlesen. Dabei habe ich natürlich immer nur einen AirPod im Ohr, damit ich auf dem anderen Ohr noch meine Umgebung wahrnehmen kann. So kann ich das Thema bereits inhaltlich umreißen. Zuhause höre ich mir den Studienbrief dann nochmal langsamer an und mache mir Notizen. Wenn ich den Inhalt dann höre und unter den Fingern habe, lerne ich am produktivsten. Obwohl ich blind bin, würde ich sagen, dass ich eine gute räumliche Vorstellungskraft habe und vom Lerntyp eher die Person bin, die Sachen in die Hand nimmt, um etwas zu „begreifen“. Diese habe ich auch dem Judo zu verdanken, bei dem man in alle Himmelsrichtungen geschleudert wird. Für das Lernen setze ich mir klare Zeiten, in denen ich nicht gestört werde. Wenn ich bei meiner Familie bin, wird es ab 9 Uhr ziemlich laut – dann kommuniziere ich auch, dass ich etwas früher aufstehe und in dieser Zeit mit dem Studium beschäftigt bin. In diesen schalte ich dann auch bewusst mein Handy aus, ich muss nicht immer erreichbar sein – das gilt für mich in allen Lebensbereichen. So kann ich mich besser konzentrieren, werde nicht von äußeren Reizen abgelenkt und bin immer voll bei der Sache.

 

Erfolgreich gelernt ist schon halb die Prüfung bestanden: Wie legst du die Prüfungen für dein Studium ab?

 

Prüfungen für das Studium sehe ich wie meine Wettkämpfe als Leistungssportler. Ich fokussiere mich sehr stark darauf, freue mich aber auch gleichzeitig. Ich möchte das, was ich gelernt habe, auch anwenden. Die SRH Fernhochschule hat ein Studienzentrum in Hannover, das ich rechtzeitig vor der Prüfung besucht habe, um die Lokalitäten kennenzulernen. Ich verbinde das meist mit einem Spaziergang und plane am Prüfungstag selbst die doppelte Zeit wie ein Sehender ein. Vorab gehe ich auf die Menschen am Studienzentrum zu und tausche mich mit ihnen aus, da ich aufgrund eines Nachteilsausgleiches mehr Zeit zur Bearbeitung der Prüfung erhalte. Die Online-Klausur, welche seit kurzem angeboten wird, ziehe ich einer Klausur vor Ort vor. Allerdings entfällt dabei der Kontakt vor Ort, was sehr schade ist, da der Austausch mit meinen Kommiliton*innen immer sehr sympathisch ist.

 

Welche Hürden hast du als blinder Studierender im Vergleich zu einem sehenden Studierenden?

 

Ich scherze gerne, dass ich nicht durch meine Behinderung behindert werde, sondern durch die Behörden. Leider ist das nicht so humorvoll, wie es sich vielleicht auf den ersten Blick anhört. Als blinder Mensch ist es besonders schwierig, seine Rechte einzufordern. Man kann zwar Unterstützung in Form von Hilfsmitteln und einer Studienassistenz beantragen, die Kommunikation erfolgt jedoch ausschließlich postalisch und nicht digital. Deshalb bin ich bei der Beantragung und Kommunikation mit den Behörden immer auf die Hilfe von Freunden und Familie angewiesen. Einmal beantragt, dauert es zudem oft Monate, bis ein Hilfsmittel genehmigt wird. Ein normal sehender Studierender muss sich diese zusätzlichen Mühen nicht machen und den Stress und die verlorene Zeit gibt einem keiner zurück.

 

Was wünschst du dir für deine Zukunft?

 

Einiges wie die Kommunikation mit den Behörden könnte deutlich einfacher sein. Ich will mich aber von sozialen Schwierigkeiten nicht ausbremsen lassen und Menschen durch mein Psychologiestudium besser verstehen – das Studium ist für mich fester Bestandteil meines Lebens. Dabei geht es für mich nicht nur um das „abhaken“ der Studieninhalte in Regelstudienzeit oder den akademischen Titel, sondern vielmehr um ein inneres Wachstum. Dieses treibe ich zum einen durch zahlreiche Lektüren, welche keine Pflichtlektüren meines Studiums sind und zum anderen durch eine intensive Auseinandersetzung mit mir selbst und meinen Erfahrungen, voran.

 

*Über die Autorin:

 

Lea-Anna Hurler ist seit Februar 2020 die Ansprechpartnerin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit an der SRH Fernhochschule – The Mobile University. Als Kauffrau für Marketingkommunikation bringt sie aus der IT-Branche außerdem Erfahrung mit agilen Methoden und New Work mit. Ihre Begeisterung für Texte und die vielfältigen Themen der Fernhochschule haben sich gesucht und gefunden.

Bearbeitet von SRH Fernhochschule
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Cool, ich habe Shugaa schon mal im „Halbe Katoffl“-Podcast gehört und fand das dortige Interview auch schon sehr interessant. Bewundernswert, wie er das meistert. Eine solche Möglichkeit sollte natürlich für Menschen mit Behinderungen selbstverständlich sein, ich ahne aber, das es das nicht wirklich ist. Umso besser dass es hier so toll funktioniert! 
 

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Total spannender Einblick. Das Thema hatte mich schon lange einmal interessiert und ich kann da nur sagen Chapeau! 
 

Wir vergessen so schnell, welche Hürden Menschen die z.B. nicht sehen oder laufen können (oder oder oder) tagtäglich auf sich nehmen müssen. 

Ich war selbst nach einem Unfall für kurze Zeit im Rollstuhl und sehe seither viele Dinge anders. 

Ich hoffe, dass hier in Zukunft noch viel mehr gemacht und auf die jeweiligen Bedürfnisse der Studierenden eingegangen wird. 

Bearbeitet von Decharisma
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